Der Senatsbeschluß vom 5. Oktober 1993 enthält
die folgenden Zielvorgaben:
Der Schienenverkehr zwischen Berlin und dem
Umland wird vom Senat als gänzlich unwichtig
erachtet. Obwohl dort aufgrund der Teilung der
Stadt der größte Nachholbedarf besteht und die
größten Zuwächse im Gesamtverkehr erwartet
werden, will der Berliner Senat den dringend
notwendigen Ausbau zu einem leistungsfähigen
Regionalschnellbahnnetz weder fördern noch
unterstützen. Dabei wird übersehen, daß die kommende
Bahnreform ein Engagement des Landes
für diese Strecken fordert. Es ist zu befürchten,
daß der Senat bewußt auf die Stillegung nicht modernisierter
Regionalbahnstrecken hinarbeitet,
um den bisher in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähigen
massiven Straßenneu- und Ausbau
zu forcieren. Auch Modernisierung und Neubau
von attraktiven Regionalbahnfahrzeugen will der
Senat in den nächsten zehn Jahren nicht fördern.
Bei der Straßenbahn werden Bedeutung und
Potential weiterhin ignoriert. Straßenbahn-Neubaumaßnahmen
machen nur etwa 5% des Milliarden-Paketes aus.
Sogar die Finanzierung der
Grundinstandsetzung ist gefährdet. Damit besteht
die Gefahr, daß wegen des schlechten Streckenzustandes
massive Stillegungen bereits 1994 erfolgen
müssen. Den dringend erforderlichen Kauf
neuer Niederflur-Straßenbahnen, den die BVG
mangels eigener Gelder nicht finanzieren kann,
will der Senat ebenfalls nicht unterstützen. Somit
stehen einem Bedarf von 600 Neubaufahrzeugen
ganze 29 verbindlich bestellte Wagen gegenüber.
Die Altbauwagen mit Fahrgestellen aus
der Kaiserzeit werden also noch solange weiterfahren,
bis die Strecken, auf denen sie eingesetzt
sind, stillgelegt werden.
Die dringend erforderliche Beschleunigung des
Busverkehrs wird nicht durchgeführt, da der Senat
von Berlin für diese Zwecke bis 2002 nicht
eine Mark ausgeben will. Somit sind weitere
Betriebseinschränkungen und Fahrplanausdünnungen
absehbar, da die BVG mit immer stärker
steigenden Betriebskosten durch Staus belastet
wird.
Nahezu alle verfügbaren Mittel sowie weitere
Zuschüsse des Bundes will der Berliner Senat in
das ohnehin am besten ausgestattete Verkehrsmittel,
die U-Bahn, stecken, obwohl zugunsten
der U-Bahn bereits erhebliche Festlegungen in
Milliardenhöhe für neue Fahrzeuge und Signalanlagen
getroffen wurden. Die Kritik an den U-Bahn-Vorhaben im einzelnen:
U5 Lehrter Bahnhof - Alexanderplatz
Der Netzeffekt durch diese über 1500 Millionen
DM teure Strecke ist gering. Es besteht Parallelverkehr
zur S-Bahn-Linie 5 über viele Kilometer.
Den vorhandenen Umsteigebahnhöfen zwischen
S5 und U5, Wuhletal, Lichtenberg und
Alexanderplatz, soll nun ein vierter, der Lehrter
Bahnhof, hinzugefügt werden.
Im Planungsgebiet ist dagegen die Flächenerschließung
dringend verbesserungsbedürftig.
Dies kann durch Straßenbahnstrecken viel besser
geleistet werden, weil bei den typischerweise
kurzen Wegen in der Innenstadt die vermeintlich
höhere Geschwindigkeit der U-Bahn wegen
der langen Fußwege durch Tunnel, über Treppen
und durch Gänge zu den Bahnsteigen wieder aufgewogen
wird. In die Straßenbahn ist es nur ein
Schritt!
Das Vorhaben der U5 konnte in der standardisierten
Bewertung nur deshalb positive Kosten-/Nutzen-Werte
erzielen, weil der Senat das derzeit
vorhandene Straßenbahnnetz fast ohne Verlängerungen
zugrundegelegt hat. So wurde eine
Verlängerung der Straßenbahn nur bis zum Zentralbahnhof
angegeben. Hätte der Senat, wie bisher
geplant, eine Verlängerung bis U-Bhf. Turmstraße
eingegeben, hätte die U5 eine wesentlich
schlechtere Bewertung erhalten.
Bei Verlängerung der U5 ergeben sich für die
BVG eine Reihe betrieblicher Probleme, die, wie
heute bei der U7, zu ständigen Unregelmäßigkeiten
im Zugverkehr führen würden. Daher hat
auch die BVG bereits alternative Lösungen, die
eine Verlängerung der U5 vermeiden, erarbeitet.
U3-Vorleistungen
Potsdamer Platz/Leipziger Straße
Hierbei handelt es sich um pure Geldverschwendung
für ein Bauvorhaben, das nie realisiert wird.
Die Strecke Wittenbergplatz - Malchow soll etwa
3000 Millionen DM kosten. Auf 80% der Strecke
fährt bereits eine stark frequentierte Straßenbahn,
die mit 2% dieser Summe auf Stadtbahnstandard
umgebaut werden könnte.
|
Tram vor dem österreichischen Bundesparlament. In der Hauptstadt Wien verbinden die Tramlinien auf dem Ring Parlament, Kanzleramt und zahlreiche Ministerien. Foto: Jonas Ziegler |
|
Aufgrund solcher Vorsorgeplanungen, die sich
bisher stets als Fehlplanungen des Berliner Senats
erwiesen haben, gibt es bereits fast ein Dutzend
Investitionsruinen für angefangene U-Bahn-Tunnel
im Berliner Untergrund, die niemals mehr
benutzt werden. Die jüngste, gerade abgeschlossene
Fehlplanung ist die 100 Millionen DM teure
Ausfädelung der U2 am U-Bhf. Vinetastraße
zu einer Betriebswerkstatt, die wohl nie gebaut
werden wird.
Der U-Bahn-Tunnel unter der Leipziger Straße
wird zudem nur geplant, weil der Senat beschlossen
hat, auf der ganzen Länge der Leipziger Straße
vier durchgehende Fahrspuren und zwei
durchgehende Parkspuren für den motorisierten
Gelegenheits-Individualverkehr zu bauen. Bei
dieser Maximalplanung bleibt für die Straßenbahn
kein Platz mehr. Im Endeffekt kosten die
60 kostenlosen Parkplätze, die dort die oberirdische
Führung der Straßenbahn verhindern, pro
Stück 8,3 Mio DM.
U7 Rudow - Flughafen Schönefeld
Am Flughafen Schönefeld ist ein IC-, IR-, R- und
S-Bf. bereits vorhanden und stark frequentiert.
Die S-Bahn von Lehrter Bahnhof - Friedrichstraße
nach Schönefeld ist bereits in Betrieb. Die S-Bahn
von Westend - Schöneberg - Papestraße
nach Schönefeld wird in Kürze in Betrieb sein.
300 m Weg zwischen Bahnhof und Terminal
rechtfertigen ein Laufband, aber keine 4,7 Kilometer
U-Bahn.
Eine weitere Verlängerung der U-Bahn-Linie 7,
die schon jetzt eine der längsten Linien Europas
ist (mehr als 30 km), würde chaotische Betriebszustände,
wie sie wegen der großen Länge bereits
jetzt zeitweise vorkommen, zum Dauerzustand
machen. Daher ist auch die BVG gegen jede
weitere Verlängerung dieser Linie.
U2 nach Pankow, Kirche
Die Verkehrsbeziehung Alex - Pankow wird nur
vermeintlich verbessert, da heute bereits für fast
alle U2-Bahnhöfe eine direkte umsteigefreie Straßenbahnführung
nach Pankow besteht. Die Geschäftsleute
in der Schönhauser Allee fordern
vehement - wie in anderen Geschäfts- und Einkaufsstraßen
auch - den Ausbau der Straßenbahn.
Sie bringt den Einkaufsverkehr in die Schönhauser
Allee, während die U-Bahn ihn abzieht.
Fahrgäste aus den drei Nordrichtungen Rosenthal,
Niederschönhausen und Buchholz können
in Pankow in die Nord-Süd-S-Bahn, an der Vinetastraße
in die U-Bahn und an der Schönhauser
Allee in den Ring umsteigen. S-Bahn-Fahrgäste
aus Blankenburg und Karow können ihre
Ziele in der Schönhauser Allee mit der Straßenbahn
erreichen. Weiterer Bedarf besteht nicht.
Dennoch wird vermehrt eine kurzfristige Realisierung
dieser wegen der S-Bahn-Unterquerung
besonders teuren U-Bahn-Verlängerung gefordert,
vor allem aus den Reihen von PDS und SPD.
Hierbei geht es ganz offensichtlich weniger um
richtige Prioritäten beim Ausbau des öffentlichen
Verkehrs, sondern um die Stimmen der Pankower
Wähler.
U5 Jungfernheide - Flughafen Tegel
Der Senat behauptete bisher stets, Tegel solle
geschlossen werden, wenn der Großflughafen
Berlin-Brandenburg-International fertiggestellt
ist. Bahnt sich hier eine neue Senatslüge an? Die
extrem hohen Kosten stehen im krassen Mißverhältnis
zu den Fahrgastzahlen, da der Hauptverkehr
zwischen Reinickendorf und Charlottenburg
nicht im geringsten von der Stichstrecke
profitiert. Die Stummellinie mit zwei neuen Stationen
ist betrieblich kaum in das Schnellbahnnetz
zu integrieren. Selbst die Senatsverkehrsverwaltung
hat dazu festgestellt, daß "diese Anbindung
für den Fluggast unattraktiv ist, da er die
City nur durch mehrmaliges Umsteigen erreicht".
Fazit der Senatsplanung
Mit Milliardenbeträgen werden nur minimale
Verbesserungen des Öffentlichen Nahverkehrs
erzielt. 80% der Verkehrsträger bleiben unberücksichtigt.
Das Zusammenwachsen von Ost
und West findet bisher und auch weiterhin nur
auf der Straße statt. Den weit über 100 Straßenverbindungen
stehen weniger als zehn Schienenverbindungen
gegenüber. Im Öffentlichen Nahverkehr
hält der Senat Honeckers Mauer weiter
aufrecht. Bürger und Investoren werden nach wie
vor über Absichten der Verkehrsplanung getäuscht.
Z.B. sind die Investoren am Potsdamer
Platz, insbesondere Daimler Benz, sehr irritiert,
daß aus heiterem Himmel auf eine fest eingeplante
S-Bahn-Linie (S 21) verzichtet wird, weil
plötzlich kein Geld mehr da war und eine scheinbar
unumstößliche Planung über Nacht gekippt
wurde. Z.B. wurde den Investoren an der Friedrichstraße
die Verlängerung der Straßenbahn
durch die Friedrichstraße für 1995 versprochen.
Dabei ist dies erst nach Neubau des Bahnhofs
Französische Straße (U6/U5) möglich. Somit verzögert
sich diese Straßenbahnlinie bis nach 2000.
Verkehrskonzept für das Parlaments- und
Regierungsviertel
Ein glaubwürdiges Verkehrskonzept muß folgende
Voraussetzungen erfüllen:
Es muß preiswert sein. Die Finanzierung muß aus
den Berlin ohnehin zustehenden Geldern ohne
weitere Bettelei in Bonn möglich sein. Bis 1998
müssen alle Projekte fertiggestellt sein. Es ist für
Berliner, Bundestagsabgeordnete und Regierungsangestellte
unzumutbar, weitere zehn Jahre
auf einer Baustelle zu leben. Das Parlaments- und
Regierungsviertel muß in allen Richtungen
auf der Schiene an Fernverkehrsmittel, Wohnungen
und Einkaufsstraßen angebunden werden.
Dabei muß modernste umweltfreundliche und
sichere Nahverkehrstechnik (elektrisch, oberirdisch,
schnell, leise, stufenloser Einstieg) als
Vorbild für Deutschland genutzt werden. Im einzelnen
werden folgende Linien für das Parlaments-
und Regierungsviertel vorgeschlagen:
Parlamentslinie
Linienführung: (Buchholz Nord) - Bahnhof
Friedrichstraße - Spreeufer - Reichstag - Potsdamer
Platz - Bülowstraße - Kleistpark - Innsbrucker
Platz - Schloßstraße - Steglitz. Diese
Linie verbindet das Parlament mit Wohngebieten
im Norden und Süden; sie ersetzt den Zentralbahnhof
durch eine kurze Schienenanbindung
des Parlaments- und Regierungsviertel an den
Fernbf. Friedrichstraße. Länge 9 km, Kosten 72
Mio DM, Fahrzeit Reichstag - Steglitz 14 min.
Kanzlerlinie
Linienführung: Alexanderplatz - Palast der Republik
- Unter den Linden - Kanzleramt - Tumstraße
- Mierendorffplatz - Kaserne Napoleon
(Außenministerium) - Kurt-Schumacher-Platz -
Wittenau - Rosenthal mit Stichlinie zum Flugfeld
Tegel. Diese Linie verbindet das Zentrum und
wichtige Ministerien mit Wohngebieten im Norden
und dem derzeitigen Flughafen. Bei der Straßenbahn
ist eine flexible Nachnutzung zur Erschließung
des Wohngebietes nach Schließung
des Flughafens im Gegensatz zur U-Bahn ohne
Probleme möglich. Länge 20,75 km, Kosten 166
Mio DM, Fahrzeit Kanzleramt - Flugfeld Tegel
16 min.
Präsidentenlinie
(Vorhandenes Netz) - Invalidenstraße - Moabiter
Werder - Schloß Bellevue - Wittenbergplatz -
Zoo. Diese Linie verbindet in Ost-West-Richtung
Regierungsbauten; sie verknüpft Beamtenwohnungen
mit Einkaufsmöglichkeiten und dem
Fernbahnhof Zoologischer Garten. Länge 5,5 km,
Kosten 44 Mio DM, Fahrzeit Moabiter Werder -
Wittenbergplatz 9 min.
Ministerlinie
Prenzlauer Tor - Alexanderplatz - Leipziger Straße
- Haus der Ministerien - Potsdamer Platz - Lützowstraße
- Budapester Straße - Zoo. Diese Linie
stellt die zweite große Ost-West-Achse dar.
Zusammen mit der Präsidentenlinie macht sie die
Verlängerung der U5 überflüssig. Sie verknüpft
Ministerien mit Hotels und Verwaltungen und erschließt
wichtige Innenstadtwohnbereiche. Länge
6,5 km, Kosten 52 Mio DM, Fahrzeit Wirtschaftsministerium
- Bahnhof Zoo 12 min.
Die Gesamtkosten für alle Linien betragen mit ca.
450 Mio. DM weniger als ein Viertel der Senatsplanungen.
Zugleich wird das Berliner Straßenbahnnetz
um mehr als 50 Kilometer erweitert. IGEB
|