Zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2012 endete der Betrieb auf der Strecke der
Rostocker S-Bahn nach Rostock Seehafen Nord. Diese Linie hatte nie die Bedeutung
erlangt, die sich manche von ihr erhofften. Insofern könnte man meinen, dass die
Einstellung außerhalb der betroffenen Region kein sonderlich berichtenswertes Ereignis
wäre. Aber auch hier zeigt sich exemplarisch: Ein unattraktives Angebot nützt
niemandem. Viele Chancen, daran etwas zu ändern, wurden vertan.
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Den langen Bahnsteigen in Rostock Seehafen Nord sieht man an, dass sie einst für lange Züge ausgelegt wurden. Von hier ist noch ein ca. 700 Meter langer ungemütlicher Fußweg zum Passagierterminal der Fähren zurückzulegen. Foto: Florian Müller (Nov. 2012) |
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Der Rostocker Überseehafen wurde Ende
der 1950er Jahre gebaut. Die DDR brauchte
einen Ersatz vor allem für den jenseits der
Grenze gelegenen Hamburger Hafen. Natürlich
erhielt der Hafen auch eine entsprechende
Bahnanbindung, insbesondere für
den Güterverkehr. Die Verbindung zwischen
Berlin und Rostock, die auf vielen Teilstücken
nach dem 2. Weltkrieg sogar komplett
demontiert worden war, wurde zu einer der
modernsten Strecken der DDR ausgebaut,
eine Neubaustrecke von Kavelstorf zum
Überseehafen entstand, und ein riesiger
Güterbahnhof wurde dort gebaut.
Der Personenverkehr von Rostock zum
Hafen hatte vor allem eine Aufgabe: den
Transport tausender Werktätiger. Lange
Doppelstockzüge brachten sie aus der Innenstadt
und den Wohngebieten im Nordwesten
der Stadt zu ihren Arbeitsplätzen.
Planungen aus
DDR-Zeiten sahen einen
dichten S-Bahn-Takt auf der Strecke vor,
doch dazu kam es nicht. Erst seit 1990 wird
die Linie als „S-Bahn“ bezeichnet.
Nach der Wende in der DDR nahm die
Bedeutung für den Berufsverkehr rapide
ab. Im Hafen arbeiten viel weniger Leute als
zuvor, hinzu kam die steigende Motorisierung.
Neues Potenzial ergab sich, weil der
Seehafen zum Abfahrtsort der Fähren nach
Dänemark und später auch zu weiteren Zielen
in Skandinavien wurde. 1995 verkehrte
die letzte Eisenbahnfähre von Warnemünde
nach Gedser, seitdem wird ausschließlich
der autobahnnahe Rostocker Seehafen genutzt.
Neugebautes Gleis zum Terminal wurde
nie genutzt
Doch das Potenzial der Bahn als Zubringer
zu den Fähren wurde nie abgerufen. Ein
Grund liegt darin, dass der Haltepunkt Seehafen
Nord etwa 700 Meter vom Fährterminal
entfernt liegt, und der Weg durch das unwirtliche
Hafengelände kaum Reisende anlockt,
schon gar nicht mit schwerem Gepäck.
Von Anfang an wurden Stimmen laut, das
Terminal direkt an die S-Bahn anzubinden.
Tatsächlich wurden Ende der 1990er Jahre
dorthin Gleise verlegt, die jedoch niemals
planmäßige Personenzüge sahen. Zunächst
wurde auf die fehlende Elektrifizierung
verwiesen. Seit 2003 wird die S-Bahn-Linie
allerdings in Rostock Hauptbahnhof gebrochen.
Zum Seehafen pendeln seitdem Dieseltriebwagen,
die für die geringe Nachfrage
ausreichen. Doch auch diese fuhren nur
den alten Streckenendpunkt am Eingang
des Hafenareals an.
Mehrere größere Innovationspläne wurden
nicht verwirklicht. Mitte der 1990er
Jahre sollte der zentrumsnahe Friedrich-
Franz-Bahnhof wiedereröffnet werden und
damit die Innenstadt direkt an die S-Bahn
anbinden. Doch nach 2000 zerschlugen sich
diese Pläne endgültig. Anlass dafür waren
auch neue Ideen, in und um Rostock ein
Stadtbahnsystem nach Karlsruher Vorbild
aufzubauen. Der Seehafen wäre dabei über
Dierkow (hier bestand jahrelang schon eine
Gleisverbindung über ein Baugleis) direkt
mit der Innenstadt verbunden worden. 2007
wurde das Stadtbahnprojekt jedoch vom
Oberbürgermeister gestoppt.
Fahrpläne nicht abgestimmt
Die fehlende Nutzbarkeit der S-Bahn für Reisende
nach Skandinavien liegt nicht nur an
der Entfernung zwischen Bahnhof und Fährterminal,
sondern auch an der Fahrplanlage.
Die Gedser-Fähren fahren alle zwei Stunden
nach einer kurzen Wende jeweils zur vollen
Stunde. Ebenfalls etwa zur vollen Stunde
kommen die S-Bahnen an und fahren kurz
darauf wieder zurück – also keine Chance,
die Fähre zu erreichen.
Auch an anderen Stellen wurde Potenzial
nicht genutzt, die Verbindung attraktiver
zu machen. Ursprünglich sah die Ausschreibung
zum „Netz Warnow“ vor, dass ab dem
Fahrplanwechsel 2012 wieder direkte S-Bahnen
von Warnemünde zum Seehafen fahren.
Damit wäre für viele Reisende der lästige
Umsteigezwang in Rostock Hbf entfallen.
Doch die im Frühling 2012 bekannt gewordenen
ÖPNV-Streichpläne der Landesregierung
führten dazu, dass die Verbindung
nun ersatzlos gekappt wurde. Kein Denken
in Konzepten, nur ein kurzfristiges Denken
nach der gerade aktuellen Finanzlage.
Stadt Rostock setzt auf Busanbindung
Die Stadt Rostock hat sich niemals sonderlich
Gedanken um eine Verknüpfung der
S-Bahn zum Seehafen mit anderen Verkehrsmitteln
gemacht. Parallel zur S-Bahn verkehrt
oft in gleicher Zeitlage die Buslinie 49,
die im Wesentlichen die gleichen Potenziale
erschließt wie die Bahn: neben dem Hafen
den Rangierbahnhof mit den Werkstätten
der Bahn (die als Kuriosum einen eigenen,nicht in der Fahrplanauskunft enthaltenen
S-Bahn-Haltepunkt haben) und ein kleines
Plattenbaugebiet am Haltepunkt Toitenwinkel.
Am Haltepunkt Dierkow endet die Straßenbahnlinie
4; auch hier: keine Gedanken
an eine Abstimmung mit der S-Bahn.
In den letzten beiden Jahren wurde auch
der Bereich des Fähranlegers umgestaltet.
Die praktisch nicht genutzten Gleise verschwanden
unter eine Asphaltdecke. Damit
hat die Chance auf direkte Züge zur Fähre
erledigt. Fußpassagiere sind in den weitläufigen
Fähranlagen nicht mehr erwünscht
und müssen nun am Terminal in einen Shuttlebus
zur Fähre einsteigen. Freilich hätte
sich daraus auch eine Chance für die Bahn
ergeben: Der die meiste Zeit sowie unnütz
vor dem Terminal abgestellte Bus hätte – bei
gutem Willen und passenden Anschlüssen –
die Reisenden gleich zum Bahnhof bringen
können.
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Lageplan der Hafenanlagen um die Fähranleger. Die regelmäßigen Fähren nach Dänemark und Schweden legen am linken Kai an. Ein Shuttlebus verbindet das neue Passagierterminal mit dem Gedser-Anleger. Karte: OSM, Ergänzungen: Florian Müller |
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Der Bus als Alternative?
Im Jahr 2011 wurde eine direkte Buslinie
40 von der Fähre in die Innenstadt eingeführt.
Doch außerhalb der Saison verkehrt
sie nur als Anruflinientaxi – eine originelle,
aber wenig praktikable Methode für gerade
aus dem Ausland anreisende Fahrgäste.
Hinweise auf der Fähre aus Dänemark auf
dieses Fahrzeug und seine Bestellung: Fehlanzeige.
Für Reisende mit dem Fahrrad ist
diese Buslinie sowieso nicht geeignet, und
selbst in der Saison ist ihre Kapazität auf
40 Reisende beschränkt. Als Fahrschein gilt
das sogenannte easyway-ticket (19 Euro
in eine Richtung, 29 Euro für eine Tageskarte),
im Internet unter www.easy-ticket.
com buchbar. Es gilt außer im Bus zur Fähre
auch auf den anderen Rostocker Linien, für
die Fährfahrt und im Bus nach Nykøbing.
Das ist bequem, aber außerhalb der Saison
teurer als der Kauf einzelner Fahrkarten; so
kostet eine Tageskarte für die Fähre in der
Nebensaison nur 7 Euro. So gut gemeint
dieser Zubringerbus auch sein mag, die restriktiven
Benutzungsbedingungen schrecken
ab. Nicht umsonst stand die Linie
schon mehrfach in ihrer kurzen Geschichte
dicht vor der Einstellung.
Kontrast: Der Bus
von Gedser nach
Nykøbing fährt
übrigens direkt
im Anschluss an
die Fähren direkt
vom Anlegeplatz
der Fähren ab und
ist natürlich zum
regulären Tarif benutzbar.
Daneben verkehrt
stündlich die
Buslinie 45 von Lütten
Klein durch den
Warnowtunnel
zum Terminal und
von dort weiter zu
einer Haltestelle
namens „Langenort
Warnowblick“,
wo man in einen
anderen Bus zum
Dierkower Kreuz
umsteigen kann,
teilweise werden
die Fahrten auch
durchgebunden.
Von Dierkow geht
es mit der Straßenbahn
in die
Innenstadt. Eine
zweite Buslinie, die
bereits erwähnte
Linie 49, verbindet den Seehafen werktags
auf etwas kürzerem Weg mit Dierkow, doch
diese Linie hält wiederum nicht am Terminal.
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Die große Buswartehalle (rechts) am Terminal dient nur den Shuttlebussen zur Fähre. Die Stadtbusse fahren auf der anderen Seite des Vorplatzes ab. Foto: Kai-Uwe Thiessenhusen |
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Hier sollten einmal S-Bahnen zur Fähre fahren. Einige Gleisreste vor dem Terminal liegen noch im Asphalt. Foto: Kai-Uwe Thiessenhusen |
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Fazit
Man mag leicht sagen, die S-Bahn zum Seehafen
wäre entbehrlich, es würde ja keiner
mitfahren. Doch auch hier zeigt sich: Ursache
dafür ist keineswegs nur fehlendes Potenzial.
Ursachen sind auch fehlende Ideen,
einen attraktiven Verkehr anzubieten.
Die Bahnpolitik des Landes Mecklenburg-
Vorpommern ist derzeit nur von kurzfristigen
finanziellen Interessen geprägt. Das
zeigt sich nicht nur an den Angebotsstreichungen
zum Fahrplanwechsel im Lande.
Man sieht es auch daran, dass der fast eine
Milliarde Euro teure Ausbau der Strecke Rostock—
Berlin dank der Angebotsplanung
des Landes nur minimale Verbesserungen in
der Reisezeit für die Fahrgäste bringen wird.
Aber auch die Stadt Rostock ist gefragt.
Für Abstimmungen etwa zwischen den
Bahnangeboten und innerstädtischem
ÖPNV ist sie verantwortlich. Hier fehlen an
vielen Stellen die einfachsten Dinge, z. B.
eine Anpassung der Taktzeiten von S-Bahn
und Straßenbahn/Bus. Hier ist noch viel zu
tun, nicht nur bei der Anbindung des Fährhafens,
der ja eigentlich eine Visitenkarte
der Stadt sein sollte. Kai-Uwe Thiessenhusen
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