Nahverkehr

Berliner Sorgenkinder: Verkehrsverbund und S-Bahn

SPD gegen Schaffung eines Unternehmensverbundes

Entsprechend dem Einigungsvertrag soll der Verkehrsverbund Berlin - Brandenburg zum 31. Dezember 1993 gegründet sein. Die entscheidende Frage ist, ob der Verkehrsverbund ein Verbund der Verkehrsunternehmen oder der Gebietskörperschaften werden soll. Der Senat ist der Meinung, daß bis zum genannten Zeitpunkt 31.12.93 ein Gebietskörperschaften-Verbund nicht möglich ist. Ein solcher Kommunalverbund wird frühestens nach fünf Jahren für möglich gehalten. Im Senat wird deshalb mit Hochdruck daran gearbeitet, eine Vorbereitungsgesellschaft zu gründen, um die Ausstattung des Verkehrsverbundes in Angriff zu nehmen. Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist daher Eile geboten.

In einem Unternehmensverbund tragen nur die Unternehmen Verantwortung, wobei es keineswegs gesichert ist, daß sie die finanziellen und verkehrspolitischen Voraussetzungen durch die Gebietskörperschaften erhalten. Ein Gebietskörperschaften-Verbund hätte hingegen den wesentlichen Vorteil, daß die einzelnen Landkreis, Städte und Gemeinden unmittelbar für das Funktionieren des Verbundes die Verantwortung mittragen.

Die Größe des Verbundgebietes sollte den Endpunkten der S-Bahn entsprechen. Die Gebietskörperschaften in Brandenburg können allerdings zur Zeit noch nicht einbezogen werden, da die Gebietsreform noch nicht eingeleitet ist. Trotzdem wäre die Schaffung eines Verbundes der Gebietskörperschaften möglich.

Die SPD rät dringend von der Schaffung eines Unternehmensverbundes ab. Die jetzige Konstituierung einer Vorbereitungsgesellschaft mit dem Ziel, nur einen Unternehmensverbund zu gründen, bedeutet, daß zu einem späteren Zeitpunkt mit Sicherheit erhebliche, Probleme und Belastungen auftreten, wenn dieser Unternehmensverbund in einen Gebietskörperschaften-Verbund umgewandelt werden soll, weil die Interessenlagen dann höchst unterschiedlicher Natur sind und sich möglicherweise einige Gebietskörperschaften aus sehr egoistischen Gründen nicht an einem solchen Verbund beteiligen wollen. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, daß es in westdeutschen Gemeinden zur Zeit eine starke Tendenz hin zur Schaffung von Gebietskörperschaften gibt.

Wir fordern deshalb:

Gründung eines BGB-Gesellschaft der Gebietskörperschaften als Vorläufer des Zweckverbandes. (Der Zweckverband wäre die Endstufe des Gebietskörperschaften-Verbundes, ist aber nicht sofort zu realisieren.) Diese BGB-Gesellschaft hat den Vorteil, daß Berlin und einige der Umlandgemeinden oder Städte sich sofort zusammenschließen können und damit den Status eines Gebietskörperschaften-Verbundes erfüllen. Die BGB-Gesellschaft ist offen und läßt zu späteren Zeitpunkten je nach Entwicklung weitere Mitglieder, nämlich weitere Landkreise und Gemeinden zu.

Die SPD stellt sich vor, daß Grundvertragspartner dieser BGB-Gesellschaft sind:

  1. Das Land Berlin,
  2. das Land Brandenburg und
  3. diejenigen Kreise des Landes Brandenburg, die derzeit bereits einen Beitritt in die BGB-Gesellschaft wünschen. Für diese bürgt das Land Brandenburg. Wir können uns vorstellen, daß insbesondere sofort die Umlandgemeinden Berlins, vor allem aber Potsdam als Grundvertragspartner einer solchen BGB-Gesellschaft beitreten.

Zweiter Schritt: Die BGB-Gesellschaft gründet eine GmbH und beruft einen Geschäftsführer. Der finanzielle und organisatorische Aufwand ist in der Anfangsphase insgesamt gering.

Diese Gesellschaft hat folgende Aufgaben:

  • Aufbau des Verkehrsverbundes Berlin - Brandenburg.
  • Wahrnehmung der politischen Aufgaben, die sich aus den Vorgaben des Aufsichtsrates (Vorläufer der Zweckverbandsversammlung) ergeben.
  • Verkehrs- und Betriebsaufgaben, wie z,B. Marketing, Planung, Tarife, Einnahmeverteilung, Kostenverteilung.

SPD Will S-Bahn nicht dem Bund überlassen, Berlin drohen Millionenverluste

Die vorgesehene Rückgabe der S-Bahn an die Deutsche Reichsbahn wird von der SPD aus mehreren Gründen als äußerst problematisch angesehen.

1. Die EG-Verordnung 18/93 sieht vor, daß der Schienennahverkehr regionalisiert werden muß. Entsprechend geht der Bundesverkehrsminister auch im Hinblick auf die Deutsche Bundesbahn - auf Empfehlung der Regierungskommission - vor. Er beginnt damit, sich der Nahverkehrsbetriebe, die zur Bundesbahn gehören, zu entledigen.

Umso verwunderlicher ist es, daß in Berlin zunächst ein anderer Weg gegangen werden soll. Dies ist nur aus der Sicht des Bundes von großem Vorteil, weil die Einnahmesituation für die S-Bahn sich nach dem Zeitpunkt der Übernahme auf Grund der verkehrlichen Situation mit großer Sicherheit verbessern wird. Darüber hinaus muß vermieden werden, daß die Festlegung des Netzsystems und des Bedienungsstandards ohne Beteiligung Berlins erfolgt. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, in der Berlin keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten mehr auf die S-Bahn hat.

2. Es kann nicht angehen, daß bei der in einigen Jahren notwendig werdenden Rückübertragung der S-Bahn an Berlin die Stadt hierfür gewaltige Summen aufzubringen hat, da die dann gestiegenen Einnahmen als Basis für die Ablösung zugrunde gelegt werden. Kurzfristig und auf den ersten Blick ist es billiger, die S-Bahn abzutreten, langfristig würde sich eine solche Politik aber ins Gegenteil verkehren.

Wir fordern deshalb:

Die Ausgliederung der S-Bahn aus der Deutschen Reichsbahn, die Gründung einer S-Bahn-GmbH bzw. S-Bahn-Betriebsgesellschaft, an der Berlin zu 30%, Brandenburg zu 10% und der Bund zu 60% beteiligt sind. Eine solche S-Bahn-GmbH hätte den Vorteil, daß der Bund zwar mit in der Verantwortung ist, Berlin und Brandenburg aber ein erhebliches Mitspracherecht im Zusammenhang mit den Investitionen, aber auch mit der betrieblichen Gestaltung der S-Bahn hätten.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin

aus SIGNAL 9/1991 (Dezember 1991), Seite 8

 

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