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Überfällig: Fahrgastmitbestimmung

Fahrgäste müssen mitbestimmen dürfen. So lautete die Kernforderung des ersten Bundeskongresses der Fahrgastverbände, der vom 2. bis 4. Juni 1989 in Berlin auf Einladung der Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr Berlin e.V. (IGEB) stattfand. Eröffnet wurde der Kongreß vom Berliner Verkehrssenator Horst Wagner, der Regierende Bürgermeister Walter Momper hatte ein Grußwort geschrieben (s. SIGNAL 5/89). Vertreter von 42mFahrgastverbänden aus dem In- und Ausland nahmen an der Veranstaltung teil und absolvierten in den drei Tagen ein umfangreiches Programm.

Drei Themenbereiche wurden behandelt:

Im ersten Block wurden Verkehrsbetriebe, die Deutsche Bundesbahn und der Verband Öffentlicher Verkehrsbetriebe (VOV) nach ihrer Meinung über die Zusammenarbeit mit Fahrgastverbänden gefragt. Das einstimmige Urteil der Betriebe-Vertreter: Die Fahragastverbände sind als kritische Ratgeber stets willkommen und stellen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit eine Lobby für den Öffentlichen Personenverkehr dar.

Podium
Foto: K.-P. Naumann
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Begrüßung der Kongreßteilnehmer und Eröffnung des Fahrgastzentrums im S-Bahnhof Wedding: Verkehrssenator Horst Wagner (oben) und Bezirksbürgermeister Jörg-Otto Spiller. Foto: K.-P. Naumann
Podium
Foto: K.-P. Naumann
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Fahrgastverbände, Partner der Verkersbetriebe? Darüber diskutierte u.a. (oben) Herr Bielecki (Bundesvorsitzender von Pro Bahn), Herr vom Arnim (VCD-Bundesvorstand), (unten) Herr Schwenk (BVG-Marketing-Direktor) und Herr Dr. Ross (Pressesprecher der Kölner Verkehrsbetriebe). Foto: K.-P. Naumann

Der zweite Themenbereich beschäftigte sich mit den Aktivitäten von Fahrgastverbänden, die bereits erfolgreiche Arbeit geleistet haben. Besonders eindrucksvoll waren die Berichte von Paul Bohl über die Rettung der Kaarster Bahn und von Thomas Naumann über die Renaissance der Würzburger Straßenbahn, deren Streckennetz derzeit um ein Vielfaches erweitert wird. Die IGEB bot gleich mehrere Referenten auf, um die in Berlin von Fahrgastverbänden geleistete Arbeit darzustellen. Schwerpunkte waren die Aktivitäten zur Wiedereingliederung der S-Bahn in das West-Berliner Nahverkehrsangebot und die Bemühungen um kurz- und mittelfristige Verbesserungen im Eisenbahnverkehr von und nach Berlin. Voraussetzung für diese und andere Erfolge war eine intensive Öffentlichkeitsareit, u.a. durch Herausgabe der Zeitschrift SIGNAL. Jürgen Spieler, Mitglied der Chefredaktion, erläuterte den fast 10-jährigen Werdegang der Zeitschrift zum anerkannten Meinungsmagazin für Verkehrspolitik und Fahrgastbelange.

Im dritten Themenblock wurden diejenigen Vertreter von Fahrgastverbänden gehört, die bereits Erfahrungen mit Fahrgastbeteiligung und mit den Reaktionen der Verkehrsbetriebe gemacht haben. Interessant waren in diesem Zusammenhang die Informationen von Ansgar Reidock, einem Mitglied des Fahrgastbeirates der Kölner Verkehrsbetriebe. Da der Betrieb über Zeitpunkt der Einladung, Tagesordnung und teilnehmende Personen bestimmt und außer der Presse keine Öffentlichkeit zugelassen ist, kann diese Form des Beirates nur als ein erster zaghafter Schritt bezeichnet werden, dem weitere folgen müssen, um eine Informationspflicht der Verkehrsbetriebe und ein Anhörungsrecht für Fahrgastverbände durchzusetzen. Christian Wieser vom österreichischen Verband FAHRGAST berichtete, daß seine Organisation innerhalb eines Jahres bereits über 2000 Mitglieder gewonnen habe. Norbert Gronau von der IGEB machte deutlich, daß eine freiwillige Zusammenarbeit der Verkehrsbetriebe mit der Fahrgastvertretung nicht immer ausreiche. Als Beleg führte er zahlreiche Beispiele aus der Arbeit des Fahrgastzentrums Berlin der IGEB an, bei denen zwar die Fahrgäste die besseren Argumente hätten, die Verkehrsbetriebe darauf jedoch recht unterschiedlich eingingen. Die Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG) würdigten die Fahrgastinteressen nur unzureichend und beschränkten sich oft auf formelhafte, vorformulierte Ablehnungen, ohne das zugrundeliegende Problem genauer zu untersuchen. Dagegen sei die Kooperationsbereitschaft der Deutschen Bundesbahn nahezu vorbildlich zu nennen. Der DB gehe es stets um die Sache. Wo Verbesserungen für die Fahrgäste möglich seien, würden diese auch umgesetzt. Wo es aus Sicht der DB Gründe gegen die Fahrgastvorschläge gebe, würden diese detailliert aufgeführt.

Mit einem öffentlichen Hearing “Fahrgastverbände als Partner der Verkehrsbetriebe" wurde der dritte Themenblock abgeschlossen. Kurt Bielecki (Bundesvorsitzender von Pro Bahn), Adolf-Heinrich von Arnim (VCD-Bundesvorstand), Gerhard J. Curth (Präsident des Berliner Schienenverkehrs-Verbandes) und Norbert Gronau (Leiter des Berliner Fahrgastzentrums) vertraten die Fahrgäste, Wolfgang Schwenk (BVG-Marketingdirektor) und Dr. Ross (Pressesprecher der Kölner Verkehrsbetriebe) die Betreiber. Während die Vertreter der Berliner Fahrgastverbände auf Grund der Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Verkehrsbetrieben ganz klar Sitz und Stimme von Fahrgastverbänden in den Aufsichts- und Verwaltungsräten der Betriebe forderten, empfahl der VCD die Bildung von Fahrgastbeiräten in allen Verkehrsbetrieben und bei der DB. Pro Bahn forderte alle Fahrgastverbände zur Bildung eines bundesweiten Dachverbands auf. Die Vertreter der Verkehrsbetriebe forderten die Fahrgäste auf, das Gespräch mit dem Betrieb zu suchen und boten ihre Bereitschaft hierzu an. Herr Dr. Ross warnte die Fahrgastvertreter aber, durch Mitgliedschaft in Entscheidungsgremien ihre Unabhängigkeit einzuschränken.

Nach einer mehrstündigen verkehrskundlichen Stadtrundfahrt tagten am Abend des 3. Juni die Arbeitsgruppen zu den Themen "Rechtsstellung der Fahrgastverbände", "Öffentlichkeitsarbeit" und "Mitbestimmung bei Verkehrsbetrieben". Am Schlußtag des Kongresses wurde über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen diskutiert und die nebenstehende “Berliner Resolution" erarbeitet und verabschiedet, die die Kernforderungen der Fahrgastverbände an die Verkehrsbetriebe und die Politiker enthält und die diesen sowie den Medien übergeben wurde. Die dazu eingehenden Stellungnahmen werden gesammelt und ausgewertet. Eine Aufgabe des zweiten Bundeskongresses der Fahrgastverbände wird es dann sein, die Reaktionen zu bewerten. Termin und Tagungsort stehen allerdings noch nicht fest.

IGEB

aus SIGNAL 6/1989 (Juli 1989), Seite 4-5

 

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