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Derzeit ist es fast unmöglich, in einer Monatszeitschrift wie dem
SIGNAL über die Eisenbahnplanung für Berlin zu schreiben. Denn
fast täglich gibt es einen neuen Stand in den heftigen
Auseinandersetzungen
um das richtige Modell. Dennoch wagt die IGEB nun
den Versuch einer ersten Bilanz, wohlwissend, daß in den rund 10
Tagen zwischen der Fertigstellung dieses Beitrages und der
Auslieferung
des Heftes sich bereits wieder grundlegende Veränderungen
ergeben können.
In der "Verkehrswerkstatt" vom 24. Januar
war es zu erahnen, inzwischen ist es zur Gewißheit
geworden: Senator Haases frohe
Botschaft, Bonn habe dem "Achsenkreuz-Modell"
für Berlins Fernbahnzukunft
grundsätzlich zugestimmt, erwies sich als
voreilig und substanzlos.
Schon in der "Werkstatt" mußte Herr Kalender
von der Senatsverkehrsverwaltung
einräumen, daß das Bundesverkehrsministerium
dringend darum gebeten habe, neben
dem Bahntunnel unter dem Tiergarten
(Lehrter Bahnhof) auch eine Trasse unter
der Friedrichstraße zu prüfen. An der "Verständigung
im Grundsatz" werde das indes
nichts mehr ändern. Skeptiker wurden auf
den 15. Februar verwiesen, denn an diesem
Tag solle die Feinabstimmung mit der Bonner
Konzeptkommission erfolgen.
Was der Regierende Bürgermeister höchstpersönlich
dann am 17. Februar von seiner
Bonn-Visite mitbrachte, war mager: der
Bundesverkehrsminister hatte "zugestanden",
daß im städtebaulichen Wettbewerb
für das Regierungsviertel als "Option" ein
Achsenkreuz am Lehrter Bahnhof berücksichtigt
werden darf. Minister Krause selbst
favorisierte allerdings immer noch einen
zentralen Bahnhof Friedrichstraße - fürwahr
eine detaillierte Feinabstimmung!
Die Vorfrühlings-Sonne der darauffolgenden
Tage brachte dann das ganze Ausmaß
des Dissenses zwischen Berlin und Bonn ans
Licht: strittig sind jetzt nicht mehr bloß zwei
verschiedene Varianten des Achsenkreuzes,
sondern das Modell selbst. Die Bundesregierung
wünscht Alternativ-Vorschläge. Für
Tunnelröhren durch die Innenstadt, an welcher
Stelle auch immer, soll es kein Geld
geben. Außerdem, so wird im Verkehrsministerium
geschätzt, würde die vom Senat
favorisierte Untertunnelung des östlichen
Tiergartens den Bau des Regierungsviertels
um fünf Jahre verzögern.
Auch innerhalb des Berliner Senats gehen
die Meinungen auseinander, ob das Achsenkreuz
überhaupt politisch durchsetzbar ist.
Vor der SPD-Fraktion plädierte Bausenator
Nagel dafür, die Idee fallen zu lassen. Zwar
versicherte Senatssprecher Flämig kurz darauf,
nach wie vor stünden beide Koalitionsparteien
und auch die F.D.P. zum Achsenkreuz,
doch wie aussagekräftig ist das noch?
Formulierungen wie "optimale Lösung",
aber vielleicht nur ein Tunnel als "Vorrat
im Rohbau", verraten Rückzugstendenzen.
Die verkehrspolitische Sprecherin der Berliner
SPD, Frau Zillbach, beharrt auf der
Trasse unter dem Tiergarten, spricht aber
von Flexibilität bei der Wahl der Verknüpfungspunkte
mit dem übrigen Schienennetz.
- Ja wie denn? Sollen die Züge im
Ernst ohne Halt den Lehrter Bahnhof umfahren,
um vielleicht in Gesundbrunnen
oder Papestraße zu stoppen? Wo bleibt
dann die als so wichtig eingestufte Umsteigemöglichkeit
zwischen Nord-Süd- und Ost-West-Verkehr?
Bekanntlich sind bei allen
sonstigen Unsicherheiten wenigstens die
Pläne für den "InterCityExpress" auf der
Stadtbahn sehr konkret.
Von diesem Eiertanz ganz abgesehen: Einige
der von der Scnatsverkehrsverwaltung
vorgetragenen Gründe für den Fernbahntunnel
unter dem Tiergarten waren von Anfang
an fragwürdig. Da wurde behauptet, er
sei mit einem Investitionsvolumen von ca. 5
Milliarden D-Mark die billigste aller untersuchten
Lösungen. Ein konkreter Kostenvergleich
mit den anderen Vorschlägen -
vor allem denen, die auf dem Ausbau des
inneren Eisenbahnrings basieren - wurde
nicht vorgelegt. Deren engangierteste Verfechter
sehen sich bei den im Senatsauftrag
durchgeführten Untersuchungen ohnehin
übergangen. So vermissen sowohl die Bürgerinitiative
Westtangente ("Ring-Konzept
720") als auch die S.T.E.R.N. GmbH
("Zwiebel-Modell") die ernsthafte Auseinandersetzung
mit ihren Konzepten. Ihnen
wird als Nachteil angekreidet, daß sie zwar
Aspekte der Stadtstruktur, zu wenig aber
bahntechnische Belange berücksichtigen.
Beispielsweise seien
zur kreuzungsfreien
Einfädelung der
Fernzüge auf den
Ring sehr aufwendige
Bauten nötig. -
Und beim Achsenkreuz-
Modell? Immerhin
müßten alleine
vier Tunnelröhren
für Fern-, Regional-,
S- und U-Bahn
aufeinander abgestimmt
werden. Die
Erschließung des
Lehrter Bahnhofs
per Straße käme hinzu.
Es würde ein
zentraler Verkehrsknoten
entstehen
mit - nach Auffassung
von Experten
aus dem Hause
Krause - nicht mehr
beherrschbaren Problemen.
Angesichts der buchstäblich
verfahrenen
Planungssituation ist
es doch tröstlich,
was die "Deutsche
Eisenbahn-Consult
Berlin" - immerhin
Verfasserin des Achsenkreuz-Konzepts -
jetzt herausgefunden
hat: Zumindest für
"Olympia 2000"
würden zur Bewältigung
des Besucherverkehrs
der Ausbau
und die Reaktivierung
vorhandener Bahnanlagen ausreichen.
DE-Consult geht davon aus, daß der Fernbahntunnel
im Jahr 2000 noch nicht fertig
ist, aber trotzdem täglich 250 InterCity-, InterRegio-
und andere Fernzüge das
"Grundangebot" bilden, sogar für Sonderzüge
sei dann noch Platz! Fahren sollen sie
über die Stadtbahn und den zweigleisig hergerichteten
Innenring. Allerdings: nötig sei
schon die Wiederherstellung der Lückenschlüsse
auf den wichtigen Zulaufstrecken.
Nachzulesen ist's im "Olympischen Verkehrskonzept
Berlin 2000", einer Zusammenfassung
von Referaten, die am 25. Januar
im Roten Rathaus gehalten wurden.
Der dort residierende Senat zieht daraus
hoffentlich den Schluß, daß zuallererst die
immer noch unterbrochenen Schienenwege
nach und in Berlin wieder funktionieren
müssen. Es wäre fatal und nicht hinnehmbar,
wenn sich das bewahrheitet, was jetzt
als "Kompromiß" gehandelt wird: Bonn hält
daran fest, daß in den nächsten 10 bis 15
Jahren nicht mehr als rund 11 Milliarden
DM für die Fernbahn im Raum Berlin zur
Verfügung gestellt werden, und der Senat
streicht so viele Maßnahmen (darunter den
Südring-Ausbau für Fernzüge und diverse
Bahnhofsprojekte), bis das Geld für die
Realisierung eines viergleisigen Nord-Süd-Tunnels
einschließlich Lehrter Bahnhof
reicht. Damit wäre das eingetreten, was
Skeptiker seit Beginn der Diskussion erwarten:
Schnell realisierbare Verbesserungen
im Eisenbahnreiseverkehr werden zurückgestellt
oder ganz aufgegeben, um irgendwann
zu Beginn des nächsten Jahrhunderts
das reine Achsenkreuz in Betrieb nehmen
zu können - mit einem Lehrter Bahnhof,
der faktisch ein Zentralbahnhof ist. IGEB
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