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Nach dem Fall der Berliner Mauer
hatte die Wiederherstellung der unterbrochenen
Verkehrswege hohe Priorität.
Innerhalb kürzester Zeit gelangen
Planung und Umsetzung - beim
Straßenbau. Allerdings sind inzwischen
auch bei der Verknüpfung der
Nahverkehrsnetze (mit Ausnahme
der Straßenbahn) deutliche Fortschritte
erkennbar. Völlig unbefriedigend
sind demgegenüber die Fortschritte bei
der Einbindung Berlins in
das DR-Regionalbahnnetz. Lediglich
zwei R-Linien überfahren bisher die
"Grenze nach West-Berlin". Auch der
seit dem 4. Juli zum Bahnhof Zoo
verkehrende ICE kann nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die ehemalige
Inselstadt für viele Bahnreisende
noch immer schlecht erreichbar ist,
obwohl allein in dieser Stadthälfte
fast so viele Menschen leben wie im
gesamten Land Brandenburg. Es muß
befürchtet werden, daß sich an dieser
Situation auch wenig ändern wird,
solange fast alle Planungs- und
Baukapazitäten in das Langzeitprojekt
"Pilzkonzept" gesteckt werden.
Deshalb fordern die Berliner
Fahrgastverbände IGEB und PRO BAHN
Sofortmaßnahmen und Zwischenlösungen
und haben dafür ein Konzept
erarbeitet.
Mit Sofortmaßnahmen und Zwischenlösungen
soll zum einen verhindert werden, daß mit der
geplanten Sperrung der Stadtbahn für die Bahnkunden
ein kaum noch annehmbares Zugangebot
geschaffen wird, wie es die Reichsbahn derzeit
plant. Zum anderen soll der Langfristplanung
des Berliner Senats eine kurzfristig realisierbare
Alternative entgegengehalten werden. Dies ist
vor allem auf die im Zusammenhang mit der
Streichung der S-Bahn-Linie 21 einhergehenden
Planungs- und Bauverzögerungen bei der Umsetzung
des "Pilzkonzeptes" vonnöten.
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Bf. Baumschulenweg, Blick nach Norden im Bild ist die Trasse des ehemaligen Fernbahngleis nach Neukölln zu sehen. Hier sollen nach den Vorstellungen des Konzeptes Berlin 94 bald wieder Züge fahren, darunter der IC zwischen Hamburg und Dresden (Linie 7). Foto: Georg Radke |
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Schon im Frühjahr wurden erste Überlegungen
vorgenommen, wie das Zugangebot grundlegend
verbessert werden kann, ohne damit die beschlossene
Bahnplanung zu gefährden, denn Sofortmaßnahmen
mit erheblichen Auswirkungen auf
das "Pilzkonzept" haben derzeit keine Realisierungschancen.
Rasch wurde der Kerngedanke
formuliert, eine Ost-West-Durchquerung Berlins
zu finden, ohne die zu sanierende und ab 1994
oder 95 für den Fernverkehr gesperrte Stadtbahn
und den planungsbefangenen Nordring zu befahren.
Da umfangreiche Neubauprojekte aus Kostengründen
nicht in Frage kommen, wurde der zur
Zeit kaum genutzte südliche Berliner Innenring
näher untersucht. Diese größtenteils viergleisige
Bahnanlage bietet sich für eine Interimslösung an,
da für eine vollständige Ost-West-Durchquerung
Berlins lediglich eine im Zuge des Mauerbaus
gekappte Verbindung zur Görlitzer Bahn wiederherzustellen
ist. Die Fahrgastverbände IGEB und
PRO BAHN schlagen vor, den bereits für den S-Bahn-Verkehr
wiederaufgebauten Abschnitt
Neukölln - Baumschulenweg auch für einen eingleisigen
Fernverkehr wiederherzurichten, weil
somit eine durchgehende Führung der IC-Linie
7 Hamburg - Dresden weiterhin möglich wäre.
Die DR hingegen plant, diese Linie von Hamburg
kommend nur bis zum Bahnhof Berlin Zoologischer
Garten zu führen und die fehlende Durchbindung
nach Dresden durch eine völlig unakzeptable
Flügel-IC-Linie zu ersetzen, die von Nauen
über den nördlichen Außenring und den Bahnhof
Berlin-Lichtenberg geführt werden soll.
Nach der Konzeption der Fahrgastverbände
sollen die Züge der IC-Linie 7 sowohl im Bahnhof
Berlin-Schöneweide als auch in Westkreuz halten.
Parallel zur Ringbahnhalle des Bahnhofs
Westkreuz, für den die neue Bezeichnung "Berlin
Messe" vorgeschlagen wird, könnte ein neuer
IC-Bahnsteig gebaut werden. So wäre mit
wenig Aufwand eine gute Erschließung der gesamten
Stadt möglich.
Das Bahnkonzept "Berlin '94", ein 8-Punkte-Programm,
schlägt als weitere Maßnahme die Einbeziehung
der Wannseebahn als Zubringer zum
Südring vor. Das Ferngleis dieser Strecke soll
nach DR-Planungen für Baulogistikzüge genutzt
werden. Dies darf jedoch eine Nutzung für den
Regional- und Fernverkehr nicht ausschließen.
Oder sind Güterkunden etwa wichtiger als Fahrgäste?
Die Wannseebahn bietet zudem die Chance,
Regionalzüge aus dem westlichen Umland
Berlins stärker in und sogar - nach dem beschriebenen
Südring-Lückenschluß - durch die Stadt
zu führen. Am vorhandenen Stammbahnsteig des
Bahnhofs Berlin-Zehlendorf kann gehalten
werden. Zur besseren Verknüpfung mit den Berliner
S- und U-Bahn-Linien sollten zudem an den S-Bahnhöfen
Rathaus Steglitz und Berlin-Schöneberg
einfache Bahnsteige für den Regionalverkehr
angelegt werden. Die begrenzte Kapazität
des Bahnhofs Berlin-Wannsee, die seitens der
Bahn oft angeführt wird, könnte durch den Bau eines
weiteren Seitenbahnsteigs am Ausgang
Reichsbahnstraße erhöht werden.
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Fernbahngleis am S-Bf. Westkreuz (Ringbahnhalle). Hier könnte ein Seitenbahnsteig für einen Fernbahnhalt Berlin Messe gebaut werden, an dem IC-, IR- und Regionalbahn-Züge halten. Foto: Georg Radke |
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"Fahren dort, wo Schienen liegen." Dieses Motto
des Konzeptes steht auch bei der Forderung
nach sofortiger Aufnahme des Regionalverkehrs
auf der traditionellen Heidekrautbahn-Stammstrecke
Pate. Zumindest ab dem Märkischen Viertel
könnte der planmäßige Zugverkehr in die
Schorfheide mit Schienenbussen aufgenommen
werden. Die Fahrgastverbände schlagen als Endpunkt
den Bahnhof Liebenwalde vor. Diese Linie
könnte die vorhandene R8-Linie Berlin-Karow
- Groß Schönebeck sinnvoll ergänzen, würde
mehrere bedeutende Umlandgemeinden erschließen
und wäre vor allem für die im ehemaligen
Westteil der Stadt wohnenden Berliner eine
Alternative zum Autoausflug. Die ungebrochene
Beliebtheit dieser Verbindung wurde gerade
erst mit einem neunwöchigen Ausflugsfahrten-Programm
von PRO BAHN eindrucksvoll bestätigt.
Mehrere tausend Ausflügler nutzten die
zwischen Ausgust und Oktober eingesetzten
Sonderzüge ab Wilhelmsruher Damm und fuhren nach
Liebenwalde oder Groß Schönebeck.
Das Problem der fehlenden Umlandlückenschlüsse
darf nach Ansicht der Fahrgastverbände
nicht auf die lange Bank geschoben werden.
Doch genau dies geht aus Verlautbarungen der
Reichsbahn hervor. So ist es nicht hinnehmbar,
daß der Lückenschluß zwischen Teltow und Berlin-Lichterfelde
Ost anscheinend immer weiter
verschoben wird. War zunächst die Fertigstellung
gleichzeitig zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn
nach Lichterfelde Ost im Gespräch, so gibt
es nun Äußerungen, daß die Regionalzüge erst
in mehreren Jahren hier verkehren können. Deshalb
wird erneut die Forderung erhoben, zumindest
eine eingleisige, nicht elektrifizierte Verbindung
kurzfristig wiederaufzubauen.
Eine ähnliche Maßnahme erfordert die Wiederinbetriebnahme
der Kremmener Bahn. Wurde zu
West-Berliner Zeiten gerade auch von CDU-Politikern
die sofortige Wiederherstellung dieser
Strecke für ein Berlin ohne Mauer postuliert, so
zeigt sich nun, daß dies nur Lippenbekenntnisse
waren. Schlimmer noch: Der zuständige Verkehrssenator
Herwig Haase, ein CDU-Mann, hat
es bis heute noch nicht einmal für nötig gehalten,
die vorhandenen S-Bahn-Gleise zwischen
Berlin-Schönholz und Berlin-Tegel zu nutzen,
geschweige denn die notwendigen Planungsverfahren
zum Wiederaufbau der durch den Autobahn- und Mauerbau
unterbrochenen Bahnstrecke
einzuleiten. Stattdessen wurde bzw. wird zwischen
Berlin. Brandenburg und der Bahn endlos
über die "Systemfrage" diskutiert: Gleichstrom?
Wechselstrom? Duo-S-Bahn? Und wer bezahlt's?
Diese Fragen müssen natürlich geklärt werden,
doch dürfen die Fahrgäste dabei nicht auf der
Strecke bleiben. Deshalb sollte auch hier ein zunächst
eingleisiger Lückenschluß ohne Fahrleitung
realisiert werden, damit schon bald Regionalzüge
von Berlin-Tegel zur Schinkel- und Fontane-Stadt Neuruppin
starten können.
Linienkonzepte für den IC-, IR- und Regionalverkehr
runden das Konzept "Berlin '94" ab und
zeigen, wie die erweiterte Bahninfrastruktur für
die unterschiedlichen Bahnprodukte sinnvoll
genutzt werden kann. Die Maßnahmen des Konzeptes
"Berlin '94 - Bahnbrechende Hauptstadt"
sind sicher nicht alle im Jahre 1994 realisierbar,
doch könnte, den politischen Willen vorausgesetzt,
kurzfristig mit der Umsetzung begonnen
werden. Insbesondere muß erreicht werden, daß
der erst für die zweite Stufe des "Pilzkonzeptes"
vorgesehene Ausbau des Südrings in vereinfachter
Form auf das kommende Jahr vorgezogen
wird.
Das reich illustrierte Konzept "Berlin '94 - Bahnbrechende
Hauptstadt. Sofortmaßnahmen und
Zwischenlösungen für den Eisenbahnverkehr"
kann bei PRO BAHN e.V., Straße der Pariser
Kommune 12, 10243 Berlin bestellt werden. Es
kostet DM 6,00 (zzgl. Versandkosten). PRO BAHN und IGEB
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