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Verschiedene Fahrgastverbände, Bürgerinitiativen und Arbeitsgruppen von in West-Berlin
ansässigen Fördervereinen haben in
den vergangenen zehn Jahren eine Reihe von Konzepten zur Wiederbelebung des
Schienenverkehrs von und nach Berlin erstellt.
Kennzeichnend für diese Konzepte waren sowohl eine übergreifende Netzplanung zwischen
Westdeutschland und West-Berlin, die - unter Einbeziehung ehemaliger Strecken auch die auf
Ost-Berliner
Gebiet liegenden Streckenteile sowie alle durch die DDR führenden
Trassen integrierte, als auch das Bemühen, die Pläne der alten
DDR-Staatsführung zu durchkreuzen, die den Schienenfernreiseverkehr an West-Berlin
vorbeiführen wollte. Dies alles gehört seit
dem 9. November der Vergangenheit an, und wer sich heute Gedanken macht, wie die
Zukunft der Eisenbahn in Berlin aussehen sollte, der ist nun kein Außenseiter mehr.
Beispielhaft dafür ist die
Diskussion um eine neue Nord-Süd-Strecke, die jetzt Politiker, Planer und viele Bürger in
Ost- und West-Berlin bewegt.
1. Einleitung
Alle bisher vorliegenden Überlegungen und
Konzepte setzen unterschiedliche Schwerpunkte und verfolgen abweichende Prioritäten.
Als Beispiel für die Abhängigkeit von
der politischen Großwetterlage sei der Beitrag des Verfassers “Bahnhof Zoo - quo vadis."
in SIGNAL 9/89 genannt. Der folgende Beitrag
versucht, durch Beschreibung
der sich heraushebenden Varianten in Bezug auf die Nord-Süd-Magistrale lupenartig
Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und kontroverse Zielsetzungen zu analysieren. Dabei
bleibt festzuhalten, daß die ursprünglich
verkehrsbezogenen Konzeptionen zunehmend von städtebaulichen und ökologischen
Betrachtungen und Bewertungen durchsetzt
und hinterfragt werden.
Besondere Aktualität erhielt die Eisenbahn-Planung durch die lebhafte Diskussion um
die Zukunft des Potsdamer Platzes. Auch
das Berlin-Studio des Zweiten Deutschen
Fernsehens (ZDF) widmete seine kulturellen Themen vorbehaltene Sendung ASPEKTE
am 15. Juni ausschließlich dem Thema
der Stadtplanung am Potsdamer Platz, Welche Dimension die Planung an diesem einst
verkehrsreichsten Platz Europas hat, den
die junge Generation über 30 Jahre nur
noch als Ödnis im Todesstreifen erleben
konnte, zeigte die Feststellung eines Gastes,
daß “der Potsdamer Platz in seiner Funktion als verkehrsreichste innerstädtische
Drehscheibe schließlich eine Verkehrsmenge von 730.000 Passagieren der unmittelbar
angebundenen Nah- und Fernbahnanlagen
des Potsdamer (80.000) wie des Anhalter
Bahnhofes (150.000) täglich zu bewältigen
hatte".
1.1 Zur Ideen-Vorgeschichte eines Nord-Süd-Tunnels
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Abb.1: Das Foto aus den 30er Jahren zeigt die kurvenreiche Enge der Stadtbahn mit zwei S-Bahn- und zwei Fernbahngleisen. Foto aus: Peter Bley, Berliner S-Bahn, Alba, Düsseldorf 1980. |
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Abb.2: Die preisgekrönte Arbeit von Brix, Genzmer und der Hochbahngesellschaft zum Wettbewerb Groß-Berlin 1909 mit der konzipierten Verbindung zwischen Potsdammer Bahnhof (links) und Lehrter Bahnhof (rechts) in Tieflage. Foto: Archiv Dr. Helmut Maier |
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Die 1927 von der AEG zur Beförderung von Fernreisezügen auf der Stadtbahn gebaute E-Lok 178 01 (1' Bo + Bo 1') hätte es ermöglicht, im Nord-Süd-Tunnel auf eine den Reisekomfort einschränkende Dampf-Traktion zu verzichten. Kennzeichen der Lok: Kurvengängigkeit, seitliche Stromabnahme, Dampfheizeinrichung für den Winterbetrieb. Foto aus: Berliner S-Bahn,Alba. |
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Abb. 4: Das geplante Bahnnetz im Rahmen der gigantischen nationalsozialistischen Umbaupläne für die Reishauptstadt Berlin enthielt keinen Nord-Süd-Fernbahntunnel, aber neben der 1936/39 realisierten Nord-Süd-S-Bahn vom Anhalter zum Stettiner Bahnhof geplant. Foto aus: Die Berliner S-Bahn, Ästhetik und Kommunikation, Berlin 1982. |
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Abb. 5: 68 ha Fläche für Eisenbahnanlagen allein im Bereich Gleisdreieck! Durch eine weiterentwickelte Eisenbahnbetriebsführung sowie im Zusammenfassung zweier großer Kopfbahnhöfe (Potsdammer und Anhalter) in einem etwa 6-gleisigen Durchgangsbahnhof in Tieflage könnten heute große Flächen an die Stadt zurückgegeben werden, z.B. als Grünflächen für die Kreuzberger und Schöneberger Bevölkerung. Foto aus: Alfred Gottwald, Eisenbahnbrennpunkt Berlin, Kohlhammer, Stuttgart 1982. |
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Abb. 6: Maßstäbliche Skizze der Variante 1 (ca. 1 : 35.000) mit Kilometrierung und Steigungsgradienten. Die Idee: Schaffung und Verbindung der Ringbahnkreuze Nord (Gesundbrunnen) und Süd (Papestraße) für Fern- und S-Bahn. Zeichnung: N. Krichler/M. Brühl |
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Abb. 7: Maßstäbliche Skizze der Variante 2 (ca. 1 : 35.000). Die Idee: Eine Verbindung von Lehrter und Potsdamer Bahnhof. Sie stellt die kürzeste und preiswerteste Variante dar, läßt aber unverzichtbare Streckenanbindungen außer acht (damit fehlende Drehkreuzfunktion). Zeichnung: N. Krichler/M. Brühl |
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Abb. 8: Maßstäbliche Skizze der Variante 3 (ca. 1 : 35.000). Die Idee: Verlagerung der Fernbahnanbindung vom Anhalter Kopfbahnhof zum südlicher gelegenen innerstädtischen ÖPNV-Knoten an der Yorckstraße. Damit Preisangabe der Einbindung der stark frequentierten U-Bahn-Linie 1 und der Potsdam-Magdeburger Fernbahn. Zeichnung: N. Krichler/m. Brühl |
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Abb. 9: Maßstäbliche Skizze der Variante 4 (ca. 1: 35.000). Die Idee: Nutzung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur und der planfestgestellten Ferntrassen von Anhalter und Potsdamer Bahn. Ideale Verknüpfung von S1 und U7. Ferner ideale Lage zur Stadtmitte, kürzeste Wege. Zukunftsoption: Durchbinung vom Ostbahnhof (seit 1987 Hbf) und damit unübertreffliche Drehkreuzfunktion bei kürzesten Fahrzeiten. Zeichnung: N. Krichler/M. Brühl |
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Abb. 10: Das Berliner Bahnnetz von 1899 mit den peripheren Knoten an den Kreuzungen von Stadt- und Ringbahn. Mit dieser Karte soll die Variante 5 (kein Nord-Süd-Fernbahntunnel) und deren Flächenbedarf sinnbildlich veranschaulicht werden. Foto: Archiv Dr. Helmut Maier |
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Abb. 11: Kriterien zur Beurteilung der fünf betrachteten Varianten. |
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Wie in allen westeuropäischen Großstädte mit einer
Milionen-Bevölkerung vor der Jahrhundertwende hatten sich die Endbahnhöfe der
privatbetriebenen
Bahngesellschaften
zunächst vor den
Stadtmauem angesiedelt. Ein ankommender Passagier
war immer auch ein
Besucher der am
Bahnhofsausgang
beginnenden Metropole. Zeítgemäß
benutzte er bıs zum
Hotel oder einer
Beherbungsstätte
eine Droschke oder
Schusters Rappen.
Erst als sich in der
zweiten Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts in jeder
Richtung der Windrose eine Bahngesellschaft etabliert hatte, entstand der
Wunsch nach einer Verbindung der Bahnhöfe durch leistungsfähige Verkehrsmittel;
der von einer Bahnlinie in die andere umsteigende Passagier verlangte das. Vor Entdeckung
des elektrodynamischen Prinzips
1866 durch den Berliner Ingenieur Werner
von Siemens waren das dampfbetriebene
Stadtbahnen im Taktfahrplan-Betrieb.
1.1.1 Realisierung einer durchgehenden
Ost-West-Verbindung im Jahr 1882
In Berlin entstand angesichts der verkehrsreichen Ost-West-Ströme zunächst der
Wunsch nach einer Verbindung der damals
stark frequentierten Ost-Bahnhöfe - des
Schlesischen und des Frankfurter Bahnhofs
- mit dem Charlottenburger Bahnhof im
Westen. Dies wurde 1882 nach 10-jähriger
Bauzeit in Gestalt der 12 km langen Stadtbahn in Hochlage zwischen Charlottenburg
(Brücke Holtzendorffstraße) bis West-Einfahrt Schlesischer Bahnhof (heute Hauptbahnhof,
bis Dezember 1987 Ostbahnhof)
realisiert. Diese Stadtbahnlinie, welche immer 4-gleisig geführt wurde, davon zwei
Gleise für die Reisezug-Fernbahnlinie Paris-Moskau und zwei Gleise für die Stadt-Schnellbahn
(später die “S-Bahn"), wurde
1961 im Bahnhof Friedrichstraße auf DDR-Gebiet willkürlich zurückgebaut und wird
gegenwärtig wieder in den ursprünglichen
Zustand zurückversetzt.
1.1.2 Urkonzepte für eine durchgehende
Nord-Süd-Verbindung
Als Planungsaufgabe ungelöst blieb im Zeitalter des Dampfbetriebes eine Nord-Süd-Verbindung
der Fernbahnen. Schon vor
dem 1. Weltkrieg, im Jahre 1909, wurde im
Rahmen des Wettbewerbes “Groß-Berlin“
ein Entwurf über eine Nord-Süd-Fernbahn
preisgekrönt, der von Joseph Brix, Felix
Genzmer und der Hochbahngesellschaft
eingereicht worden war. Zum Ende des 1. Weltkrieges veröffentlichte der Stadtplaner
Mächler, später Ordinarius an der TU Berlin, einen Entwurf für die sich anbietende
unterirdische Verbindung der Endbahnhöfe
Lehner und Anhalter Bahnhof, die in Industriekreisen sogar eine gewisse Resonanz
fand. Unter Federführun der AEG wurde -
zur Umgehung des Proplems der Abführung der Rauchgase und Kondensate bei
Dampfbetrieb in der Tunnelstrecke - eine
mit Stromschiene betriebene 6-achsige
Drehgestell-Lokomotive (1' Bo + Bo 1') E
178 01 entwickelt (s. Abb. 3), welche im
Tunnelbereich die Reisezuggarnituren mit
den einsitzenden Passagieren zwischen
Lehrter und Anhalter Bahnhof bewegen
sollte, freilich um den Preis eines zweimaligen Lokwechsels auf einem 3,5 km-langen
Streckenstück. Eine oberirdische Verbindung verbot sich wegen der in der Fluchtlinie
liegenden Regierungsbauten.
1.2 Realisierung einer Nord-Süd-S-Bahn
von 1934 bis '39
Überlagert wurde die Mächler-Planung von
der Variante einer Nord-Süd-Tunnelführung der S-Bahn, allerdings nicht zwischen
dem Lehrter, sondern dem 1 km weiter östlich gelegenen Stettiner Bahnhof und dem
Anhalter Bahnhof. Diese S-Bahn - die
Nord-Süd-S-Bahn - wurde 1939 fertiggellt.
Die vom Magistrat von Berlin in den 20er
Jahren geplanten und zur Realisierung vorgesehenen verkehrlichen und stadtplanerischen
Maßnahmen wurden in den 38er Jahren zunächst weitergeführt. Nach Einrichtung
des Amtes eines Generalbauinspekteurs, welches auf die Vorstellungen Hitlers
und Albert Speers zugeschnitten war, wurden Mitte der 30er Jahre neben einer gigantischen
Halle im Spreebogen eine Reihe
weiterer Monumentalbauten vorgesehen,
die sich entlang einer Nord-Süd-Achse vom
östlichen Tiergarten bis nach Tempelhof erstrecken sollten. Der Lehner Bahnhof sollte
nach Norden, der Anhalter/Potsdamer nach
Süden verschoben und mit weiteren Gleisen
und Bahnsteigen ausgestattet werden. Als
Baustein einer Nord-Süd-Unterquerung
wurde die S-Bahn vom Stettiner Bahnhof an
unterirdisch verlegt und über Friedrichstraße, Potsdamer Platz zum Anhalter Bahnhof
in Tieflage geführt. Die Anordnung erfolgte
parallel zu den auf Ebene +1 liegenden 6
Ferngleisen in der Halle des Anhalter
Bahnhofs. Nach Unterquerung des Landwehrkanals in der Ebene -2 tauchte die S-Bahn
im Bereich Gleisdreieck wieder auf,
um sich danach in zwei südliche Richtungen
zu gabeln. Ein vom Anhalter Bahnhof auf
Ebene -1,5 sich nach Osten erstreckender
Tunnelast sowie ein nördlich des Potsdamer
Platzes sich verzweigender Tunnelast in
Richtung Lehrter Bahnhof - Nordring wurden als Baumaßnahme begonnen.
1.3 Maßnahmen nach dem 2. Weltkrieg als
Ergebnis widerstreitender Konzeptideen
Die partiell eingeleiteten Baumaßnahmen
hinterließen - außer den bereits im Kriege
zerstörten oder nach dem Kriege zum Teil
von den Alliierten geschleiften, zum Teil
von den Bauverwaltungen beider Stadtteile
abgetragenen oder umstrukturierten Oberflächenbauten, darunter sämtliche Kopfbahnhöfe! -
auch einige unterirdische Tunnelbauwerke, die für S-Bahn- oder U-Bahn-Ergänzungsstrecken
vorgesehen waren. Sie
sind - in ihrem Zweck entideologisiert -
auch damit sinnvoll nutzbar, wenn man -
dem Stadtgrundriß folgend - die Trassen so
weiterplant, daß sie im Sinne eines friedlichen wecken dienenden Stadtumbaus für
anstehende Baumaßnahmen kostensenkend
verwendet werden können.
1.4 Zusammenfassung der Begründungen
für eine Untertunnelung ("Trassierung in
Tieflage”)
Die Begründungen für derartig kostspielige
Baumaßnahmen, deren betriebliche Untegrhaltung mit weiteren, allerdings sich im
Rahmen haltenden Aufwendungen verbunden sind, speisen sich aus mehreren Quellen.
1.4.1 Stadtplanerische Ansätze für Verbesserungen
Wie eingangs gesagt wurde, lagen im Gründerzeitalter der Eisenbahnen die Anlagen
als Kopf- oder “Sackbahnhöfe” vor der
Stadtmauer, meistens auch noch vor dem
“Akzise"-Tor, denn die Stadtväter wollten
von dem Warenstrom Steuem und Zölle
ziehen (Friedrich List, der deutsche Eisenbahnpionier, versuchte bereits zu Beginn
des 19. Jahrhunderts im Bereich der ca. 70
deutschen Kleinstaaten, eine der EG ähnliche “Inlandregelung" zu bewirken, doch es
gab zähe Widerstände).
Die im Dampfzeitalter erforderliche Lok-Wartung sowie die relativ kurzen Betriebsentfernungen
der Züge erforderten große
Abstell- und Wartungsareale. Ziel heutiger
Stadtverwaltungen ist es allgemein, im Zeitalter der elektrischen Zugförderungen mit
sehr viel höheren Betriebsentfernungen der
Züge die von den Eisenbahnverwaltungen
eingesparten Flächen zurückzuerwerben
und als Bauland (Büros, Läden, Wohnungen) sowie für ökologische Zwecke (Stadtparks,
Freizeiträume, Tier- und Pflanzenreservate, Biotope, u.s.f.) zu nutzen.
1.4.2 Kostensenkungspläne der Eisenbahnverwaltungen
Kopfbahnhöfe der herkömmlichen Technik
waren wegen des Hin und Her beim Wenden der Züge und der Lok-Umsetzungen
zeitlich und personell sehr aufwendig. Die
neue Eisenbahnantriebstechnik mit zwei
Triebköpfen (Hochgeschwindigkeitszug
ICE) oder der Wendezugbetrieb im Regional- und Nahverkehr, soweit nicht
Elektrotriebwagengarnituren eingesetzt werden, gestatten einen vereinfachten Umkehrbetrieb
schon im Kopfbahnhof und eine weitere
Vereinfachung, wenn der Kopfbahnhof in
einen Durchgangsbahnhof umgewandelt
wird - mit unterschiedlich hohem Aufwand.
Stadtplanerisch geht dies - um nicht ganze
Stadtviertel für eine durchgehende Eisenbahntrasse abreißen und als Sicherung sehr
viele Bahnschranken bei den Kreuzungen
von Schiene und Straße installieren zu müssen - nur durch das Auweichen in die Tieflage.
Dies ist die Erklärung für die Bemühungen vieler Initiativen in Berlin und neuerdings - als Folge
des 9. November 1989 - auch der Verwaltungen in Ost und West,
neben der bereits seit 1882 vorhandenen
Ost-West-Durchquerung in Hochlage (auf
den Stadtbahnbögen) nunmehr eine Nord-Süd-Durchquerung in Tieflage zu erreichen.
1.43 Die Wünsche der Reisenden und
ihrer Fahrgastverbände
Die Wünsche der Bahnreisenden richten
sich auf eine bequeme und schnelle Überwindung der Entfemungen und bei weiten
wie auch nahen Reisen auf möglichst wenige Umsteigevorgänge. Mit dem Auto fährt
man ja leicht von Tür zu Tür! Und das Gepäck hat man griffbereit im Kofferraum seines
Wagens! Reiseverpflegung ist selbstverständlich. Die Eisenbahn aber bietet darüber
hinaus (in der Regel) sanitäre Einrichtungen und Hygene und unterwegs Unterhaltung
durch Fernsehen und Musikübertragung, In nicht allzufemer Zukunft läßt
sich sogar das vollgepackte Auto als Gepäckstück im selben Zug mitnehmen, denn
für viele Urlaubsguppen oder Familienreisen ist ein eigener Pkw zur Erreichung der
Sommerpension und zur Nutzung im Umkreis des Urlaubsortes oft ein unverzichtbarer
Komfort. Und die Automitnahme wird
noch gar nicht einmal so teuer werden. Es
gibt Untersuchungen, die die Kosten der
jährlichen Autounfälle in der Bundesrepublik auf ca. 40 Milliarden DM beziffem. Dafür
ließen sich schon eine ganze Menge
Auto-Fahrkarten - anteilig - mitfinanzieren.
Zurück nach Berlin: Schön ist es dann,
wenn der Reisende ganz nahe am Reiseziel
eintrifft: Mitten in einer Großstadt wie Berlin, und dann vielleicht gleich im Untergeschoß
eines Riesenwarenhauses, mit allen
nur erdenklichen Informations- und Einkaufsmöglichkeiten!
Reisen soll entspannen, Spaß machen, Freude und Überraschungen bringen, Menschen
kermenlernen und Landschaften und Städte
erleben lassen! Auch diejenigen, die eine
Stadt im Zug durchqueren, um ein fernes
Reiseziel zu erreichen, freuen sich, wenn
der Zug nach einem kurzen Halt weitereilt
und die Warte- und Aufenthaltszeiten nicht
die eigentliche Reisezeit um das Doppelte
verlängern. Darum also Durchgangsbahnhöfe auch in einer Großstadt wie Berlin, mit
kurzen Aufenthaltszeiten für alle, die weiter
wollen - nach Paris oder Warschau, Moskau
oder Prag, Wien, Budapest, Hamburg, Kopenhagen, Amsterdam, Brüssel, durch den
Eurotunnel nach London, durch den Brennertunnel nach Mailand, Rom, Neapel,
durch den Skandinavientunnel nach Kopenhagen, Oslo, Stockholm, in die Mitternachtssonne
bis nach Narvik! Berlin kann
als erste Weltstadt die Eisenbahn-Wartezeit-Mauern niederreißen! Freie Eisenbahnfahrt
für freie Menschen - ab sofort nach
West und Ost, nach Nord und Süd.
Die Beschreibung der derzeitigen Konzeptvarianten
Während die Variante Nr. 4 des Fördervereins Anhalter und Lehrter Bahnhof Berlin
e.V. (FALB) bereits im Rahmen der IBA-Wettbewerbe 1984 und 1986 erstmals der
(Fach-)Öffentlichkeit vorgestellt wurde, entstanden die peripheren Lösungsvorschläge
verschiedener Bürgerinitiativen erst in jüngster Zeit. Ebenfalls aus Arbeitsgruppen
fachkundiger Bürger und engagierter Initiativen entstammen die Ansätze der Varianten
Nr. 1 und 3. Sie wurden aus Kreisen der
Altemativen Liste (AL) in die öffentliche
Diskussion eingeführt und mit Blickrichtung
zu einem ökologischen Stadtumbau (Vorrang für die Bahn) seit dem Sommer 1989
thematisiert. In den gleichen thematischen
und zeitlichen Rahmen ist die Variante Nr.
2 einzuordnen, die von dem vormaligen Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz,
Prof. Dr, Jürgen Starnick, in die öffentliche Diskussion getragen wurde.
Ein gemeinsames Anliegen aller dieser Bürgerinitiativen und Arbeitskreise ist die Bevorzugung
des Rad-Schiene-Systems mit
dem Ziel einer Verflechtung des innerdeutschen mit dem mitteleuropäischen Fernbahnnetz.
Aus überregionaler Sicht ergeben
sich daraus die Anforderungen an die Einbindungswege und ihre konzeptionelle Verflechtung
mit dem innerberliner Fernbahnnetz, die von den Autoren nicht immer in
ausgefeilter Konzeption, aber doch zumindest ansatzweise erwähnt wird. - Die in einer
breiten Fachdiskussion nach dem 9. November 1989 einsetzenden Überlegungen
der in der DDR wie in Ost-Berlin ansässigen Experten konnten - da noch nicht ausreichend
bekannt und reflektiert - hier nicht
einbezogen werden. Es ist beabsichtigt, dies
ggf. in einem Folgebeitrag nachzutragen.
2.1 Variante 1: Tunnel aus Richtung
Gesundbrunnen in Richtung Papestraße
Die Variante 1 beinhaltet die weiträumigste
- und in ihrem stadtplanerischen Ansatz -
radikalste Überlegung zu einer Einbeziehung großräunıiger überregionaler Verkehrsströme
des Fernreiseverkehrs auf der
Schiene in das innerstädtische Leben der zu
revitalisierenden Kemgebiete im Bereich
Mitte. Der als Folge der Sektorenaufteilung
zunächst vom Netz abgetrennte und als Folge der politisch-wirtschaftlichen Zurückentwicklung
in der DDR funktionslos gewordene Stettiner Kopfbahnhof fiel als erster einer Radikalsanierung
der östlichen Stadtplanung zum Opfer und wurde abgebrochen
- mit Ausnahme der Anlagen der Nord-Süd-S-Bahn. Dem Stettiner Bahnhof - klassischer
Berliner Fernreisebahnhof zu den
deutschen Ostseebädern sowie zu den Fährverbindungeng nach Skandinavien - vorgelagert
war der im Wedding gelegene Umsteige- und Verteilungsbahnhof Gesundbrunnen, der in
Richtung Berlin die Aufteilung
der aus dem Norden und Nordosten einlaufenden Fernzüge (auch der Güterzüge) auf
den Nordring wie zum Stettiner Bahnhof
und zum nachgelagerten (Güter-)Bahnhof
Eberswalder Straße übernahm (Versorgung
der industrie- und bevölkerungsreichen
Nordviertel).
Dieses “Tor zum Norden" soll nun - im Sinne der Konzeptidee - die aus Mecklenburg
und Vorpommem sowie die im Fährverkehr
aus Skandinavien nach dem Süden strebenden Passagiere über Berlin führen (in Konkurrenz
zur Vogelfluglinie) und sie zu einem Zwischenstop in Berlin verleiten. Dasselbe analog in
entgegengesetzter Richtung.
Zieht man die Varianten 2, 3 und 4 sowie 5
(Ostkreuz) in Vergleich zur Variante 1, ergeben sich bei dieser - verkürzt - alle Vorteile
von 2, 3, 4 zu einem höheren Investitions- und Zeitaufwand, während die Nachteile -
bei geforderter ökologischer Betrachtungsweise - insofern vermindert werden,
als für Bahnhofsverkehrsflächen benötigtes
Brachland außerhalb des Innenbereiches
dort im Bereich Gesundbnmnen - eher -
verfügbar ist. Im Lichte des 9. November
bröckelt dieses Konzept etwas, weil es durch
die Grenzöffnung zu Verkehrwerzweigungen über die nord-östlichen Eingangsbahnhöfe
mit dem Schwerpunkt Lichtenberg
kommen wird, während die eigentlichen
Zielfunktionen mit dem Endpunkt Berlin-Mitte zweckmäßiger und mit kürzeren Umsteige- und
ÖPNV-Fahrzeiten auch von den
anderen Konzepten (Varianten 2 bis 4) erbracht werden können.
2.2 Variante 2: Tunnel Lehrter Bahnhof -
Potsdamer Platz mit Ausfahrt im Gebiet
Gleisdreieck - Dudenstraße
Ihr Autor verweist auf die bisher vernachlässigten vorhandenen wie auch zu erwartenden
Passagierströme von Skandinavien
nach dem Süden und lehnt sich insofern sowohl an Planungen von 1909 der
Hochbahngesellschaft wie auch der DDR-Verkehrs
planung an, die vor der Öffnung der Mauer
von einer längerfristigen Umorientierung
des durchgehenden Verkehrs aus der West-Ost-Relation in die zunehmend dominierende
Nord-Süd-Relation (unter Umgehung
West-Berlins) ausgingen.
Der Potsdamer Platz beherbergte ehemals
auf seiner Südseite den Potsdamer Bahnhof,
und es liegt nahe, eine verkehrsintensive
Drehscheibe des Straßen- und (unterirdisch) des spurgebundenen ÖPNV mit einer
Fernbahntrasse zu verzahnen. Ein scheinbarer Vorteil ist die Möglichkeit, die Trasse
der Potsdamer Bahn, derzeit brachliegend,
für wenig störende Auftauchpunkte neu zu
verwenden. Bei näherer Prüfung ergibt sich
jedoch als gravierender Nachteil ein Verzahnungshemmnis mit den bereits betriebenen
oder (nach Umverlegung der M-Bahn)
zu revitalisierenden vorhandenen Bahnsteigen und Gleisanlagen von S- und U-Bahn in
zwei übereinanderliegenden Ebenen (Lichtenrade - Frohnau, Krumme Lanke - Pankow).
Ein Ausweichen in die Ebene -3 bringt neue
und höhere Kostendimensionen; ein Ausweichen nach dem Westen eröffnet neue
Flächenplannutzungsdískussionen und damit zusammenhängende zeitliche Verzögerungen,
von der Tangierung des Kulturforums wie auch von den kontrovers diskutierten
Interessenlagen um die von Daimler-Benz ins Auge gefaßten Flächen einmal abgesehen.
Ein Ausweichen nach dem Osten
konkurriert sehr mit der Variante 4 in ihrer
Trassenführung über den Anhalter Bahnhof. Der Autor räumte in einem Fachgespräch ein,
daß sein Entwurf ein Überdenken erfordere - ganz abgesehen von der in
dieser Variante noch fehlenden und nur
schwer machbaren Drehscheibenfunktion
für den Ost-West-Verkehr.
2.3 Variante 3: Tunnel Lehrter Bahnhof -
Großgörschenstraße (Gleisdreieck Süd,
nördlich Yorckstraße)
Im Dezember 1984 wurde die erste neu gestaltete Anlage eines "Museums für Verkehr und
Technik" im Hause Trebbiner
Straße Nr. 9 eröffnet. Inzwischen sind die
Außenanlagen, darunter die Lok-Schuppen
1a und 1 samt Drehscheiben für schwere
Dampfloks, hinzugekommen. Es ist verstänlich, wenn nun aus Kreisen des Museums und
nahestehender Senatsverwaltungen Varianten in die Öffentlichkeit gelangen, die durch
alternative Trassenführungen
um diesen Komplex herum und durch Hinweise auf Forderungen im Rahmen des ökologischen
Stadtumbaus die Erhaltung der
Biotope und Grünflächen für unantastbar
darstellen.
Ein bedingter Nachteil dieser Variante ist
die Lage der Trasse am Rande vorhandenen
Brachgeländes. Berührte Fremdgrundstücke
könnten nicht ohne Einleitung langwieriger
Planungsverfahren umgenutzt werden, oder
die Trasse müßte sogar abschnittsweise unter Kreuzungen mit Wasserstraßen und Linen
des S- und U-Bahn-Netzes unter
schwierigen Steigungsbedingungen hindurchgeführt werden.
2.4 Variante 4: Tunnel Lehner Bahnhof - Anhalter Bahnhof
Diese vom Förderverein Anhalter und
Lehrter Bahnhof auf den Grundlagen des
Entwurfes von 1909 der Hochbahngesellschaft und des späteren Entwurfs von Prof.
Mächler 1984 nach zeitgemäßen eisenbahntechnischen Erkenntnissen und Lastenheften
ausgearbeitete Konzeptvariante fußt
weitestgehend auf der Verfügbarkeit “ererbter" Bahnflächen und Trassen. Diese
Variante könnte daher durch Anpassung an
technische Zusatzausstattungen - wie einer
elektrischen Oberleitung mıt geringfügiger
Verbreiterung des Lichtraumprofiles - vom
Genehmigungsverfahren her in vertretbarem Zeitrahmen und mit auf mehrere Baustufen
verteilten Finanzierungsanforderungen in Realisierungsnähe geführt werden.
Hervorzuheben ist die räumlich zentral gelegene und verkehrsmäßig gut erschlossene
Lage in der südlichen Friedrichstadt, mit
Schnittstellen zum Zentralen Bereich. Neu
ist die Verlegung der Gleisanlagen in die
Ebene -2, welche eine konfliktfreie Unterfahrung des Landwehrkanals, der S- und U-Bahn
zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, der Spree vor dem Lehner
Bahnhof und der U-Bahn-Linie 7 zwischen
Landwehrkanal und Yorckstraße ermöglicht. Diese von Prof. Mächler geforderte
Umwandlung von zwei bedeutenden, verkehrsstarken Kopfbahnhöfen in Durchangsbahnhöfe
in der gewünschten Nord-Süd-Relation könnte in der 1. Stufe sogar -
wie Experten des FALB versichem - kostensparend ohne eine Wiedererrichtung der
Oberflächenbauwerke erfolgen. Im Anhalter Bahnhof böte sich der Vorteil einer sehr
schnellen Umsteigemöglichkeit in die ebenengleich und parallel gelegene Nord-Süd-S-Bahn
(S1, S3) sowie in die ebenengleich kreuzenden U-Bahn-Linien 1 und 7.
Ein weiterer Vorteil ist seine die Oberflächenbiotope erhaltende Anordnung. Sie ist
eine beabsichtigte Folge der unterirdischen
Trassenführung. Der Tunnelmund dieser
Anlage speziell zwischen Yorckstraße und
Schöneberger Kreuz hätte an dieser Stelle
in Höhe des S-Bahnhofes Papestraße in planungsvertraglicher Anordnung einen südlichen
Auftauchpunkt. Der Auftauchpunkt
des Nordausganges hätte seinen Tunnelmund zwischen Perleberger Straßenbrücke
und Putlitz-Straßenbrücke auf planfestgestelltem Bahngelände.
Die Anlagen wie auch Planungen des Museums für Verkehr und Technik auf den
Brachflächen des Gleisdreieck-Bahngeländes blieben unangetastet, und alle Naturfreunde
der bewußtlebenden Kreuzberg-Schöneberger Bevölkerung mit ihrem betonten Anspruch
auf Grünflächen und Naturnähe in der Mitte einer Großstadt sahen
sich in der Lage, das umweltfreundliche
Rad-Schiene-System unterstützen zu können.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender
Vorteil läge in der bereits vom FALB
durchkonzipierten Möglichkeit, am Südausgang des Lehrter Bahnhofs in Tieflage einen
direkten Zugang zum Reichstag zu
schaffen. In der sich sicherlich, unbeschadet
von der derzeitigen kontroversen Hauptstadtdiskussion in jedem Fall über Jahre
hinziehenden Übersiedlung von Legislative
und Exekutive aus Bonn nach Berlin könnten die Abgeordneten sowie Mitglieder der
Bundestagsausschüsse und der Länderkammer ein Vorbild für die Beamten und Angestellten
setzen, indem sie von Bonn nach
Berlin im ab 1997 verkehrenden Hochgeschwíndigkeitszug in drei Stunden den Ort
wechseln, ohne - von Ausnahmefällen abgesehen - auf das teurere und in dieser Relation
(unter 500 km Luftlinie) umweltunfreundliche Flugzeug angewiesen zu sein.
Als ein weiterer Vorteil dieser Variante
kann gelten, daß sie eine Option zur Durchbindung des Fernverkehrs in östlicher Richtung,
und zwar in Ebene -2 im nördlichen
Ausgangsbereich des Anhalter Bahnhofsgrundrisses, anbietet. Hier ließe sich vorteilhaft ein
ebenengleicher Passagierwechsel
(geometrisch als unterirdisches Fernbahndreieck angeordnet) durchführen. Der
Fernverkehr wird im Vor- und Nachlauf
dieser Anlage durch gerade unterirdische
Streckenführungen beschleunigt, und es ließe sich zugleich eine bahnsteiggleiche Verknüpfung
mit den S-Bahn-Linien 1 und 2
herstellen, in späterer Ausbaustufe zusätzlich mit der Verlängerung der S1 zum Nordring
über Lehrter Bahnhof.
2.5 Vermeidung eines Nord-Süd-Tunnels
durch Bevorzugung peripherer Verknüpfungen
Diese Denkweise nimmt Anleihen bei der
Flughafenplanung. Die Flughafenentwicklungen der Airports Kennedy, Heathrow,
Charles de Gaulle, Schiphol - um nur einige
zu nennen - verlagerten die Quellen und
Senken der Luft-Boden-Verknüpfung weit
vor die bewohnten Stadträume, um in Ballungsräumen für die Bedürfnisse der
Flughafenerweiterung im expansiven Luftverkehr Geländereserven als Pufferzonen zu
schaffen.
Im Prinzip mag dies auch für den Schienenverkehr zutreffen - aber wohl eher für den
Teil des Güterverkehrs (Beispiele Hamburg-Maschen, München-Nord), weniger
für den Personenverkehr. Der Vorteil des
Personen-Sclıienenverkehrs gegenüber
seinem Konkurrenten Luftverkehr im Bereich von 250 bis 500 km Entfemung liegt
im Zeítgewinn beim Erreichen des Zielpunktes - und der liegt gewöhnlich im Stadtzentrum,
oder in nachgeordneten zentralen
Bereichen wie auch Oberzentren.
In Berlin kommt hinzu, daß die ins Gespräch gebrachten Standorte, z.B. Westkreuz oder
Ostkreuz, sich auf den ersten
Blick durch eine vorhandene Infrastruktur
mit Knoten des ÖPNV hervorheben. In beiden Knoten kreuzen sich die S-Bahn-Linien
des Ringes wie der Ost-West-Achse, im
Ostkreuz sogar der Berliner Außenring, von
der DDR-Reichsbahn ebenfalls mit S-Bahn-Doppelstockzügen befahren. In Westkreuz
locken Verkehrsmagnete: das Messegelände, die Anbindung der Deutschlandhalle
und im Nordwesten das Olympiagelände.
Doch Experten weisen darauf hin, daß im
Bereich Westkreuz bereits eine hohe Verdichtung von Straßenverknüpfungen
(AVUS-Anbindung, Stadtring-Ein- und
Ausfädelungen) die lokalen Verkehrswege
als Flächenreserven aufgezehrt und bereits
zu Mehr-Ebenen-Bauwerken geführt hat,
über deren Umweltbelastungen und Stadtbildbeeinträchtigungen nicht weiter referiert
werden muß. Es wird ferner in der begründenden Argumentation keine Analyse der
wellenfömngen Tagesganglinie des Verkehrsaufkommens vorgenommen. Verhängnisvoll
sind nämlich die Überlagerungen
von Stoßzeitströmen, die zu Dauerstaus in
den Hauptachsen und zu Dauerrückstaus in
den Neben- und Pufferzonen führen. Es
muß doch wohl bedacht werden, daß Kongreß- und Ausslellungsbesucher Beginn- und
Abschlußzeiten frei wählen können und
nicht zu Geiseln von Stop and Go degradiert werden wollen.
Hinzu kommt die erschwerende Anforderung, ankommende Fernreisende azentrisch
von Westkreuz (analog Ostkreuz) über den
Stadtraum zu verteilen. Dies führt zu Verzerrungen der Verkehrsströme und langfristig zu
Verlagerungen von Ober- und Unterzentren in Richtung Quelle/Ziel. Der
Gedanke dagegen, die Verkehrsströme zu
teilen, indem man in West- und in Ostkreuz
einen Verteilungsbahnhof für den Fernverkehr einrichtet, führt sofort zu dem Folgeproblem,
umsteigende Fahrgäste anteilig als
überlagernde Welle im Verkehrsstrom
(auch im S-Bahn-Innenring) wechselseitig
von der Quelle-West zum Ziel-Ost (und
umgekehrt) zu schaffen, von Zeitverlusten
und Gepäckbeförderungsproblemen sowie
den Kosten ganz abgesehen.
Es ließe sich dagegen fast zwanglos einrichten, West- und Ostkreuz als Haltestellen im
überregionalen Fernverkehr einzurichten,
mit Sonderzugverkehren zu besonderen
Veranstaltungen, wie dies z.B. bei der sehr
aufkommensstarken Hannover-Messe mit
offenen Bahnsteigen auf dem Messegelände
der Fall ist.
Wenn das bei Bewertung der Pro- und Contra-Punkte übrigbleibende Sachargumente
auf das Vorhandensein eines ÖPNV-Knotens hinausläuft, dann muß auch die Frage
erlaubt sein, ob es solche Verknüpfungspunkte nicht auch in der Nähe des Stadtkernes als
dem maßgeblichen Zentrum gibt.
Dies soll in dem nachfolgenden Versuch einer Skala der qualifizierenden und quantifizierenden
Kriterien umrissen werden.
3. Vergleichende Analyse der Tunneltrassen unter städtebaulichen und
verkehrlichen Anforderungen
In der eingangs zitierten Sendung des ZDF
zum Thema Potsdamer Platz kam auch der
Altmeister der Berliner Bauhistoriker, Prof.
Julius Posener, zu Wort. Er wies in kargen
Worten daraufhin, daß sehr viel Bausubstanz trotz der verheerenden Flächenangriffe
während des 2. Weltkrieges in der Innenstadt noch vorhanden war - im Hinblick auf
die Identität der bauhistorischen Entwicklung wie der darauf ruhenden Perspektiven
von Straßenzügen, Platzensembles und
Achssymmetrien von unerläßlicher wie unermeßlicher Bedeutung. Doch diese Klage
blieb in der nicht gerade unterbesetzten
Runde ohne Widerhall - hier manifestierte
sich die Geisteshaltung der Stunde Null, die
bereits den Vergangenheitsbewältigungsdrang der Wiederaufbaugeneration abgeschüttelt hat.
Und auch zu jener Zeit der
50er und 60er Jahre war - beiderseits der
Mauer - der Erhaltungswille zur Bewahrung
eines republikanisch gesinnten bauästhetischen Ansatzes in Architektur und Stadtgestaltung
nicht gerade ausgeprägt.
Auch ein Verkehrsplaner kann sich nicht
der Frage nach jenem Teil seines Bewußtseinsinhaltes entziehen, in dem die Determinanten
einer identitätsbewahrenden Formentradition um historische Fassadenfronten und Fluchtlinien
um Traufhöhen und
Geschoßzahlen des neuzugestaltenden
Stadtensembles abgelegt sind. In der eingangs zitierten ZDF-Runde wirkte der
Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm
zunächst wie ein einsamer Rufer in der Berliner Stadtwüste, als er seine Meinung zu
den geplanten weltweiten Ausschreibungen
nur anstehenden Stadtplanung kundtat: es
ist nämlich zu befürchten, daß der Schaden
größer sein werde als der erhoffte Nutzen,
denn “in den historischen Grundrissen der
Straßen und Quartiere sei doch alles vorgegeben; die Parzellierungen seien, so man
bereit sei, Eigentum und Ursprungsverfügung zu achten, in den Grundbüchern vermerkt, und
es blieben als Planungs- und
Gestaltungsgegenstand lediglich noch die
Traufhöhen der Straßenzüge und die
Fluchtpunkte der Achsengeomtrie als eine
ästhetische Kategorie". An diesem Punkt sei
doch wohl eher der Bauhistoriker mit dem
Bild vertrauter Umrisse des Stadtbildes vor
seinem inneren Auge in beratender Funktion gefragt als ein Avantgardist des Stilumbruches.
Ein Verkehrsplaner ist in dieser Hinsicht
mehrfach gebunden, denn er hat ja ein bestehendes Erbe in Gestalt von vorhandenen
Trassen, von verkehrlich vorgeprägten
Stadtquartieren und von Verknüpfungspunkten bestehender Teilsysteme des öffentlichen
Nahverkehrs in seine Konzepte
einbeziehen, von den dahinterstehenden
Milliardenwerten eines über Kriegszeiten
hinweggeretteten Volksvermögens vorerst
abgesehen, welches zudem in den nachfolgenden Jahrzehnten des Wiederaufbaus und
Ausbaus um weitere Sachmittel-Milliarden
vermehrt worden ist.
Diese Werte - gut und schön! Doch in der
Betrachtung der Stunde Null gewinnt die
Zukunft überhand: Ein neuer Ton macht
andere Musik: Was sind diese Werte gegen
die von Daimler-Benz angebotenen 600
Millionen - und die einer solchen Initialzündung zwangläufig nachfolgenden Investitions-Milliarden
anderer Investoren? Die
“seien schließlich für Berlin kein Fliegendreck” - so ließ sich im Gegenlicht der baupolitischen
Argumentation Senator Wolfgang Nagel in derselben ZDF-Sendung vernehmen, Kant´s
kategorischer Imperativ -.
nur volkstümlich gewendet. Edzard Reuter,
Senatspartner im Milliardenspiel und ein
philosophisch beschlagener Topmanager,
versucht nach eigenen Verlautbarungen,
dieser inneren Stimme als Maxime seines
Handelns glaubhaft zu folgen: der Zeitgeist
behält die Postmoderne fest im Griff.
Doch im Widerstreit der Meinungen übt
hier und heute Berlin entweder “Den aufrechten Gang", oder es gibt so bald wieder
keine Chance, einer aus dem Dornröschenschlaf erwachenden Metropole das Lächeln
des Wiederbesinnens auf eine große republikanische Epoche zu entlocken. Und das
bedeutet nichts anderes als Spiegelung individueller Freiheit vor dem Hintergrund sozialer
Einbindung in zukunftweisender offener Architektonik, die allgegenwärtig Zugänglichkeit atmet.
Der Zweck dieses Exkurses zielt auf die Erkenntnis, daß alle diese Überlegungen nur
zu tragfähigen Teilkonzepten verdichtet
werden können, wenn es gelingt, die Verkehrsinfrastruktur als ein nicht übergeordnetes,
gleichwohl integratives Gestaltungselement im Sinne einer behutsamen Stadterneuerung
einzusetzen. ln dieser Blickweise
sind die in Abb. 11 zusammengestellten,
städtebaulich gewichteten Kriterien für die
Eignung der Tunnelvarianten entworfen
worden.
Eine Reihenfolgefestlegung nach vorteilhaften und weniger vorteilhaften Eigenschaften
wird erschwert durch die sich herauskristallisierenden Gemeinsamkeiten und Trends in
den Grundzügen der Trassenührung. Hervorzuheben ist die allen Varianten gemeinsame
Unterfahrung des Standortes Lehrter
Personenbahnhof. Von den peripheren
Trassenführungen im West- und Ostkreuz
wird abgesehen. Ein weiteres gemeinsames
Merkmal ist die von Spree und Landwehrkanal erzwungene Trassenabsenkung im
Kernbereich auf Ebene -2, also Tieflage in
Tunnelbauweise. Bei gemeinsamer Durchfahrung des Lehrter Bahnhofes tritt die tangentiale
Anschmiegung an den Zentralen
Bereich und die darausfolgende Nähe zum
Stadtkern schon fast in den Hintergrund.
Ein anderer Gesichtspunkt ist die Zeitdauer
der Durchquerung des Stadtgebietes von
seiner Grenze bis zum ersten im Zentralen
Bereich gelegenen Haltepunkt, und zwar in
Abhängigkeit von der Trassenführung aus
unterschiedlichen Verkehrsrichtungen
(“Relationen"). Hier ergeben sich Abstufungen, die tabellarisch zugeordnet werden
können. Ähnliches gilt für die Verknüpfungen mit den Subsystemen des öffentlichen
Nahverkehrs.
Läßt sich auf Dauer die kurvenreiche und
für einen Hochgeschwindigkeitsverkehr deshalb weniger geeignete Stadtbahntrasse irı
geeigneter Weise umfahren, ohne den Zentralen Bereich vom hochwertigen Schienenfernverkehr
in der Zugfolgedichte und einem umsteigefreien Direktfahrplan zu allen
deutschen und europäischen Hauptstädten
abzuschnüren? Als Fernplanziel mit Optionscharakter wird dies in Variante 4 gegen
einen Investítionsaufpreis angeboten.
Der Aufsatz wind fortgesetzt und abgeschlossen mit einer Abwägung der
Realisierungsbedingungen, mit Kostenabschätzungen, einem
Entwurf zur Erfassung baulicher anforderungen, den offenen Fragen einer Mitwirkung
Ost-Berlins sowie Kriterien für eine Machbarkeitsstudie.
Norbert Krichler
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