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18 Jahre war es her, daß der öffentliche
Nahverkehr in West-Berlin bestreikt wurde.
Am 27. April sowie vom 4. bis 7. Mai war es
nun wieder soweit. Die Zeitspanne zeigt,
daß man dieses Ereignis nicht überbewerten
soll und die Verkehrspolitik nicht auf diese
Ausnahmesituation einstellen darf. Wenn
nachfolgend dennoch kritisch auf den Streik
eingegangen wird, dann geschieht es nicht
mit der Intention, das Streikrecht in irgendeiner
Weise infragestellen zu wollen. Anlaß
zu Kritik ist nicht die Tatsache, daß überhaupt,
sondern wie gestreikt wurde.
Es fing mit den überflüssigen Bekundungen
an, daß der Streik sich nicht gegen die
BVG-Fahrgäste richte. Theoretisch war das
richtig, praktisch aber falsch und damit ungeschickt.
Denn natürlich haben nur die
Fahrgäste und nicht etwa Bundesfinanzminister
Waigel oder Finanzsenator Pieroth
unter dem Streik gelitten.
Es ging weiter mit der Ankündigung, der
Streik beginne am 27.4. bzw. 4.5. um Mitternacht.
Wer bis dahin unterwegs sei, könne
sein Ziel noch mit der BVG erreichen. Tatsache
war aber, daß ab 23 Uhr kaum noch
ein Bus zur Endstelle fuhr, weil die Fahrer
um Mitternacht auf den Betriebshöfen sein
wollten, während die S- und U-Bahnen bis
zum fahrplanmäßigen Betriebsschluß gegen
1 Uhr fuhren. Es gibt in solchen Situationen
zwei Möglichkeiten: Entweder informieren
Gewerkschaft und Personalrat die Öffentlichkeit
korrekt, oder sie sagen gar nichts,
weil ein Streik halt nicht in allen Einzelheiten
vorhersagbar ist. Fehlinformationen zu
verbreiten, ist jedoch Schikane. Das muß
den Arbeitnehmern mit derselben Deutlichkeit
gesagt werden wie an anderer Stelle der
Chefetage.
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Während des BVG-Streiks hatte Verkehrssenator Haase die Busspuren aufgehoben, obwohl die ebenfalls auf diesen Sonderfahrstreifen zugelassenen Rad- und Taxifahrer sowie der Rettungsverkehr sie in diesen Tagen besonders dringend gebraucht hätten. Foto: M. Horth |
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Daß der Bahn- und Busbereich der BVG
nicht in ebnen Topf geworfen werden dürfen,
zeigte sich nicht nur zum Streikbeginn,
sondern auch am Ende. Während S- und U-Bahn
nach dem Streikende am Morgen des
8. Mai den Verkehr wieder pünktlich aufnahmen,
klappte es beim Bus nicht. So
konnten die vom Betriebshof Helmholtzstraße
zu besetzenden Umläufe z.T. erst
mittags wieder fahrplanmäßig gefahren werden.
Der Streik offenbarte grundlegende
Unterschiede innerhalb der BVG, was Kenner
des Betriebes allerdings nicht überraschte.
Noch erschreckender war der verkehrspolitische
Offenbarungseid, den die Gewerkschaft
ÖTV mit dem "Wie" des Streikes ablegte.
Sie konzentrierte sich auf die Stillegung
des öffentlichen Nahverkehrs. Erst
später, und dann auch nur für drei Tage,
wurden die West-Berliner Flughäfen lahmgelegt.
Behinderungen des Straßenverkehrs
kamen der Gewerkschaft überhaupt nicht in
den Sinn. Diese unsoziale und umweltfeindliche
Prioritätensetzung im Streue ergänzte
sich hervorragend mit der Entscheidung von
Verkehrssenator Haase, der die Busspuren
aufhob. Dabei "übersah" er, wie in der sonstigen
Busspur-Debatte auch, daß es sich
um Sonderfahrstreifen nicht nur für Busse,
sondern auch für Radfahrer, Taxis und Rettungsverkehre
handelt. Angesichts der vielen
Staus in den Streiktagen wäre die Beibehaltung
der Sonderfahrstreifen also besonders
wichtig gewesen. Doch Herr Haase will
anscheinend keine Chance ungenutzt lassen,
sich als Auto-Senator zu profilieren, selbst
wenn er damit Menschenleben riskiert.
Trotz einiger gravierender Staus im Berufsverkehr
hat Berlin den Streue verkehrlich
relativ gut überstanden. Ist die BVG also
überflüssig? Um solchem Kurzschluß vorzubeugen,
sei abschließend an folgendes erinnert:
- Die wohl größte Gruppe neben den Umsteigern
von der BVG auf Auto oder Fahrrad
war diejenige, die auf Wege ganz verzichtete.
Nur Zyniker werden darin ein gutes
Beispiel für mögliche Verkehrsvermeidung
erkennen können.
- Dank Einsicht und sonnigem Wetter stiegen
sehr viele auf das Rad um, selbst wenn
sie über ein Auto verfügten. Deutlich wurde
dabei aber auch, daß das vorhandene Radwegenetz
für einen solchen Mehrverkehr
völlig ungeeignet ist.
- Auch der Fußgängerverkehr nahm erheblich
zu, ohne daß dieses so augenfällig wurde,
wie bei den Radfahrern. Das zeigt, wie
leistungsfähig die Verkehrsart "Zu-Fuß-Gehen ist.
- Nicht vergessen werden darf, daß es trotz
des Streiks in zahlreichen Relationen öffentlichen
Nahverkehr gab. Neben den örtlichen
Buslinien, die die BVG privatisiert hat,
die aber in diesen Tagen nur wenige Fahrgäste
hatten, gab es mehrere "Notlinien"
mit Privatbussen, die z.T. mehrere tausend
Fahrgäste beförderten. Darüber hinaus
konnten einige West-Berliner auf das Angebot
des Ost-Berliner Netzes (ehemals BVB)
sowie die ViP-Linien ausweichen. Nicht zu
vergessen ist auch, daß viele tausend auf die
Fernzüge der DR von Potsdam über Zoo
bis Friedrichstraße auswichen. Die DR hatte
erfreulich schnell gehandelt und die Züge
(wie bei Smog) zur Benutzung mit Nahverkehrsfahrausweisen
freigegeben. Alle Angebote
zusammen waren ein wichtiges Ventil,
ohne daß die Gewerkschaften fürchten
mußten, daß damit der Streik wirkungslos
würde.
Zugleich enthielt diese Situation allerdings
auch emotionalen Sprenstoff, zum einen,
weü die schlechter bezahlten Arbeitnehmer
im Tarifgebiet Ost nicht streiken durften,
und zum anderen, weil allen Fahrgästen im
Raum Berlin die alte Grenze und ihr unsichtbares
Fortbestehen drastisch vorgeführt
wurden. IGEB
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