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Brandenburger Tor

Ab September 1991, so verkündete im Sommer Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), soll das Brandenburger Tor geöffnet werden, zunächst für Busse und Taxen. Gleiche Absichten äußerten auch seine Kollegen, der Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und der u.a. auch für den Denkmalschutz zuständige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU). Damit wären die Befürworter der Öffnung aber im wesentlichen auch schon aufgezählt. Seit Wochen bläst dieser “Großen Koalition der Unvernunft” ein eisiger Wind ins Gesicht. Fast täglich berichteten die Medien über die Kritik von Bürgern, Verbänden und Politikern an den Plänen zur Toröffnung. So haben u.a. mit dem Fahrgastverband IGEB sowie der Berliner Taxi-Vereinigung (BTV) gerade auch die Gruppierungen, die von der beabsichtigten Öffnung für Busse und Taxen profitieren sollten, die Senatspläne vehement abgelehnt.

Die IGEB sieht mit der Öffnung des Brandenburger Tores für Busse und Taxen keinerlei Vorteile für die Benutzer der BVG/BVB und vermutet darin nur eine Vorstufe zur Öffnung des Tores für den allgemeinen Straßenverkehr. Einzige relevante Buslinie in diesem Bereich ist die Linie 100, die zwischen Zoo und Alexanderplatz verkehrt. Diese Linie dient jedoch fast ausschließlich Touristen, da die parallel verlaufende S-Bahn zwischen den beiden City-Bereichen öfter, schneller und zuverlässiger verkehrt.

Entsprechend ihrer touristischen Aufgabe müßte diese Buslinie deshalb selbst im alle einer Öffnung des Brandenburger Tores auf ihrer jetzigen Wegführung verbleiben, da schlieglich auch das Schloß Bellevue, die Kongreßhalle und der Reichstag weiterhin von dieser Buslinie angebunden werden müssen. Und auch ohne Tordurchfahrt erschließt die Buslinie 100 das Brandenburger Tor schon heute ausreichend.

Sinnvoller sind daher Beschleunigungsmaßnahmen für die Buslinie 100 in ihrem bestehenden Streckenverlauf durch Busspuren z.B. Unter den Linden, in der Otto-Grotewohl-Straße und in der Kurfürstenstraße, wodurch übrigens auch der Taxiverkehr beschleunigt werden würde.

Demo am Brandenburger Tor
Nie wieder Fahrzeugverkehr durch das Brandenburger Tor! forderten auf einer Demonstration am 25.8.1991 die Berliner Verkehrs-, Umwelt- und Fahrgastinitiativen. Foto: M. Horth

Dies fordert auch die Berliner Taxi-Vereinigung (BTV), die für ihre Fahrer ebenfalls keine Vorteile bei einer Durchfahrung des Tores sieht und viel mehr das geschichtsträchtige Tor vom Verkehr freihalten möchte. Wichtig sind aber auch für den Taxiverkehr die Errichtung von Sonderfahrspuren, z.B. auch in der Leipziger Straße.

Zum Chor der Kritiker gehört nicht zuletzt die BVG. Sie hält das Tor zum Durchfahren mit Bussen für ungeeignet. Zwischen den Säulen ist so wenig Platz, daß die “Großen Gelben” das Brandenburger Tor nur im Schrittempo passieren könnten.

Ferner haben sich die Bezirksstadträte von Mitte und Tiergarten gegen eine Öffnung des Tores ausgesprochen, weil auch sie dabei nur den Einstieg in die Öffnung für den allgemeinen Autoverkehr vermuten. Dann, so befürchtet die parteilose Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, werden die Abgase das gerade rekonstruierte Baudenkmal zerstören. Außerdem wird die uneingeschränkte Tordurchfahrt nach Ansicht von Frau Dubrau und von vielen anderen Politikern und Bürgern den Straßenzug Unter den Linden/Straße des 17. Juni in eine lärmende Verkehrszone verwandeln. Auch der CDU-Nachwuchs, die Junge Union, übte heftige Kritik am Senatsplan.

Doch allen Argumenten zum Trotz hält Verkehrssenator Haase an seinem Vorhaben fest. Schließlich hat er sich ja mit der Öffnung der Havelchaussee für den Autoverkehr und mit der Bekämpfung diverser Tempo 30-Zonen schon einen Namen als "Autosenator” gemacht.

Haases Position ist umso unverständlicher, wenn man sich seine Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Manuel Heide (CDU) vor Augen hält: “Insgesamt ist festzustellen, daß vorhandene Straßennetz auch mit kleinteiligen Erweiterungen und Verbesserungen dem anstehenden Verkehrsdruck nicht gewachsen sein kann, so daß Behinderungen nicht ausgeschlossen werden können. Auch eine Öffnung des Brandenburger Tores für alle Verkresarten wird diesen Zustand nicht entscheidend verbessern. Die engen Tordurchfahrten, die zukünftig umnittelbar westlich davor liegende Kreuzung mit der Ebertstraße und die überlastete Entlastungsstraße dürften ebenfalls keinen befriedigenden Verkehrsfluß erwarten lassen." (LPD, 24.7.1991) Die Öffnung des Tores würde also gar nicht die Probleme lösen, deretwegen sie geplant wird!

Aber auch Haases Senatskollegen scheinen die Widersprüchlichkeit ihrer Position noch nicht zu erkennen. Fast alle Planungsexperten, z.B. im Berliner Stadtforum, sind sich einig, daß gerade der Bereich der Friedrichstadt zukünftig vom Durchgangsverkehr freizuhalten ist, um den Dauerstau zu vermeiden, welcher nicht nur den Rest von Aufenthaltsqualtität in den Straßen der Ost-City zerstören würde, sondern auch den Wirtschaftsverkehr zum Erliegen brächte.

Und dann gibt es auch noch die Sowohl-als-auch-Position. In grandioser Unkenntnis der historischen und städtebaulichen Situation sowie der Eigentumsverhaltnisse am Pariser Platz schlagen sie die “enge Umfahrung” vor. Die Fußgänger sollen ihrer Meinung nach das Tor - wie jetzt schon die Siegessäule - durch einen Tunnel erreichen. Völlig vergessen wird dabei, daß sich die Amerikaner, Engländer und Franzosen wohl kaum von ihren la-Botschaftsadressen am Pariser Platz verscheuchen lassen werden, nicht mal durch ein Maßnahmegesetz.

Letzte(Skandal)Meldung: Der Senat hat am 17. September beschlossen, das Brandenburger Tor für Bus- und Taxi-Verkehr freizugeben.

IGEB

aus SIGNAL 7/1991 (September 1991), Seite 4-5

 

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