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Weißmacher ersetzen nicht die Grundreinigung

Natürlich darf, ja muß sich ein Großunternehmen um ein ansprechendes Gesamterscheinungsbild bemühen. Doch offensichtlich hat die BVG die falsche Werbeagentur erwischt. Der neue Farbanstrich steht stets am Ende der Modernisierung eines alten Hauses, die BVG aber will damit anfangen. Dieser Eindruck entstand zumindest in der Öffentlichkeit, und so verkleisterte die öffentliche Farbdiskussion den Blick auf die anderen, viel wichtigeren Neuerungen. Erst nachdem die IGEB in einer Pressekonferenz am 13. Juli dargelegt hatte, was aus Fahrgastsicht zu einer wirklich neuen BVG gehört, schickte die BVG eine Presseinformation heraus, die zeigt, daß es auch ihr um mehr geht, als nur um den Anstrich eines dringend emeuerungsbedürftigen Hauses. Nachfolgend dokumentieren wir beides: die IGEB-Kritik und die Erläuterungen der BVG zu ihrem neuen Maßnahmen- und Marketing-Konzept. Zu recht nicht mehr erwähnt wird dabei die Farbdiskussion. Doch wer ein altes Haus streicht, der hat auch denkmapflegerische Belange zu beachten. Keiner würde das rote Rathaus in Berlin-Mitte oder die Weiße Stadt in Berlin-Reinickendorf gelb streichen, warum also sollen die Großen Gelben weiß werden? Sie werden es wohl auch nicht. Zu groß ist die öffentliche Ablehnung. Das Durchsetzen der weißen Fahrzeuge würde sonst zum Schlüsselerlebnis dafür, daß die neue BVG ihre Fahrgäste genauso behandelt wie die alte.

Doppeldecker
Kühlschrank mit gelben Rallye-Streifen statt großer Gelber? Die BVG hat offensichtlich nichts gelernt aus der Diskussion um die S-Bahn-Farbe und will der Berliner Bevölkerung erneut die Traditonsfarben wegnehmen, dieses Mal gleich bei Bahnen und Bussen. Die Farbdiskussion brachte der BVG außerdem den Verdacht ein, nur Äußerlichkeiten ändern zu wollen, also Weißmacher als Ersatz für die überfällige Grundreinigung anzubieten. Foto: BVG

Eine neue BVG ohne Fahrgastbeteiligung?

Der Berliner Fahrgastverband IGEB befürchtet ein Scheitern des Konzeptes für eine "neue BVG", wenn auch weiterhin die Kunden des Unternehmens an den Entscheidungen nicht beteiligt werden. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, daß auch die "neue BVG" an vielen Stellen noch keine fahrgastfreundliche BVG ist:

  • Der "Metroliner", der auf den neuen Schnellbuslinien eingesetzt werden soll, weist wegen der stark gekrümmten und verspieglelten Frontscheibe ein nahezu unleserliches Zielschild auf. Zudem ist zu bezweifeln, ob dieser Bus eine ausreichende Attraktivität besitzen wird, da aus konstruktiven Gründen im hinteren Bereich keine Fenster mehr vorgesehen sind.
  • Auf dem Prototyp des neuen Haltestellenschildes für Bushaltestellen sind die Zielbezeichnungen so klein aufgedruckt, daß sie von der Straße kaum und aus dem Bus überhaupt nicht zu erkennen sind.
  • Die Bestellformulare für die neuen Umweltkarten sind unübersichtlich.
  • Auf den neuen Zeitkarten für Schüler, Studenten und Senioren müssen diese wieder ihre komplette Anschrift auf der Vorderseite der Karte angeben, was bereits in der Vergangenheit zu Protesten geführt hat.
  • Die Tatsache, daß ein Ferienfahrplanheft herausgegeben wird, ist begrüßenswert. Aber dessen Gestaltung ist z.T. verwirrend (“Zeitraum A, Zeitraum B" und z.T. unvollständig, so daß die Fahrgäste doch wieder zur Haltestelle müssen. Unverständlich ist, warum der attraktive Einband nicht auch dazu benutzt wurde, weitere Informationen über das umfangreiche Ausflugslinienangebot abzudrucken.
Metroliner
Modernes, aber fahrgastunfreundliches Design. Die Zielschilder des neuen BVG-Busses Metroliner sind nur schwer erkenbar. Foto: M. Horth

All diese Kritikpunkte hätten vermieden werden können, wenn die BVG rechtzeitig vor der Präsentation ihres neuen Unternehmenskonzeptes den Kontakt zu den Fahrgästen und ihren Verbänden gesucht hätte.

Darüber hinaus vermißt die IGEB wesentliche Aussagen im neuen BVG-Konzept, z.B, zum Thema Anschlüsse: Eines der wichtigsten Servicemerkmale überhaupt ist der rasche Übergang von einem Verkehrsmittel zum anderen. Am wichtigsten bei der Anschlußplanung sind hierbei zum einen die Schnellbahnen und ihre Verknüpfung mit dem Bus, zum anderen der reibungslose Übergang vom Tagesbetrieb zum Nachtverkehr. Schon einige Beispiele zeigen, daß hier z.T. keine Planung oder Abstimmun stattfindet. U-Bahn, S-Bahn und Bus fahren im wahrsten Sinne des Wortes aneinander vorbei:

  • S-Bf. Charlottenburg, allabendlich:
    Ankunft der S3 aus Zoo um 22.03, Weiterfahrt mit Bus 10 in Ri. Schmargendorf um 22.18 nach 15 min, mit Bus 74 in Ri. Wilmersdorf um 22.20 nach 17 min.
  • U-Bf. Yorckstraße, Sonnabend-Nacht:
    Ankunft von S1 aus Wannsee und S2 aus Lichtenrade um 1.17, Weiterfahrt mit U7 in Ri. Neukölln um 1.44 nach 27 min, Weiterfahrt in Ri. Spandau nicht mehr möglich, da der Zug gerade 4 min vorher abfuhr.
  • U-Bf. Osloer Straße, Montag bis Freitag und Sonntag:
    Ankunft der U9 aus Steglitz um 1.09, Weiterfahrt mit Nachtbus 83N in Ri. Wittenau um 1.33 nach 26 min.
Weitere Beispiele lassen sich zahlreich finden und sind keinesfalls Einzelfälle, wie die BVG in einer ersten Reaktion auf die IGEB~Kritik behauptete, sondern das Resultat mangelhafter Planung.

Zu einer "neuen BVG" gehört auch, daß die Fahrgäste als Kundin und Partner angesehen werden und nicht länger als "Unternehmensbeförderungsfälle”. Daß die Fahrgäste noch allzu oft "Beförderungsfälle” sind, zeigen zwei Beispiele aus dem U-Bahn-Bereich.

Ein Drittel der U-Bahn-Ausgänge werden bereits vor Betriebsschluß geschlossen und auch erst einige Stunden nach Betriebsbeginn wieder geöffnet. Viele Fahrgäste werden dadurch zu langen Umwegen gezwungen. Besonders krasse Beispiele dafür sind die bereits um 23.30 Uhr geschlossenen U-Bahn-Eingänge des U-Bfs. Zoo vor dem Zoo-Palast, der nördlichen Ausgänge des U-Bfs. Walther-Schreiber-Platz (ebenfalls direkt vor einem Kino) und der südliche Ausgang des U-Bfs. Kurfürstendamm (U9); letzterer liegt gegenüber dem Ausgang einer beliebten Berliner Bierkneipe. Wie weit sich die BVG von der Berücksichtigung der Fahrgastinteressen entfernt gilt, zeigte ihre Reaktion auf die IGEB-Kritik, in der die vorzeitige Schließung der U-Bahn-Eingänge als im Interesse der Fahrgäste liegend begründet wird (s. Medienecho, S.18). Natürlich sind die Fahrgäste an sicheren Bahnhöfen interessiert, aber nicht durch Erschwerung des Zugangs.

Ein zweites Beispiel: Im Gegensatz zu zahlreichen westdeutschen und ausländischen Verkehrsbetrieben rechnet die BVG immer noch mit dem bundesdeutschen Spitzenwert von acht Fahrgästen, die auf einem einzigen Quadratmeter U-Bahn-Wagen stehen sollen. So ist bei der BVG ein U-Bahn-Wagen, bei dem alle Sitzplätze belegt sind und ca. 100 weitere Fahrgäste stehen, erst zu 70% ausgelastet. Diese abschreckende "Kartoffelsackideologie" bei der Bewertung des Platzangebotes im U-Bahn-Bereich muß endlich durch eine Sitzplatzgarantie für die Zeiten außerhalb des Berufsverkehrs ersetzt werden.

Ähnliches Unheil und eine schon jetzt feststellbare Abschreckungswirkung übt der Einsatz von Eindecker- statt doppeldeckerbussen aus. Eindecker können zwar theoretisch mehr Fahrgäste befördem, Doppeldecker bieten aber fast allen Fahrgästen einen Sitzplatz Auf der Omnibuslinie 90, die tagsüber mit Eindeckern, nachts erstaunlicherweise zeitweilig aber mit Doppeldeckern gefahren wird, müssen trotz 10 min-Taktes häufig Fahrgäste stehen bleiben, weil der Fahrer denkt, sein Eindecker ist voll.

All diese Kritikpunkte sind der BVG bereits seit langem bekannt. Sie hat bisher darauf entweder überhaupt nicht oder erst nach sehr langer Bearbeitungszeit unbefriedigend reagiert. Ein kundenorientiertes Unternehmen muß aber die Anregungen und Bedenken seiner Fahrgäste ernst nehmen und sie beteiligen. Daran wird man erkennen, ob die "neue BVG" wirklich neu ist oder nur Farbe und Briefkopf gewechselt haben.

IGEB

aus SIGNAL 7/1989 (August 1989), Seite 4-5

 

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