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Kind, Jugendlicher oder Erwachsener?

Bahntarife für Kinder in Europa uneinheitlich

Glaubt man, für die Tarifierung von Kindern in Deutschland ein gutes „Fahrgastabitur“ zu benötigen, so wird für das Ausland ein „Fahrgaststudium“ unabdingbar. Die Hauptfächer sollten Geografie, Mathematik und Jura sein.

Maßgebend sind die Besonderen Internationalen Beförderungsbedingungen (BB Int) – international als Special Conditions of International Carriage (SCIC) bezeichnet. Man unterscheidet dabei in normale Fahrkarten (Non Reservation Tickets SCIC-NRT), Globalpreisfahrkarten, das sind Reservierungen mit enthaltener Fahrkarte (Integrated Reservation Tickets SCIC-IRT) sowie Pass-Angebote (Rail Pass Tickets SCIC-RPT). Primär werden hier die NRT-Fahrkarten betrachtet.

Kleinkinder

Sie fahren in der Regel kostenfrei, benötigen also keine Fahrkarte, wenn sie unter 4 Jahre (in 25 Ländern) bzw. unter 6 Jahre (in 15 Ländern) alt sind. In einigen Ländern gilt das aber nur, wenn sie keinen eigenen Platz beanspruchen. Wollen Mama und Papa das Kleine nicht die ganze Fahrt auf dem Schoß halten, ist dieses wie „normale“ Kinder fahrscheinpflichtig. Zum Beispiel in Frankreich werden bei den Glo-balpreis-Reservierungen im TGV oder im Thalys entsprechende Entgelte erhoben. Auch sind die Kinderplätze mitunter nur begrenzt verfügbar.

Im Nachtreiseverkehr gelten besondere Regelungen. Wie beim City Night Line beispielsweise: Ein Kind, das bei der Mutter im Bett schläft, bleibt untarifiert. Nutzt es ein eigenes Bett, braucht das Kind eine eigene Fahrkarte, bzw. es muss auf der elterlichen Fahrkarte mitberechnet werden und ein zusätzliches Entgelt für die Bettreservierung zahlen. Nutzen zwei Kinder zusammen ein Bett, so muss nur ein Kind tariflich berücksichtigt werden und auch nur ein Reservierungsentgelt bezahlt werden.

Fahrscheinpflichtige Kinder

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Übersicht der Kinder-Altersgrenzen Grafik: BfVSt

Ab einem Alter von 4 bzw. 6 Jahren benötigt ein Kind einen Fahrschein – entweder einen eigenen als allein reisendes Kind, oder es muss mit anderen Reisenden, z. B. den Eltern, auf einer gemeinsamen Karte tarifiert sein. Die obere Altersgrenze, ab der ein Kind als Erwachsener gilt, variiert stark. In den meisten Ländern gilt es bis unter 12 Jahre als Kind, in einigen bis unter 14, 15, oder 16 Jahre. Am familienfreundlichsten sind die Finnen. Hier gelten auch Jugendliche bis unter 17 Jahre noch als Kind. Eine genaue Übersicht der Alterszonen gibt die nebenstehende Grafik. Fahrscheinpflichtige Kinder zahlen den halben Erwachsenenpreis auf den Normalpreis und erhalten auch bei verschiedenen Sonderangeboten bis zu 50 Prozent Rabatt.

Die Einhaltung der Bestimmungen für die Kindertarife sollte immer durch einen versierten Verkäufer in einem ReiseZentrum oder einer DB-Agentur geprüft werden!

Kleine Erwachsene

Kinder, welche die obere Altersgrenze überschreiten, werden i.d.R. wie Erwachsene behandelt. In einzelnen Ländern werden im Fernverkehr zusätzlich begrenzt Jugendtarife für die „zu großen Kinder“ angeboten. Für Globalpreiszüge können diese meist auch schon hier in Deutschland erworben werden. Ermäßigte Einzelfahrten- Angebote für Jugendliche müssen im jeweiligen Land vor Ort gekauft werden, da es zumeist Binnenverkehrsangebote sind. Für mehrtägige Kreuz-und-Quer-Fahrten kann sich ein günstiges Pass-Angebot wie z. B. InterRail lohnen.

Die DB-Familienkinderregelung

Die Familienkinderreglung (siehe Signal 4/2012 ) gilt im Binnenverkehr in Deutschland bis zum deutschen Grenzbahnhof und darüber hinaus auch in Belgien, Dänemark, Italien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn sowie in den durchgehenden EC-Zügen von München nach Verona, Bologna und Venezia über die Strecke mit den Grenzpunkten Kufstein und Brenner (DB-ÖBB-Kooperationsverkehre Brenner). Das heißt, in Begleitung der (Groß-)Eltern oder eines (Groß-)Elternteils reist das Kind (bis einschließlich 14 Jahre), z. B. von Deutschland via Österreich nach Ungarn, entgeltfrei, wenn es auf der Fahrkarte des Erwachsenen mit eingetragen ist – auch dann, wenn es einen eigenen Platz beansprucht.

Maßgebend ist die Verwendung einer von/nach Deutschland durchgehend ausgestellten Fahrkarte zum Europa-Spezial oder Normalpreis (ggf. mit Bahn-Card/ RailPlus-Ermäßigung). Wird eine Fahrt nur im Ausland gemacht, also nicht von/nach Deutschland, dann gilt die Familienkinderregelung nicht, und es ist auch für das Kind ein normaler Fahrschein zu lösen. Reist ein 14-jähriger beispielsweise nur von Österreich nach Ungarn, dann benötigt er eine Kinderfahrkarte für Österreich und bereits eine Erwachsenenfahrkarte für Ungarn.

Eine kleine Besonderheit halten die Schweizer bereit. Wird eine Fahrkarte bei der SBB dort von/nach Deutschland oder Österreich gekauft, so gilt die Familienkinderregelung gemäß einer besonderen Tarifabsprache (sog. TEE-Preissystem) auch für 15-jährige.

RailPlus nicht für Kinder

BahnCard-Inhaber aus Deutschland oder Inhaber von Ermäßigungskarten anderer europäischer Eisenbahnen erhalten bei grenzüberschreitenden Reisen außerhalb des eigenen Heimatlandes eine Ermäßigung von 25 Prozent auf den Normalpreis. Kinder, die eine solche Karte haben, werden hierbei benachteiligt. Sie erhalten auf den Kinderfahrpreis leider keine RailPlus- Ermäßigung.

Ein Blick in die Zukunft

Der Blick in die Zukunft offenbart möglicherweise einen tariflichen Alptraum: Künftig wird eine Tarifierung zunehmend betreiberabhängig vollzogen werden, wie sie bereits heute beispielsweise im sogenannten Brennerverkehr praktiziert wird. Fährt man mit dem EuroCity zwischen München und Mailand (eine DB-ÖBB-Kooperation), so gelten in Italien in diesem Zug nicht die üblichen italienischen Altersgrenzen 4 bis 11 Jahre, sondern die deutschen 6 bis 14 Jahre – in diesem Fall positiv für die Kinder. Ein weiteres Beispiel ist eine Fahrt nach Frankreich mit dem sogenannten Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) Frankfurt—Paris (ohne spezielle Angebote). Ein 14-jähriger zahlt in Begleitung der Eltern mit einer Normalpreis- Fahrkarte in Deutschland nichts (wegen der DB Familienkinderregelung), ab dem Grenzbahnhof in Frankreich den halben Fahrpreis und bei einer Weiterfahrt über Paris hinaus als Erwachsener den vollen Fahrpreis.

Wie wird es sein, wenn die Franzosen und Italiener eigenwirtschaftliche Fernverkehre in Deutschland anbieten? Im Regionalverkehr sind diese Anbieter meist an die einheitlichen Tarifbestimmungen der Verkehrsverbünde oder der Nichtbundeseigenen Eisenbahnen gebunden.

Wenn künftig zum Beispiel zwischen Hamburg und Frankfurt am Main ICE und TGV im Wechsel fahren, wird dann ein 13-jähriger, der den französischen TGV nutzt, nach den Altersgrenzen der SNCF wie ein Erwachsener tarifiert? Wird er auf den nächsten ICE warten müssen, um wieder Kind sein zu dürfen?

Spätestens dann braucht man zum „Fahrgastabitur“ noch eine „Fahrgastprofessur“ – auch innerhalb Deutschlands!

Fazit

Kind ist nicht gleich Kind! Der Grundsatz der EU für die künftige gemeinsame Verfassung, dass niemand seines Alters wegen benachteiligt werden darf, muss noch mit Leben gefüllt werden.

Ein erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit wäre hier die europaweite Angleichung der bisher verschiedenen Altersgrenzen. Im Interesse der kleinen Fahrgäste fordert der Berliner Fahrgastverband IGEB einen einheitlichen Kindertarif im Alter zwischen 6 und 16 Jahren: 50 Prozent Rabatt für allein reisende Kinder sowie eine Familienkinderregelung. Überall in Europa!

Insbesondere wegen der zunehmenden Liberalisierung der Schienenverkehrsmärkte, wo dann verschiedene Betreiber parallel verkehren, Tickets und Tarife aber betreiberbezogen unterschiedlich berechnet werden, wird der Tarifdschungel selbst für gestandene Profis undurchschaubar. Möge die Preisgestaltung selbst unternehmerische Freiheit bleiben, da sie ja maßgebend für einen freien Wettbewerb ist, so müssen die tariflichen Rahmen aber einheitlich sein!

Darüber hinaus ist für die Jugendlichen über 16 Jahre ein einheitlicher Jugendtarif – beispielsweise 25 Prozent Rabatt – wünschenswert, da sie meist als Auszubildende oder Studenten über ein nur geringes Einkommen verfügen.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 5/2012 (November 2012), Seite 24-25

 

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