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Kleine Sünden - große Wirkung

Berlins Autofahrer behindern Bus und Tram

Durch die ständige Verzögerung des Ausbaus des Schienennahverkehrs, insbesondere bei Straßenbahn und Regionalschnellbahn, und durch ungebremsten Straßenaus- und -neubau nimmt die Zahl der den Stau verursachenden Autos in Berlin ständig zu. Von dieser Entwicklung besonders betroffen sind Tram und Bus, deren Behinderungen, z.B. durch vorschriftswidrig abgestellte Fahrzeuge, eine Vielzahl von Problemen verursachen und die Attraktivität des Gesamtsystems Öffentlicher Nahverkehr entscheidend beeinträchtigen. Auch hier zeigt die Berliner Polizei ihr Desinteresse an den Belangen der Fahrgäste und Verkehrsbetriebe. Bisher können aufgrund nur weniger, z.T. noch vorher angekündigter Überwachungsaktionen Falschparker in den meisten Fällen davon ausgehen, daß ihr Verstoß nicht geahndet wird. Diese übergroße Toleranz der Polizei ist mitentscheidend für die Zustände auf den Berliner Straßen und die Disziplinlosigkeit der Autofahrer, die einen hochgradigen Zustand der Verwahrlosung erreicht hat. Aus diesem Grund hat der Berliner Fahrgastverband IGEB ein Konzept zum Abbau dieser Behinderungen entwickelt, das nachfolgend in Auszügen dokumentiert wird.

Haltestelle
Foto: Norbert Gronau
Haltestelle
Zugeparkte Tram- und Bushaltestellen sind in vielen Gegenden Berlins bereits zum Normalzustand geworden. Foto: Norbert Gronau

Durch falsch haltende oder parkende Fahrzeuge kommt es zu einer Vielzahl von Behinderungen von Bussen und Straßenbahnen sowie deren Fahrgästen. In fast allen Fällen fuhren bereits die Regelwidrigkeiten einzelner zu Behinderungen und Beeinträchtigungen von Hunderten von Fahrgästen bzw. zur Störung oder Blockade eigentlich dringend notwendiger Einrichtungen.

Parken in zweiter Reihe

Bei Parken in zweiter Reihe ist häufig das Durchkommen für die Busse erschwert oder ganz unmöglich geworden. Die Folgen sind Verspätungen bzw. erzwungene Betriebseinstellungen.

Parken in Kurven

Falsch abgestellte Fahrzeuge in Kurven behindern ebenfalls die Fahrt der Busse. Gerade Gelenkbusse sind darauf angewiesen, daß ein ausreichend großer Kurvenradius zur Verfügung steht.

Zugeparkte Haltestellen

Die Einstiegshilfen bei behindertengerechten Bussen (z.B. Eindecker oder Gelenkbusse mit Hublift) und die Einstiegshöhe bei behindertenfreundlichen Bussen (neuere Doppeldecker) sind auf das Aussteigen an einer Bordsteinkante ausgerichtet. Kann der Bus wegen falsch parkender Fahrzeuge nicht an den Bordstein heranfahren, ist die Investition von über 40.000 DM in die Einstiegshilfen wirkungslos geworden, da nun wieder Höhen von 30 cm und mehr zu überwinden sind, die kein Rollstuhlfahrer und kein Gehbehinderter bewältigt. Auch das Aussteigen auf die Straße ist für Eltern mit Kinderwagen oder kleinen Kindern sehr stark erschwert.

"Fast" zugeparkte Haltestellen

Auch eine "fast" zugeparkte Haltestelle fuhrt bereits zu Problemen. So ist der Bus gezwungen, sehr langsam an die Haltestelle heranzufahren (Fahrzeitverlängerung) und fährt dabei mit der Spitze bis zu 50 cm über den Bürgersteig. Hierbei droht den Fahrgästen die Gefahr, z.B. vom Außenspiegel des Busses getroffen zu werden. Bei "fast" zugeparkten Doppelhaltestellen wird das Umsteigen zwischen zwei Bussen unmöglich gemacht, wenn nur ein Bus an die Haltestelle heranfahren kann: Die umsteigewilligen Fahrgäste des hinteren Busses können erst aussteigen wenn der vordere Bus bereits wieder abgefahren ist.

Parken in Ladezonen und auf Busspuren

Durch vorschriftswidriges Halten und Parken auf Busspuren und in Ladezonen werden weitere Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung provoziert: Die Lieferfahrzeuge sind nunmehr gezwungen, in zweiter Reihe oder auf der Busspur zu entladen. Die Busse müssen sich in den übrigen Verkehr einordnen, was wiederum zu Fahrzeitverlängerungen führt. So reicht bereits ein falsch abgestelltes Fahrzeug aus, um mehrere 100 Meter Busspur unbenutzbar zu machen.

Parken an Straßenbahnhaltestellen

Insbesondere an Straßenbahnhaltestellen tritt das Problem auf, daß auf dem Bürgersteig oder am Fahrbahnrand geparkt wird, ohne das Parkverbot des Haltestellenzeichens zu beachten. Dies stellt eine erhebliche Gefährdung für die ein- und aussteigenden Fahrgäste dar. Aussteigende Fahrgäste haben Schwierigkeiten, den "sicheren" Bürgersteig zu erreichen. Herannahende Autofahrer können nicht genau erkennen, ob Fahrgäste einsteigen wollen, da ihnen die Sicht genommen ist. Oftmals erkennen sie nicht einmal das Haltestellenschild und rasen mit unverminderter Geschwindigkeit an den ein- und aussteigenden Fahrgästen vorbei. Dies Führt nicht nur zu einer erheblichen Gefährdung der Fahrgäste, sondern auch zu erhöhter Giftbelastung, da die Abgase durch die geöffneten Türen in den Fahrgastraum eindringen.

Unbefugte Benutzung von Busspuren

Kreuzung
Während in anderen Städten dem ÖPNV durch besondere Ampelschaltungen Vorrang eingeräumt wird, werden in Berlin die Busse und Straßenbahnen durch Ampeln zusätzlich schikaniert. Ein besonders beeindruckendes Beispiel gibt es am Potsdamer Platz, wo zunächst der Individualverkehr Richtung Leipziger Straße fahren darf und erst anschließend, wenn die Straße zugestaut ist, der Bus für wenige Sekunden Freie Fahrt erhält. Foto: I. Schmidt

An Busspuren und Busschleusen stehen gelegentlich spezielle Lichtzeichen für die Fahrzeuge des Öffentlichen Personennahverkehrs. So wird die Ausfahrt aus der Busschleuse durch einen um 45 Grad gekippten weißen Balken signalisiert. Diese besonderen Lichtzeichen sind den illegalen Benutzern der Busspur bzw. Busschleuse meist nicht bekannt. Sie warten auf die grüne Ampel und behindern so die dahinter wartenden Busse erheblich. Diese Situation ist an fast allen Busschleusen täglich zu beobachten.

Nichtbeachtung des Vorrangs

Busse, die von der Haltestelle abfahren wollen, haben Vorrang! Diese Regelung wird vom Individualverkehr regelmäßig mißachtet. Der Bus muß solange in der Bucht warten, bis sich eine Lücke im Stau ergibt oder ein Fahrzeug ihm sein Recht gewährt. Auch hierdurch entstehen Verzögerungen und Fahrplanabweichungen.

Lösungsvorschläge

Deutliche Kennzeichnung von Haltestellen

Um Mißverständnisse bei der Freihaltung von Haltestellen auszuschließen, sollten alle Bushaltestellen mit Halteverbotsschildern und einer Fahrbahnmarkierung nach STVO (Zeichen 299, Zickzacklinie) ausgestattet werden. Nur so wird dem Individualverkehr ausreichend deutlich, wo Park- und Halteverbote bestehen.

Abschaffung der Busbuchten

Das Heranfahren der Busse an den Bürgersteig, z.B. in sogenannten Busbuchten, stellt die schlechteste Lösung der Gestaltung einer Haltestelle dar. Ausgerechnet dort, wo viel Platz für eine Wartehalle, wartende Fahrgäste etc. benötigt wird, ist der Platz enger statt breiter. Daher müssen durch ein Umrüstungsprogramm alle Busbuchten zu Haltestellenkaps umgebaut werden.

Überwachung von Busspuren und Haltestellen

Stau
Blick aus der Tram auf eine alltägliche Stauszene in der Dimitroffstraße: Das Fehlen der Gleis-Abmarkierung bedeutet für die Tram zusätzliche Fahrzeit und damit zusätzliche Kosten. Foto: IGEB
Busspur
Busspuren in Berlin: Dort, wo sie besonders gebraucht werden, enden sie! Ein Beispiel dafür ist die neu angelegte Busspur in der Fennstraße, die 150 m vor der Kreuzung Müllerstraße endet. Foto: I. Schmidt

Die Polizei muß die fast völlig aufgegebene Überwachung von Haltestellen und Busspuren wieder aufnehmen. Zusätzlich sind fahrdienstuntaugliche BVG-Mitarbeiter als Überwachungskräfte im Oberflächenverkehr einzusetzen.

Einheitliche Busspur-Regelungen

Busspuren sind grundsätzlich unbefristet einzurichten. Bei Busspuren am rechten Fahrbahnrand wird lediglich Be- und Entladen zu bestimmten Zeiten gestattet, aber grundsätzlich nie das Parken. Nur so ist einer Kriminalisierung der Lieferfahrzeuge, die ansonsten vollgeparkte Ladebereiche vorfinden, entgegenzuwirken.

Umgestaltung von Straßenbahnhaltestellen

Im Straßenbahnbereich ist das Aussteigen auf die Fahrbahn so weit wie möglich durch den Bau von Haltestelleninseln zu vermeiden. Dabei müssen folgende Grundsätze gelten:

Bushaltestelle
Außen hui - innen Pfui. Als völlig ungeeignet für den Einsatz im städtischen Linienverkehr haben sich die vom Privatunternehmen Der Südender eingesetzten Den Oudsten-Busse erwiesen. Anlaß für häufigen Fahrgastunmut ist die mißlungene Innenraumaufteilung: Direkt gegenüber der Mitteltür sind Zweiersitzreihen im Weg, und der Gepäckabstellplatz befindet sich auf der Türseite (!) zwischen Vorder- und Mitteltür. Dadurch kommt es vor allem auf den stark frequentierten Steglitzer Buslinien (wie z.B. Bus 180) ständig zu Gedränge im Bereich der Mitteltür, was zu längeren Aufenthaltszeiten an den Haltestellen führt. Und wenn dann noch ein Kinderwagen hineingezwängt werden muß, ist das Chaos perfekt. Foto: Klaus Kotzur
Bushaltestelle
Probleme bereiten den Fahrgästen auch die neuen Neoplan-Gelenkbusse, die sowohl von der BVG wie auch von privaten Busunternehmen im Linienbetrieb eingesetzt werden. Bei vollen Bussen müssen einige Fahrgäste zwangsläufig im Gelenkteil stehen, hier aber gibt es nur an der Seite Festhaltemöglichkeiten. Wie es besser geht, kann man z.B. in den alten Ikarus-Schlenkis begutachten. Unzureichend ist auch die Innenraumbeleuchtung der Fahrgzeuge. Vor allem auf den hinteren Sitzplätzen ist die morgendliche Zeitungslektüre erst bei ausreichendem Tageslicht möglich. Foto: Klaus Kotzur
  • In für den Autoverkehr einspurigen Straßen mit parkenden Pkw's am Fahrbahnrand muß der Bürgersteig bis zum Schienenbereich vorgezogen werden. So entsteht Platz für die Aufstellung einer Wartehalle, und die Höhendifferenz beim Einsteigen kann um 12 bis 15 cm verringert werden. Das Versperren der Haltestelle wird so wirksam unterbunden.
  • In einspurigen Straßen ohne Randparker ist der Haltestellenbereich durch entsprechende Fahrbahnmarkierung (H im Kreis) deutlich zu markieren. Zudem ist am Fahrbahnrand eine Zickzacklinie (Zeichen 299 StVO) anzubringen, die das Halteverbot in diesem Bereich kennzeichnet. Um ein ungefährdetes Ein- und Aussteigen der Straßenbahnfahrgäste zu ermöglichen, ist eine einfache Ampel zu installieren, die von der herannahenden Straßenbahn auf Rot geschaltet wird (mittels Fahrkontakt). Nach Abfahrt der Tram erlischt die Ampel automatisch.
  • In Straßen, die mehr als eine Fahrspur pro Richtung für den Individualverkehr aufweisen, ist in die am weitesten links gelegene Spur eine mindestens 2,5 m breite Haltestelleninsel mit Wartehalle einzubauen. Diese Haltestelleninsel sollte an Kreuzungen hinter der einmündenden Straße errichtet werden. Bei Haltestelleninseln, die nicht an Kreuzungen liegen, kann auf Ampeln zugunsten eines Fußgängerüberwegs (Zebrastreifen) verzichtet werden.

Kosten

  • Die Einrichtung eines Buskaps für eine Bushaltestelle kostet etwa 25.000 DM. Bei ca. 1500 Haltestellen im Stadtgebiet ist ein Umbau erforderlich, daraus entstehen im Laufe von 5 Jahren Kosten in Höhe von etwa 7,5 Mio DM jährlich. Die Umbaumaßnahmen sind bis zu 75% vom Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz förderbar, so daß dem Land Berlin keine erheblichen Kosten entstehen.
  • Die Überwachung von Sonderfahrstreifen, Busspuren und Haltestellen durch fahrdienstuntaugliches Personal, evtl. verstärkt durch ABM-Kräfte, ist ausgabenneutral, da die Bußgeldeinnahmen in jedem Fall die Personalkosten decken.
  • Der Umbau von Straßenbahnhaltestellen ist im Zusammenhang mit der Aufstellung neuer Ampeln und der Grundsanierung des Netzes ebenfalls kostenneutral und durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz förderbar.

Durch diese Ausgaben lassen sich andererseits erhebliche Einsparungen bei den Betriebskosten im Oberflächenverkehr erzielen. Selbst bei vorsichtiger Schätzung sind es mehr als 20 Mio. DM jährlich. Hinzu kommt die gewonnene Sicherheit für die Fahrgäste von Tram und Bus, die sich gar nicht in finanziellen Größen ausdrücken läßt.

Diese vorgeschlagenen Maßnahmen sind dringend erforderlich und ohne langwierige planerische Vorarbeiten in kürzester Zeit zu verwirklichen. Betriebskostenersparnisse in Millionenhöhe und eine Verringerung der Unfallzahlen sind so einfach wie auf kaum eine andere Art zu erreichen. Wann setzt der Senat dieses Konzept um?

Die Langfassung dieses Konzeptes mit zahlreichen Abbildungen und einer Übersicht von Lösungsmöglichkeiten in anderen Städten ist nach Überweisung von 7,50 DM einschl. Porto und Versand auf das Konto 582605-102 beim Postgiroamt Berlin (BLZ 10010010) erhältlich. Bitte Versandanschrift nicht vergessen!

IGEB

aus SIGNAL 7/1993 (September 1993), Seite 4-7

 

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