Regionalverkehr

Ostbahn (Kursbuch-Strecke B3): Wenig Anschluß unter dieser Nummer

Ein kleiner Rückblick: Am 30. Mai 1992 wurde der neue Grenzübergang Küstrin-Kietz - Kostrzyn für den Personenverkehr eröffnet. Seitdem erwachte die Strecke auf deutscher Seite langsam aus ihrem Dornröschenschlaf. Sowohl die Einführung des Taktfahrplans (bislang verkehren alle zwei Stunden Züge ins polnische Kostrzyn), wie auch der Verzicht, die Regionalbahnen in Strausberg beginnen bzw. enden zu lassen, führte zum deutlichen Anstieg der Fahrgastzahlen.

Die Situation heute

Doch wie sieht es mit den Anschlüssen aus Berlin in Richtung Osten aus? Das Wort „ungenügend" trifft die Situation am besten. Von den neun Zügen die aus Berlin in Kostrzyn eintreffen, besteht nur bei einem (!) innerhalb von sieben Minuten ein Anschluß in Richtung Gorzow und Krzyz. Bei fünf anderen Regionalbahnen bestehen Wartezeiten zwischen zwanzig und fünfunddreißig Minuten. Mit den restlichen drei Zügen besteht überhaupt gar kein Anschluß in Richtung Osten, wenn man bei einer Regionalbahn eine Übergangszeit von 64 Minuten außer Betracht läßt.

Ein Beispiel

Herr X aus Charlottenburg möchte mit seiner Familie einen Tagesausflug nach Gorzow machen. Er sucht sich aus dem Kursbuch folgende Verbindung heraus:

Lichtenberg ab 6.56 Uhr
Kostrzyn an 8.19 Uhr
Kostrzyn ab 8.50 Uhr
Gorzow Wlkp. an 9.44 Uhr

Da er jedoch seinen kleinen Kindern ein Aufstehen vor Sonnenaufgang nicht zumuten möchte, beschließt er, den nächsten Zug zu seinem Zielort zu nehmen. Er staunt nicht schlecht:

Lichtenberg ab 10.56 Uhr
Kostrzyn an 12.19 Uhr
Kostrzyn ab 13.23 Uhr
Gorzow Wlkp. an 14.22 Uhr

Pech gehabt! Herr X. wäre genau in ein „Fahrplanloch" mit einer Wartezeit von über einer Stunde in Kostrzyn „gefallen". Wir wissen leider nicht, wie er diese lange Übergangszeit mit seiner Familie in Kostrzyn überbrückte. Vielleicht erzählt er seiner Frau, daß dereinst sein Großvater direkt von Charlottenburg mit dem Eilzug nach Gorzow, welches damals noch den Namen Landsberg an der Warthe trug, reisen konnte.

Auch heute wäre so eine Verbindung wieder möglich, wenn sich die Politik entscheiden könnte, endlich eine Gleisverbindung zwischen der Frankfurter Bahn und der Ostbahn (östlich des Ostbahnhofs in Berlin) zu bauen. Damit würde auch der Bahnhof Lichtenberg an den Ost-West-Fernverkehr (entsprechend seiner Bedeutung) angebunden werden.

Doch kommen wir nun zur Rückreise: Wenn sich Familie X. für den Bummel in der Innenstadt von Gorzow mit Einkauf und Besichtigung von Dom und Stadtmauerresten einige Stunden Zeit nimmt, muß sie mit dem Zug den Bahnhof um 18.07 Uhr in Richtung Kostrzyn verlassen, um dann mit Umsteigen gegen 20.49 Uhr in Lichtenberg einzutreffen. Dies ist ohnehin der letzte Zug mit Anschluß nach Berlin. Die nächsten beiden Personenzüge, die den Bahnhof Gorzow in Richtung Westen verlassen, haben keinen Anschluß nach Berlin mehr.

Ein weiteres Beispiel

Regionalbahn
Am 12. Juni 1999 treffen sich im polnischen Bahnhof Kostrzyn die Regionalbahn 5805 aus Berlin-Lichtenber (links hinten im Bild) und rechts der Zug 11 128 nach Krzyz. Foto: Frank Lammers

Die Regionalbahn 5801 erreicht, aus Berlin-Lichtenberg kommend, frühmorgens den Bahnhof Küstrin-Kietz um 6.11 Uhr. Würde sie dort nicht enden, sondern wie alle anderen Züge weiter bis Kostrzyn weiterfahren, hätte man dort mit einer Übergangszeit von nur zwölf Minuten Anschluß nach Krzyz. Das ist Fahrgastfreundlichkeit pur!

Ein anderes Problem sind fehlende Direktverbindungen nach Polen über Kostrzyn hinaus. Gab es beispielsweise bis zum letzten Fahrplanwechsel solche Züge (meistens von und nach Gorzow und Pila, zuletzt auch Bydgoszcz), sucht man sie heute vergebens.

Keine attraktiven Verbindungen wegen Schmuggels ...?

Der von der Bahn häufig genannte Grund des Schmuggelns von Waren und auch teilweise von Menschen in den Zügen sollte durch Zusammenarbeit von deutschen und polnischen Grenz- und Zollbehörden durchaus zu lösen sein, wie au die seit Sommer 1999 verkürzte Kontrolle im Bahnhof Szczecin Gumience beweist. Hier sind kurze Aufenthaltszeiten üblich. Oder käme jemand auf die Idee, einen Straßenübergang zu schließen, weil dort Schmuggel stattfindet?

Ausblick

Derzeit gibt es zwischen DB-Regio und dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg Gespräche, ab dem Fahrplan 2000/2001 auf der gesamten Strecke zwischen Berlin und Kostrzyn zumindest an Werktagen einen Stundentakt anzubieten - was die IGEB begrüßen würde. Bleibt zu hoffen, daß ebenso konstruktive Gespräche und Abstimmungen mit der PKP geführt werden, um zukünftig lange Wartezeiten beim Umsteigen zu vermeiden!

IGEB, Abteilung S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 6/1999 (September 1999), Seite 10

 

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