Nahverkehr

Verlängerte Fahrzeiten machen BVG-Busangebot unattraktiver

Mit der Einrichtung der Buslinie 100 im November des letzten Jahres führte die BVG bei den Fahrzeiten eine Neuerung ein: Bei allen Fahrten, die zwischen 15 und 18 Uhr beginnen, wird beim 100er nach einem besonderen Fahrzeitprofil für die Hauptverkehrszeit (HVZ) gefahren. Grundsätzlich begrüßt die IGEB die Einführung einer solchen besonderen Fahrzeit, wenn dadurch die Pünktlichkeit der Busse verbessert wird. Außerdem erhöht sich die Merkbarkeit des Fahrplans dadurch, daß der Schnitt zwischen den verschiedenen Fahrzeitprofilen jetzt ab einer bestimmten Fahrt und nicht mehr ab einem bestimmten Zeitpunkt vorgenommen wird.

Der gewünschte Effekt - mehr Pünktlichkeit durch Reserven im Fahrplan - kann jedoch, wie die Erfahrungen beim 100er zeigen, in das Gegenteil umschlagen, wenn die Behinderungen, die Anlaß für die Fahrplanstreckung waren, nur zu bestimmten Zeiten auftreten, Gravierende Verfrühungen oder Bummelfahnen zu bestimmten Tageszeiten sind dann die Folge. Angesichts der Tatsache, daß schon bisher rund die Hälfte aller bei der IGEB eingehenden Kummerkarten Verfrühungen von BVG-Bussen betreffen, muß es beunruhigen, wenn nun zum 4. Februar bei - laut Pressemeldungen - rund 30 Linien die Fahrzeiten zu bestimmten Zeiten fahrplanmäßig verlängert werden sollen.

Abgesehen davon, daß jede Fahrzeitverlängerung attraktivitätsmindernd wirkt, werden vor allem die zu erwartenden Verfrühungen die Attraktivität des BVG-Busnetzes erheblich reduzieren, weil erstens die Berechenbarkeit des Verkehrsmittels, eine für den Fahrgast sehr wichtige Eigenschaft, verloren geht und weil zweitens von den Kunden des öffentlichen Nahverkehrs eine Minute Verfrühung etwa viermal so negativ empfunden wird wie eine Minute Verspätung. Dies zeigten empirische Untersuchungen von Verkehrswissenschaftlern und -psychologen, u.a. der TU Berlin.

Deshalb fordert die IGEB, daß bei der Neufestlegung von Fahrzeiten die planmäßig vorgesehene etwa so lang bemessen sein muß, wie sie von den schnellsten 75% aller Fahrten einer Buslinie in einem bestimmten Zeitabschnitt des Tages eingehalten wird, Dies hat zwar zur Folge, da die anderen 75% der Fahnen zumindest geringfügig verspätet sind, schließt aber die anders offensichtlich nicht zu verhindernden und für Fahrgäste besonders unangenehmen Verfrühungen weitgehend aus.

Selbstverständlich muß bei diesem Verfahren darauf geachtet werden, daß durch ausreichende Pufferzeiten an Umsteigepunkten die Anschlüsse klappen (z.B. planmäßige Wartezeiten von zwei Minuten, wie sie z.Z. an den Umsteigeschwerpunkten im Spätverkehr realisiert sind) und daß durch ausreichende Wendezeiten an den Endhaltestellen die gesetzlichen Pausen für die Fahrer im praktischen Betriebsablauf gewährleistet bleiben.

Zur Verdeutlichung der oben angeführten Anforderungen an fahrgastgerechte Fahrzeitenplanung sind nachfolgend einige Einzelheiten bzw. Beispiele aufgeführt.

  1. Das Verkehrsgeschehen im Individualverkehr in der Stadt verzeichnet von 16 bis 17 Uhr die Stunde mit der stärksten Verkehrsbelastung. Freitags setzt die Rush-Hour etwas früher ein. Dies bedeutet, daß der jetzt für die Linie 100 gewählte Gültigkeitszeitraum der HVZ-Fahrzeit mit allen zwischen 15 und 18 Uhr beginnenden Fahnen zu lang bemessen ist. So würde nach diesem Muster eine um 17.58 Uhr beginnende Fahrt auf der Linie 10 nach der HVZ-Fahrzeit verkehren, obwohl sie erst nach 19 Uhr beendet wird und der dichte Straßenverkehr längst vorbei ist. Die Folge wird sein, daß vor allem Busse, die im Bereich von 17.30 Uhr bis 18.30 Uhr verkehren, extrem zu früh fahren werden, weil der Fahrer keine Chance mehr bekommt, die überflüssig Fahrzeitminuten abzubummeln. Unsere Forderung lautet daher, daß in die HVZ-Fahrzeit nur Fahrten einzubeziehen sind, die nach 15.30 Uhr enden und die vor 17.00 Uhr beginnen. Auch sollte man jede einzelne Linie genau überprüfen, ob auf dieser für die HVZ überhaupt ein eigenes Fahrzeitprofil nötig ist. So wird für viele Linien in den Außenbezirken sicher keine HVZ-Fahrzeit erforderlich sein. Dies erleichtert auf diesen Linien den Fahrgästen gleichzeitig die Merkbarkeit des Fahrplans.
  2. Die Fahrzeiten der Linien, die von Berlin aus in das Umland verkehren, müssen endlich in Abhängigkeit von der Tageszeit gestaltet werden. Bisher ist dies nur bei den Linien 98 und 99 in Ansätzen verwirklicht. Wohin die Nicht-Anpassung führt, soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Die Linie 92 hat zwischen S-Bf. Falkensee und der Haltestelle Stadtrandstraße zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Fahrzeit von 14 Minuten. Selbst wenn diese 14 Minuten jemals erforderlich sein sollten, an einem Freitag im Januar 1991 um 18.46 Uhr ab Falkensee waren sie es jedenfalls nicht: Der Fahrer fuhr in Falkensee fünf Minuten zu spät ab und erreichte die Haltestelle Stadtrandstraße trotz einer gefahrenen Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h zwei Minuten zu früh, d.h. für diese Fahrt waren mindestens sieben Minuten zu viel Fahrzeit vorgesehen (und sind es immer noch).
    Diese viel zu großzügig bemessenen Fahrzeiten betreffen zu bestimmten Zeiten fast alle BVG-Linien, die das eigentliche Verkehrsgebiet der BVG verlassen.
  3. Fast täglich und zu täglich wechselnden Uhrzeiten sowie mit täglich wechselnder Dauer sind Staus um den Ernst-Reuter-Platz und auf dem Stadtautobahnring zu verzeichnen. Diese beiden Verstopfungen führen zu einer erheblichen Störung der Linien 54, 65 und 90 zu täglich unterschiedlichen Zeiten mit täglich verschiedenen Verspätungen. Die Folge ist eine sehr große Streuung der tatsächlichen Fahrzeiten auf diesen Linien, So kann es bei "geschlossener Gesellschaft" auf dem Ernst-Reuter-Platz vorkommen, daß der eine Bus für den Kreis 15 Minuten Fahrzeit, der nächste aber nur drei benötigt, weil die Konstellation der übrigen Fahrzeuge für ihn günstiger oder aber der Fahrer des zweiten Busses cleverer war. Ähnlich verhält es sich auf dem Stadtring. Derartig große Unterschiede von Wagen zu Wagen bei den realisierten Fahrzeiten lassen sich nicht mehr durch Fahrzeitplanung ausgleichen. Hier helfen nur Ausgleichswagen an den Endstellen, um die auftretenden Verspätungen nicht auf die Gegenrichtung zu übertragen und die Gewährung der gesetzlichen Ruhezeit für das Fahrpersonal sicherzustellen. Jeder Versuch, die extremen Verspätungen in die planmäßige Fahrzeit einfließen zu lassen, muß scheitern, weil er zu Verfrühungen der zufällig gut durchkommenden Wagen führt und somit das Ziel eines zuverlässiger einzuhaltenden Fahrplans verfehlt und eventuell ins Gegenteil verkehrt.
  4. Gesicherten Aufschluß darüber, an welchen Stellen zu welchen Zeiten auf welchen Linienabschnitten die Fahrzeiten zu lang oder zu kurz bemessen sind, kann nur ein Rechnergestütztes Betriebsleitsystem geben, weshalb die IGEB nachdrücklich die forcierte Realisierung eines RBL mit fahrgastwirksamer Einführung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt fordert.

IGEB

aus SIGNAL 1/1991 (Februar 1991), Seite 8-9

 

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