|
Früher, als bekanntlich alles schlechter war,
war bei Bahnen die 3. Klasse leicht an einem
Merkmal zu erkennen: ungepolsterte Sitze.
Wer arm – oder auch nur geizig – war, hatte
halt auf nacktem Holz Platz zu nehmen.
Heute, wo bekanntlich alles besser ist, gibt
es solche Separation nach dem Geldbeutel
bei der BVG nicht mehr: In der Berliner
U-Bahn hat künftig jeder mit ungepolsterten
Sitzen vorlieb zu nehmen, einerlei, ob er
Stamm- oder Gelegenheitskunde ist, zum
normalen, ermäßigten oder etwa nur zum
Kurzstreckentarif fährt.
Die Einführung harter Sitze bleibt jedoch
ein inkonsequenter Schritt, wenn er nicht geschickt
verkauft wird. Wobei die erste Regel
ist: Gute Reklame und Öffentlichkeitsarbeit
deutet eine jede Verschlechterung zu einer
Verbesserung um. Das fängt schon bei den
Vokabeln an: „Hartschalensitze“ geht ja nun
gar nicht. „Plastiksitze“ ist mindestens genauso
schlimm – so sehr unsere Gesellschaft auf
Kunststoff angewiesen ist, so wenig schätzt
sie ihn. Besser als „hart“ klingt „stabil“. Noch
besser: „fest“. Das ist so schön doppeldeutig:
Ein Fest, auf festen Sitzen zu sitzen! Aber:
„Festsitze“ ist noch zu simpel. „Festform“
kommt besser. Und wenn wir sowieso schon
dabei sind, sagen wir statt „Sitze“ lieber „Sessel“.
Klingt viel bequemer. Zwar unterscheiden
sich Sessel gerade durch ihre Polsterung
von anderen Sitzgelegenheiten, aber wen
kümmert denn Logik oder Ehrlichkeit, wenn
es darum geht, etwas zu verkaufen – zumal
eine Verschlechterung?
Im zeitgenössischen Wichtig-wichtig-
Schwatz heißt Verbesserung bekanntlich
„Optimierung“. Wir schreiben also: „Die BVG
bietet bei der Berliner U-Bahn künftig optimierten
Reisekomfort durch Festformsessel.“
Und dann sind die harten Dinger (zumindest
die bislang bereits eingebauten) doch auch
unten und hinten so vertieft – wo sich zuvor
vier Leute auf eine Dreierbank quetschen
konnten, ist nun die Zahl der Nutzer ebenso
vorgegeben wie deren Abstand zueinander.
Schreiben wir folglich weiter: „Statt auf instabilen
Bänken können die Fahrgäste fortan
auf ergonomisch an die Körperform angepassten
Einzelsitzen Platz nehmen, deren auf
den individuellen Nutzer zugeschnittene Gestaltung
Konflikte über den angemessenen
Abstand zwischen Sitznachbarn vermeidet
und somit zur Reduzierung des großstädtischen
Aggressionspotenzials beiträgt.“ – Nee,
„Aggression“ ist nicht gut. Besser: „… einen
wichtigen Beitrag leistet zur Befriedung des
Großstadtalltags.“
Man braucht sich bei der BVG doch nur der
legendären Nummer zu erinnern, als die zunehmende
Demontage von (ohnehin oft und
lange defekten) Rolltreppen verkauft wurde
als fürsorgliche Maßnahme zur Eindämmung
der allgegenwärtigen Thrombosegefahr –
Motto: Treppensteigen ist ja so gesund!
Klar, gleich laufen wäre noch gesünder
und empfiehlt sich ja auch oft, wenn „BVG“
wieder einmal treffend übersetzt werden
kann mit „Bitte viel Geduld“. Aber wer denkt
schon so weit? Da könnte man sich ja gleich
fragen, wie es eigentlich zu den beklagten
großen Vandalismusschäden – die als Argument
für die Rückkehr zu einem Sitzkomfortniveau
aus Kaisers Zeiten herhalten müssen
– kommen kann, wenn doch inzwischen
alles in der U-Bahn, auf den Stationen wie
in den Wagen, flächendeckend durch Kameras
überwacht wird? Bezüglich derer doch
nicht nur Polizeigewerkschaftsfunktionäre,
CDU-Wähler oder „BZ“-Leser glauben können,
irgendwo würde irgendwer sitzen und
ständig auf Dutzende Bildschirme starren,
auf denen zu sehen ist, was die Hunderte
von Kameras einfangen.
Als nächstes verzichten wir dann auf die
Fenster in den U-Bahn-Wagen. Wegen der
hohen Vandalismusschäden und so. Zumal
die Beförderungsfälle ja an mangelnden
Ausblick bereits gewöhnt sind, seit die BVG
die Fenster mit Reklame oder großen Mustern
zuklebt. Der Verkehrsbetrieb könnte
auch plötzlich entdecken, welch immense
Unfallgefahr von den Glasscheiben ausgeht.
Sicherheit kommt immer gut. Und Schutz.
Und deshalb nennen wir die Bleche, die
künftig kostenoptimierend die Scheiben ersetzen
werden: „Sichtschutzblenden“. Jan Gympel
|