Planung

Fehlinvestitionen auf dem Außenring?

Wie kürzlich von der Deutschen Reichsbahn zu erfahren war, plant sie den Ausbau eines Teilstücks des Berliner Außenrings auf eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Jedermann weiß jedoch, daß der Außenring ein politisches Bauwerk ist, mit dem das ehemalige West-Berlin umfahren werden sollte. Diese Aufgabe erfüllt er heute auch noch, aber nicht mehr aus politischen, sondern aus technischen Gründen, weil die Strecken ins ehemalige West-Berlin teilweise nicht mehr befahrbar sind. Da stellt sich natürlich die Frage, ob eine weitere Investition für eine höhere Geschwindigkeit auf dem Außenring sinnvoll ist, oder ob nicht besser in den Wiederaufbau der nicht mehr befahrenen Strecken investiert werden sollte. Konkret geht es um den Streckenabschnitt westlich des Bahnhofs Schönefeld, in Richtung Potsdam.

Zugegeben, der Berliner Außenring ist derzeit einer der am stärksten belasteten Streckenabschnitte der Deutschen Reichsbahn. Und er ist einer der am besten ausgestatteten: Hier gibt es automatischen Streckenblock mit geringen Blockabständen, und die Höchstgeschwindigkeit beträgt heute schon 120 km/h - bei es leider auch auf den Hauptstrecken der DR nicht selbstverständlich. Technisch ist der Außenring also für einen Ausbau für höhere Geschwindigkeiten geeignet.

Doch ist das eine Investition in die Zukunft? Leider nein. Der Reiseverkehr auf dem genannten Abschnitt wird nämlich stark zurückgehen. Die heute dort verkehrenden Züge aus den Richtungen Magdeburg und Stendal fahren schon ab Juni zum größten Teil durch West-Berlin, Auch die Züge aus Richtung Aschersleben - Dessau werden nach dem Streckenausbau über Drewitz - Wannsee nach Berlin hineingeführt. Übrig bleiben die Züge von Leipzig und Halle, die noch den Umweg über Schönefeld fahren müssen. Aber weil die Anhalter Bahn die wichtigste Fernstrecke im Berliner Raum ist, sind die Chancen für den baldigen Wiederaufbau der direkten Strecke durch West-Berlin über Lichterfelde Ost mit einem provisorischen innerstädtischen Bahnhof angesichts der einzusparenden Fahrzeit relativ günstig. Diese Strecke könnte später dann in den geplanten Nord-Süd-Fernbahntunnel oder auf den Berliner Innenring geführt werden.

Lediglich die Züge aus Richtung Dresden, deren direkte Führung durch West-Berlin komplizierter ist, da ohne Flächenerwerb oder sehr aufwendige Baumaßnahmen eine von der S-Bahn getrennte Führung nicht möglich ist, werden auf absehbarer Zeit weiter über den Außenring fahren. Doch sie benutzen ihn nur auf einem kurzen Stück zwischen der engen Verbindungskurve Dresdener Bahn/Außenring und dem Bahnhof Schönefeld, auf dem sie wohl kaum auf 160 kmh beschleunigen würden. Außerdem wird Regionalverkehr zwischen der Landeshauptstadt Potsdam und dem Flughafenbahnhof Schönefeld auf dem Außenring verbleiben. Durch die häufigen Halte kommen die Regionalzüge aber nicht oder höchstens auf kurzen Abschnitten auf 160 km/h, so daß die Fahrzeitersparnis denkbar gering ausfiele.

Ebenfalls auf dem Außenring abgewickelt wird zukünftig wohl der Güterverkehr. Dieser hat dort schon heute einen recht großen Anteil. Doch auch er rechtfertigt (noch) keinen Ausbau für 160 km/h. Denn Güterzüge fahren bei der DR meist nur 80 bis 100 km/h. Selbst bei sofortiger Angleichung des technischen Standards an DB-Verhältnisse reichen 120 km/h aus, denn auch die DB fährt Güterzüge nur mit maximal 120 km/h. Lediglich auf der Relation Bremen/Hamburg - Stuttgart/München wird ab dem kommenden Fahrplanwechsel über die Neubaustrecke mit 160 km/h schnellen Güterzügen gefahren. Bis diese aber auch woanders - im Ruhrgebiet oder auf dem Berliner Außenring - ankommen, dürften noch einige Jahre wenn nicht Jahrzehnte ins Land gehen.

Aus diesen Gründen spricht sich die IGEB gegen einen Ausbau des Berliner Außenrings für 160 km/h zum jetzigen Zeitpunkt aus. Die für diese Maßnahme bereitstehenden Gelder wären sinnvoller im Aufbau der Anhalter Bahn inklusive einem provisorischen Fernbahnhof an der Papestraße oder der Yorckstraße angelegt. Der Wiederaufbau der Anhalter (Fern-)Bahn ist nach IGEB-Auffassung nämlich das vordringlichste Bauvorhaben, das möglichst schnell in Angriff genommen werden muß - neben den ohnehin geplanten Bauvorhaben wie der Hamburger Bahn, der Wetzlarer Bahn (über Drewitz) und der Neubaustrecke Berlin - Hannover.

IGEB

aus SIGNAL 2/1991 (März 1991), Seite 14-15

 

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