Schienenverkehrswochen 1991

Sicherheit im Nahverkehr

Die interessantesten Gesprächspartner der Fahrgäste fehlten: weder die Innen- noch die Verkehrsverwaltung des Berliner Senats waren der Einladung der IGEB zur Diskussionsveranstaltung “Sicherheit im Nahverkehr" gefolgt. Verkehrssenator Haase ließ mitteilen, daß “niemand aus meinem Hause Zeit hat, an der Diskussionsveranstaltung teilzunehmen". (Warum er sich drückte, wurde im Verlauf des Abends deutlich.) Von der BVG waren neben dem Bahnen-Chef Erich Kratky der für die Sicherheitskräfte zuständige Mitarbeiter, Herr Kohlmann-Rogg, erschienen. Die Deutsche Reichsbahn sandte ebenfalls ihren S-Bahn-Chef Gerd Jacob. Der Innensenator ließ sich durch den Polizeipräsidenten vertreten, dieser schickte den 1. Polizeihauptkommissar, Hern Adam, auf das Podium. Für den Berliner Fahrgastverband IGEB e.V. nahm Norbert Gronau als Leiter der Fahrgastabteilung an der Diskussion teil, die vom IGEB-Vorsitzenden Gerhard Curth geleitet wurde.

Die Veranstaltung begann mit einem Vergleich: Im BVG-Bereich sorgen 63 Polizisten, etwa 200 private Sicherheitskräfte und ca. 120 Mitarbeiter des Mobilen Ordnungsdienstes (MOD) für die Fahrgastsicherheit, was Hauptkommissar Adam durch entsprechende Statistiken belegte. So seien von Juni '91 bis August '91 über 14.000 Anzeigen von Sicherheitskräften geschrieben worden, davon allerdings etwa 9000 gegen Schwarzfahrer. Diesen etwa 400 nur um die Sicherheit bemühten Kräften stehen für das gesamte Berliner S-Bahn-Netz der Reichsbahn nur 14 (!) Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes (Bahnpolizei) zur Verfügung. Um hier eine, wie Herr Jacob betonte, dringend erforderliche Verstärkung zu schaffen, wurden die sonst zur Fahrausweiskontrolle eingesetzten Zugrevisoren in den Sicherheitsdienst abgezogen. Weitere 15 Kräfte werden demnächst durch Angehörige eines privaten Wachschutzes gestellt. Da die Deutsche Reichsbahn im Gegensatz zur BVG vom Senat keinerlei Unterstützung für diese Aufgaben erhält, muß sie, so Jacob, diese Maßnahmen selbst finanzieren. Über ABM-Kräfte versucht die DR derzeit, ihr Sicherheitspersonal zu verstärken.

U-Bahn
U-Bahn-Wagen der neuen Serie F90, die seit September im Fahrgastbetrieb eingesetzt werden. Die Fenster in der Tür zum Fahrerraum ermöglichen einen Durchblick von einem Doppeltriebwagen in den nächsten. Dies dient dem Sicherheitsgefühl der Fahrgäste. Die IGEB fordert deshalb, daß in allen älteren F-Wagen die vorhandenen Türen gegen neue mit Fenster ausgewechselt werden. Foto: Th. Billik

Herr Gronau stellte die Sicherheitsforderungen der Fahrgäste vor und wies darauf hin, daß trotz der objektiv immer noch sehr sicheren öffentlichen Verkehrsmittel die subjektive Unsicherheit unter den Fahrgästen erheblich zugenommen habe. Dies könne nicht durch Statistiken, sondern müsse durch Handeln bekämpft werden. Als besonders wichtig nannte Gronau neben personellen Maßnahmen, die jederzeit durch den Senat wieder gestrichen werden können, strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der subjektiven und objektiven Sicherheit der Fahrgäste. Dazu gehörten der Umbau der Zugabfertigerräume zu Glaskanzeln nach DR-Vorbild, der Umbau der Fahrzeuge, um mehr Übersicht zu gewähren und einen direkten Kontakt zum Fahrer zu schaffen, eine wesentliche Verbesserung vor allem der abendlichen Anschlüsse, um lange Wartezeiten zu vermeiden, und die Verbesserung der Fahrgastinformation, insbesondere bei Betriebseinschränkungen. Viele Fahrgäste hätten zudem den Eindruck, daß die Stützpunkte der Sicherheitskräfte, wie z.B. der Bahnhof Zoo, besonders gut “bewacht" würden, während an den Brennpunkten der Kriminalität zuwenig oder gar keine Präsenz gezeigt würde. Fraglich sei außerdem, ob sich in der Hauptverkehrszeit auch noch Sicherheitskräfte in die überfüllten Züge drängeln müßten.

In ihren Erwiderungen gingen Herr Kratky und Herr Jacob im wesentlichen auf die bereits verwirklichten Punkte des IGEB-Konzeptes ein. So werden die wiedereröffneten Bahnhöfe der Linie U2 nach Aussage von Herrn Kratky mit Glaskanzeln versehen. Die neuen U-Bahn-Züge vom Typ F90 böten bereits Durchblick zum Fahrer und zwischen den Wagen; die nächste Generation “H94“ solle auch mit Durchgängen zwischen den Wagen ausgerüstet werden. Herr Jacob wies darauf hin, daß die DR derzeit in einem Sonderprogramm alle Trennwände zu den Dienstabteilen entfernen läßt. Die auf einigen Bahnhöfen praktizierte Fernsehüberwachung wird bei der DR Zug um Zug zugunsten einer direkten Abfertigung der Züge durch Bahnsteigaufsichten abgebaut.

Stimmen aus dem Publikum betonten ebenfalls die Bedeutung der subjektiven Sicherheit für ein angstfreies Fahren. Einigkeit herrschte darüber, daß der Straßenbahn als relativ sicherem Verkehrsmittel in Zukunft eine größere Bedeutung beikommen muß als der unterirdischen, nur durch Treppen und lange, dunkle Gänge zu erreichenden U-Bahn.

Die Veranstaltung schloß mit einer Einladung an die IGEB, an den nächsten Sicherheitsbesprechungen im Haus der BVG teilzunehmen, um sich selbst und für die Fahrgäste ein Bild von den umfangreichen Bemühungen zu machen. Fahrgastvertreter Norbert Gronau bedankte sich für die Einladung und kündigte an, daß zugleich die politische Seite zu stärkerem Einsatz insbesondere nur die Sicherheit in der S~Bahn gebracht werden muß.

IGEB

aus SIGNAL 9/1991 (Dezember 1991), Seite 21-22

 

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