Nahverkehr

Für die Pankower Straßenbahn

Während in vielen Städten im In- und Ausland Straßenbahnen wegen ihrer Stadt- und Umweltverträglichkeit verlängert oder sogar völlig neu eingerichtet werden, arbeitet die BVG an Stillegungsplänen, so z.B. für das Netz im Nord-Berliner Raum, die sogenannte Pankower Straßenbahn. Nach der bereits für 1992 vorgesehenen Stillegung der Linie 71 zwischen Heinersdorf und Prenzlauer Promenade soll 1993 dann die Linie 22 nach Rosenthal eingestellt werden. Für 1998 ist die Einstellung der beiden anderen Pankower Straßenbahnlinien 46 und 49 vorgesehen. Wie wenig zukunftsorientiert diese Stillegungsabsichten der BVG jedoch sind und wie sehr sie einer fachlichen Grundlage entbehren, soll nachfolgend deutlich gemacht werden. Die IGEB fordert nicht nur den Erhalt der Pankower Straßenbahn, sie zeigt auch Wege zur Attraktivierung durch kurz-, mittel- und langfristig zu realisierende Maßnahmen.

Anlaß für die BVG-Stillegungspläne ist die geplante U-Bahn-Verlängerung (U2) von Vinetastraße bis Pankow, Kirche. Im Bau befindet sich ein ca. 500 m langes Teilstück, das als Zuführung zur bisher geplanten U-Bahnbetriebswerkstatt in der Granitzstraße dienen sollte. Nach den jüngsten Aussagen des Verkehrssenators ist z.Zt. jedoch weder die Finanzierung der Betriebswerkstatt noch der Bau eines neuen U-Bahnhofs am S-Bf. Pankow geschweige denn eine Verlängerung bis nach Pankow, Kirche vorgesehen. Da die BVG genau mit dieser Verlängerung bis Pankow, Kirche für ihre Straßennahn Stillegungspläne argumentiert, müßte sie die Stillegung zumindest zurückstellen.

Straßenbahn
Foto: M. Horth
Straßenbahnstrecke
Auch die Trasse der Linie 49 erfüllt - mit Ausnahme der Gleislage - schon heute die Anforderungen eines modernen Straßenbahnbetriebes. Es drängt sich der Verdacht auf, daß hier wieder einmal Straßenbahnverbreiterungspläne der eigentlich Stilllegungsanlaß sind. Foto: M. Horth

Aber selbst wenn eines fernen Tages Gelder für diese U-Bahn-Verlängerung zur Verfügung gestellt werden sollten, bleibt es immer noch das Geheimnis der BVG, wie sie mit einer U-Bahn-Verlängerung um 1,5 km ein ca. 15 km langes Straßenbahnnetz in Pankow gleichwertig ersetzen will. Gerade hier verlaufen die - wenn auch abschnittsweise eingleisigen und erneuerungsbedürftigen - Strecken zum überwiegenden Teil auf eigenen, vom Straßenverkehr abgegrenzten Trassen und bilden damit eine wesentliche Grundlage für ein zur modernen Stadtbahn aufzuwertendes Verkehrssystem.

Wenn BVG-Direktor Lorenzen die Fahrgastzahlen auf den einzelnen Linienasten als zu gering bewertet, verkennt er einen wesentlichen Vorteil einer modernen Straßen- bzw. Stadtbahn: Ein Stadtbahnsystem zeichnet sich gerade durch Verästelungen von einer star befahrenen Stammstrecke aus, wodurch eine gute Flächenerschließung ohne Umsteigezwänge möglich wird. Dabei weisen die einzelnen Linienäste zwangsläufig geringere Fahrgastzahlen auf. Und was bei der BVG bisher offenbar überhaupt nicht bedacht wurde: Durch die vorgesehenen Wohnungs- und Gewerbeflächen, die in den unmittelbaren Einzugsbereichen der bestehenden Straßenbahnstrecken geplant sind, wird das Fahrgastpotential in den nächsten Jahren erheblich vergrößert.

Zur kurzfristigen Attraktivierung des Pankower Straßenbahnverkehrs ist lediglich der Bau von 1 oder 2 Unterwerken (Kosten ca. 1 bis 2 Mio. DM) zur besseren Stromversorgung erforderlich, damit die bereitstehenden neuen Tatra-Straßenbahnzüge eingesetzt werden können. Diese würden den Fahrgästen schon eine erhebliche Komfortsteigerung gegenüber den jetzt eingesetzten Fahrzeugen bringen. Als Alternative dazu bietet sich bis zum Einsatz von modernen Stadtbahnfahrzeugen die Anschaffung von Gebraucht-Fahrzeugen anderer Straßenbahnbetriebe an, auf die an anderer Stelle noch eingegangen wird.

Linie 22 nach Rosenthal

Die von der Friedrichstraße über Schönhauser Allee und Pankow, Kirche verkehrende Linie 22 fahrt nach ihrem Abzweig am Kurt-Fischer-Platz durch die Friedrich-Engels-Straße auf überwiegend eigener Trasse bis nach Rosenthal. Während die derzeitige Besiedlung entlang der Strecke vergleichsweise dünn ist, werden schon jetzt im Einzugsbereich der Strecke Wohnungsbauten projektiert. Ein Nachteil dieser Anfang der 80er Jahre erneuerten Strecke ist ihre überwiegende Eingleisigkeit, was allerdings durch zahlreiche Ausweichstellen zumindest teilweise kompensiert wird. Doch auch eine durchgehend zweigleisige Strecke kann problemlos gebaut werden, was bei steigenden Fahrgastzahlen durch Neubauten an der Strecke mittelfristig erforderlich sein wird. Die Vorausetzungen für die Zweigleisigkeit wurden beim Umbau vor einigen Jahren schon geschaffen, die Umsetzung scheiterte nur an den damals fehlenden Baukapazitäten.

Aufwendiger als ein Straßenbahnausbau wird dagegen deren Stillegung. Die Voraussetzung dafür ist nämlich ein bustauglicher Ausbau der z.T. nur 5,10 m breiten Friedrich-Engels-Straße. Dieser Ausbau kostet nach Angaben des Bezirksamtes Pankow nicht weniger als 20 Mio. DM! Für diese Summe wäre fast schon eine Straßenbahn-Verlängerung von Rosenthal über den Wilhelmsriher Damm bis zum S-Bf. Wittenau (Nordbahn) zu finanzieren, die den Bewohnem des Märkischen Viertels sehr viel schneller ein Angebot auf der Schiene bringen kann, als es mit der U-Bahn-Linie 8 der Fall sein wird.

Linie 46 nach Niederschönhausen

Die aus Niederschönhausen, Schillerstraße kommende und durchgehend zweilgleisige Strecke der Linie 46 führt ab Kurt-Fischer-Platz parallel zur Linie 22 über Pankow, Kirche und Schönhauser Allee bis zur Friedrichstraße/Am Kupfergraben. Z.Zt. liegen die Gleise im Abschnitt Grabbeallee - Dietzgenstraße - S-Bf. Pankow in der Fahrbahn. Zur Beschleunigung der Straßenbahn ist eine Abtrennung vom Straßenverkehr an den entscheidenden Stellen (zunächst durch Fahrbahnmarkierungen) kurzfristig möglich. Die Einrichtung von gesicherten Haltestellenbereichen ist problemlos und z.T. mit Hilfe von Ampelanlagen möglich. Wichtig auch hier: Der Flächennutzungsplan-Entwurf des Bezirksamtes Pankow sieht umfangreiche neue Wohnbaugebiete im Einzugsbereich der bestehenden Straßenbahnstrecke in der Dietzgenstraße vor, wodurch das Fahrgastpotential zukünftig erheblich großer sein wird.

Strecke
Foto: M. Horth
Straßenbahn
Linie 22 nach Rosenthal. Die Strecke erfüllt schon heute wichtige Anforderungen eines modernen Straßenbahnbetriebes. So gibt es zum Beispiel lange Abschnitte mit eigene Trasse. Begegnungsmöglichkeiten (Bild oben) erlauben einen atraktiven Betrieb trotz überwiegend eingleisiger Strecke, und bei Bedarf kann sofort mit dem zweigleisigen Ausbau begonnen werden (Bild unten) Foto: M. Horth

Linie 49 nach Buchholz

Die Linie 49 entspricht hinsichtlich ihrer Trassierung schon heute weitgehend den Kriterien einer modernen Stadtbahn (für den Zustand der Gleise gilt das leider noch nicht). Schon heute können die Schienenfahrzeuge an vielen Stellen an den sich trasse paralleler Autobahn stauenden Autos ungehindert vorbeifahren, z.B. in der Pasewalker Straße. Es wäre ein Schildbürgerstreich, der fatal an die überwunden geglaubte Verkehrspolitik der 50er und 60er Jahre erinnert, wenn dem öffentlichen Verkehrsmittel hier die bestehende eigene Trasse weggenommen würde und die ÖPNV-Benutzer in den dann im Stau steckenden Bus gezwungen würden. Und was für die anderen beiden Pankower Äste gilt, wird bei der 49 doppelt ins Gewicht allen: Durch die geplanten umfangreichen Wohnungsbauten sowie große Handelsstandorte (z.B. Ikea) werden sich die Fahrgastzahlen zukünftig mehr als verdoppeln. Zur Verkehrserschließung dieser neuen Wohngebiete sollte von vornherein die umweltfreundliche Stadtbahn vorgesehen werden, die z.B. durch das Abzweigen einer zweiten Linie und durch eine Verlängerung über die bisherige Endstelle in Buchholz entsprechend der Siedlungsprojekte weiterentwickelt werden kann.

Erschließung der Schönhauser Allee

Unverzichtbar ist auch die Beibehaltung und Attraktivierung des von allen drei Straßenbahnlinien befahrenen Abschnitts in der Schönhauser Allee, damit diese wichtige Einkaufsstraße auch weiterhin ohne Umsteigezwang aus dem Pankower Norden und den angrenzenden Gebieten erreichbar beibt. Die bestehende U-Bahn-Linie mit ihren großen Bahnhofsabständen von über 1 km bietet nur eine ungenügende Flächenerschließung. Deutlich wird dies auch an der fehlenden Umsteigemöglichkeit zwischen der U-Bahn und der wichtigen Straßenbahn- und zukünftigen Stadtbahnstrecke in der Bornholmer bzw. Wisbyer Straße.

Durch den Einsatz von modernen Zweirichtungsfahrzeugen könnte die Mittelpromenade der Schönhauser Allee als Haltestelleninsel genutzt werden, so daß das Aussteigen zukünftig nicht mehr auf der Fahrbahnseite erfolgen muß.

Darüber hinaus schlägt die IGEB eine bessere “Vernetzung" der Pankower Linien mit dem übrigen Straßenbahnnetz vor, da somit für weitere Fahrgäste der Zwang zum Umsteigen entfallen würde. So sollte eine der aus Pankow kommenden Linien über die Wisbyer Straße nach Weißensee fahren und eine zweite über die Dimitroffstraße nach Friedrichshain. Erforderlich dafür ist ledich der Einbau von Weichen.

Kurzfristige Maßnahmen

Damit die Potentiale des Pankower Straßenbahnnetzes auch genutzt werden können, sind BVG/BVB und die Senatsverkehrsverwaltung gefordert, kurzfristig zu handeln. Die z.Zt. dem Fahrgast angebotenen Reko-Fahrzeuge spotten jeder Beschreibung und werden den Gegnern der Straßenbahn stets Argumente liefern. Benannt wurde schon die Notwendigkeit zur sofortigen Verbesserung der Stromversorgung als Voraussetzung zum Einsatz neuerer Fahrzeuge. Hingewiesen werden muß aber auch auf den Gebrauchtwagenmarkt für Straßenbahnen: Mehrere westdeutsche Betriebe bieten in für alle drei Pankower Linien ausreichender Stückzahl hier einsetzbare Straßenbahnfahrzeuge an, die zwar nicht den Komfort und die technischen Errungenschaften moderner Stadtbahnwagen aufweisen, aber eine wesentliche Verbesserung gegenüber den z.Zt. eingesetzten Reko-Fahrzeugen darstellen würden.

Die Entscheidung sollte dabei zugunsten von Zweirichtungsfahrzeugen fallen, da mit ihnen sofort eine Verbesserung der Zustiegssituation in der Schönhauser Allee möglich wäre. Auch das im nächsten Jahr auftretende Problem Friedrichstraße kann damit gelöst werden: Durch die erforderliche Erneuerung der Weidendammer Brücke wird 1992 ein Befahren der Schleife Am Kupfergraben nicht mehr möglich sein. Aber mit Zweirichtungsfahrzeugen könnten dann die Linien 22 und 46 weiterhin bis in die Friedrichstraße verkehren und eine provisorische Endhaltestelle unmittelbar nördlich der zu erneuernden Spreebrücke erhalten. Damit wäre die direkte Erreichbarkeit der Friedrichstraße aus Pankow und aus Teilen von Prenzlauer Berg auch während der Bauarbeiten gewährleistet, was sonst nur durch mehrmaliges Umsteigen möglich wäre. Mit einem kurzen Fußweg über die vorgesehene provisorische Fußgängerbrücke wäre schließlich auch die Stadtbahn weiterhin erreichbar.

Bonner Gelder stehen zur Verfügung

Die vorgeschlagenen und alle anderen Investitionen in die Straßenbahn kosten natürlich Geld. Doch dieses steht zur Verfügung, denn Bonn hat für das Gebiet der ehemaligen DDR viele Millionen bereitgestellt, die noch 1991 verbaut werden müssen. Maßnahmen, die zuvor ein Planfeststellungsverfahren erfordern, kommen deshalb nicht in Frage. Es bleibt also nur die Möglichkeit, begonnene Bauarbeiten fortzusetzen oder kleine Arbeiten zu finden, die kein Planverfahren erfordern. Da es in Ost-Berlin (und nur dort können die Gelder eingesetzt werden) nicht genug laufende Baustellen gibt, drängen sich Investitionen zur Modernisierung der Straßenbahn geradezu auf. Oder Berlin - wie schon einmal im Jahre 1987 - wieder Bonner Gelder verschenken?

IGEB

aus SIGNAL 3/1991 (April 1991), Seite 7-10

 

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