Planung

Berlin 2000: Kopfbahnhöfe oder keine Bahnhöfe

  • Das Eisenbahnkonzept des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) ist, den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, auf jeden Fall bis zum Jahr 2000 zu verwirklichen;
  • das Konzept ist deutlich preiswerter als alle anderen Konzepte;
  • der nötige Bauaufwand ist sehr viel geringer;
  • neue Verbindungskurven werden für dieses Konzept nicht benötigt;
  • die vorhandenen, planfestgestellten Bahnflächen werden konsequent genutzt;
  • jeglicher Übergriff auf Nicht-Bahngelände kann vermieden werden;
  • die Bahn-Fahrgäste müssen weder unterirdisch fahren noch unterirdisch ein- bzw. aussteigen;
  • die Übersichtlichkeit für den Fahrgast ist groß, da für jede Fernzug-Richtung immer derselbe Bahnhof und sogar derselbe Bahnsteig zuständig ist;
  • dem Fahrgast stehen pro Tag 700 Zugpaare zur Verfügung (aus dem Zentrum in alle Richtungen bzw. umgekehrt);
  • mehr als die Hälfte aller Züge sind für den Regionalverkehr vorgesehen;
  • kein anderes Konzept bietet auch nur annähernd dieselbe Zahl von Zügen;
  • weitere Reserven existieren auf allen Strecken und in allen Bahnhöfen.

Eine lange Kette von unschlagbaren Argumenten, wenn da nicht das "Problem" Kopfbahnhof wäre?!

Skizze
BUND-Regionalverkehrs-Konzept. Jeder durchgezogene Strich steht für eine Regionalbahn-Linie im 1-Stunden-Takt, jeder brochene Strich Tür eine Linie im 2-Stunden-Takt. Grafik: Bund
Skizze
Das Eisenbahnkonzept Berlin 2000 vom Arbeitskreis Verkehr des BUND Berlin. Grafik: BUND

Berlin wird sich also nur für das nach ökologischen, ökonomischen und Fahrgast-Kriterien zweit- oder drittbeste Konzept entscheiden können. Denn Kopfbahnhöfe haben, wie z.B. die Erfahrungen in Leipzig und Frankfurt/M. zeigen, nach betrieblichen Kriterien erhebliche Nachteile. Größter Nachteil in allen deutschen Kopfbahnhöfen ist zweifellos die Tatsache, daß der Bahnhof nur von einer Seite aus angefahren werden kann, was für viele Züge Umwegfahrten bedeutet und im Bahnhofsvorfeld große und teure Brücken- und Weichenanlagen erfordert, die dennoch das Einfahren in jedes Gleis des Bahnhofs nicht ermöglichen.

Nun haben Paris und London und sehr viele andere Städte dieser Welt, mit denen sich Berlin größenmäßig eher vergleichen muß als mit Leipzig oder Stuttgart, nicht nur einen Kopfbahnhof, sondern gleich mehrere. Auch die Franzosen, die ja bekanntlich sehr viel Geld in den Ausbau ihrer Eisenbahn-Struktur stecken, bauen zwar einen Außenring um Paris, denken aber nicht wirklich daran, das Kopfbahnhof-System abzuschaffen. Warum?

Ein System von mehreren Kopfbahnhöfen, das den Zügen aus den verschiedenen Himmelsrichtungen jeweils einen Endbahnhof in der Stadt anbietet, schließt gerade die wesentlichen Nachteile von Zentral-Kopfbahnhöfen wieder aus. Es gibt keine Umwegfahrten, und das aufwendige und raumgreifende Verknüpfen von verschiedenen Strecken wird nicht gebraucht. Die Züge fahren auf separaten Teilsystemen (ein erheblicher betriebstechnischer Vorteil) und auf dem kürzesten Weg direkt in die Stadt. Die einzelnen Bahnhöfe können entsprechend schlank sein, was viele weitere Nachteile vermeiden hilft, die ein großer Zentral-Kopfbahnhof hätte.

Aus Gründen der Stadtverträglichkeit wäre in einer Stadt der Größenordnung Berlins ein zentraler Bahnhof oder ein zentral gelegener Bahnhof, wie sich jetzt der Verkehrssenator ausdrückt, ohnehin abzulehnen. Der gesamte Eisenbahnverkehr in einer funktionierenden Metropole ist viel zu groß, um an einem Bahnhof konzentriert werden zu können.

Nun sind wir in Berlin in der glücklichen Lage, auf Außenring und Stadtbahn über Möglichkeiten der Durchfahrung und der Umfahrung in alle Richtungen zu verfügen. Sehr wichtig ist, daß die Stadtbahn zwischen Zoo und Hauptbahnhof - das wertvollste Stück Eisenbahn in der Stadt - vorrangig für Regionalzüge und ausschließlich für durchgebundene Züge genutzt wird. Mit dem Bau von drei Kopfbahnhöfen auf den Flächen von Anhalter, Lehrter und Nordbahnhof und der optimalen Nutzung von Zoo, Friedrichstraße, Hauptbahnhof und Lichtenberg verfügt Berlin in kürzester Zeit über ein maßgeschneidertes Eisenbahn-Gebilde.

Die Senatsverwaltung für Verkehr will allerdings gar nichts für den Eisenbahnverkehr tun und versucht, mit unrealisierbaren Plänen von dieser Tatsache abzulenken. Das BUND-Konzept stört den Senat gerade deshalb, weil es so schnell, einfach und billig zu verwirklichen ist. Und man denkt im Hause Haase auch nicht etwa daran, dieses Konkzept gutachterlich prüfen zu lassen.

Wenn die Taktik der Senatsverwaltung, anstehende Probleme einfach auszusitzen, noch jahrelang weiter praktiziert werden sollte, dann hätten wir im Jahr 2000 nur die kleinsten Verbesserungen gegenüber der heutigen Eisenbahn-Situation: eine zweigleisige und elektrifizierte Stadtbahn, die nicht mit Regionalzügen befahren werden kann, weil sie von Fernzügen blockiert ist, die zu einem wesentlichen Teil auch noch in Berlin enden. Die Bahnhöfe Charlottenburg, Zoo, Friedrichstraße, Alexanderplatz und auch Hauptbahnhof sind aber gerade für den Regionalverkehr von überragender Bedeutung. Und eine Verbindungsbahn wie die Stadtbahn muß auch im Fernverkehr wirklich zum Schaffen von Verbindungen (z.B. Magdeburg - Potsdam - Cottbus, Halle - Dessau - Frankfurt/O.) genutzt werden!

BUND Berlin
Arbeitskreis Verkehr

aus SIGNAL 2/1992 (März 1992), Seite 10-11

 

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