|
Das Theaterstück um Sinn oder Unsinn
der U8-Verlängerung ins Märkische
Viertel (MV) wurde jetzt um zwei weitere, sehr unerfreuliche Akte bereichert.
Dabei schien es Ende 1989 so, als
ob Sachargumente doch eine Chance
hätten:
- Der oberste Verkehrsplaner der
BVG, Hartmut Schmidt, teilte mit, daß
die Untersuchungen der BVG eindeutig
für den Vorrang einer Verlängerung
der U9 nach Lankwitz sprächen.
- Auch die verkehrspolitischen Sprecher
Burkhard Thiemann (SPD), Rainer B.
Giesel (CDU) und Michael Cramer
(AL) waren sich bei den Berliner Schienenverkehrs-Wochen im Oktober einig,
daß die Verlängerung der U9 und dıe
S-Bahn-Wiederinbetriebnahme Vorrang vor einer U8-Verlängerung hätten.
- Die SPD-Fraktion vertagte ihre für
Mitte November geplante Entscheidung
zur U8-Verlängerung aufgrund der
neuen Situation nach dem 9. November.
- Verkehrssenator Horst Wagner kündigte den Abschluß der standardisierten
Bewertung, einer von Bonn vorgeschriebenen Untersuchung zum Kosten-Nutzen-Verhältnis,
für die U8 bis
Ende 1989 an und sprach sich im übrigen am 4. Dezember für einen Vorrang
der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme vor
dem teueren U-Bahn-Bau ins MV aus.
Doch als Herr Cramer einige Monate
später die Ergebnisse der standardisierten Bewertung wissen wollte, teilte Senator Wagner
ihm am 28. Februar mit:
“Aufgrund der Ereignisse vom 9. November 1989 und den damit zusammenhängenden
tiefgreifenden Änderungen
auch für den ÖPNV in unserem Teil
der Stadt waren kurzfristig andere Planungsaufgaben vorzunehmen, was aufgrund der
personellen Situation dazu
geführt hat, daß die Arbeiten für die
standardisierten Bewertungen zunächst
nicht weitergeführt werden konnten.
Ein Termin für Abschluß und Veröffentlichung der Bewertungen kann noch
nicht genannt werden, da die Berücksichtigung der neuen grenzüberschreitenden
Verkehrsbeziehungen noch
nicht geklärt ist." (LPD, 26.3.90)
|
Fährt solch ein moderner Niederflur-Straßenbahnzug aus Bremen bald auch in Berlin? Sehr viel eher und sehr viel attraktiver, als es mit einer Verlängerung der U-Bahn-Linie 8 möglich ist, könnte das Märkische Viertel erschlossen werden, wenn die Straßenbahnpläne der BVG verwirklicht werden. Foto: T. Staeck |
|
Wer nun geglaubt hatte, ohne Untersuchungsergebnisse werde es auch keine
Entscheidungen geben, der wurde von
der SPD schnell eines Besseren belehrt.
Denn im März wurde beschlossen, die
Bauarbeiten an der U8 bis in das Märkische Viertel hinein fortzusetzen,
wohlwissend, daß dies von der Koalitionsvereinbarung mit der AL abweicht
und daß es eine Umschichtung der Mittel zulasten anderer, mehr Fahrgäste
erreichender Maßnahmen bedeutet.
Fazit: Die Verkehrsverwaltung hat keine Zeit mehr für die erforderlichen Untersuchungen,
doch die SPD trifft auch
ohne sie weitreichende Entscheidungen, offensichtlích nach dem Motto:
Wenn schon keine Untersuchungsergebnisse und Pläne vorliegen, muß wenigstens
entschieden werden.
Dem wird von SPD-Politikern entgegengehalten, daß man sich auch bei
Vorliegen des Bewertungsergebnisses
für die U8-Nord entschieden hätte, weil
hier politische Gründe (“die Bewohner
des MV werden seit 20 Jahren vertröstet") höher zu bewerten seien, als
Sachargumente (“zu wenige Fahrgäste
im Verhältnis zu den hohen Kosten und
im Vergleich zu anderen Strecken").
Doch hier wird die alther ebrachte eingeschränkte Sichtweise deutlich, denn
eine U-Bahn bringt nicht automatisch
eine Angebotsverbesserung, jedenfalls
nicht für alle Fahrgäste. Beim MV werden es sogar viele sein, für die die neue
U-Bahn keine Verbesserung gegenüber
der heutigen Erschließung brıngt, da
das MV sehr ungünstig gebaut ist. Wer
den Bewohnern des MV ernsthaft helfen will, ein attraktiveres BVG-Angebot
zu bekommen, und zwar kurzfristig, der
muß sich wenigstens mit den Alternativen zum U-Bahn-Bau auseinandersetzen.
Solche gibt es (siehe u.a. SIGNAL 9/88 ). Auch Herr Schmidt von der
BVG hat sich nicht nur gegen die U8-
Verlängerung ausgesprochen, er hat
zugleich Alternativen, z.B. eine attraktive Straßenbahnerschließung, ausarbeiten lassen.
Wenn es der SPD also wirklich um die seit Jahren vertrösteten
Menschen im MV geht, dann muß sie
sich um die Realisierung solch attraktiver Alternativen kümmern, die für die
Mehrzahl der Bewohner besser als jede
U8-Verlängerung sein können. Zugleich würde es sich die SPD damit ersparen, durch die
Umschichtung der
Gelder zulasten anderer Projekte nun
z,B. die Lankwitzer und Spandauer zu
verärgern, denn auch diese warten
schon viele Jahre auf “ihre" Bahn und
ärgern sich täglich über die stillgelegten, verrottenden Strecken und die Politiker,
die nichts daran ändern.
IGEB
|