Bauten

Eisenbahnstadt Berlin? Prüfstein Abstellbahnhof

Kürzlich stellte die IGEB ihr Konzept für einen neuen Abstellbahnhof für Reisezüge in Berlin-Moabit vor. Anlaß dazu waren die fortschreitende Verplanung der Eisenbahnflächen auf dem Gelände des Moabiter Werders (früher Gbf. Spreeufer genannt) sowie der schon begonnene Ausbau des Containerbahnhofs an der Heidestraße. Beide Maßnahmen gefährden den Bau des Abstellbahnhofes, der spätestens mit der Aufnahme des Hochgeschwindigkeitsverkehrs zwischen Berlin und Hannover benötigt wird. Die Ursachen dieser Entwicklung sind ein fehlendes Gesamtkonzept für den Bahnverkehr und die Anwendung des Sankt-Florian-Prinzips nach dem Motto: Liebe Eisenbahn, verschon dies Grundstück, mach dich an andere ran.

Damit der Eisenbahnverkehr mit Berlin (West) wirklich attraktiv ist, muß der "Hauptbahnhof" West-Berlins der Bahnhof Zoo bleiben. Er liegt ideal in der Innenstadt und ist mit drei Schnellbahnlinien ausgezeichnet erreichbar. Jeder andere Standort, sei es Charlottenburg oder Westkreuz (was beides in der öffentlichen Diskussion war), würde zu einer Attraktivitätsminderung des Eisenbahnverkehrs führen. Der Bahnhof Zoo ist mit seinen vier Gleisen in der Kapazität jedoch so bemessen, daß ein Kehren der Züge ausgeschlossen ist. Deshalb muß ein Abstellbahnhof "dahinter", also östlich vom Bahnhof Zoo liegen.

Einen erheblich größeren Engpaß stellt jedoch der Bahnhof Friedrichstraße dar, der mit seinen zwei Fernbahngleisen und seiner auf Grund der Kontrollen sehr langen Aufenthaltszeiten den Stundentaktverkehr überhaupt nicht bewältigen könnte. Ein Ausweg aus dieser Situation, etwa durch den Ausbau dieses Bahnhofs oder durch den restlosen Fortfall der Kontrollen, ist nicht in Sicht. Deshalb muß der Abstellbahnhof “vor" dem Bahnhof Friedrichstraße liegen.

Karte
Der geforderte Abstellbahnhof zwischen Stadtbahn und Nordring: Durch die Anfahrt von Norden und Süden könnte in Verbindung mit dem übrigen Streckennetz des Fernverkehrs in Berlin (West) der Bahnbetrieb erheblich ausgebaut und störungsunanfälliger gestalltet werden Kartengrundlage: SenBauWohn
Skizze
Schnitt durch die Stadtbahn und die Rampe in Höhe des geplanten S-Bahnhofs an der Werftstraße. Die Zeichnung zeigt, daß eine Durchwegung der Rampe in diesem wichtigen Abschnitt möglich ist. Quelle: 2. Preis im Wettbewerb
Containerkran
Umschlagkran auf dem Containerbahnhof Foto: Curth

Ein geeignetes Gelände zwischen den Bahnhöfen Zoo und Friedrichstraße läßt sich aber nur auf dem heutigen Hamburg und Lehrter Bahnhof finden, daß zudem bereits Eisenbahngelände ist, Die Zufahrt muß über eine Rampe, die von der Stadtbahn in Höhe der Paulstraße abzweigt, dann auf dem Gelände des heutigen Güterbahnhofs Spreeufer entlangführt und schließlich die Stadtbahn in Höhe des Lehrter Stadtbahnhofs unterquert, erfolgen. Bisher wurde hierfür im Flächennutzungsplan ein Geländestreifen entlang der Stadtbahn auf dem Gelände des Moabiter Werders vorgesehen.

Seit der Diskussion um eine Bundesgartenschau im sogenannten "Zentralen Bereich" - einer Fläche zwischen Lehrter Bahnhof und Gleisdreiecksgelände - und der Planung eines neuen Wohngebietes auf dem Moabiter Werder ist diese Rampe in Gefahr. Sowohl die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz wie auch die für Bau- und Wohnungswesen betrachten die Rampe als Fremdkörper und Flächenkonkurrenz. Auch das Argument zusätzlichen Lärms wird gegen die Rampe angeführt. Beide Verwaltungen betreiben deshalb zur Zeit den Verzicht auf die Rampe, ohne allerdings in der Lage zu sein, eine tragfähige Alternative anbieten zu können. Die Verkehrsverwaltung hat erhebliche Mühe, die ursprünäiche Planung, d.h. zumindest die Freihaltung der Trasse zu verteidigen. Dies, obwohl der zur Jahreswende: durchgeführte Wettbewerb für die Wohnbebauung die städtebauliche Integrationsfähigkeit der Rampe nachgewiesen hat und größere Flächenansprüche durch sie nicht bestehen. Ohne die scheinbar so nebensächliche Rampe wird aber das Ziel einer spürbaren Verbesserung des Eisenbahn-Reiseverkehrs von und nach Berlin (West) generell in Frage gestellt.

Ein weiteres Problem bei der Schaffung eines notwendigen Abstellbahnhofes ist der mit der DR ausgehandelte Ausbau des Containerbahnhofes an der Heidestraße, bei dem der Abstellbahnhof - obwohl seit Jahren in den Schubladen der Verkehrsverwaltung schlummernd - nicht berücksichtigt wurde. Je nach Umfang des geplanten Abstellbahnhofes ergeben sich konkurriende Flächenansprüche bzw. unerwünschte Eingriffe im Wohn- und Gewerbesubstanz. Nachverhandlungen, die im Ergebnis auch zu einer Verlagerung des Containerbahnhofes führen könnten, sind deshalb notwendig. Dies hätte durchaus Vorteile für die Stadt: Der Containerbahnhof liegt wegen der Anlieferung per Lkw ungünstig mitten im Stadtgebiet, seine verkehrliche Anbindung erfolgt über die sehr belastete Heide- und Entlastungsstraße. Der schon begonnene Ausbau an dieser Stelle wird sicherlich über kurz oder lang zu einem Argument für das Ausgraben der Schnellsttraßenpläne in diesem Bereich werden. Ein wesentlich günstigerer Standort für einen solchen Lkw-Verkehr erzeugenden Bahnhof wäre im Bereich ohnehin schon bestehender Schnellstraßen oder Stadtautobahnen zu suchen, z.B. auf dem ehemaligen Werkstattgelände des Bahnhofs Grunewald. Durch eine solche Maßnahme sind "mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen”: Der Containerbahnhof erhielte für die verladende Wirtschaft einen attraktiveren Standort, ein Argument für eine Neuauflage der Westtangentenpläne wäre vom Tisch und der Platz zum Aufbau des Abstellbahnhofs wäre gesichert.

Der Abstellbahnhof hätte vielfältie Aufgaben zu bewältigen: Wie vergleichbare Anlagen im Bundesgebiet oder in der DDR soll er nicht nur dem Abstellen von Zügen dienen. Unter einem solchen Bahnhof versteht man gleichzeitig Anlagen zur Innen-, Außen- und WC-Reinigung, zur Versorgung der Sitz-, Speise-, Schlaf- und Liegewagen, zur Beseitigung kleinerer technischer Mängel an en Fahrzeugen und zur Zugumbildung. Letzteres ist allerdings im Berlin-Verkehr nur von sehr geringer Bedeutung, da die Züge im allgemeinen mit derselben Wagenreihung wieder zurück auf die Reise geschickt werden, wie sie auch nach Berlin gekommen sind.

Besonders günstig ist die bereits vom heutigen Containerbahnhof aus vorhandene Ausfahrt auf den Nordring . Dadurch könnten auch Ringkurse Wannsee - Witzleben (später vielleicht Messebahnhof?) - Nordring - Abstellbahnhof - Zoo - Wannsee gefahren werden. Betrieblich günstig ist die Ausfahrt auch für die Lokumläufe: Bei der immer weiter fortschreitenden Vereinheitlichung auch der Güterzug- und Reisezugloks (Beispiel: DB-Baureihe 120 und DR-Baureihe 132 ziehen Güter- wie Reisezüge) ist eine Fahrt vom Abstellbahnhof für Reisezüge zum Güter- (und dann evtl. auch Container-)bahnhof Grunewald ohne zusätzliche Belastung der Stadtbahn möglich. Durch die Lage und Verknüpfun des Abstellbahnhofes mit dem Berliner Schienennetz könnte der Bahnverkehr innerhalb der Stadt also wesentlich flexibler, störungsunanfälliger und attraktiver abgewickelt werden.

Problematisch scheint bei der Planung des neuen Abstellbahnhofs hingegen die verschlechterte Anbindung des Bahnhofs Friedrichstraße. Die internationalen Züge Richtung Warschau - Moskau und Skandinavien sollen selbstverständlich weiter über Friedrichstraße fahren. Weiterhin fordert die IGEB Zugdurchläufe aus den Balkanländern sowie aus Wien über Berlin(Ost) hinaus bis zum Bahnhof Zoo. Für den etwa 10- bis 15-prozentigen Reisenden-Anteil an DDR-Bürgern in den Berlin-Zügen bleibt dies dennoch unbefriedigend, da sie häufig nicht mehr in durchgehenden Zügen reisen könnten, sondern zwischen den Bahnhöfen Zoo und Freidrichstraße die S-Bahn benutzen müßten. Die jetzige Situation ist jedoch ebenso unbefriedigend: Durch die bis zu einer Stunde betragenden Wartezeiten im Bahnhof Zoo ist das Vorfahren mit der S-Bahn zum Bahnhof Zoo oft wesentlich interessanter als die Fernzugverbindung ab Friedrichstraße. Da die S-Bahn-Möglichkeit selbstverständlich weiterhin bestehen bleibt, hält die IGEB den Nachteil der verminderten Anbindung des Bahnhofs Friedrichstraße jedoch für vertretbar. Eine differenzierte Abwägung wird immer zeigen, daß die Ermöglichung eines Stundentakts nach Berlin durch den Bau des Abstellbahnhofs allemal höher zu bewerten ist, als die doch oft etwas unattraktive Anbindung des Bahnhofs Friedrichstraße.

Der Umgang mit der Eisenbahn im Rahmen der Planung für den Moabiter Werder und die sich daraus möglicherweise ergebenden Folgen für die Zukunft der Eisenbahn in Berlin (West) sind ein Paradebeispiel für die fachliche Fragwürdigkeit und die fehlende Planungskultur auf diesem wichtigen Sektor des Verkehrs in dieser Stadt. Sie ist das Ergebnis eines Planungsgebarens, das gekennzeichnet ist durch

  1. "Geheimdiplomatie" bzw. mangelnde Öffentlichkeitsbeteiligtung und
  2. Unkoordiniertheit oder Fehlen einer Gesamtplanung.

Die Geheimdiplomatie mit dem Argument, man dürfe bei Verhandlungen mit der DDR keine Trümpfe aus der Hand geben, die in Wirklichkeit aber nur unliebsame, legitime Kritik der West-Berliner Bürger vermeiden soll (die DDR erfährt die Ziele schließlich spätestens am Verhandlungstisch), hat bereits zum Scheitem der Planungen für das Südgelände und die Schleuse Spandau geführt. Da nicht einmal innerhalb der unterschiedlichen, mit Planung beschäftigten Verwaltunen, geschweige denn in der Öffentlichkeit vorhandene Konzepte allgemein bekannt sind, werden vorgetragene Anforderungen wegen fehlender Kenntnis der Zusammenhänge von Außenstehenden häufig nicht ernstgenommen. Zunehmend werden deshalb Bahnflächen für andere Nutzungen verplant. Beispiele sind neben der dargestellten Planun für den Moabiter Werder und den Containerbahnhof auch die Überlegungen für die Flächen an den Bahnhöfen Westkreuz und Halensee. Sinnvolle Gesamtlösungen werden durch dieses “Herumwursteln" am Ende unmöglich. Wegen dieser Situation, die einer seriösen Planung wie auch den Ansprüchen an eine demokratische Bürgerbeteiligung widerspricht, ist eine grundsätzlich neue Planungskultur notwendig. Hier ist der neue Senat mit seiner Absicht vermehrter Beteiligung der Öffentlichkeit gefordert. Notwendig sind:

  1. Die Veröffentlichung aller bisherigen "geheimen" Konzepte, um sie (fach)öffentlich diskutieren zu können.
  2. Die Entwicklung eines Gesamtkonzeptes für den Eisenbahn-Reise- und Güterverkehr unter Beteiligung aller Betroffenen sowie der Öffentlichkeit als Grundlage für Verhandlungen mit der DDR und für eine Entscheidung zur weiteren Verwendung von Bahnflächen für Aufgaben des Verkehrs bzw. andere Nutzungen, z.B. Wohnungsbau oder Gewerbeansiedlung.
  3. Keine Aufgabe der geplanten Rampe auf dem Moabiter Werder und der Möglichkeit zum Bau eines neuen Abstellbahnhofes im Bereich nördlich der Invalidenstraße vor einer Entscheidung im Rahmen einer Gesamtplanung für den Bahnverkehr.

IGEB

aus SIGNAL 6/1989 (Juli 1989), Seite 17-19

 

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