|
75 Jahre S-Bahn. Grund genug,
die „jüngere" Vergangenheit zu beleuchten,
wobei diese im hier gefaßten Zeitrahmen ja zwei Drittel ausmacht:
S-Bahn im Kalten Krieg mit der Zäsur Mauerbau, Eisenbahnerstreik
und Kampf um die S-Bahn, Übernahme des Betriebs im Westen
durch die BVG, Mauerfall und Zusammenwachsen der beiden Teilnetze.
Darüber diskutierten Zeitzeugen - Eisenbahner,
Politiker und engagierte
Fahrgäste - an vier Freitagabenden im Juni.
Ort: S-Bahn-Museum in Griebnitzsee.
Volles Haus und lebhaft interessiertes
Publikum. Hier sei nur ein knapper Zusammenschnitt
ohne protokollarischen Anspruch
wiedergegeben. Dabei bleibt der
vierte Abend zunächst außen vor, denn
auf die dramatischen Ereignisse im Herbst
1989 - die sich in Kürze zum zehnten Mal
jähren - wird SIGNAL noch gesondert
eingehen.
Kalter Krieg...
Berlin-Blockade, Chruschtschow-Ultimatum,
Frontstadtklima: Selbst in den
frostigsten Perioden des Kalten Krieges
verklammerte die S-Bahn bis 1961 beide
Teile Berlins, rollten die gelb-roten Züge
über alle Sektorengrenzen. Dabei bildete
nicht bloß das Netz eine Einheit, sondern
auch die Betriebsführung blieb in einer
Hand - anders als bei den übrigen Versorgungsbetrieben
in der Stadt, die inclusive
der BVG schon 1949 verwaltungsmäßig
getrennt worden waren.
Rückgriff ins Jahr 1945: Noch auf der
Potsdamer Konferenz gingen die dort vertretenen
Regierungen der USA, Großbritanniens
und der UdSSR von einem einheitlichen
Verkehrswesen in Deutschland
aus. Mit Befehl Nummer 8, wirksam zum
1. September 1945, übergab die Sowjetische
Militäradministration (SMAD) die
Verantwortung für den Eisenbahnbetrieb
in der sowjetischen Besatzungszone deutschen
Behörden, mithin der Deutschen
Reichsbahn (DR). Schon aus praktischen
Gründen akzeptierten die West-Allierten
diesen Befehl auch in ihren Berliner
Sektoren - ohne deshalb auf ihre Hoheits- und
Eigentumsrechte zu verzichten.
Schließlich war das Eisenbahnvermögen
beschlagnahmt. Die östliche Seite reklamierte
diese Rechte dann trotzdem für
sich.
|
Am dritten Abend Die S-Bahn kommt zur BVG. Mit dabei (v.l.n.r.) Udo Dittfurth, Joachim Gewiss, Dietrich Hinkefuß, Edmund Wronski, Joachim Meissner, Gerhard Curth. Foto: F. Böhnke |
|
S-Bahn-Historiker Manuel Jacob erinnert
daran, daß „Der Tagesspiegel" bereits
1949 die Frage aufwarf, ob man die S-Bahn
im Westteil der Stadt nicht unter
Westregie stellen könnte. Seit der
Blockade 1948/49 ordneten sie viele West-Berliner
dem „feindlichen Osten" zu, ihre
Beschäftigten waren zunehmend Anfechtungen
ausgesetzt. Existentiell bedrohlich
wurde die Lage der in den Westsektoren
wohnhaften Eisenbahner, nachdem die
West-Alliierten dort im März 1949 die
Deutsche Mark (West) zum alleinigen
Zahlungsmittel erklärt hatten. Die Reichsbahn
zahlte die Löhne weiter in Ostwährung
aus, Forderungen nach Westgeld-Entlohnung
erfüllte sie nicht.
Daraufhin kam es ab 21. Mai 1949 zum
Eisenbahnerstreik. Initiiert wurde er natürlich
nicht vom FDGB, sondern von der als
Opposition gegründeten „Unabhängigen
Gewerkschaftsorganisation" (UGO). SED
und FDGB bezeichneten den Streik als
„UGO-Putsch" - ein Reizwort, das auch
während der Diskussion im S-Bahn-Museum fällt.
Sind die Eisenbahner tatsächlich so
streikbereit gewesen, wie sich aus der im
Mai 1949 von der UGO durchgeführten
Urabstimmung schlußfolgern läßt? Heinz
Penzin, 40 Jahre lang im Betriebs- und
Verkehrsdienst der Bahn, weiß anderes zu
berichten. Er sagt, daß zumindest in ihm
bekannten Dienststellen nur wenige streiken
wollten. In Neukölln beispielsweise
seien Eisenbahner von Betriebsfremden
regelrecht von ihren Arbeitsplätzen weggezerrt
worden.
|
IGEB-Protest am 23. Juni 1986 vor dem S-Bahnhof Lichterfelde West. Foto: Wolfram Däumel |
|
Ob nun von „Putschisten" gesteuert
oder von einer „legalen Gewerkschaft" organisiert,
bleibt strittig - jedenfalls legte
der Streik den Eisenbahnverkehr in West-Berlin
bis zum 28. Juni 1949 weitgehend
lahm. Als erstes normalisierte sich wieder
der S-Bahn-Betrieb. (Anm. d. Red.: Die DR
verpflichtete sich zur Zahlung von 60 Prozent
des Lohnes in Westgeld, darüberhinausgehende
Beträge tauschte eine vom
westlichen Magistrat, später Senat,
eingerichtete Lohnausgleichskasse 1 : 1
um, erst ab Dezember 1964 bekamen die
West-Berliner Reichsbahn-Beschäftigten
den Verdienst voll in Westgeld).
Was heißt eigentlich „normal"? Gewiß,
die Züge fuhren grenzüberschreitend, auf
Kontrollbahnhöfen um Berlin wurden die
Reisenden gefilzt, ebenso während der
Fahrt auf grenznahen Streckenabschnitten
in Ost-Berlin. Lückenlos konnten die Kontrollen
indessen nicht sein, zumal bereits
vorbereitete Kontrollbahnsteige an der
innerstädtischen Sektorengrenze nicht in
Betrieb gingen. Manuel Jacob weist
darauf hin, daß es gleichwohl schon in
den frühen fünfziger Jahren Bestrebungen
gab, das Netz zu trennen - denen sich S-Bahn-Chef
Friedrich Kittlaus (parteilos und
in West-Berlin wohnhaft) jedoch widersetzte.
Selbst nach wochenlanger Unterbrechung
der Zugläufe im Gefolge des
17 Juni 1953 kam der durchgehende Verkehr
wieder in Gang. Allerdings hatte die DR
schon am 25. Februar 1953 den Fernbahnsteig
B des Bahnhofs Friedrichstraße
dauerhaft für die S-Bahn in Betrieb genommen
und damit eine der Voraussetzungen
für die Netztrennung geschaffen.
...und Mauerbau
Nur 20 Pfennige kostete die S-Bahn-Fahrt
zwischen den Welten, für Hunderttausende
eine Fahrt westwärts ohne Rückkehr.
Daß die DDR etwas gegen den anschwellenden
Flüchtlingsstrom unternehmen
mußte, war klar. Am 13. August
1961 kam der Radikalschnitt.
Heinz Penzin, damals Brigadeleiter auf
dem Rangierbahnhof Grunewald, weilte
am Abend des 12. August auf einem Empfang
in der sowjetischen Botschaft.
Penzins Erinnerung nach übergab der
Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte,
Marschall Konjew, gegen 22.30
Uhr Briefe an die westlichen Stadtkommandanten.
Darin informierte die UdSSR
wohl, wie auch immer genau formuliert,
über die bevorstehende Grenzschließung.
Ebenfalls am späten Abend des 12.
August erhielten die Fahrdienstleiter der S-Bahn
um Mitternacht zu öffnende Umschläge.
Inhalt: der Befehl des Ministers
für Verkehrswesen, Erwin Kramer, keine
Züge mehr nach West-Berlin abzufertigen.
Ab wann genau der Verkehr zu unterbrechen
war, dürfte von den örtlichen
Gegebenheiten abhängig gewesen sein.
Jedenfalls stimmen die Zeitzeugen darin
überein, daß auch die S-Bahn-Leitung
nicht vorab unterrichtet war, selbst Friedrich
Kittlaus nicht!
Manfred Lauchardt, 1961 Mitarbeiter
der S-Bahn-Verwaltung und später Leiter
des zentralen Bahnstrom-Schaltwerkes
Markgrafendamm, berichtet, daß die S-Bahn
ab 14. August „armeestabsmäßig"
geführt worden ist. „Der Betrieb mußte ja
laufen, vor allem im Berufsverkehr." Dabei
standen nun nicht etwa Generale an der
Spitze, nach wie vor waren es Friedrich
Kittlaus und sein Stellvertreter Dr. Günter
Götz. Binnen weniger Tage gelang es, Betrieb
und Verkehr der neuen Situation
anzupassen, die S-Bahn funktionierte in
beiden Teilnetzen bald erstaunlich problemlos.
Strecken und Stromschienen
wurden zwar gekappt, der Bahnstrom
kam aber auch für die Weststrecken weiterhin
aus dem Osten.
|
1980 stillgelegt, inzwischen vergessen: Der Bahnhof Siemensstadt-Fürstenbrunn zwischen Jungfernheide und Spandau. Foto: IGEB-Archiv |
|
Problemlos? - Nun ja, das muß
relativiert werden, zum Beispiel für den
Nord-Süd-Tunnel. Kaum jemand, der die
unterirdischen „Geisterbahnhöfe" durchfuhr,
wird wohl befürchtet haben, in eine
Feuerhölle zu geraten. Was wäre dort
eigentlich im Brandfall geschehen? Dazu
Hagen Koch, der Mann, der für Erich
Honecker die Grenze kartographierte: „Die
DDR sah in der Tunnelstrecke einen möglichen
Fluchtweg, aber auch einen Angriffsweg
für feindliche Truppen aus dem
Westen!" Folglich sei er stark überwacht
forden, aber deshalb sei jederzeit eine
Rettung möglich gewesen. Bahnstromexperte
Manfred Lauchardt ist anderer
Ansicht: Wenn sich ein Brand rasch ausgebreitet
hätte, „wäre da keiner mehr
rausgekommen", schon gar nicht durch
von unten nicht zu öffnende, von oben
mit Stahlplatten gedeckelte (zugeschweißte?)
Notausstiege. Das Risiko eines
Brandes schätzt Lauchardt als hoch ein,
jahrzehntelang habe sich schließlich auf
den Kabeln der Bremsstaub abgelagert.
Problemlos? - Nach Kappung der durchgehenden
Strecken mußten Bewohner
Ost-Berlins und der an West-Berlin angrenzenden
Gebiete zeitraubende Umwege
mit „Sputnik"-Zügen über den Außenring
in Kauf nehmen. Das Inselnetz innerhalb
West-Berlins ergab zwar durchaus noch
einen verkehrlichen Sinn, aber dort
richtete sich gegen die S-Bahn nun die
Wut über den Mauerbau. Daß SPD und
Gewerkschaften sich diese Stimmungslage
zunutze machten, räumt Walter Sickert -
langjähriger West-Berliner DGB-Chef -
heute freimütig ein: „Niemand hat
natürlich geglaubt, mit dem S-Bahn-Boykott
die DDR in die Knie zu zwingen. Aber
er diente als Ventil für den Volkszorn
gegen das kommunistische Regime."
Kampf um die S-Bahn
Der Boykott, noch mehr die Boykottmentalität,
wirkte Jahrzehnte. Senatsplaner
ignorierten die „ostzonalen Reichsbahn".
Die Konkurrenzlinien der U-Bahn zeugen
noch heute davon. Trotzdem ließen sich
Zehntausende West-Berliner nicht davon
abhalten, die gelb-roten Züge weiterhin
Tag für Tag zu benutzen.
Zu den Stammkunden zählt Gerhard J.
Curth, obwohl ihm das beruflichen Ärger
eintrug. 1975 hatte er, damals in der Berliner
Verwaltung beschäftigt, eine wichtige
Sitzung versäumt. Sein Vorgesetzter
fragte nach dem Grund. Curth: „Weil die
S-Bahn verspätet war". Daraufhin erklärte
sein Vorgesetzter, als Berliner Beamter
dürfe man nicht S-Bahn fahren und fertigte
einen Aktenvermerk. Später engagierte
sich Curth in der Fahrgastinitiative
Berlin. Diese forderte schon ab 1979, die
S-Bahn ins West-Berliner Nahverkehrssystem
zu integrieren - „das war fast wie
ein Aufruf zur Revolution!"
Die DDR wollte sich des Problems der S-Bahn
im Westen unterdessen entledigen.
Nachdem der Senat abgelehnt hatte, das
Defizit auszugleichen, bot die Reichsbahn
1976 an, die S-Bahn zu verpachten. Schon
allein deshalb, weil die DR gar nicht Eigentümerin
sei, wies der Senat das Angebot
zurück. Bei der DR, bis hinauf in die Führungsebene,
herrschte darüber durchaus
nicht nur Traurigkeit. Dr. Wolf-Eckehart
Matthaeus, ab 1978 Fachabteilungsleiter
Betrieb, gibt zu, daß er sich gefreut hat:
„Undenkbar, daß die S-Bahn an irgendeine
andere Institution verpachtet würde!
Schließlich war sie ja eine Eisenbahn." Im
übrigen habe es in der Politischen Verwaltung
auch die Ansicht gegeben, in die S-Bahn
als DDR-Betrieb im Westen müsse
man eben Geld stecken. Von dem Pacht-Angebot
erfuhr Dr. Matthaeus aus der
Zeitung, vom Ausbruch des Eisenbahnerstreiks
am 16. September 1980 aus dem
RIAS - noch ehe ihn S-Bahn-Chef Dr. Götz
konkret über die „Arbeitsniederlegungen
in West-Berlin" informierte. Schon 1979/80
hatten Entlassungen, unter anderem
im Ausbesserungswerk Tempelhof, für
Unmut gesorgt. Ein wesentlicher Streikgrund
waren dann geplante Einschränkungen
des S-Bahn-Verkehrs (zum Beispiel
Betriebsschluß um 21 Uhr) und die damit
verbundenen Lohneinbußen. Denn nun
drohten die bisher fest einkalkulierten
Überstundenlöhne wegzufallen.
Am 17. und 18. September gelang es
noch, die Dienstposten mit so vielen
Arbeitswilligen zu besetzen, daß die S-Bahn
von etwa 10 bis 18 Uhr weitgehend
fahrplanmäßig verkehren konnte. „Danach
stand sie", wie sich Dr. Matthaeus
erinnert. Seiner Ansicht nach haben die
Streikenden am 20. September „einen
strategischen Fehler" begangen: Sie besetzten
ein für den Fernverkehr zuständiges
Stellwerk am Bahnhof Zoo - nun
griffen die Alliierten ein. Drei Tage später
brach der Streik zusammen.
Am 28. September 1980 nahm die DR
den Betrieb auf nur drei Linien wieder auf:
Heiligensee - Lichterfelde Süd, Frohnau -
Lichtenrade und Friedrichstraße - Wannsee.
Warum ausgerechnet dort? Auch Dr.
Matthaeus kann es nicht schlüssig
erklären. Die Bedienung der Grenzübergangsstelle
Friedrichstraße sei jedenfalls
dafür nicht ausschlaggebend gewesen.
Schließlich fuhren zuvor ja auch die Züge
von Frohnau nach Wannsee über Friedrichstraße,
und das Verkehrsaufkommen
wie betriebliche Gründe (S-Bw Wannsee!)
sprachen eher für die Wannseebahn.
Wollte die DDR den Senat unter Druck
setzen, in dem sie ausgerechnet die am
stärksten frequentierten Strecken stillegte,
also auch die nach Spandau und den
Ring? Es bleibt Spekulation.
Nach den Stillegungen beteuerte der
Senat, er wolle ja was tun, aber die
alliierten Vorbehalte... - Die 1980 gegründete
IGEB machte sich nun vehement
für die Wiederinbetriebnahme von Strecken
und ihre Integration ins West-Berliner
Nahverkehrsnetz stark. IGEB-Mitbegründer
und Vorsitzender Curth: „Anfangs
haben wir uns hauptsächlich mit dem
Transitverkehr beschäftigt, der Streik
lenkte den Schwerpunkt auf die S-Bahn."
Mit der basisdemokratischen Fahrgastinitiative
Berlin (FIB) bildete die als Verein
organisierte IGEB eine „Kampfgemeinschaft".
Oswald Richter, FIB-Urgestein und
zugleich Reichsbahner, hat die schon 1980
auch zusammen mit den „Grünen Radlern"
formulierten Ziele bis heute auf
Anhieb parat: u.a. Einheitstarif BVG/S-Bahn,
Fahrplanabstimmung, Verhandlungen
DDR/Senat über die Grunderneuerung
der S-Bahn - und über S-Bahn-Grenzübergänge!
„Das Presseecho im Mai/Juni (!)
1980 war groß", so Richter.
Wenn es um Bündnisse pro S-Bahn
ging, kannte selbst die „bürgerliche" IGEB
keine Berührungsängste. Vorstandsmitglied
Christfried Tschepe weiß noch gut
um den gegen Fahrgastverbände und
besonders gegen die IGEB gehegten Verdacht,
sie würden vom Osten bezahlt.
Schließlich stand über die IGEB-Aktivitäten
dauernd etwas im SEW-Organ „Die
Wahrheit".
Aber liberale und konservative Blätter
und nicht zuletzt der SFB nahmen sich des
Themas S-Bahn, da konnten sich die Politiker
nicht länger hinter alliierten Vorbehalten
verschanzen. Tschepe: „Richtig
Schwung kam in die S-Bahn-Diskussion
unter Hans-Jochen Vogel. Im Wahlkampf
1981 plakatierte ihn die SPD zusammen
mit der S-Bahn". - Nun, der Wahlsieger
Richard von Weizsäcker löste den Stobbe-Nachfolger
Vogel im Amt des Regierenden
Bürgermeisters ab. An Stobbes Rezept,
das „heiße Eisen" S-Bahn so lange lagern
zu lassen, bis es von selbst wieder abkühlt
hielt sich von Weizsäcker nicht mehr - er
faßte es an.
Die S-Bahn kommt zur BVG
Ebenso wie der letzte SPD/FDP-Senat
bildete der CDU-Senat im Sommer 1981
eine S-Bahn-Kommission, die ein Verkehrskonzept
erarbeitete. Im Mai 1982 gelangte
es an die Öffentlichkeit. Christfried
Tschepe ruft ins Gedächtnis: „Als erste
Strecke sollte erst 1990 die Wannseebahn
wiedereröffnet werden, weitere dann
irgendwann nach 2000." Man habe auch
überlegt, die S-Bahn komplett als Magnetbahn
zu betreiben oder beispielsweise
nach Lichterfelde Süd Spurbusse fahren zu
lassen.
Doch der Proteststurm, den das Konzept
auslöste, bewog den Senat rasch zur
Korrektur. Er strebte nun an, nach Abschluß
von Verhandlungen mit der Reichsbahn
einige Strecken sofort in westlicher
Regie zu betreiben. Wie aber die Statusfrage
lösen? Dazu Senatsrat Dietrich
Hinkefuß: „Ziel war eine statusneutrale
Verabredung. Schon der Einleitungstext
der getroffenen Vereinbarung sagt, daß
es gar kein richtiger Vertrag war... - es
heißt auch nicht: die DR übergibt den Betrieb,
sondern es heißt, die Betriebsdurchführung
wird wahrgenommen!
Nachdem das Senatskonzept mit der
Bundesregierung abgestimmt war und die
Alliierte Kommandatur den Senat zu
Gesprächen mit der Reichsbahn „über die
Einstellung des Betriebs von S-Bahnstrecken
durch die DR" (!) ermächtigte,
dauerten die Ende Oktober 1983 aufgenommenen
Fachverhandlungen nur zwei
Monate. Hinkefuß, der die S-Bahn-Vereinbarung
für den Senat unterzeichnete,
erklärt den zügigen Ablauf auch damit,
daß die DDR durch das lange Warten
„weichgekocht" war: „Die wollte das
Defizit endlich loswerden, Geld bekommen
hat sie für die S-Bahn nicht." (Anm.
der Redaktion: abgesehen von Ausgleichszahlungen
wie zum Beispiel für das
Befahren des Nord-Süd-Tunnels).
Am 9. Januar 1984 nahm die BVG den
Betrieb auf den Linien Anhalter Bahnhof -
Lichtenrade und Friedrichstraße - Charlottenburg
auf. Die übrigen von der DR zuletzt
noch bedienten Strecken wurden erst
einmal stillgelegt, was IGEB und Fahrgastinitiativen
empörte.
|
Foto: IGEB-Archiv |
|
Edmund Wronski (CDU), Ex-Senator für
Arbeit und Betriebe, verweist aber darauf,
daß mehr eben nicht ging: „Sogar für den
Betrieb auf den beiden Rumpfstrecken
mußten S-Bahner aus Hamburg aushelfen.
Von den 672 übernommenen Reichsbahnern
mußten wir etwa die Hälfte in
den Ruhestand schicken, weil es gar keine
Betriebseisenbahner waren." Im übrigen
habe die BVG, besonders die Truppe um
U-Bahnchef Erich Kratky, trotz aller Skepsis
Großartiges geleistet.
„Das kriegt ihr nie hin", hatten altgediente
S-Bahner geunkt. Daß die BVG es
hinkriegte, lag nicht zuletzt an der unkomplizierten
Zusammenarbeit mit der
Reichsbahn. Joachim Gewieß, bis 1984 Betriebskontrolleur
der DR für das Westnetz
und als Fachberater an den S-Bahn-Verhandlungen
beteiligt, erinnert sich gerne
an den guten Kontakt zu U-Bahn-Betriebsleiter
Klaus Siepert. Zurück weist
Gewieß den noch heute erhobenen Vorwurf,
die DR habe der BVG marode Anlagen
und Fahrzeuge überlassen: „Die DR
bemühte sich um qualitätsgerechten Betrieb.
Für die Sicherheit wurde getan, was
zu tun war. Es gab keine Qualitätseinschränkungen
gegenüber Ost-Berlin."
Zum Erstaunen vieler bekundete BVG-Direktor
Joachim Piefke Anfang 1984
seine Vorliebe für die S-Bahn. Plötzlich
entdeckt? - Das Versprechen, den BVG-Werbeetat
fast komplett für die S-Bahn
einzusetzen, machte er jedenfalls wahr.
Piefke plädierte auch bald für die Wiederinbetriebnahme
der Strecke nach Frohnau.
Diese kam zum 1. Oktober 1984.
Vier Monate später, am 1.Februar
1985, folgte die Wiedereröffnung der
Wannseebahn, von Dieter Bohrer noch
einmal in bewegenden Bildern gezeigt. Zu
halten war der Termin nur mit einem
finanziellem Kraftakt bei klirrender Kälte -
wenige Wochen vor den Abgeordnetenhaus-Wahlen.
Ein wahltaktisches Manöver
Eberhard Diepgens? Edmund Wronski
verneint: „Alles Legende." Berliner S-Bahn-Museum
|