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Die Entwürfe aus den Büros der beiden renomierten
Architekten Prof. Josef-Paul Kleihues (Berlin)
und Prof. Meinhard von Gerkan (Hamburg)
wurden am 26. Februar 1993 morgens der Presse
und abends interessierten Bürgern im Rahmen der
"Architekturgespräche" im Berlin-Pavillion vorgestellt.
Das Interesse war groß. Etwa 300 Besucher
drängten sich am Abend in dem viel zu kleinen
Saal. Das Spektrum der Anwesenden reichte
von Vertretern der Berliner Architektur- und
Bauszene über Politiker und Verkehrsinitiativen
bis zu hin den Betroffenen aus dem Moabiter
Kiez. Entsprechend breit Fiel die Diskussion zu
den vorgestellten Arbeiten aus. Vor einer Beschreibung
und Kritik ist zunächst ein Blick auf
die Ziele und Rahmenbedingungen des Planungsverfahrens
erforderlich.
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Entwurf Büro Kleihues. Auffällig ist das gigantische Straßennetz im Umfeld des geplantes Bahnhofes. Foto: Bernhard Strowitzki |
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Ziele und Rahmebedigungen
Mit der Entscheidung vom Juli 1992 für das sogenannte
Pilzkonzept, der 1. Stufe des Achsenkreuz-Modells,
erhielt der Bau eines Nord-Süd-Eisenbahntunnels
mit einem Umsteigebahnhof
zur Stadtbahn am Lehrter Bahnhof oberste
Priorität. Seither sind die Bahnplaner in Berlin
unter Zeitdruck, denn damit der Umzug von Bundestag
und Bundesregierung nicht verzögert wird,
soll der Tunnel im Bereich Spreebogen bereits im
Jahr 1997 so weit fertig sein, daß darüber gebaut
werden kann. Termindruck erzeugt ferner die
Bewerbung für die Olympischen Spiele im Jahr
2000, zu deren Ausrichtung der Tunnel fertig sein
muß.
Kernstück der Planung und zugleich Schwachpunkt
der Terminkette ist der geplante Lehrter
Bahnhof. Vor diesem Hintergrund entschieden
sich die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen
und die Deutsche Reichsbahn für ein
ungewöhnliches Planungsverfahren - zumindest
für ein Projekt dieser Größenordnung (geschätzte
Baukosten: 700 Mio. DM).
Auf einen Wettbewerb mit umfänglicher Vorbereitung
wurde verzichtet. Vielmehr wurde eine
Projektgruppe aus Mitarbeitern der Senats Verwaltung
für Bau- und Wohnungswesen (Federführung
bei Senatsbaudirektor Hans Stimmann) und
der Deutschen Reichsbahn (Abteilungsleiter Dieter
Funk) sowie Mitarbeitern der Senatsverwaltungen
für Stadtentwicklung und für Verkehr und
des Bezirksamtes Tiergarten gebildet, ergänzt um
externe Berater. Mit der Planung des Bahnhofs
und des Umfeldes wurden die Architekturbüros
Kleihues und Von Gerkan, Marg und Partner beauftragt.
Josef-Paul Kleihues ist u.a. als Direktor
der Berliner Neubau-IBA bekannt geworden, das
Büro GMP entwarf u.a. den Flughafen Tegel.
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Foto: Hans-Joachim Wuthenow |
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Modelle des geplanten Lehrter Bahnhofes, oben der Entwurf aus dem Büro des Berliner Architekten Kleihues, rechts der von der Verwaltung bevorzugte Entwurf aus dem Hamburger Architekturbüro Von Gerkan, Marg und Partner. Wirklich befriedigen kann aber auch dieser Entwurf nicht. Für solch ein bedeutendes Bauwerk hätte es einen richtigen Wettbewerb geben müssen. Foto: Hans-Joachim Wuthenow |
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In einem engen Abstimmungsverfahren sollte in
mehreren Schritten eine für alle Seiten akzeptable
Planung erarbeitet werden. Ziel des sogenannten
diskursiven Verfahrens war es, eine Planung
zu entwickeln, die einerseits
- der hohen städtebaulichen Bedeutung des Ortes,
zentral und in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel
gelegen, gerecht wird,
- Ankünpfungspunkte für eine weitere Stadtentwicklung
im Bahnhofsumfeld liefert und
- die angrenzenden Quartiere nicht tangieren sollte
und die andererseits
- den funktionalen Erfordernissen des Bahnhofbetriebes,
- der Anbindung des Bahnhofs an den ÖPNV und
MIV sowie
- den ökonomischen Interessen der Bahn hinsichtlich
der Wirtschaftlichkeit des Bahnhofs und der
Grundstücksverwertung genügen sollte.
Erwartet wird ein Zugaufkommen von täglich 382
Zugpaaren, darunter 84 ICE/IC-Züge und 192
Regionalverkehrszüge sowie unzählige S- und U-Bahn-Züge
auf der Stadtbahn, der Nord-Süd-S-Bahn
und der verlängerten U5.
Im Rahmen der Vorstellung beider Arbeiten wies
Senatsbaudirektor Dr. Stimmann auf die Terminplanung
hin: Bereits 1995 soll Baubeginn für den
Tunnel sein. Im Herbst 1993 sei deshalb die Einleitung
des Planfeststellungsverfahrens für die
planungsrechtliche Sicherung von Trassen und
Bahnhof erforderlich. Der Bahnhof soll in Etappen
zwischen den Jahren 2000 und 2002 in Betrieb
gehen.
Die Entwürfe
Beide Architekten haben im Rahmen des Verfahrens
mehrere unterschiedliche Entwürfe erarbeitet. Zur
Entscheidung standen schließlich zwei
Lösungen, die auch umfänglich in der Presse publiziert
wurden. Der Entwurf Kleihues hat als
wichtigste Elemente:
- Eine städtebauliche Konzeption für den Bahnhofsbereich
mit einer möglichen Fortschreibung
auf dem Gelände des Containerbahnhofes (Anknüpfung
an den Berliner Städtebau des 19. Jahrhunderts).
- Anlage von zwei Bahnhofsplätzen an der Invalidenstraße
und im Bereich des heutigen Washingtonplatzes.
- Errichtung eines quadratischen, im Grundriß
etwa 150 m x 150 m großen Gebäudes über dem
Schnittpunkt von Stadtbahn und Nord-Süd-Tunnel.
Gekrönt wird es mir einer gläsernen Kuppel
über den Bahnsteigen bzw. dem Innenhof.
- Das "Bahnhofsgebäude" ist etwa 8 Geschosse
hoch und verfügt über 125.000 m² Bruttogeschoßfläche,
vorwiegend für kommerzielle Nutzungen.
Der Entwurf von Gerkan zeichnet sich vor allem
durch folgende Aspekte aus:
- Beschränkung des Entwurfes auf den Bahnhof
und die geforderten Gebäude für die Mantelnutzung
(Gewerbe).
- Bau von zwei Brückenhäusern über der Stadtbahn
mit dazwischen eingefügter gläserner Empfangshalle
im Verlauf der unterirdischen Nord-Süd-Fernbahn,
um so das Kreuzen von zwei Linien
oberirdisch abzubilden.
- Bau einer die gesamte Breite des Bahnhofs auf
der Stadtbahn überspannenden Bahnsteighalle.
- Anlage von weiteren Gebäuden nördlich und
südlich der Stadtbahn für mögliche kommerzielle
Nutzungen mit insgesamt 230.000 m2 BGF.
Auch im eigentlichen Bahnhofskomplex sollen
ca. 40.000 m2 BGF für Fremdnutzungen zur Verfügung
stehen.
Beiden Entwürfen gemeinsam ist:
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Lehrter Stadtbahnhof. In der offiziellen Information Nr. 1 zur Planung der Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich (Stand Oktober 1992) wird noch mit diesem Bild für die Berliner S-Bahn geworben. Doch gleichzeitig wurde schon an den Plänen gearbeitet, die jetzt eine vollständige Beseitigung des historischen Stadtbahnviadukts zwischen der Straße Alt-Moabit und der Charité einschließlich Lehrter Stadtbahnhof und Brücke über den Humboldthafen vorsehen. Foto: SenBauWohn |
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- Abriß des erst vor wenigen Jahren für ca. 10 Mio
DM sanierten S-Bahnhofs Lehrter Stadtbahnhof.
- Grundsätzliche Akzeptanz der Lage des Bahnkörpers
und des Kreuzungspunktes westlich des
Humboldthafens. Auf eine völlige Begradigung
der Stadtbahn oder eine Verschiebung der Bahnsteige
nach Osten, um den östlichen Bereich des
Bezirkes Mitte besser zu erschließen, wurde verzichtet.
- Beide Architekten bemühen sich, möglichst viel
Tageslicht in die Räume zu bringen. Von Gerkan
gelingt dies sogar für den Bahnsteig der Nord-Süd-Strecke
(etwa 14 Meter unter der Geländeoberfläche
gelegen).
Eine erste Bewertung
Die Entscheidung für von Gerkan wurde auf der
Veranstaltung am 26. Februar 1993 sowohl vom
sichtlich enttäuschten Kleihues wie auch von anderen
Diskussionsteilnehmern kritisiert. Überzeugen
können aber beide Entwürfe nicht. Grundsätzliche
Kritik gilt zunächst dem Umgang mit dem
alten S-Bahnhof, der erhalten und ggf. um moderne
Formen hätte ergänzt werden können. Mit
der Entscheidung von Senat und DR, die S-Bahn
an den etwas südlicher gelegenen Fernabhnhof
heranzuschieben, wird neben dem alten S-Bahnhof
auch noch das historische Stadtbahnviadukt
zwischen Alt-Moabit und Charitè einschließlich
der alten Brücke über den Humboldthafen beseitigt.
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Ausgeählter Entwurf aus dem Architekturbüros Von Gerkan, Marg und Partner. Die Vorschläge für die Gestaltung des Bahnhofsumfeldes hält auch die Verwaltung für unbefriedigend. Der Bahnhof selbst wurde jedoch Grundlage für die Ende März abgeschlossene Vorentwurfsplanung für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich Berlin. Wichtigster Unterschied: Auf Initiative von DR und Senatsbauverwaltung ist auf die Stadtbahn nördlich der zwei Fernbahnsteige jetzt nur noch ein S-Bahnsteig geplant. Foto: Hans-Joachim Wuthenow |
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Keiner der beiden Architekten hat die Aufgabe,
einen repräsentativen Bahnhof in unmittelbarer
Nähe zum Sitz von Parlament und Regierung zu
schaffen, gelöst. Ebenso wenig gelang eine überzeugende
Darstellung der Funktion "Turmbahnhof
mit sich kreuzenden oberirdischen und unterirdischen
Bahnsteigen". Stattdessen dominiert die
von der DR geforderte Mantelnutzung - ein eindeutiger
Fehler in der Programm vorgäbe! Der
Entwurf von Kleihues macht dies besonders deutlich.
Sein Empfangsgebäude ist in Wahrheit ein
Bürogebäude, in dem sich zufällig ein Bahnhof
befindet. Die ankommenden Reisenden erleben
keine großzügige Bahnsteighalle, sondern bewegen
sich unter einfachen Bahnsteigdächern, den
Bürobauten und der gläsernen Kuppel. Ein einheitlicher
Raumeindruck entsteht nicht. Das Ziel,
dem Bahnhof eine städtebaulich besondere Wirkung
zu geben, wird nicht erreicht. Ein Anknüpfen
an die Berliner Bahnhofsarchitektur findet
nicht statt, eher schon an die Berliner Kaufhäuser.
Kubus und Kuppel erinnern entfernt an die
"Groschenmoschee" der Bilka-Filiale am Bahnhof
Zoo.
Der städtebauliche Entwurf von Kleihues hat
räumliche und funktionale Qualitäten, ignoriert
aber viele historisch wertvollen Bauten und Strukturen
und entwirft ein gigantisches Straßennetz.
So stehen z.B. die Wohnbauten Lehrter Straße 1-4
bei Kleihues plötzlich wie auf dem Mittelstreifen
einer Hauptverkehrsstraße.
Der ausgewählte Entwurf von Gerkans zeigt deutlicher
die Funktion des Bahnhofs. Er schafft zwischen
den beiden Quergebäuden eine großzügige
Empfangshalle und bringt relativ viel Tageslicht
in die unterirdischen Bahnhofsebenen. Seine
Bahnsteighalle über der Stadtbahn fällt allerdings,
soweit Modell und Zeichnungen eine Beurteilung
erlauben, zu niedrig aus. Unmöglich sind
die Ausfahrten vom Autotunnel. Sie liegen zwischen
dem Empfangsgebäude und an den angegliederten
Mantelnutzungen. Die im Modell unscheinbar
wirkenden Rampen stellen in der Realität
eine massive, durch Lärm und Abgase unwirtlich
geprägte Schneise dar. Die breite Unterführung
unter dem Bahnhof wird düster und bedrükkend
wirken.
Völlig vermissen läßt der Entwurf eine glaubwürdige
städtebauliche Einbindung. Die dargestellten
Gewerbe- und Wohnbauten erscheinen zufällig,
ihre Qualität liegt in der Möglichkeit, durch
jeden Investor beliebig veränderbar zu sein. Damit
kommen sie allerdings der beabsichtigten
Kommerzialisierung der gesamten Planung entgegen.
Ob unter diesen Vorzeichen die baulich
aufwendigen Quergebäude über der Stadtbahn,
das einzig originelle am Entwurf, Bestand haben
werden, muß bezweifelt werden. Jüngste Äußerungen
von sehen der Bahn zeigen, daß sie selbst
an dieser herausragenden Stelle der Stadt das
Modell "Kaufhaus mit Gleisanschluß" verfolgt.
Nicht zu Unrecht hat Senatsbaudirektor Hans
Stimmann die Sorge, daß Bahnreisende nicht in
einem repräsentativen Lehrter Bahnhof, sondern
"in der Unterhosenabteilung von Berlin-Kaufhaus"
ankommen.
Eine Nachbemerkung zum Verfahren
Wenn man das Pilzkonzept für richtig hält und
realisieren will, dann besteht tatsächlich ein erheblicher
Zeitdruck für den Bau des Lehrter Bahnhofes.
Langwierige Planungsverfahren mußten
deshalb ausscheiden. Dies gilt umso mehr, als die
Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen
die DR erst von der Notwendigkeit einer qualifizierten
städtebaulichen Lösung überzeugen mußte.
Dennoch muß bezweifelt werden, ob nicht
doch mehr Planungskultur möglich gewesen
wäre. Ein eingeladener Wettbewerb mit qualifizierten
Büros, eine intensive Information der
Teilnehmer und ggf. mehrere Rückfragekolloqien
und vor allem ein Preisgericht, dessen Entscheidungen
nachvollziehbar sind, hätten der Planung
gut getan und viele von den bei der Vorstellung
der Arbeit erhobenen Vorwürfen entkräftet.
So muß als Fazit die Feststellung gelten: Gut gemeint
ist lange noch nicht gut gemacht. Es bleibt
zu hoffen, daß das Büro Von Gerkan, Marg und
Partner in der Lage sein wird, die Entwürfe nicht
nur nach wirtschaftlichen Anforderungen zu überarbeiten.
Gute Architektur an dieser herausragenden
Stelle der Stadt ist mehr wert als viele vermietbare
Büroflächen - mehr wert für das Ansehen
Berlins und für das der Bahn. IGEB
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