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Unter äußerst großer Zustimmung von Bevölkerung
und Parteien hat der Bundespräsident, Richard
von Weizsäcker, das Angebot des Berliner
Senats dankend abgelehnt, sein künftiges Domizil
in das Kronprinzenpalais zu verlegen, was Um- und
Neubauten von mehreren hundert Millionen
DM und die Schließung des populären Operncafes
zur Folge gehabt hätte. Leider machte dieses
Positivbeispiel öffentlicher Sparsamkeit keine
Schule. Dem Bundesaußenminister bietet der
Berliner Senat das Herzstück auf der Spreeinsel
an, wo ein Neubau für die Bürokratie errichtet
werden soll. Auch in der Verkehrsplanung kennt
die Gigantomanie keine Grenzen - auch nicht die
Endlichkeit der Finanzen.
Obwohl immer wieder das Gegenteil behauptet
wird, wird mit dem Lehrter Zentralbahnhof Berlins
Mitte neu erfunden. Ohne Rücksicht auf die
Geschichte der Stadtentwicklung, der dezentralen
Eisenbahntradition und der bestehenden Verkehrsknoten
im innerstädtischen Bereich (die
Bahnhöfe Zoo, Friedrichstraße, Alexanderplatz)
soll in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs
Friedrichstraße ein neuer, gigantischer Verkehrsknoten
sturzgeboren werden. Geburtsstätte soll der
Ort sein, der bisher verkehrspolitisch lediglich
durch einen S-Bahn-Haltepunkt bekannt war,
wenn auch mit einem der letzten Bahnhöfe aus
der Gründerzeit. Dieser soll - wen wundert's - der
Abrißbirne zum Opfer fallen, obwohl er erst zur
750-Jahr-Feier Berlins aufwendigst und wunderschön
restauriert wurde.
Um diesen Nicht-Verkehrsknoten gegenüber dem
benachbarten Bahnhof Friedrichstraße verkehrspolitisch
aufzuwerten, sind weitere Baumaßnahmen
notwendig, die das knappe Bonner und Berliner
Geld ebenso gnadenlos verschlingen wie sie
den Umzug von Parlament und Regierung nach
Berlin verlangsamen. In Berlin hängt nämlich
alles mit allem zusammen: Der Umbau des
Reichstags mit der Bebauung des Spreebogens.
mit diesem der Zentralbahnhof, der ohne die Tunnel
wertlos ist; auch der Moabiter Werder muß
gestalterisch eingebunden werden. All diese Einzelelemente
sind - bis dato jedenfalls - nur isoliert
geplant worden. Um so schwieriger ist es, sie
als städtebauliches Ensemble zusammenzuschmieden.
Über die Finanzierung redet niemand. Über Geld
redet man nicht - man hat nichts, weder in Berlin
noch in Bonn. Trotzdem wird aus dem vollen geplant.
Nach Ansicht des Senats erfordert der
Lehrter Zentralbahnhof für seine Funktionstüchtigkeit
nicht weniger als vier Tunnelprojekte im
zentralen Bereich:
- einen Fernbahntunnel, um die Eisenbahn vom
Bahnhof Gesundbrunnen über den Lehrter Zentralbahnhof
zum geplanten Fembahnhof Papestraße
zu leiten,
- einen S-Bahn-Tunnel, um die Regierungsbahn
S21 vom S-Bahnhof Yorckstraße über den Lehrter
Zentralbahnhof mit dem Flughafen Tegel zu
verbinden,
- einen U-Bahn-Tunnel für die Regierungsbahn
U5 vom Alexanderplatz am Reichstag vorbei zum
Lehrter Zentralbahnhof und
- einen Straßentunnel vom Landwehrkanalufer
unter dem Tiergarten hindurch zur Invalidenstraße, um
den inneren Straßenring ("Kleiner Hundekopf")
zu schließen.
Diese Baumaßnahmen im zentralen Bereich sollen
- so der Senat - 4,2 Mrd DM kosten, wobei
der Lehrter Zentralbahnhof mit geschätzten 700
Mio DM noch hinzugerechnet werden muß. Diese
erste Schätzung des Senats von ca. 5 Mrd DM
- inzwischen ist der Straßentunnel schon von 600
auf 800 Mio DM hochgerechnet worden - darf
nach dem Berliner Standard getrost vervielfacht
werden. Legt man die Erfahrungen mit den Baukosten
für den Preußischen Landtag zugrunde -
dort stiegen die Kosten von 40 Mio DM auf 160
Mio DM - ist mit einem Kostenvolumen von 20
Mrd DM für den Tunnelbau zu rechnen. Und dieses
Geld soll ausgegeben werden, obwohl heute
schon der Potsdamer Platz mit der existierenden
S-Bahn von Gesundbrunnen oder Papestraße erreicht
werden kann.
Das "Pilzkonzept" im Eisenbahnfernverkehr
Trotz Bedenken des Bundesverkehrsministers
und der Bundesbauministerin hat das Bundeskabinett
im Juli 1992 dem vom Berliner Senat und
der Deutschen Reichsbahn vorgelegten sogenannten
"Pilzkonzept" für den Eisenbahnfernverkehr
in Berlin zugestimmt. Dieses Pilzkonzept ist ein
aus Kostengründen abgemagertes Achsenkreuzkonzept.
Es verzichtet auf die Wiederherstellung
des südlichen inneren Eisenbahnrings und der
Stammbahn von Berlin über Zehlendorf nach
Potsdam. Die Entscheidung für das Pilzkonzept
- und damit für den Neubau von Tunnel und Zentralbahnhof
und gegen die Sanierung und den
Wiederaufbau der bestehenden Gleisanlagen - ist,
wie Senator Hassemer auf dem Stadtforum am
3.4.1993 mitteilte, äußerst knapp ausgefallen.
Unabhängig von dieser knappen Entscheidung
liegen im Pilzkonzept noch weitere Konflikte
zwischen Bonn und Berlin begründet. Während
die Bundesregierung im Pilzkonzept die endgültige
Lösung sieht, die im Finanzrahmen der bereitgestellten
10 Mrd DM realisiert werden soll,
wird in Berlin unverblühmt von einem Rumpfkonzept
gesprochen, dem nach dem Jahr 2000 die
zweite Ausbaustufe folgen müsse. Die Kosten der
dann fälligen 10 Mrd DM für den Ausbau von
Ring und Stammstrecke muß - so denkt sich das
Berlin - der Bund aufbringen. Schließlich sei dies
ja alles für den Hauptstadtausbau.
Das Pilzkonzept ist aus den Bedürfnissen des
Bahnbetriebes und nicht denen der Reisenden
entwickelt worden. Der Zentralbahnhof liegt am
Spreebogen, weil dort die Kreuzung der vorhandenen
Ost-West-Trasse (Stadtbahn) und der geplanten
unterirdischen Nord-Süd-Trasse am ehesten
technisch lösbar scheint. Entgegen vielfach
zu hörender Stimmen liegt der Bahnhof dort nicht,
um das Parlaments- und Regierungsviertel oder
andere wichtige Stadtteile zu erschließen. Im
Gegenteil: Die Nachbarschaft von Zentralbahnhof
und Regierungsviertel erschwert einerseits die
Zufahrt zum Bahnhof und wird andererseits durch
den Verkehr und den Ansiedlungsdruck, die der
Zentralbahnhof erzeugt, erheblich belastet. Dies
hat - leider zu spät? - auch der in diesen Fragen
äußerst unsensible Bausenator Wolfgang Nagel
erkannt. Anläßlich der Wettbewerbsergebnisse für
den Alexanderplatz mit bis zu 2,5 Mio m² Brutto-Geschoßfläche
(BGF) gestand er ein, daß dann
die geplanten Dienstleistungszentren am S-Bahn-Ring,
aber auch an der Olympiahalle "erledigt"
seien, weil dort niemand mehr Büros mieten werde.
Außerdem sei der Verkehrskollaps absehbar.
Auf dem Stadtforum wurde z.B. daraufhingewiesen,
daß der ausgewählte Architektur-Entwurf des
Bahnhofs (von Gerkan) eine halbe Million Quadratmeter
Bruttogeschoßfläche vorsieht. Hinzu
kommen noch in unmittelbarer Nachbarschaft
200.000 m² im Zuge der geplanten Olympiahalle
und noch einmal 300.000 m² BGF auf dem Gelände
des ehemaligen Nord- bzw. Stettiner Bahnhofs.
Diese insgesamt 1 Million Quadratmeter
Brutto-Geschoßfläche für Bürobauten entspricht
einer Zahl von 60.000 bis 70.000 Arbeitsplätzen
und verursacht ca. 300.000 zusätzliche Fahrten
pro Tag. Da in diesem Gebiet das Straßennetz
nicht mehr erweiterbar ist, wird selbst bei einem
Modal split von 80:20 zugunsten des ÖV gegenüber
dem motorisierten Individualverkehrder automobile
Stillstand eintreten. Der vorgesehene
Straßentunnel wird lediglich dafür sorgen, daß der
Stau sich unterirdisch bis zum Kanalufer fortsetzt
- von den Schadstoffemissionen ganz zu schweigen.
Der termingerechte Bau der Nord-Süd-Trasse
durch Berlins Mitte mit einem Zentralbahnhof am
heutigen Lehrter Stadtbahnhof ist entscheidend
für den Umzugsfahrplan von Parlament und Bundesregierung
nach Berlin. Diesem Druck werden
die Planungskultur - kein Wettbewerb für den
Bahnhof, statt dessen eine undurchschaubare
Auswahl eines Architektenentwurfs durch eine
anonyme Gruppe aus Mitarbeitern der Verwaltung
- und die Bürgerbeteiligung geopfert. Stattdessen
gab es einen Auftrag für zwei Architektenbüros,
die das 700-Millionen-Projekt der Öffentlichkeit
vorstellten. Diese wird mit Fakten
konfrontiert, statt über den Sinn oder wenigstens
den Inhalt der Planung noch diskutieren zu können.
Mittlerweile wird mit dem ausgewählten
Bahnhofsentwurf das Planfeststellungsverfahren
vorbereitet, obwohl auch dem Senat sonnenklar
ist, daß der Gerkan-Entwurf des Bahnhofs und der
Spreebogen-Entwurf von Schultes miteinander
nicht kompatibel sind.
Die Planung und der ab 1995 beabsichtigte Bau
des Tunnels und des Bahnhofs im Spreebogen
binden neben den knappen Finanzmitteln wertvolle
Planungs- und Baukapazitäten, die in der Instandsetzung
und Modernisierung des bestehenden
Netzes und bei der Schließung der immer
noch vorhandenen Lücken fehlen. Ein schrittweiser
Ausbau des Bahnnetzes unterbleibt in der
Hoffnung auf eine perfekte Lösung nach der Jahrtausendwende.
Die vom Bund vorgesehene Kürzung der Obergrenze
für den Bahnbau in Berlin von 20 Mrd DM
auf 10 Mrd DM wird dazu führen, daß zur termingerechten
Fertigstellung und aufgrund unvorhergesehener
Zusatzkosten mehr Geld in den
Tunnel fließt, als heute beabsichtigt ist. Dieses
Geld wird an anderen Stellen eingespart werden
müssen, z.B. an den wichtigen Haltepunkten des
Fern- und Regionalverkehrs am Stadtrand oder
bei den Zulaufstrecken. Doch auch diese Einsparungen
zu Lasten der Reisenden werden nicht
ausreichen. In Berlin wurde bisher jeder Bau teurer
als geplant. Ist der Tunnelbau erst begonnen
worden, wird er für den Bundesfinanzminister
zum Faß ohne Boden werden, weil alle Beteiligten
wissen, daß es kein Zurück gibt.
... ist eine regionalpolitische Fehlentscheidung
Die Entscheidung für das "Pilzkonzept", d.h., für
ein abgemagertes Achsenkreuzmodell mit veränderten
Ausbauprioritäten zu Lasten des Ringes,
bedeutet auch eine regionalpolitische Fehlentscheidung
zu Lasten des Landes Brandenburg. Im
"Pilzkonzept" wird wegen der begrenzten Flächen
vorrangig der Nord-Süd-Tunnel und der Lehrter
Zentralbahnhof am Spreebogen gebaut. Der Ausbau
des Südrings und der Bahnhöfe an den
Schnittstellen von Ring und Radialen erfolgt nicht
oder in zu geringem Umfang. Die Orientierung
auf diesen Kreuzungsbahnhof ist schon verwunderlich,
weil immer betont wird, wie wichtig die
Durchfahrung Berlins für den Eisenbahnverkehr
ist. Dabei begannen bzw. endeten vor dem Krieg
97% aller Fahrten in Berlin. Berlin ist also Ziel
und Quellverkehr und nicht der Ort, der möglichst
schnell durchfahren werden muß. Und es spricht
nichts dafür, daß sich dies in Zukunft ändert.
Außerdem hat nach der Prognose der deutschen
Bahnen, die von dem Vertreter der Senatsverkehrsverwaltung,
Herrn Lemnitz, auf dem Stadtforum
bestätigt wurde, der Fernverkehr im öffenetlichen
Personennahverkehr von Berlin nur ein
Anteil von 3%. Der Regionalverkehr erreicht mit
11% fast das Vierfache. Trotzdem wird dieser,
ebenso wie der Güterverkehr, zugunsten des milliardenschweren
Fernverkehrs zurückgestellt.
Im Regionalverkehr ist maximal ein Stundentakt
für die wenigen Relationen, die die City berühren,
vorgesehen. Andere Strecken fehlen völlig.
Zum Teil müssen die Züge in den Randbereichen
der Stadt bzw. auf Stationen enden, wo keine direkte
Umsteigemöglichkeit zum hochwertigen
Fernverkehr besteht. Für einige Relationen wird
es so voraussichtlich keine attraktive Verknüpfung
mit dem Fernverkehr oder ein direktes Erreichen
wichtiger Ziele in der Berliner Innenstadt
geben. Dies schädigt die Entwicklungschancen
der Region, die eine leistungsfähige Anbindung
an das Berliner Zentrum ebenso braucht wie an
den ICE/IC-Verkehr, der nur in der Mitte der Stadt
hält. Dadurch wird der Lehrter Zentralbahnhof
zum einzigen Umsteigebahnhof der Brandenburger
(Lemnitz, SenVuB, auf dem Stadtforum), die
damit zum Umsteigen in das Zentrum von Berlin
gezwungen werden. Mit dieser aberwitzigen,
verkehrserzeugenden Lösung wird dann erst der
Kreuzungsbahnhof begründet.
... und eine Stadt- und landschaftsplanerische
Fehlentscheidung
Stadtplanerisch ist das "Pilzkonzept" ebenfalls
eine Fehlentscheidung. In einer Untersuchung im
Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
und Umweltschutz (Dubach/Kohlbrenner)
heißt es u.a.:
- "Das Ringbahnmodell erschließt mit seinen zusätzlichen
Fernbahnhöfen an der Ringbahn einen
größeren Bereich der Innenstadt, als dies das Achsenkreuz-Modell
mit seiner Konzentration auf den
sich ohnehin entwickelnden zentralen Bereich
vermag.
- Für eine stärkere Entwicklung von Zentren an
der Ringbahn ist die Nord-Süd-Strecke negativ zu
bewerten. Die in Zusammenhang mit dem Ringbahn-Modell
(Verteilung des Zugangebotes) voraussichtlich erforderlichen
Fernbahnhöfe
Westkreuz und Ostkreuz lägen an wichtigen Entwickungspotentialen
der Stadt, erforderten allerdings
auch erhebliche Eingriffe in das jeweilige Umfeld.
- Bei einem Enden von Zügen - insbesondere des
Regionalverkehrs am Ring - könnte auf einen ggf.
erforderlichen Ausbau von Abschnitten der Ringbahn
auf mehr als zwei Gleise und die damit verbundenen
unverträglichen Eingriffe voraussichtlich
verzichtet werden. [Dies gilt insbesondere für
den von der Senatsverwaltung für Verkehr und
Betriebe geforderten "Flughafen-Shuttle", der im
15-min-Takt zu einem Flughafen südlich der Stadt
verkehren soll. Er macht nicht nur den viergleisigen
Ausbau des Tunnels erforderlich, sondern
belegt auch die Hälfte der Tunnelkapazität. Nachdem
der von Brandenburg so favorisierte Groß-Flughafen
südlich von Berlin durch die Präferenz
von Bonn und Berlin für Schönefeld eher unwahrscheinlich
ist, ist ein weiteres Argument für den
Tunnel hinfällig. Anmerkung M.C.]
- Für die Entwicklung des zentralen Bereichs ist
die Nord-Süd-Strecke mit einem zentralen Bahnhof
am heutigen Lehrter Stadtbahnhof ein zusätzlicher
Impuls, der die Standortgunst weiter erhöht.
Verbunden damit wäre voraussichtlich eine Reihe
von erheblichen Problemen infolge verkehrlicher
Belastungen und des noch verstärkten Entwicklungsdruckes
(im Umfeld). Dem bisherigen
Ziel der Sicherung und Stärkung der Polyzentralität
(Berlins) liefe dies entgegen."
Die landschaftsplanerische Bewertung in diesem
Gutachten spricht sich ebenfalls für das Ring-Modell
als das stadtverträglichere aus. Bei der
Entscheidung für das "Pilzkonzept" wurden jedoch
die Stadt- und landschaftsplanerischen Bedenken
in keiner Weise gewürdigt.
Die Alternative zum "Pilzkonzept"
Es gibt zum "Pilzkonzept" inklusive Lehrter Zentralbahnhof
eine preisgünstigere, effektivere und
schneller realisierbare Alternative. Diese spielt in
Berlin nach der Wende aber keine Rolle, weil die
führenden Berliner Planer und Politiker trotz angespannter
Finanzlage - Berlin zahlt derzeit jeden
Tag 4 Mio DM Zinsen, die sich bis 1995 verdoppelt
haben werden - der Meinung sind, daß das
teuerste und beste für Berlin gerade gut genug sei,
was im übrigen die Bundesregierung zu finanzieren
habe. Für die damit einhergehende Verzögerung
des begehrten schnellen Umzugs von Parlament
und Regierung nach Berlin werden dann
selbstverständlich immer "die anderen" verantwortlich
gemacht. Die von der Fraktion Bündnis
90/Grüne favorisierte Alternative ist das Ring-Konzept,
das wegen des Tunnelverzichtes nicht
nur erheblich billiger ist. Ein wesentlicher Vorteil
ist auch, daß seine Verwirklichung stufenweise
sinnvolle Verbesserungen bringen könnte, was
bei zu erwartenden Kostensprüngen und Mittelbegrenzungen
äußerst günstig wäre. Im übrigen
tangiert es auch nicht die Baumaßnahmen im zentralen
Bereich, wenn man einmal von den notwendig
werdenden Bahnsteigverlängerungen des "Regierungsbahnhofs"
Friedrichstraße absieht.
Die Alternative für die Tunnel der Regierungsbahnen
S21 und U5
Auch für diese beiden Regierungsbahnen gibt es
die von der Fraktion Bündnis 90/Grüne favorisierten
Alternativen, die sich sogar mit dem Konzept
decken, das für den Hauptstadtwettbewerb im
Auftrag des Bundesverkehrsministerium (BMV)
entwickelt worden ist. Es handelt sich dabei um
ein Straßenbahnkonzept, das in der Lage ist, die
Innenstadt und das Regierungsviertel auf direktem
Wege ohne Umsteigen mit den bisherigen
ÖPNV-Knoten Alexanderplatz, Friedrichstraße
und Zoologischer Garten ebenso zu verbinden wie
mit dem Flughafen Tegel. Die Realisierung dieses
Straßenbahnkonzeptes mit einem Umfang von
ca 22 km kostet (bei dem vom Senat in Rechnung
gestellten km-Preis von 12 Mio DM) mit 264 Mio
DM nur einen Bruchteil der geplanten Neubauten
von S21 und U5 und kann dadurch der Bundesregierung
und dem Land Berlin einen Betrag
von mehr als 2 Mrd DM einsparen.
Unter der Voraussetzung, daß die Finanzierung
von 2,3 Mrd DM (200 Mio DM/km) für die S21
(7,5 km) und die U5 (4,0 km bis Lehrter Bahnhof)
gesichert ist - und gerade das ist bis heute
mehr als fraglich - muß eine Bauzeit von mindestens
10 Jahren veranschlagt werden. Demgegenüber ist dieses
Straßenbahnkonzept innerhalb von
3 Jahren realisierbar, bewegt sich im finanzierbaren
Rahmen und kann im Zusammenhang mit den
bereits vorhandenen U- und S-Bahn-Linien das
zu erwartende Fahrgastaufkommen in der Innenstadt
und im Regierungsviertel bequem bewältigen.
Dies wird auch von ersten Zwischenergebnissen
bestätigt, die die Münchener Gutachtergruppe
"Intraplan Consult GmbH" im Auftrag der Senatsverwaltung
für Verkehr und Betriebe für das standardisierte
Bewertungsverfahren der S21 und der
U5 ermittelt hat.
Aus den Unterlagen ist nämlich ersichtlich, daß
die existierende S-Bahn (Stadtbahn) zwischen
Alexanderplatz und Zoo mit einem Potential von
130.000 bis 160.000 Fahrgästen im Jahr 2000
dann ebensowenig überlastet ist wie die neue U-Bahn-Linie 2
zwischen Alexanderplatz und Zoo
mit einem Fahrgastpotential von 40.000 Fahrgästen
pro Tag. Für die dazwischen verlaufende U-Bahn-Linie 5
zum Lehrter Zentralbahnhof ist kein
entsprechend hohes Potential vorhanden. Eine
Straßenbahn ist für diesen Bedarf eher angemessen.
Die Fahrgastpotentiale, die für die bestehende
Nord-Süd-S-Bahn prognostiziert werden, liegen
bei ca. 100.000 Fahrgästen, weshalb eine parallele
Tunnelstrecke ebenfalls überflüssig ist. Anstatt
sich nun aber darüber zu freuen, daß
2.000.000.000 DM eingespart werden können,
wird in Berlin die Anweisung gegeben, die S- und
U-Bahn-Tunnel - selbstverständlich auf Bonner
Kosten - schönzurechnen.
So werden die Fahrgäste einfach aus dem bestehenden
in den neu zu bauenden S-Bahn-Tunnel
verlagert. Bei der U-Bahn wird das Fahrgastpotential
des innerstädtischen Busverkehrs in die U-Bahn
hineingerechnet, außerdem wird die U-Bahn
über den Lehrter Zentralbahnhof bis Jungfernheide
verlängert. Das macht zwar für die 4-km-Strecke
einen zusätzlichen Kostenbetrag von 800 Mio
DM, reicht den Berliner Planern aber aus, um
diese U-Bahn-Strecke zu begründen. Bei dieser
"schöngerechneten" Prognose ergibt sich dann ein
Wert von 1,5 im standardisierten Bewertungsverfahren.
Selbst dieser "schöngerechnete" Wert
kann mit dem S-Bahn-Nordring keineswegs konkurrieren,
da er mit 4.0 fast die dreifach bessere
Kosten-Nutzen-Kalkulation im standardisierten
Bewertungsverfahren erreichte. Trotzdem wird
die Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Nordrings
zugunsten des Neubaus von U5 und S21 zurückgestellt.
Nicht nur, aber auch aus finanziellen Gründen
bietet sich deshalb die Straßenbahn als Alternative
an. Sie ist für den Kurzstreckenverkehr im
zentralen Bereich besser geeignet, wäre erheblich
kurzfristiger realisierbar und würde zudem bei
einem doppelt so großen Netz lediglich ein Zehntel
kosten. Die Anbindung des Flughafens Tegel
mit einer S-Bahn ist ebenfalls unwirtschaftlich,
weil dort lediglich ein Fahrgastpotential von 2.600
Personen/Tag ermittelt wurde, das am Flughafen
in Bus und Bahn ein- bzw. aussteigen will.
Aus all diesen Gründen favorisiert die Fraktion
Bündnis 90/Grüne anstelle der S21 und der U5
die drei Straßenbahnlinien durch die Leipziger
Straße zum Bahnhof Zoo bzw. zum Kleistpark,
durch die Französische Straße am Reichstag und
Lehrter Stadtbahnhof vorbei zum Flughafen Tegel
und durch die Friedrichstraße zum Potsdamer
Platz. Letzteres fordern übrigens auch die Geschäftsleute
und Investoren in der Interessengemeinschaft
Friedrichstraße.
Dieses Straßenbahnkonzept wird vom Berliner
Senat noch nicht einmal als Auffangposition in
Krwägung gezogen, wenn die zusätzlich gewünschten
Bonner Gelder in Milliardenhöhe ausbleiben
sollten. Der Senat will in diesem Falle
nämlich den Rohbau der Tunnel im zentralen
Bereich bauen, wie es aus einer Senatsvorlage
hervorgeht, die allerdings noch nicht abgestimmt
ist. Dort heißt es wörtlich: "Sollte es nicht gelingen,
hierfür zusätzliche Mittel zu erhalten, könnten
von den Projekten U5 und S21 lediglich Tunnelrohbauten
im Spreebogenbereich erstellt werden.
Gleichzeitig müßten zur Finanzierung dieser
Rohbauwerke eigentlich unverzichtbare
GVFG-Vorhaben wie der S-Bahn-Nordring und
Straßenbahnneubaustrecken um mehrere Jahre
verschoben werden."
Die Alternative zum Straßentunnel
Die Alternative zum Straßentunnel ist die drastische
Reduzierung des Autoverkehrs. Ein 3,5 km
langer Straßentunnel unter dem Tiergarten bringt
dramatische Folgen mit sich.
- Aus Gründen der Sicherheit muß bei Unfällen,
zur Reinigung und bei zu hohen Abgaskonzentrationen
der Tunnel gelegentlich gesperrt werden
können. Dafür wird eine oberirdische Straße mit
dem gleichen Leistungsvolumen benötigt. Die
Oberfläche kann also nicht entsiegelt werden.
Stauprobleme lassen sich bei dieser Länge nicht
ausreichend regulieren und vermeiden.
- Die normale Konzentration von Autoabgasen im
Tunnel kann nur mit kraftwerksgroßen Entlüftungsbauwerken
an die Oberfläche gespült werden.
Weltweit gibt es keine Autoabgas-Entgiftungstechnologie,
so daß das Erholungsgebiet
"Großer Tiergarten" wie auch der dicht bebaute
Bezirk Mitte inklusive dem Regierungsviertel
über Schornsteine mit diesen Giftgasen und
Schadstoffen ständig berieselt werden.
- Auch wenn heute von Senatsseite die extrem
teuren, das Grundwasser schonende Bauweisen
versprochen werden, sind Grundwasserabsenkungen
zur Kosteneinsparung bei ohnehin knappen
Geldern abzusehen und somit sicher nicht zu vermeiden.
Laut Gutachten werden diese katastrophale
Auswirkungen haben: Der Wald im Tiergarten
wäre trockengelegt wie auch die Straßenbäume
im Umkreis von 5 km. Darüber hinaus ist
der Reichstag bei einer Grundwasserabsenkung
extrem gefährdet. Dieser ist nämlich auf Eichenpfählen
gegründet, die bei einer Grundwasserabsenkung
verfaulen würden.
Auch aus diesen Gründen kann von einer Autoverkehrsentlastung
durch den geplanten Tunnel
nicht gesprochen werden. Die Alternative zum
Straßentunnel ist deshalb die drastische Reduzierung
des Autoverkehrs. Dies ergibt sich auch aus
der Belastbarkeitsstudie, die im Auftrag des Senats
vorgenommen worden ist, aus der hervorgeht,
daß in allen Hauptverkehrsstraßen innerhalb
des S-Bahn-Rings die von Bundesumweltminister
Töpfer geplanten Grenzwerte für Benzol, Dieselruß
und Stickoxyden so stark überschritten werden
(z.T. um das Dreifache), daß neben allen technischen
Verbesserungen eine Reduzierung der
Verkehrsmenge von 1991 um ein Drittel zwingend
geboten ist.
Dies will auch der Senat. Der Senat hatte nämlich
am 18. Dezember 1991 beschlossen, den
Modal split innerhalb des "Kleinen Hundekopfes"
von heute 40 : 60 auf morgen 80 : 20 zugunsten
des öffentlichen gegenüber dem motorisierten
Individualverkehr (MIV) zu verandern. Eine
Umsetzung dieses Konzeptes vorausgesetzt könnte
der restliche Autoverkehr von der Invalidenstraße
über den Großen Stern zum Kanalufer geleitet
werden. Die Entlastungsstraße - nach dem
Mauerbau durch den Tiergarten geschlagen -
könnte diesem wieder zurückgegeben werden.
Die Forderung der Bundesregierung: "Kein
Durchgangsverkehr durch das Regierungsviertel"
wäre auch ohne Tunnelbau erfüllt.
Fazit
Die Fraktion Bündnis 90/Grüne unterstützt ausdrücklich
den oben angegebenen Senatsbeschluß
ebenso wie die Forderung der Bundesregierung
nach einem durchgangsverkehrsfreien Regierungsviertel.
Sie ist allerdings der Meinung, daß
für die Umsetzung dieser Forderungen bei der
notwendigen Mobilisierung der grauen Zellen und
des Einreißens ideologischer Barrieren in den
Köpfen der Berliner Verkehrsplaner und Politiker
nicht nur Zeit, sondern auch Geld in Höhe
mehrerer Milliarden eingespart werden könnte.
Mit nur einem geringen Teil des eingesparten
Geldes könnten die Schienenlücken innerhalb der
Stadt und mit dem Umland geschlossen werden
die seinerzeit der Mauerbau gerissen hat. Dadurch
könnte dann auch auf der Schiene zusammenwachsen,
was zusammengehört. Michael Cramer
Anlage zum Schreiben vom 19.05.93
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