Planung

Berliner Fernbahn-Pläne Fortsetzung der Debatte

Mit dem Beitrag der IGEB Im Westen nichts Neues (SIGNAL 9/90) wurde das am 27. Oktober 1990 von der Senatsverwaltung für Arbeit, Verkehr und Betriebe und der Magistratsverwaltung für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr veranstaltete Berliner Eisenbahnkolloquium kritisch gewürdigt. Ziel dieses Kolloquiums sollte die Fortführung der bereits eingesetzten öffentlichen Diskussion mit breiter Beteiligung sein. Wir möchten daher in Fortsetzungnhierzu zu dem SIGNAL-Artikel Stellung nehmen.

Als Kritikpunkt wurde angemerkt, daß Alternativen zu den vorgestellten Zielvorstellungen der DE-Consult nicht untersucht wurden. Das trifft nicht zu. Vertiefende Untersuchungen von Alternativen sind derzeit in Arbeit, wie es die Bedeutung des zu untersuchenden Themas gebietet. Es ist also nicht zutreffend, daß mögliche Alternativen von vornherein “unter den Tisch gefallen" sind.

Die vorgestellten Ergebnisse sind das Resultat erster Überlegungen. Sie erfolgten entsprechend des zur Verfügung stehenden Zeitraumes - der 9. November 1989 Liegt nur ein Jahr zurück - mit der notwendiglen und möglichen Tiefe und Gründlichkeit. Im übrigen verweisen wir darauf, daß in dem kürzlich vorgelegten 1. Zwischenbericht zur “Verkehrsentwicklungsplanung für die Region Berlin" die alternativen Planungen ausführlich beschrieben und zur Diskussion gestellt worden sind.

Auch wenn die Senatwerwaltung für Arbeit, Verkehr und Betriebe nicht unbedingt mit allen Detailpunkten des Gutachtens übereinstimmt, so werden doch die Hauptaussagen unterstützt.

Hauptziele beim Ausbau des Berliner Eisenbahnnetzes müssen sein:

  • Herstellung ausreichender, zur Zeit nicht vorhandener Kapazitäten zur Abwicklung des zukünftigen Eisenbahnverkehrs sowie
  • kundengerechte Konzeption bei der Linienführung der Strecken und bei der Anzahl und den Standorten der Bahnhöfe unter Berücksichtigung von Zielen der Stadtentwicklung.
Dabei muß die Prämisse gelten, zukünftig den Anteil der Bahn im Regional- und Fernverkehr deutlich zu erhöhen. Umweltschutz, Flächenknappheit, Verkehrssicherheit und Energieprobleme sind Argumente für eine eindeutige Forderung der Bahn.

Es sollte eine heute leider nicht eingelöste Selbstverständlichkeit sein, daß ein Bahnkunde für seine Reise auch einen Sitzplatz vorfindet. Eine große Akzeptanz der Bahn erfordert außerdem eine gute Verfügbarkeit des Angebotes. Beides erfordert ein umfangreiches Zugangebot. Es läßt sich ohne Schwierigkeiten feststellen, daß die vorhandenen Strecken hierfür nicht ausreichen, Neben der Stadtbahn als wichtigste die Stadtzentren berührende Strecke sind weitere Trassen erforderlich. Die oft als Alternative genannte Ringbahn kann die erforderlichen zusätzlichen Kapazitäten nicht bieten. Für den Aus- bzw. Neubau von Gleisanlagen und Bahnhöfen stehen Flächen nicht zur Verfügung. Außerdem könnte mit einer Führung der Fernzüge über die Ringbahn der Systemvorteil der Bahn, ins “Herz der Städte" zu fahren, nicht realisiert werden.

Zu einem weiteren Vorwurf des o.g. Artikels muß festgestellt werden, daß früher einmal Gesagtes nicht unbedingt falsch sein muß. Eine neue Nord-Süd-Fernbahnverbindung erfüllt die Kriterien ausreichender Kapazitäten und nachfragegerechter Linienführung in optimaler Weise. Selbstverständlich ist dabei auf stadt- und umweltverträgliche Trassierung und Baudurchführung zu achten. Ein zukünftiger Lehrter Bahnhof als Verknüpfungspunkt zwischen Stadtbahn und Nord-Süd-Verbindung soll nicht die Funktion eines “Hauptbahnhofes" erhalten. Er soll vielmehr ein innerstädtischer Fernbahnhof neben anderen sein, der zudem ein optimales Umsteigen zwischen den Zügen ermöglicht. Innerstädtische Bahnhöfe liegen in der Nähe wichtiger städtischer Funktionen und erreichen damit einen großen Kundenkreis. Sie sind außerdem mit dem ÖPNV gut angebunden.

Bei der Standortdiskussion von Bahnhöfen wird jedoch leider oft nur das Kriterium möglichst kurzer Fahrzeiten von Bahnsteigkante zu Bahnsteigkante angeführt. Tatsächlich entscheidend bei der Verkehrsmittelwahl ist jedoch die Reisezeit von Haustür zu Haustür. Hierbei spielt die Bequemlichkeit beim Erreichen des Bahnhofes gerade für Fernreisende mit entsprechendem Gepäck eine zentrale Rolle. Bei der Standortsuche und der Festlegung der Anzahl der Fernbahnhöfe ist daher die polyzentrische Stadtstruktur Berlins entsprechend zu berücksichtigen.

Aus diesem Grunde setzt sich die Senatsverwaltung für Arbeit, Verkehr und Betriebe für mehrere Fernbahnhöfe ein, die auch periphere Stadtgebiete mit entsprechendem Einzugsbereich berücksichtigen. Es wird wenig Fahrgäste aus Nauen, Wustermark oder Spandau geben, die erst zum Bahnhof Zoologischer Garten fahren, um dann nach langer Anreise in entgegengesetzter Richtung im Fernzug Richtung Hannover zu fahren. Die Erfahrung hat gezeigt, daß durch einen Verkehrshalt in der Nähe größerer Kundenkreise insgesamt mehr Fahrgäste gewonnen werden, als durch die verlängerte Fahrzeit infolge eines zusätzlichen Haltes verlorengehen. Dies ist übrigens ebenfalls ein Bereich, der speziell für die Berliner Verhältnisse noch vertieft untersucht werden muß. Ein Konzept von mehreren dezentralen Fernbahnhöfen hat stadtstrukturelle Vorteile und vermeidet zudem unnötigen Verkehr in ohnehin überlastete, sensible Stadtinnenbereiche.

Bis zur Realisierung der diskutierten Zielplanung vergehen leider noch mehrere Jahre. Erweiterungen von Kapazitäten der Bahnanlagen sind wegen des angestiegenen und weiter ansteigenden Verkehrs jedoch unabdingbar. Wenn die Bahn nicht vollends in Bedeutungslosigkeit versinken soll, sind daher auch kurzfristig Erweiterungen notwendig, die eine stufenweise Realisierung der Zielplanung ermöglichen. Dieser aktuell zusammen mit der Deutschen Reichsbahn zu erarbeitende Komplex war allerdings nicht Thema des Berliner Eisenbahnkongresses.

Senatsverwaltung für Arbeit, Verkehr und Betriebe

aus SIGNAL 1/1991 (Februar 1991), Seite 12

 

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