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Projektidee- und Ziele
Das Konzept „Straßenbahn für ganz Berlin"
ist im Rahmen des Studiengangs Stadt- und
Regionalplanung an der TU-Berlin als
selbstbestimmtes Studienprojekt von
Holger Orb und Tilo Schütz erarbeitet worden.
Ziel ist es, ein integriertes, auf die
Gesamtstadt bezogenes Nahverkehrskonzept
zu entwickeln, das sich nicht nur in
schematischen Aussagen über erwünschte
Streckenverlängerungen erschöpft, sondern
in städtebaulicher, netztechnischer
und betrieblicher Hinsicht ein zunächst in
sich geschlossenes System ergibt, um daraus
dann sinnvolle Entwicklungsstufen
ableiten zu können.
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Gesamtnetz mit Belegung der Linien (ganz dick: sechs Linien, ganz dünn eine Line) Grafik: Studienprojekt |
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Netztechnische Planung und städtebauliche
Gestaltung hängen in vielerlei Hinsicht
voneinander ab und sollten nicht isoliert
betrachtet werden. Die Straßenbahn prägt
mit ihren baulichen Anlagen nachhaltig das
Straßenbild. Dies sehen wir als Chance, in
vielen Stadtbereichen die Zerstückelung der
öffentlichen Räume aufzuheben, die
Stadtstruktur wieder erleb- und erfahrbar
zu machen und somit eine Reurbanisierung
von Stadträumen einzuleiten.
Warum „Straßenbahn für ganz Berlin"?
Ein erster Blick auf den Linienplan zeigt,
daß Berlin in netztechnischer Hinsicht
immer noch geteilt ist. Während im Westen
die Farben blau und violett dominieren,
sind es im Osten rot und grün. Wie so vieles
ist dies Ergebnis der teilungsbedingten
Nachkriegspolitik. Bis in die 50er Jahre verfügte
Berlin über ein flächendeckendes
Straßenbahnnetz. In den 50er Jahren
entschloß man sich jedoch, Autostraßen- und
U-Bahnbau zu forcieren. Die
Straßenbahn wurde - ohne einen demokratischen
Beschluß zu fassen - abgeschafft.
Eine technokratische Verkehrsplanung
nahm auf den Ort und seine jeweilige
Gegebenheit keine Rücksicht mehr, die
Folge war eine nachhaltige Zerstörung der
Stadtstruktur. Der Vergleich von Karten und
Bildern aus den 50er und 60er Jahren mit
dem heutigen Zustand dokumentiert den
Verlust der stadträumlichen Qualitäten und
die Vorherrschaft des Autos. Er lieferte
Anregungen für die städtebauliche Detailierung.
Dabei gilt es, auf den jeweiligen
Ort und seine Qualitäten Rücksicht zu nehmen
und genau abzuwägen, wie die
Straßenbahn an die vorhandene Stadt
angepaßt werden kann. „Straßenbahn für
ganz Berlin" aber auch deshalb, weil es so
wie es ist, nicht weitergehen kann. Der in
den 50er und 60er Jahren in West-Berlin
aufgeblähte Busverkehr überschreitet in
vielen Bereichen die Grenzen eines wirtschaftlich
vertretbaren Angebots, allein
vom Fahrgastaufkommen sind die Hälfte
der West-Berliner Buslinien straßenbahnwürdig.
Somit entspricht das heutige
Verkehrsnetz oftmals noch den Zuständen
zu Zeiten der Teilung. Oberirdische, umsteigefreie
Verbindungen sucht man oftmals
vergebens, in der Innenstadt läuft man lieber
gleich zu Fuß.
Die Konzeption
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Ruhlebender Straße in Spandau: mit Schnellstraßenbahnstrecke (um 1960), ... Foto: W.R. Reimann |
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mit Stau und Busspur. Foto: Studienprojekt |
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Die Ableitung des Straßenbahnnetzes
ergab sich aus der Stadtstruktur, der polyzentralen
Gliederung Berlins. So gibt es,
analog zur Stadtstruktur, neun Netzbereiche,
die vielfach ineinandergreifen. Sie
erschließen die Stadtteile in sich selbst und
überlappen sich in wichtigen Straßenzügen,
so daß dichte Takte entstehen. Die
zahlreichen Teilzentren werden so mit
ihrem Einzugsbereich und auch untereinander
verbunden. Die Teilnetze bedingen
auch betriebliche Notwendigkeiten, da die
einzelnen Linien bestimmte Längen nicht
überschreiten sollten.
Die Frage der Streckenführung ergab sich
im wesentlichen ebenfalls aus der Stadt,
nämlich aus dem Netz der öffentlichen
Räume bzw. aus der Nutzung der städtischen
Teilbereiche und Straßenzüge. Die
verkehrliche Bedeutung übergeordneter
Straßen wie des Generalszuges oder der
Heerstraße ist offensichtlich, sie verbinden
städtische Orte untereinander. Andere
Straßen, wie z.B. die Spandauer Altstadt,
sind auch Ziele des Verkehrs, sie wollen
erreicht (also erschlossen) werden, solche
Straßen sind straßenbahnwürdig. Für ausgewählte
Strecken wurden zudem
Analysen des bisherigen Busplatzangebots
anhand der aktuellen Kursbuchtabellen
durchgeführt. Sie bildeten die einzig zuverlässige
Datenquelle, da andere Zahlen nicht
zugänglich waren. Weitere Zwangspunkte
ergaben die vorhandenen U-Bahn-Strecken
sowie städtebauliche Gegebenheiten, die
dazu führten, in bestimmten Fällen auf die
Anlage von Strecken zu verzichten.
Parallelverkehre erklären sich im wesentlichen
aus der übergeordneten Bedeutung
der Straßenzüge (z.B. Handel), die über
bestimmte Abschnitte notwendig sind, um
die Attraktivität des Gesamtstraßenbahnnetzes
(umsteigefreie Verbindungen,
Kurzstreckenrelationen) zu gewährleisten.
Insbesondere im Innenstadtbereich finden
die meisten Fahrten im Bereich unter
sechs Kilometern statt, so daß sie mit der
U-Bahn oftmals nur unzulänglich zu bewältigen
sind. Trotz niedrigerer Durchschnittsgeschwindigkeit
kann die Straßenbahn dort
mit gut erreichbaren Haltestellen und
umsteigefreien Verbindungen schnellere
Gesamtfahrzeiten garantieren und das subjektive
Fahrgefühl erheblich steigern. Die
Kriterien waren also meist qualitativer Art,
da nur diese oftmals gesichert abzuleiten
waren.
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Netzentwicklung bis Stufe 3: Mit ca. 150km neuen Straßenbahnstrecken könnte die Innenstadt und Spandau erschlossen werden. Grafik: Studienprojekt |
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Für die städtebauliche Gestaltung wurden
Grundsätze aus der Forschungsarbeit
abgeleitet und in jeweils auf den Ort bezogenen
Entwürfen in die Stadtkarte 1:1000
eingearbeitet. Die Einführung der Straßenbahn
und die Gestaltung des öffentlichen
Raumes bieten die Chance, den vom Autoverkehr
zernagten Straßenräumen wieder
ein allen Nutzern gerechtwerdendes Erscheinungsbild
zu geben. Dazu gehören eine
übersichtliche und langlebige Straßenraumgestaltung
und die Umverteilung der
Autoverkehrsflächen zugunsten von Fußgängern,
Radfahrern und öffentlichem
Nahverkehr. Dennoch hat sich auch die
Straßenbahn den städtebaulichen Gegebenheiten
anzupassen. Straßenbündige
Anlagen sind deshalb selbstverständlicher
Bestandteil des neuen Netzes. Im Endzustand,
nach einem Zeithorizont von ca. 35
Jahren, könnte das Netz 60 Straßenbahnlinien
haben. Von den heute etwa 160
Buslinien könnten ca. 60 entfallen.
Entwicklungsstufen
Von der weit entfernten Vision lassen sich
dennoch konkrete, schon in naher Zukunft
zu realisierende, Stufen ableiten, sieben
sind insgesamt vorgesehen. Für die aktuelle
Diskussion sind die ersten drei Stufen von
großer Bedeutung. Oberste Priorität sollte
der Bau der Ost-West-Verbindung über
Französische Straße - Tiergartenstraße zum
Zoo haben. Ebenso wichtig ist die
Erschließung des Regierungsviertels, also
die Schließung des kleinen Rings über
Lehrter Bahnhof - Potsdamer Platz -
Hallesches Tor - Hermannplatz. Diese
Strecken könnten bis 2003 realisiert sein.
Bis 2005 sollte dann die Strecke nach
Moabit sowie die Verlängerung vom
Virchow-Klinikum zum Zoo folgen. Bis zur
Stufe 2 wird die Innenstadt fast flächendeckend
erschlossen, in Stufe 3 folgt dann
der Aufbau und die Anbindung des
Spandauer Netzes. Alternativ wäre auch die
Einrichtung eines Spandauer Inselnetzes
schon ab der 1. Stufe möglich, der jedoch
zunächst auf Kosten des Innenstadtnetzes
ginge (Netzverbindung in Stufe 3).
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Mit der Straßenbahn zum Reichstag, Schnell, preiswert und benutzerfreundlich könnte die Straßenbahn das neue Regierungsviertel erschließen. Grafik: Studienprojekt |
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Die gesamte erste Stufe umfaßt eine
Streckenlänge von ca. 50km, die für ca. 1
Mrd DM zu realisieren wäre. Zum
Vergleich: die geplante U5 wird ca. 1,8 Mrd
DM kosten.
Von der Durchsetzung dieser Strecken
hängt nicht zuletzt auch die weitere
Entwicklung des Netzes ab. Die Straßenbahn
durch das Regierungsviertel, am südlichen
Tiergartenrand oder durch den Görlitzer
Park zu führen bedeutet zunächst,
vorhandene Widerstände abzubauen, um
die „Knackpunkte" zu lösen. Sollte dies
gelingen, dann wird die „Straßenbahn für
ganz Berlin" zum Selbstläufer werden.
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Straßenbahnen am Reichstag um 1938. Foto: Willy Pragher |
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Nun gilt es, eine breite öffentliche Diskussion
ins Leben zu rufen. Mit der Wiederbelebung
der „AG Straßenbahn" unter
Beteiligung des BUND, der IGEB, der BIW,
des Moabiter Ratschlags und des VCD soll
das Thema Straßenbahn für ganz Berlin
wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Dazu sind vor den Wahlen Ausstellungen
und Diskussionen in den Innenstadtbezirken
geplant. Im Frühsommer
wird dazu eine umfassende Dokumentation
erscheinen, um allen Interessierten den
Einblick in die Konzeption zu ermöglichen.
Kontakt über den BUND, Tel. 78790017
bzw. e-mail StraBerlin@aol.com. Holger Orb, Tilo Schütz,
TU-Berlin, Institut für Stadt- und Regionalplanung
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