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Der Streit um Masse oder Klasse im Berliner
S-Bahn-Bau ist entschieden. Die Senatoren
Haase (CDU) und Nagel (SPD) sind
sich einig: Weder das eine noch das andere!
Dies jedenfalls zeigt der Bericht (Nr. 723)
der Verkehrsverwaltung an den Hauptausschuß,
der "für jede S- und U-Bahn-Strecke die geplanten Einzelmaßnahmen,
insbesondere die Bahnhofsbauten, beratungsfähig
erläutern und dafür die Kostenpriorität
und Zusammenhänge darstellen"
will. Die Kritik im einzelnen:
1. An jedem Bahnsteigende ein Zugang
ist offensichtlich schon zuviel des Guten
An zahlreichen S-Bahnhöfen wurden trotz
der Erhöhung der Gesamtkosten die geplanten
Zugänge am jeweils anderen Ende
eines Bahnsteiges zurückgestellt. Damit
wird auf eine Vergrößerung des Einzugspotentials
eines Bahnhofes um ca. 30% verzichtet,
und für die Fahrgäste werden Umwege
von bis zu 500 m in Kauf genommen.
Dies gilt für die S-Bahnhöfe Westend, Halensee,
Hohenzollerndamm, Köllnische Heide
und Bornholmer Straße. Im Gegensatz
dazu wurde aber weiterhin geklotzt, wenn
z.B. durch eine Bahnsteigverlängerung
gleichzeitig eine oberirdische Ampelanlage
und somit eine Beeinträchtigung für den
Autoverkehr vermieden werden konnte. So
blieb es am S-Bahnhof Westend dabei, auf
beiden Seiten des Spandauer Damms die
großzügigste Zugangsanlage mit Aufzug
und Fahrtreppen in zweistelliger Millionenhöhe
zu finanzieren. Genauso geschah es
am S-Bahnhof Bornholmer Straße, wo
ebenfalls Aufwendungen in zweistelliger
Millionenhöhe aufgebracht werden, um den
Autoverkehr auf der Bornholmer Brücke
nicht zu stören, während am anderen Ende
des Bahnhofes ein Zugang zu den Wohngebieten
nicht als notwendig erachtet wurde.
2. Widersprüchliche Haltung
bei "planungsbefangenen" Bahnhöfen
Seit 1984 sind z.B. die "planungsbefangenen"
Bahnhöfe Großgörschenstraße und
Yorckstraße in Betrieb und erfüllen die
pflichtgemäßen Notwendigkeiten. Beim
Ausbau des Südringes wird mit den "planungsbefangenen"
Bahnhöfen jedoch ganz
anders verfahren.
- Am S-Bahnhof Halensee, der wegen der
"Überbauung des sogenannten Halenseegrabens
noch planungsbefangen ist", wurde
für 9 Mio DM (das sind drei neue S-Bahnhöfe
in Düsseldorf) eine "begrenzte Bahnsteigsanierung"
vorgenommen. Wer sich die
Langwierigkeit der Bauarbeiten und das
Ergebnis des S-Bahnhofes Halensee einmal
anschaut, wird wahrlich große Mühe haben,
in dieser Bahnhofsrestaurierung eine "begrenzte
Bahnsteigsanierung" zu finden.
- Am S-Bahnhof Papestraße (Ringbahnhof),
der ebenfalls "planungsbefangen" ist, kann
die Zielplanung (59 Mio DM) "erst nach
Vorliegen einer verbindlichen Fernbahnplanung
realisiert werden". Für 8 Mio DM erfolgt
deshalb "gegenwärtig nur eine Teilinstandsetzung".
- Der S-Bahnhof Papestraße (Vorortbahnsteig)
erhält für 34 Mio DM eine "provisorische
Lage", die erhalten bleibt, "bis der
neue Umsteigebahnhof zwischen der S2/S4
nach Vorliegen einer verbindlichen Fernbahnplanung
(sog. Turmlösung) verwirklicht
werden kann". Nun ist schon interessant,
daß die endgültige S-Bahn-Planung
von der Fernbahnplanung und dem geplanten
Bahnhof abhängig gemacht wird, während
im Straßenbau ohne Rücksicht auf
Verluste und weitere Konsequenzen sogar
in Doppelschicht und Nachtarbeit geklotzt
werden soll. Ein Skandal ist jedoch die Tatsache,
daß die Kosten von 93 Mio DM als
Folge der Bundesautobahnplanung aus dem
S-Bahn-Topf des Haushalts finanziert werden,
obwohl sie - zumindest zu erheblichen
Teilen - aus Bonner Straßenbaumitteln
kommen könnten. Grundlage dafür ist das
Eisenbahnkreuzungsgesetz. Demnach muß
der Veranlasser für die gesamten Baumaßnahmen
am Sachsendamm, also der
Straßenbau, zahlen. Berlin hat noch nicht einmal
versucht, diese Finanzierung in Bonn
einzufordern, obwohl im S-Bahn-Bereich an
allen Orten und Enden das Geld fehlt und
der Berliner Landeshaushalt ein Defizit von
5,8 Mrd DM aufweist.
- Auch der U-Bahnhof Schwartzkopffstraße
ist "planungsbefangen", weshalb die Bahnsteigverlängerung
dieses Bahnhofs wegen
Olympia zurückgestellt wird. Dies verhindert
jedoch nicht die Prioritätensetzung der
gesamten Bahnsteigverlängerungen der U-Bahn-Linie 6,
deren Kosten schon jetzt im
Stadium der Planung von 120 auf 134 Mio
DM, also um mehr als 10% gestiegen sind.
Weshalb die Bahnsteigverlängerungen der
U-Bahn-Linie 6 nach wie vor Priorität haben,
obwohl der angestrebte 6-Wagen-Zugverkehr
erst dann realisiert werden kann,
wenn auch der letzte von 8 Bahnsteigen verlängert
worden ist, bleibt ein Rätsel. Insbesondere
deshalb, weil dadurch andere, wichtigere
Maßnahmen wie der Ringschluß in
Neukölln oder die Verlängerung nach
Jungfernheide zurückgestellt werden müssen.
3. Kostenexplosion auch im
U-Bahn-Bereich
Die Kosten für die U8-Verlängerung (Süd)
sind von ursprünglich 65 auf 95 und jetzt
sogar auf 100 Mio DM gestiegen. Sie werden
nach aller Erfahrung noch weiter in die
Höhe steigen. Eine der Ursachen dafür ist,
daß am U-Bahnhof Hermannstraße "hinter
dem neu zu bauenden Verknüpfungsbahnhof
(S-Bahn) eine viergleisige Aufstellanlage"
vorgesehen ist. Darauf könnte verzichtet
werden, wenn vor dem Bahnsteig gekehrt
würde. Die Einsparungen lägen bei
ca. 50 Mio DM. Eine Kehranlage vor dem
Bahnsteig war unter rot-grün beschlossen,
unter rot-schwarz wird - Berlin hat's ja - die
teurere Variante bevorzugt, obwohl ein
Kehren vor dem Bahnsteig am U-Bahnhof
Schlesischen Tor, in Alt-Mariendorf oder in
Krumme Lanke tagtägliche Praxis ist.
Warum das Baulos A 11 bei der Verlängerung
der U2 (Nord) in Pankow, Vinetastraße,
für 26,4 Mio DM (Rohbau) so wichtig
ist, obwohl die angestrebte Verknüpfung
mit dem S-Bahnhof dennoch nicht erreicht
werden kann, ist auch nicht nachvollziehbar.
Für diese 26,4 Mio DM könnte neben den
gestrichenen Zugängen z.B. auch die Verschiebung
des S-Bahnhofes Charlottenburg
zum U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße finanziert
werden. Dort steigen nämlich ca.
100.000 Fahrgäste pro Tag ein und aus, und
die Gleise werden dort ohnehin erneuert.
Wenigstens die Ausrichtung der Gleise in
die Lage nach der Bahnsteigverlängerung
des S-Bahnhofs Charlottenburg sollte bei
der Sanierung des Stadtbahnstrecke berücksichtigt
werden. Aber auch dazu ist die Bauverwaltung
nicht in der Lage und wird wohl
in wenigen Jahren die jetzt neu gelegten
Gleise wieder verlegen müssen.
4. Trotz Kostenerhöhung Verzicht auf
kleinere, aber effektive Maßnahmen
Am S-Bahnhof Waidmannslust ist die Bauverwaltung
seit nunmehr 5 Jahren nicht in
der Lage, am südlichen Bahnsteigende eine
Treppe einzubauen, obwohl dort ein Tunnel
die gesamten Gleisanlagen unterquert.
Ebenso am S-Bahnhof Tiergarten, wo zwar
mitgeteilt wird, daß der Umbau des S-Bahnhofs
zurückgestellt wird, aber als Konsequenz
daraus nicht die kleine Lösung, nämlich
die Instandsetzung dieses Aufganges
wie z.B. am S-Bahnhof Bellevue, in Angriff
genommen wird. Kaum überraschen kann
es noch, daß auch am S-Bahnhof Köllnische
Heide das östliche Bahnsteigende nicht
durch einen Zugang direkt erschlossen wird,
obwohl im ehemaligen Grenzstreifen eine
Unterführung der gesamten Bahnanlagen
vorhanden ist und als Unterfahrung genutzt
werden soll. Eine Treppe von diesem
Unterführungstunnel und ein kurzer Weg
zum Bahnsteigende würden das Erschließungspotential
für diesen Bahnhof erheblich
vergrößern, zumal auch die Groß-Siedlung
um den Dammweg besser angeschlossen
würde. Noch nicht einmal am westlichen
Bahnsteigende wird der Durchgang zum
Krebsgang realisiert.
Auch auf den Bau neuer Haltepunkte wie
z.B. die S-Bahnhöfe Dudenstraße, Kamenzer
Damm und Oderstraße wird weiterhin
verzichtet. Auch eine provisorische Anlage
ist dort nicht vorgesehen, weil man sich offensichtlich
Bahnhofsneubauten unter 20
Mio DM in Berlin nicht vorstellen kann.
Weder Beispiele aus Düsseldorf (Neubau
für 2,9 Mio DM) noch provisorische Anlagen
von Haltepunkten in einfachen, aber efeffektiven
Holzkonstruktionen für ein paar
hunderttausend DM sind in Berlin machbar.
5. S-Bahn-Verlängerung bis Sellheimbrücke
nur wegen des Straßenausbaus?
Warum die zweigleisige Verlängerung der
S-Bahn-Strecke von wartenberg bis Sellheimbrücke
(S75) Priorität in der Senatsplanung
erhält, ist überhaupt nicht nachvollziehbar,
da diese Strecke weder durch
Wohngebiete führt noch ein nennenswertes
Fahrgastpotential erreicht wird. Auch die
einzig logische Erklärung, nämlich die Verlängerung
bis zum Kreuzungspunkt
der S-Bahn-Linie nach
Bernau und damit die Weiterführung
der Linie von
Wartenberg
bis Oranienburg,
wird
nicht weiter
angedacht. So
bleibt als Erklärung
einzig
und allein, daß
mit der vorgesehenen
zweigleisigen
S-Bahn-Verlängerung
die Straßenbrücken der Dorfstraße
(B2) und der Blankenburger Chaussee
(Seilheimbrücke) erneuert werden sollen.
Nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz ist in
diesem Fall die S-Bahn die Veranlasserin,
weshalb die erweiterten Straßenbrückenbauwerke
aus S-Bahn-Mitteln finanziert
werden und als angenehmer Begleiteffekt
für den Autoverkehr die Engpässe auf diesen
Brücken entfallen. Auch der Hinweis,
daß für diese Planung die Deutsche Reichsbahn
verantwortlich ist, kann nicht überzeugen,
denn für diese Planung muß der Berliner
Senat sein Plazet ebenso geben, wie umgekehrt
die Deutsche Reichsbahn jeder
Ausbaumaßnahme bei der S-Bahn auf
West-Berliner Gebiet zustimmen muß.
Natürlich ist es skandalös, daß diese Strecke
im Bericht an den Hauptausschuß noch
nicht einmal erwähnt wird, und ebenfalls
skandalös ist es, daß hier die ÖPNV-Gelder
nach dem Veranlasserprinzip dem Straßenbau
zufließen. Eine Regelung, die man im
umgekehrten Fall beim Projekt Sachsendamm
(siehe oben) noch nicht einmal in
Erwägung zieht.
Fazit
Auch dieser Bericht belegt eindeutig, daß
der Senat die Zeichen der Zeit noch nicht
erkannt hat, nämlich mit geringen Mitteln
in kürzester Zeit die größte Effizienz im
Schienenwesen zu erzielen. Während einerseits
in alter Subventionsmentalität nach
dem Motto "weiter so" in überdimensionierter
Luxusweise geklotzt wird, werden
andererseits wesentliche Maßnahmen zur
Steigerung des Fahrgastkomforts und der
Erweiterung des Fahrgastpotentials der
Bahnhöfe zurückgestellt. Michael Cramer, MdA
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne
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