1. Vorbemerkung
Die zunehmende politische und wirtschaftliche Integratıon in Europa erfordert
den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, darunter insbesondere auch
die Gestaltung eines leistungsfähigen
Eisenbahnnetzes. Als Entlastung bzw.
Alternative für den innereuropäischen
Flugverkehr gewinnt die Schaffung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes
besondere Bedeutung. Berlin wird in diesem Netz einen der zentralen Knotenpunkte bilden.
Die ursprünglich nur auf die Anbindung von Berlin (West) an das westeuropäische Netz
angelegte Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover - Berlin wird unter den neuen Bedingungen
zu einem Kernstück der künftigen europäischen West-Ost-Verbindung Paris -
Berlin - Warschau (- Moskau). Daher
ist bei der Planung er Strecke Hannover - Berlin die Trassenfühning im
Stadtgebiet unter Beachtung der Weiterführung in Richtung Warschau festzulegen
und darüber hinaus die Einbindung einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Richtung
Süden (Dresden - Prag
sowie Leipzig - München und Frankurt/Main) zu berücksichtigen. Die Anlagen, insbesondere
die Bahnhöfe für
den Hochgesvhwindigkeitsverkehr sind
so zu konzipieren, daß sie zusammen
mit den vorhandenen und weiter zu
nutzenden Strecken und Bahnhöfen des
Eisenbahnverkehrs ein einheitliches
Netz bilden.
Von diesen Überlegungen ausgehend
hat das Büro für Verkehrsplanung Berlin (BfV) einen Vorschlag zur künftigen
Gestaltung des Eisenbahnnetzes für
den Fernreiseverkehr in Berlin ausgearbeitet. Von den im Arbeitsprozeß untersuchten
und diskutierten Varianten
wurde ein tangentiales Vorbeiführen
der Hochgeschwindigkeitsstrecken an
Berlin verworfen sowie der Plan einer
neuen, unterirdisch geführten Stadtbahn in direkter Linie zwischen Berlin-Charlottenburg und
Berlin-Hauptbahnhof als unrealistisch eingeschätzt. Der
im folgenden beschriebene Lösungsvorschlag stellt nach Auffassung des BfV
die Vorzugsvariante dar.
Da eine solche Planung mit erheblichen
Konsequenzen für die Flächennutzung
und Stadtgestaltung im zentralen Bereich verbunden ist, wird eine Meinungsbildung
zwischen den daran zu
beteiligenden Verwaltungen, Planungseinrichtungen und Betrieben umgehend
und dringend für erforderlich gehalten.
Weiterhin ist festzustellen, daß sich in
diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit der integrierten Planung des
ÖPNV-Netzes, insbesondere der
Schnellbahnstrecken sowie des Straßennetzes im zentralen Bereich der Stadt
ergibt.
2. Fernreiseknotenpunkt Berlin
2.1. Einordnung in das Netz
Durch den Bau der Hochgeschwindigkeitstrasse Hannover - Berlin soll Berlin an das
europäische Hochgeschwindigkeitsnetz (Geschwindigkeiten über
200 km/h) angebunden werden. Die
Trasse wird in Richtung Osten nach
Warschau, ggf. auch nach Moskau, weiterführen. Aber auch nach Süden, in
Richtung Dresden - Prag - Budapest
sowie in das Indudstrieballungszentrum
Leipzig/Halle und weiter nach Frankfurt/Main bzw. München werden in der
Zukunft von Berlin aus leistungsfähige
Hochgeschwindigkeitsverbindungen gebraucht. Dagegen bildet die Ostsee ein
natürliches Hindernis für superschnelle
Zugverbindungen in Richtung Norden.
Aus nordwestlicher Richtung von
Hamburg, kann eine weitere Hochgeschwindigkeitstrasse nach Berlin geführt werden.
Darüber hinaus bleibt die Funktion
Berlins für den Fernreiseverkehr in den
heute vorhandenen Relationen nach
Cottbus, Dresden, Leipzig, Halle, Dessau, Magdeburg, Schwerin, Rostock
und Stralsund voll erhalten. Durch Ausbaumaßnahmen müssen diese Eisenbahnstrecken
qualitativ aufgewertet
werden, so daß Geschwindigkeiten bis
200 km/h möglich sind. Nur dann ist
die Eisenbahn auch zukünftig eine Alternative zum Pkw über mittlere Entfernungen.
Schließlich ist bereits jetzt erkennbar,
daß Berlin bei voller Durchlässigkeit
der Grenzen Mittelpunkt eines Regionalschnellverkehrs zwischen Frankfurt/Oder und
Brandenburg wird.
2.2. Strecken für den Fernreiseverkehr
in Berlin
Der Fernreiseverkehr erfordert in Berlin Trassen
- für Hochgeschwindigkeitszüge mit
Geschwindigkeiten über 200 km/h,
- für Fernreisezüge mit Geschwindigkeiten bis 200 km/h,
- für Regionalschnellzüge mit Geschwindigkeiten bis 140 km/h.
Die Parameter der in der Stadt vorhandenen Eisenbahnanlagen genügen den
Anforderungen an Hochgeschwıindigkeitstrassen nicht. Ein entsprechender
Aus- bzw. Umbau wird insbesondere
im Falle der Stadtbahn als nicht realisierbar eingeschâtzt. Andererseits bietet sich
das im citynahen Bereich vorhandene Eisenbahngelände, das zur
Zeit überwiegend nicht verkehrlich genutzt wird, für eine optimale Trassenführung
und Anlagengestaltung im inneren Stadtgebiet an. Deshalb wird bei
der Planung der Hochgeschwindigkeitsstrecken vorzugsweise von der weitgehenden
Nutzung vorhandener Trassenelemente und nur teilweise von einer
Neutrassierung ausgegangen.
2.2.1. Trassenverlauf für Hochgeschwindigkeitsstrecken
Die zweigleisige Hochgeschwindigkeitsstrecke aus dem Raum Hannover wird
über Stendal nach Berlin führen. In
Berlin verläuft sie auf gemeinsamer
Trasse mit der heute vorhandenen
zweigleisigen Fernbahn bis Ruhleben.
Die Fernbahn schwenkt dort nach Süden zur Stadtbahn ab, während die
Hochgeschwindigkeitsstrecke parallel
zum S-Bahn-Nordring bis in den Bereich des Güterbahrıhofs Moabit geführt wird und
in Höhe Lehrter Straße
nach Süden in einen neuen Zentralbahnhof einmündet.
Der sich in Nord-Süd-Richtung erstreckende Zentralbahnhof muß sich warscheinlich
in einfacher Tieflage befinden, damit die in Richtung Süden weiter verlaufende
Hochgeschwindigkeitstrasse die Spree mit zulässigem Gefälle
unterqueren kann.
Die Trasse - ab Zentralbahnhof viergleisig (zwei Gleise für Hochgeschwindigkeitszüge, zwei
Gleise für Fernreisezüge) - verläuft unter dem Tiergarten,
dem Potsdamer Platz und dem Landwehrkanal. Aus ökonomischer Sicht
sollte sie so früh wie möglich an die
Oberfläche zurückführen, etwa im Bereich des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs.
In der Zukunft könnten jedoch Umweltaspekte für eine längere
Tunnelstrecke sprechen.
Die Trasse wird im Zuge des vorhandenen Eisenbahngeländes zunächst parallel zur
S-Bahn-Linie 2 und ab dem S-Bahnhof Priesterweg parallel zur ehemaligen
S-Bahn-Strecke nach Lichterfelde Süd und weiter nach Teltow fortgesetzt. lm
Trassenabsclmitt zwischen
Anhalter Güterbahnhof und S-Bahnhof
Priesterweg ist zu beachten, daß für die
auf gemeinsamer Trasse verlaufende
Fernbahn Überwerfungsbauwerke für
die richungsweise Vorsortierung vorgesehen werden müssen, für deren Längenentwicklung
der Platz zwischen
Spree und Zentralbahnhof nicht ausreicht.
Die Hochgeschwindigkeitsstrecke spaltet sich im Raum Teltow in einen östlichen und in
einen südlichen Zweig auf.
Die östliche Strecke wird über einen
neuen Bahnhof Großflughafen, der sich
voraussichtlich im Raum Diepensee
entwickeln soll, nach Frankfurt/Oder
weitergeführt.
2.2.2. Fernverkehrs- und Regionalschnellverkehrsstrecken
Der Fernreiseverkehr von und nach
Berlin wird auch in der Zukunft in den
vorhandenen Relationen abgewickelt.
Die Fernverkehrsstrecken müssen
punktuell ausgebaut und teilweise neu
in den Knotenpunkt eingebunden werden.
Sie führen:
- von Rostock über Frohnau zum Zentralbahnhof,
- von Stralsund über Bornholmer Straße zum Zentralbahnhof,
- von Cottbus über Königs Wusterhausen auf die Stadtbahn bis zum Bahnhof
Zoologischer Garten bzw. Charlottenburg,
- von Dresden über Lichtenrade zum Zentralbahnhof,
- von Halle/Leipzig über einen neuen
Bahnhof im Bereich des Außenringes
und über Lichterfelde zum Zentralbahnhof,
- von Dessau und Magdeburg über
Potsdam, Wannsee und die Stadtbahn
zum Hauptbahnhof,
- von Stendal und Schwerin über Staaken und die Stadtbahn zum Hauptbahnhof.
Der Berliner Außenrirıg hat für den
Fernreiseverkehr nur noch im Havariefall Bedeutung.
Ein zukünftiger Regionalschnellverkehr
aus Frankfurt/Oder verkehrt über Erkner und die Stadtbahn nach Brandenburg.
2.3. Bahnhöfe
2.3.1. Zentralbahnhof
Der untere Teil des neuen Zentralbahnhofes wird im Bereich des ehemaligen Lehrter
Bahnhofs anagelegt für
Hochgeschwindigkeitszüge aller Relationen und für Fernreisezüge aus Richtun Norden
und Süden. Sein oberer
Teil entsteht an der Stadtbahn für die
über diese Strecke verkehrenden Fernreisezüge. Das Bahnhofsgebäude soll in
Geländehöhe die Verbindung zwischen
beiden Bahnsteigebenen herstellen.
Die unmittelbare Lage des Zentralbahnhofs in der City von Berlin führt zu
einer Minimierung des Zubringerverkehrs in der Innenstadt. Aufgrund der
optimalen Verknüpfungsmöglichkeiten
der sich berührenden Personenverkehrssysteme entsteht auch kein zusätzlicher
Umsteigeverkehr, so daß insgesamt nur minımale Anforderungen an
das ohnehin stark belastete Straßennetz
im Berliner Stadtzentrum im Zusammenhang mit der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse
und dem Zentralbahnhof
entstehen.
Gleichzeitig ist gesichert, daß keine unnötigen An- und Abfahr- sowie Umsteigezeiten die
Gesamtreisebilanz des
Schienenverkehrs verschlechtern und
besonders die Chancen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs als Alternative zum
Flugverkehr in europäischen Relationen zunehmen.
Als Behandlungs - und Abstellflächen
für den Zentralbahnhof könnten Kapazitäten im Bereıch des Güterbahnhofs
Moabit parallel zum S-Bahn-Nordring
und auf dern sogenannten Südgelände
genutzt werden.
2.3.2. Weitere Fernbahnhöfe
Aufgrund der historisch entstandenen
und der derzeit in Ausbau befindlichen
Bahnhofskapazitäten sollten zur Entlastung des neuen Zentralbahnhofs die
aus Richtung Westen ankommenden
Züge bis zum Hauptbahnhof und die
aus Richtung Osten ankommenden
Züge bis zum Bahnhof Zoologischer
Garten oder zum Bahnhof Charlottenburg weitergeführt werden, wenn sie in
Berlin enden. Zum Behandeln und Abstellen eignen sich für diese Züge die
Bahnbetriebsgelände Rummelsburg und Grunewald.
In Höhe des südlichen Berliner Außenringes an der Fernverkehrsstrecke
Halle/Leipzig kann ein neuer Fernbahnhof
zum Erschließen des großen südlichen
Raumes von Berlin sowie zum Übergang nach Potsdam und zu einem voraussichtlichen
Großflughafen den neuen Zentralbahnhof in der Innenstadt
weiter entlasten.
Für den Regionalschnellverkehr kommen neben den bisherigen Fernbahnhöfen zum
Beispiel Ostkreuz, Alexanderplatz und Charlottenburg in Frage. Die
Bahnhöfe Lichtenberg, Schöneweide
und Schönefeld verlieren an Bedeutung
(Sonderverkehre).
Die Konzeption für den im Zusammenhang mit dem extensiven Wohnungsbau
geplanten Fernbahnhof Malchow wird
von der aktuellen Entwicklung in Frage
gestellt. Sollten jedoch im Bereich Malchow/Karow Sportstätten für die Olympischen
Spiele angelegt werden, ist der
Bau eines Personenbahnhofs Malchow
erneut zu prüfen.
3. Zusammenfassung
Der in ersten groben Umrissen vorgestellte Vorschlag für ein Personenfernverkehrssystem
in Berlin läßt sich wie
folgt charakterisieren:
- Die Wirksamkeit des Fernverkehrssystems für Berlin ist nur bei Fortschreiten
des politischen Entspannungsprozesses und beim Zusammenwachsen
beider Teile der Stadt gegeben.
- Das Personenfernverkehrskonzept basiert auf der Einbindung Berlins in das
europäische Hochgeschwindigkeitsnetz,
das durch das qualitativ weiter aufzuwertende vorhandene Fernverkehrsnetz
und ein Netz des Regionalschnellverkehrs ergänzt wird.
- Ergänzend zu bisherigen Vorstellungen für die Hochgeschwindigkeitsplanung
bindet in die Ost-West-Relation
eine weitere Hochgeschwindigkeitsstrecke aus Richtung Süden ein.
- Der direkten Erschließung der Stadt
wird aufgrund internationaler Erfahrungen der Vorzug gegeben. Die weitgehende Nutzung!
vorhandener Verkehrstrassen durch die City erlaubt in
Verbindung mit ergänzenden Neubauabschnitterı die notwendige großzügige
Trassierung.
- Die Neubauabschnitte müssen zu großen Teilen in Tieflage realisiert werden
und folgen ansonsten vorhandenen
Verkehrstrassen, so daß die Umweltbelastung in Grenzen bleibt. Auf ungenutztem
Bahngelände entstandene Biotope gehen allerdings teilweise verloren.
- Im Fernreiseknotenpunkt Berlin wird
der Hochgeschwindigkeitsverkehr mit
dem Fernreise- und dem Regionalschnellverkehr in einem neuen Zentralbahnhof
verknüpft, in dem auch zum S- und U-Bahn-Netz der Stadt direkt
übergegangen werden kann. Dadurch
wird stark belastete Straßennetz
der Innenstadt weitgehend von zusätzlichem Verkehr entlastet.
- Zur Entlastung des Zentralbahnhofs
werden historisch entstandene sowie
derzeit in Umbau befindliche Bahnhöfe
und ein Neubaubahnhof im Süden Berlins in das Fernverkehrsnetz integriert.
Zur Zeil wird in Zusammenhang mit
einer veränderten Nutzung grenznaher
Gebiete auch die Flächenfreihaltung für
Anlagen des Verkehrswesens diskutiert.
Der eschriebene Vorschlag zur Gestaltung des Fernreiseverkehrs ist in
diesem Sinne als ein Beitrag zu werten,
der erste Rückschlüsse auf den Flächenbedarf für eine Lösung zuläßt, die
eine interessante Variante für eine integrierte Verkehrsplanung der Stadt Berlin darstellt. Büro für Verkehrsplanung beim Magistrat von Berlin
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