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Von verklärter Dampflokherrlichkeit ist nicht die
Rede. Nee, es geht um die "real existierende"
Staatsbahn der DDR und kurz um die nun ebenfalls
abgeschlossene Episode als Sondervermögen
des Bundes. Gut, Lokomotiven kommen vor,
aber das ihnen gewidmete Kapitel ist nüchtern mit
"Die Traktionswechsel" überschrieben. Wobei
der Plural durchaus bedeutsam ist, denn schließlich
setzte die SED-Führung je nach Energieversorgungslage
mal auf Diesel, mal auf Dampf, mal
auf Elektrokraft.
Fehlentscheidungen der Planbürokratie werden
deutlich, die bisweilen sogar zu Lasten der Betriebssicherheit
gingen. Auch Groteskes schildert
der Autor - zum Beispiel die Anstrengungen,
zuverlässige Fahrscheinentwerter bei der S-Bahn
einzuführen. Tragikomisch mutet der Abschnitt
über sowjetische Neuerermethoden und Kampfprogramme
an, die banale Pflichten wie die Bahnsteigreinigung
zu "sozialistischen Wettbewerben"
aufbliesen. Leserinnen und Leser erfahren,
was der Dispatcherdienst war, wie Kaderfragen
zu Machtfragen wurden, die Politverwaltung der
DR Parteidisziplin höher bewertete als Arbeitsleistung,
während "in Bahnbetriebswerken Ehrenhaine
mit Fahnenwäldern den Lokomotivschuppen
verdeckten, der wegen Einsturzgefahr
nicht betreten werden durfte."
Unter den insgesamt zehn Kapiteln findet sich
eines über die besondere Situation der Eisenbahner
in West-Berlin. Kurz vorgestellt sind ferner
alle DR-Generaldirektoren von Willi Besener bis
Hans Klemm und schließlich der Vorstandsvorsitzer
Heinz Dürr. Wußten Sie, daß ihm seine
scheinbar naiven Fragen, aber scharfsinnigen
Schlußfolgerungen den Spitznamen "Colombo"
eintrugen?
Erich Preuß, Eisenbahner von der Pieke auf und
insgesamt 38 Jahre im Dienst der DR - zuletzt als
Redakteur der Mitarbeiterzeitung "Fahrt Frei",
schöpft aus seinem Insiderwissen. Eine umfassende
Chronik der Reichsbahn nach dem Krieg
hat er freilich nicht vorgelegt, auch gar nicht beabsichtigt.
Da wiegen ein paar Fehler im Detail
(widersprüchliche Zeitangaben, unkorrekte Loktypenbezeichnungen
etc.) weniger schwer. Preuß
kommentiert zuweilen äußerst bissig, dabei aber
humorvoll. Eine kritische Rückschau auf die
Nachkriegsära der Deutschen Reichsbahn - trotz
aller Mißstände letztlich ein Unternehmen, das
auch europäische Spitzenleistungen erbrachte!
Erich Preuß: Der Reichsbahn-Report 1945-1993.
Tatsachen, Legenden, Hintergründe. 240 Seiten,
203 Abbildungen (davon 34 farbig). Format 170
x 240 mm, gebunden; Transpress Verlagsgesellschaft
mbH, Berlin 1993; 59.00 DM. Konrad Koschinski
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