Nahverkehr

Der 25-Mio-Skandal ist ein 42-Mio-Skandal

"Wieviele Finanzmittel wurden 1991 an welchen Töpfen nicht ausgegeben und gingen deshalb dem Land Berlin verloren?", wollte der Abgeordnete Michael Cramer (Bündnis 90/Grüne) in einer mündlichen Anfrage über "leichtfertig verschenkte Gelder für S- und Straßenbahn-Maßnahmen" wissen. Die Antwort von Bausenator Nagel war deprimierend: "Von den 1991 zur Verfügung stehenden Mitteln wurden 25 Mio DM aus dem Mineralölsteueraufkommen nicht umgesetzt und dem Bund zurückgegeben" (Landespressedienst vom 23.3.92).

Tatsächlich gingen für den Berliner ÖPNV-Ausbau aber noch viel mehr Millionen unwiederbringlich verloren. Denn dem so erfahrenen Fragesteller von der Opposition unterlief dennoch ein Fehler, welcher es dem Bausenator ermöglichte, nicht das ganze Ausmaß des Desasters zu offenbaren. Herr Cramer fragte nicht nach Geldern, die dem ÖPNV, sondern die dem Land Berlin verloren gingen. Dem ÖPNV gingen sehr viel mehr als die 25, nämlich fast 42 Mio DM verloren!

Zur Erklärung: Vor der seit 1.1.92 wirksamen Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) konnten ÖPNV-Projekte in Berlin nur bis zu 60% vom Bund bezahlt werden. Die restlichen 40%, die sogenannten Komplementärmittel, waren aus der Berliner Landeskasse zu bezahlen. Wenn also 25 Mio DM der GVFG-Gelder nach Bonn zurückgegeben werden mußten, dann gingen für den ÖPNV-Ausbau insgesamt 41.7 Mio DM verloren: 25 Mio aus Bonn (= 60%) und 16,7 Mio aus dem Berliner Landeshaushalt (= 40%). Diese 16,7 Mio flössen in den Landeshaushalt zurück und gingen damit "nur" dem ÖPNV, nicht aber dem Land Berlin verloren und mußten deshalb angesichts der Formulierung der Frage von Senator Nagel nicht genannt werden.

Abfahrtsanzeige
Anschluß nach Lichterfelde Süd. Eigentlich sollte es 1993 endlich wieder möglich sein, mit der S-Bahn nach Lichterfelde Süd fahren. Doch nachdem der Berliner Senat im letzten Jahr 42 Mio DM verschenkt hat, werden die Fahrgäste entlang der 1984 stillgelegten Strecke länger warten müssen. Foto: H. Beyer

Wahrscheinlich ist der Verlust für den ÖPNV sogar noch höher. Denn Herr Cramer hatte nach verschenkten Geldern für S- und Straßenbahn-Maßnahmen gefragt, nicht aber nach verlorenen Geldern im U-Bahn-Bau. Doch der nachweisbare Verlust von rund 42 Mio DM reicht aus, um von einem Skandal zu sprechen. Die negativen Folgen sind unabsehbar.

Zunächst muß man sich die Größenordnung des Verlustes einmal klar machen. Da hat der Senat Monate verstreichen lassen, bevor er am 14. April endlich die vom Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt versprochene Wiederinbetriebnahme der S-Bahn zwischen Schönholz und Tegel beschloß. Begründet wurde die Verzögerung mit den Schwierigkeiten, die benötigten rund 20 Mio DM aufzutreiben. Und an anderer Stelle werden 42 Mio DM verschenkt!

Fatal sind die Auswirkungen dieses Verlustes für die S-Bahn nach Teltow (Anhalter Bahn), denn hier sollte das Geld ausgegeben werden. "Abstimmungsschwierigkeiten mit der DR bei der Reaktivierung der S-Bahn zwischen Priesterweg und Lichterfelde Süd" führte der Bausenator als Entschuldigung an. Doch Nagels Verwaltung zeigte sich "überzeugt, daß die S-Bahn nach Lichterfelde Süd wie geplant Ende 1993 wieder fahren kann", nachzulesen im Tagesspiegel vom 28.3.92. Unglaublich! Erst verspielt man die Millionen, und dann wird so getan, als wenn dies alles auf die Termineinhaltung keinen Einfluß hätte. Alle Anzeichen sprechen aber dafür, daß der Bau- und der Verkehrssenator mit dem 42-Mio-Skandal das Schicksal der S-Bahn nach Teltow vorerst besiegelt haben. Es gibt nicht die geringste Hoffnung, daß die S-Bahn-Züge noch im Jahr 1993 in Lichterfelde Süd ankommen.

Die Skandalfolgen reichen aber viel weiter. Sie treiben die in Berlin ohnehin hohen Baupreise noch mehr nach oben. Denn den Firmen wurde damit signalisiert, daß es an Geld nicht mangelt. Und jeder Verwaltungsmitarbeiter wird nun erst recht froh sein, wenn Projekte teurer werden, weil einerseits 1992 nicht gleich wieder Gelder verschenkt werden dürfen, weil andererseits aber die "Personaldecke" zur Betreuung weiterer Projekte zu kurz ist. Zusätzliche Gelder bereitzustellen, ohne strukturelle und personelle Verbesserungen in der Verhaltung vorzunehmen, reicht eben nicht aus. Und damit wird klar, daß unbeschadet so mancher Schwachstelle in den Senatsbehörden die Verantwortung allein beim Senat liegt. Berlin braucht nicht mehr Geld, sondern bessere Politiker.

IGEB

aus SIGNAL 4/1992 (Juni 1992), Seite 10-11

 

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