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"Die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Strecke
zwischen Schönholz und Tegel hat für die Bewältigung
des Verkehrs aus dem nordwestlichen
Berliner Raum in Richtung Stadtmitte hohe verkehrspolitische
Bedeutung. Nach der Wiederherstellung
des Umsteigebahnhofs Bornholmer Straße
im Sommer 1991 ergeben sich insbesondere
aus den Bereichen der östlichen Ringbahn sowie
der Strecken nach Schönefeld, Königs Wusterhausen
und Spindlersfeld günstige Verbindungen
für den Bereich Reinickendorf bis Tegel, die ansonsten
mit öffentlichem Verkehr nur mit mehrfachem
Umsteigen und auf Umwegen (...) mit
erheblichen Reisezeiten möglich sind." So stand
es in einem vom Verkehrssenator und dem Regierenden
Bürgermeister unterzeichneten Bericht
an den Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses,
der dann im Juni 1992 aus dem Strukturhilfefonds
20 Millionen DM bewilligte, um den eingleisigen
Abschnitt für den regelmäßigen S-Bahn-Betrieb
herzurichten.
Praktisch getan hat sich bis heute nichts. Daß der
ursprünglich genannte Termin nicht einzuhalten
war, zeichnete sich ja schon im Sommer letzten
Jahres ab, und der Senat vertröstete auf 1993. Bis
zum Herbst zeigte sich aber immer deutlicher, daß
die Deutsche Reichsbahn an der Wiederaufnahme
des S-Bahn-Betriebs reichlich desinteressiert
war und ebenso wie das Land Brandenburg einen
Regionalschnellverkehr mit Wechselstrom-Oberleitung
bis Neuruppin favorisierte - realisierbar
allerdings erst sehr viel später. Die Regionalbahn-Projektgruppe
bei der brandenburgischen Landesentwicklungsgesellschaft
intervenierte im Oktober
gegen die Reaktivierung der S-Bahn Schönholz
- Tegel gar beim Bundesverkehrsministerium.
Eine künftige Nutzung der Strecke für Regionalzüge
dürfe nicht "verbaut" werden.
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Foto (von 1991): Bernhard Strowitzki |
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S-Bahnhöfe Tegel und Eichbornstraße auf der Kremmner Bahn. Längst könnten hier nicht nur Testfahrten, sondern Fahrgastfahrten stattfinden. Doch Berlins Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt konnte seine vollmundigen Versprechungen bis heute nicht einlösen. Zwar gelang es ihm relative schnell die Gelder für die Wiederinbetriebnahme der Strecke Schänholz - Tegel zu beschaffen, doch die Bezahlung der Betriebskosten ist noch immer ungeklärt. Foto (von 1991): Arno Sendner |
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Dessen ungeachtet beschied der Bausenator noch
am 26. November 1992 eine Anfrage des Abgeordneten
Michael Cramer (Bündnis 90/Grüne), ob
sich nun das "Aus" für die S-Bahn-Pläne abzeichne,
mit einem forschen "Nein". Vielmehr hätten
- so damals Wolfgang Nagel - sowohl der Verkehrsminister
Brandenburgs als auch die Reichsbahn
ihr grundsätzliches Einverständnis erklärt.
Doch Nagels Antwort war zumindest voreilig
denn zwei Wochen später ließ der in der Reichsbahndirektion
Berlin für die S-Bahn zuständige
Abteilungsleiter, Christian Morgenroth, wissen,
daß die Senatsabsicht mit seinem Hause gar nicht
abgestimmt war und nunmehr der Bahnvorstand
sich eine Entscheidung vorbehalte. Erst sei allerdings
die Übernahme der Betriebskosten zu klären,
zum anderen müßten sich Berlin und Brandenburg
über das langfristige Konzept verständigen.
Nicht nur der Termin, sondern die Aufnahme des
S-Bahn-Verkehrs überhaupt stellte sich damit als
ungewiß heraus. Alarmiert durch das Gerangel
um Konzept und Betriebskostenausgleich bekräftigte
auch der Kreis Oranienburg nochmals seine
Forderung nach zügigem Wiederaufbau der Strecke
bis Hennigsdorf. Landrat Karl-Heinz Schröter
nannte es fatal, wenn "aus globalpolitischen
Gründen" die Umlandverbindung nicht rasch zustandekäme,
der Abschnitt Schönholz - Tegel sei
dafür eine wichtige erste Etappe.
Immerhin wollten nun wenigstens die Länder sich
nicht länger den "Schwarzen Peter" zuschieben
lassen. Eintracht demonstrierten sie in einer
gemeinsamen Presseerklärung vom 25. Januar 1993.
Darin heißt es: "Auf der Kremmener Bahn zwischen
dem Zentrum Berlins über Schönholz nach
Tegel und Velten soll sowohl die S-Bahn als auch
ein Regionalexpress verkehren. Als erster Schritt
der Inbetriebnahme wird zunächst Berlin den S-Bahn-Verkehr
bis Tegel mit der vorhandenen
Stromschiene im Gleichstrombetrieb wiederaufnehmen."
Die Formulierung "wird Berlin den S-Bahn-Verkehr
wiederaufnehmen" ist vermutlich arglos
gewählt, weist aber auf Grundsätzliches hin: Nahverkehr
soll in Zukunft nur noch durch regionale
Gebietskörperschaften subventioniert werden, die
dafür über den Bund-Länder-Finanzausgleich
Geld erhalten. Insbesondere sind den Eisenbahnen
auferlegte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen durch
Verträge nach dem Bestellerprinzip
zu ersetzen. Im Klartext: die Bahn fährt im Nahbereich
(sofern sie den Betrieb nicht überhaupt
abgibt) nur noch gegen Bezahlung durch Landkreise
oder Gemeinden. Das sieht nicht bloß die
jüngst im Bundeskabinett verabschiedete Bahnreform
vor, sondern auch die inzwischen in Kraft
getretene EG-Verordnung 1893/91. (Sie läßt in
Ballungsräumen allerdings gewisse Ausnahmen
zu).
Vor diesem Hintergrund erhält die von der
Reichsbahn gegenüber dem Senat erhobene Forderung,
schon jetzt den Betriebskostenausgleich
für 1994 zu garantieren, einige Brisanz. Weshalb
das gerade bei der Kremmener Bahn geschieht,
mag verwundern - schließlich trifft die künftige
Neuregelung den S-Bahn-Verkehr generell. Offenbar
sieht die Reichsbahn in dieser nach ihrer
Auffassung verkehrlich unbedeutenden Strecke
einen Modellfall, und eben darauf will und kann
sich der Senat nicht ohne weiteres einlassen. Im
übrigen sollen nicht die Landesregierungen, sondern
- wie erwähnt - die Kreise und Gemeinden
die Nahverkehrsleistungen der Bahn bestellen.
Das kann auch durch einen Zweckverband geschehen,
etwa den angestrebten "Verkehrsverbund
Region Berlin" (mit den Gebietskörperschaften
als Mitglieder).
Dazu soll noch im Frühjahr eine Vorbereitungsgesellschaft
gegründet werden, denn laut Einigungsvertrag
muß das Verbundkonzept spätestens
zum Jahresende unterschriftsreif sein. Käme es
zum raschen Einstieg in den "Kommunalverbund"
und bliebe die S-Bahn auch 1994 in Regie der
dann voraussichtlich als Aktiengesellschaft operierenden
Deutschen Bahn, stünden die Vertragspartner
fest: der Verbund auf der einen, die Bahn-AG auf
der anderen Seite. In einer Senatsvorlage
ist allerdings als Übergangslösung der sogenannte
Unternehmensverbund vorgesehen, unter Beteiligung
von BVG, Bahn und anderen Verkehrsbetrieben.
Bei dieser Organisationsform ist die klare
Anwendung des Besteller-/Anbieterprinzips
weit problematischer.
So oder so: der Senat verlangt von der Deutschen
Reichsbahn jetzt eine Präzisierung ihrer Vorstellungen
- angesichts der vielen offenen Fragen eine
gewiß knifflige Aufgabe. Derweil warten die
längst vom Abgeordnetenhaus bewilligten Investitionsmittel
auf Abruf. Bis Ende 1993 müssen
sie verbaut werden - ob auf der Kremmener Bahn,
wird sich daher zwangsläufig schon bald erweisen. IGEB
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