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“Mehr als 1 Milliarde DM ausgeben, ohne
daß der Fahrgast etwas merkt, und die Spaltung
der Stadt wird bis in das nächste Jahrtausend
zementiert.“ Das könnte der Leitspruch gewesen
sein, dem sich die Senatoren Hassemer, Nagel
und Haase verpflichtet fühlen, Wer nämlich
geglaubt hätte, dieses
Trio wäre nach der Kritik am Haushalt 1991
(500 Millionen im Westteil, 250 Millionen
im Ostteil allein bei den Schienenverbindungen)
und der Nichtbeschäftigung mit
der Schließung der durch den Mauerbau
verursachten Lücken im S-Bahn-, U-Bahn-
und Straßenbahnnetz beeindruckt, der muß
enttäuscht sein. Die Spaltung bleibt Berlin
verkehrspolitisch erhalten, die Beschlüsse
des Abgeordnetenhauses werden vom Senat
ignoriert. Mit den Hunderten von Millionen
aus dem Aufschwung Ost werden weiterhin
Bahnhofspaläste im Westteil finanziert.
Auch da, wo schnelle und preiswerte Lösungen
sich geradezu anbieten, bleibt der Senat
bei seinen millionenschweren Planungen
zugunsten der Baulobby und zu Lasten der
Fahrgäste. Auch der kleinere Koalitionspartner
SPD kann allenfalls jammern.
Durchsetzen kann er nichts. Zur Kritik
einzelnen:
1. Auch im Haushalt 1992 werden durch
den Mauerbau bestehende S-Bahn, U-Bahn- und
Straßenbahnlinien ignoriert. So
fehlt jede Finanzierung für die
Lückenschlüsse der S-Bahn zwischen
- Neukölln und Treptower Park,
- Westkreuz - Spandau - Staaken und Falkensee,
- Schönholz - Tegel und Hennigsdorf,
- Lichterfelde Süd und Teltow,
- Gesundbrunnen und Schönhauser Allee sowie
- U-Bahn Schlesisches Tor - Warschauer Straße.
Ferner wird wegen fehlender Planfeststellungsverfahren
auch im Jahr 1992 keine einzige Straßenbahnlinie in
den Westteil Berlins hineingeführt.
2. Die U-Bann-Verlängerung (U8) von Paracelsusbad
zum S-Bahnhof Wittenau bis
1994 ist nach wie vor das Lieblingskind des
Senats. In den nächsten drei Jahren werden
dafür 150 bis 200 Millionen DM ausgegeben.
Damit ist allerdings noch längst nicht
das Märkische Viertel schienenmäßig erreicht.
Bleibt es bei der U-Bahn-Planung
des Senats, wird das Märkische Viertel in
diesem Jahrzehnt nicht mehr erschlossen.
Dabei gibt es eine Alternative, bereits 1994
das Märkische Viertel zu 90% zu erschließen -
ohne zusätzliche Gelder bzw. bei Einsparungen
von ca. 100 Millionen DM: Sofortiger befristeter
Baustopp auf der U8-Nord, Realisierung der
fertiggestellten Verbindung bis Rathaus Reinickendorf,
Umsetzung unseres Antrages zur Verlängerung
der Straßenbahnlinie 22 von Rosenthal
durch das Märkische Viertel bis Rathaus
Reinickendorf mit eingleisisger Verbindungsschleife
durch den Senftenberger Ring.
3. Für die acht Bahnsteigverlängerungen
der U6 sollen 122 Millionen DM ausgegeben
werden. Unabhängig davon, daß die
Summe sich bei Realisierung mindestens
verdoppelt haben wird, gibt es auch hier
Preiswertere und schnellere Alternativen
Einsparung ca. 100 Millionen DM).
- Umstellung des Vier-Wagen-Betriebes auf
einen sofort möglichen Fünf-Wagen-Betrieb,
was eine Kapazitätserweiterung um
25% bedeuten würde.
- Verlängerung der Straßenbahnlinie durch
die Friedrichstraße bis zur Leipziger Straße,
was eine Kapazitätserweitening von bis zu
100% bringen würde. Die Kosten für die 1,2
km lange trecke lägen bei 5 bis 10 Millionen DM.
- Verlängerung der S-Bahn-Linie 2 von
Lichtenrade bis Gesundbrunnen über
Schönholz nach Tegel im 20-Minuten-Takt,
was eine Kapazitätserweiterung von weiteren
25% bedeuten würde. Die Kosten betralgen ca, 8 Millionen DM.
- Durchgehender 3-Minuten-Takt auf der
U-Bahn-Linie 6, was eine Kapazitätserweiterung
außerhalb der Stoßzeiten um 40% bedeuten würde.
4. Der Nordring soll stillgelegt bleiben und
auch im Jahr 1992 von vorbereitenden Arbeiten
verschont werden, Die angesetzten 2
Millionen DM reichen nicht einmal zum
Ausbau der verrosteten Schienenstränge.
Unter rot-grün war die Fertigstellung -
übrigens bei einem Jahresetat von 340 Millionen
DM - bis 1993/94 vorgesehen (zusammen mit der Westbahn).
Bei Verzicht auf
aufwendige Bahnhofsneubauten und mit
den von uns vorgeschlagenen eingesparten
Geldern wäre der Betrieb auf dem Gesamtring
noch 1993 möglich, Voraussetzung ist
allerdings, daß der Nordring als Gesamtausschreibung
betrachtet würde, wie es bei der
Strecke nach Lichterfelde Süd - bisher leider
nur einmal- der Fall ist.
5. Stattdessen wird eine - überflüssige -
Kehr- und Abstellanlage am Bahnhof Hermannstraße
finanziert. Die U-Bahn-Linie 8
bekommt eine umfangreiche Abstellanlage
hinter dem U-Bahnhof Wittenau (Nordbahn).
Der U-Bahn-Betrieb auf der U1 ist
ohne Kehr- und Abstellanlagen an den U-Bahnhöfen
Ruhleben und Schlesisches Tor
möglich. Warum sollte dies nicht ebenfalls
bei der U8 realisiert werden können? Es ergäbe
sich bei Verzicht auf die Kehr- und
Abstellanlage am U-Bahnhof Hermannstraße eine
Kosteneinsparung von jetzt geplanten
75 Millionen DM, die im Laufe der
Zeit sicher ebenfalls auf das Doppelte steigen würde.
6. Während in das derzeit befahrene 71-km-Netz
der S-Bahn im Westteil 80 Millionen
Zusätzlich investiert werden sollen, werden
für Straßenbahn-Gleiserneuerungen im 170-km-Tramnetz
Ostberlins lediglich 26,3 Millionen DM veranschlagt.
Es ist zu befürchten, daß die Einzelausgaben
dem Hauptausschuß, wie in der Vergangenheit,
vorenthalten werden, so daß z.B. eine
Luxusmodernisierung von Bahnhöfen (wie z.B. in Priesterweg,
Westend, Witzleben und anderen)
durch die Bauverwaltung der Kontrolle entzogen wird.
7. Obwohl der Hauptausschuß einstimmig
beschlossen hat, die Abstellanlage Granitzstraße
mit Tunnel nicht zu bauen, findet
sich ein Ansatz von 8,7 Millionen DM wiederum
im Haushaltsentwurf des Senats. Insgesamt
beläuft sich das Projekt mit Werkstatt auf
230 Millionen DM, die eingespart
werden könnten. Dies ist folgendermaßen
möglich:
- Der im Bau befindliche Tunnel nördlich
des U-Bahnhofes Pankow/Vinetastraße
wird als Abstellanlage genutzt.
- Die Werkstatt Ruhleben übernimmt im
Zweischichtbetrieb die Wartung und Reparatur
der Kleinprofil-U-Bahn-Züge, was
nach Durchbindung der U-Bahn-Linie zwischen
Pankow und Ruhleben 1993 möglich wird.
- Anstantt eines neuen Werkstattgebäudes
stellt die BVG/BVB bei der Treuhand
Resititutionsansprüche auf die bis zum Mauerbau
genutzte Werkstatthalle am U-Bahnhof
Warschauer Brücke.
- Die Abstellanlage für 32 U-Bahn-Fahrzeuge
am U-Bahnhof Warschauer Brücke wird
ebenfalls wieder - wie vor dem Mauerbau -
in Betrieb genommen.
8. Eine Beschaffung von neuen S-Bahn-Wagen
(2. Serie der Baureihe 480) oder von
neuen Straßenbahnwagen findet 1992 nicht
statt, obwohl sie von dann mit 60% bezuschußt
wird und dringendst erforderlich ist.
9. Neben den GVFG-Geldern (einschließlich Aufschwung Ost)
werden 1992 keine
zusätzlichen Landesmittel mehr (z.B. Strukturhilfegelder)
in den ÖPNV gesteckt. Der
rot-grüne Senat hatte 1989 die GVFG-Gelder mit
Landesmitteln verdoppelt - allein
170 Millionen/Jahr für West-Berlin. 1992
fließen hingegen massivst Landesmittel in
den Straßenbau. Das Versprechen der
Regierungserklärung - erste Priorität erhält der
ÖPNV - wird in das Gegenteil verkehrt.
Bündnis 90/GRÜNE
Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin
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