|
Gestartet wurde der Test zunächst auf den
U-Bahn-Linien 2 und 4. Die S-Bahnhöfe
auf der Strecke zwischen Alexanderplatz
und Zoo, die Fahrzeuge der Straßenbahn-Linie 2
sowie den Buslinien 100 und 348
werden erst in den nächsten Wochen mit
den nötigen Lesegeräten ausgestattet. Ob
die Zahl der anvisierten 25.000 Testpersonen
erreicht wird, ist - trotz der eingeräumten
Sonderkonditionen für die Tester
- noch unklar. Die Einführung des ganzen
Systems soll im Jahre 2002 erfolgen. Der
BVG-Vorstandsvorsitzende, Rüdiger vorm
Walde, benannte dafür aber sehr strenge
Bedingungen: Eingeführt werden soll das
System nämlich nur, wenn es sich im
Modellversuch als „Null-Fehler-Projekt"
erweist.
|
Mit bunten Faltblättern und vielen Gewinnen versucht die BVG derzeit die geplanten 25.000 Tester zu locken. |
|
Viele Fragen sind im Zusammenhang
mit dem elektronischen Ticket noch offen,
auf die der Versuch eine Antwort geben
soll. Während die nötige Technik in den
letzten Jahren immer weiter entwickelt
wurde, steht ihre Erprobung im großen
Stil noch aus, gerade unter mitteleuropäischen
Bedingungen.
Eine entscheidende Frage wird jedoch
sein, ob diese Technik von den Fahrgästen
akzeptiert wird. Die Veröffentlichungen
der BVG lassen vermuten, daß alle Beteiligten
profitieren - die Industrie verdient
am Aufbau des Systems, die Verkehrsbetriebe
sparen Betriebskosten und erhalten
wertvolle Planungsdaten quasi gratis
dazu, und der Kunde muß sich nicht mehr
im Tarifsystem („Tarifdschungel") zurechtfinden
und erhält künftig sogar „gerechtere
Preise".Während für die Betriebe die
Vorteile relativ unstrittig sein dürften (sofern
die Technik funktioniert) ist dagegen
weniger klar, ob die Fahrgäste davon
wirklich profitieren werden.
Es wird nicht
alles einfacher
Das für die Preisberechnung nötige An- und
Abmelden ist ein deutlicher Komfortrückschritt
gegenüber dem bisherigen
Verfahren. Auch wenn man das Ticket
nicht aus dem Geldbeutel herausnehmen
muß, so muß man doch zumindest diesen
jedes Mal in die Nähe des Lesegerätes
bringen. Besonders trifft das natürlich die
Zeitkarteninhaber, die bisher nur gelegentlich
einmal ihre Karte hervorholen
müssen, aber auch für Gelegenheitsfahrer
ist das kein Fortschritt, da man das Ticket
nicht nur jeweils einmal pro Fahrt, sondern
beim Umsteigen auch entsprechend
öfter lesen lassen muß. Teuer kann es für
den Fahrgast insbesondere dann werden,
wenn er das nun erforderliche „Auschecken"
beim Verlassen des Bahnhofes,
des Fahrzeuges oder beim Umsteigen vergißt.
Dann nämlich muß zwingend der
Fahrpreis bis zum Endpunkt der jeweiligen
Linie berechnet werden.
Bei den bisherigen Versuchen zum elektronischen
Ticket im Ausland waren auch
vorher immer „geschlossene Systeme"
vorhanden gewesen, die sich in Berlin aufgrund
der baulichen Rahmenbedingungen
und der fehlenden Personalausstattung jedoch
nicht realisieren lassen. Teilweise
(zum Beispiel in Hongkong) gab es nicht
einmal Zeitkarten. Die Voraussetzung für
die Akzeptanz bei den Nutzern waren von
daher anders und günstiger. Noch dazu ist
der Anteil der Zeitkartennutzer gerade in
Berlin besonders hoch.
|
Die Komponenten des Ticket-Systems im Eingangsbereich des U-Bahnhofs Alexanderplatz. Foto: Frank Böhnke |
|
Viele Verkehrsunternehmen haben in
den letzten Jahren mit Erfolg versucht,
neue Dauerkunden zu gewinnen. Die
kompliziertere Benutzung der Karte ist
dabei sicher nicht hilfreich. Für Gelegenheitsnutzer
wird dagegen - zumindest bei
diesem Versuch - nichts geboten, da das
Ticket nur als Monatskarte angeboten
wird. „Niemand soll mehr nach dem
richtigen Fahrschein suchen müssen" -
dies ist nach Meinung der Verkehrsunternehmen
der wesentliche Vorteil des elektronischen
Tickets für den Kunden. Sicher
kann das Zurechtfinden im Tarifsystem ein
Problem sein, aber die Planer der Betriebe
scheinen vergessen zu haben, daß Tarife
nicht kompliziert sein müssen. Und für die
Zukunft geht es ihnen ganz offensichtlich
nicht um eine Vereinfachung der bisherigen
Regelungen. „Leistungsgerechtere
Tarife" klingt zunächst gut und „wer
wenig fährt, zahlt weniger" auch. Man
kann nur hoffen, daß es weiterhin einen
Höchstbetrag (Kappungsgrenze) gibt - anderenfalls
ginge ein weiterer Anreizfaktor
für den Kauf von Zeitkarten und die dann
häufige Benutzung von Bus und Bahn
verloren - und die Verkehrsbetriebe
würden sich unter Umständen ins eigene
Fleisch schneiden.
Fallen die Fahrpreise,
wenn Hertha absteigt?
Doch damit nicht genug: Die Tarife können
(und sollen ?) noch weiter als bisher,
etwa nach Ort und Zeit differenziert werden.
Die Elektronik bietet hier ungeahnte
Möglichkeiten: In der Lastrichtung am
Morgen stadteinwärts mehr als tagsüber,
in der Gegenrichtung etwas weniger,
langsame Busse billiger als schnelle S-Bahnen,
nicht nur eine Kurzstrecke, sondern
alle x-km ein anderer Preis und alles
womöglich kombiniert. Und wenn Hertha
Heimspiel hat, dann wird auf der U2 und
der S-Bahn nochmal ein Zuschlag erhoben.
Vielleicht wird der aber gesenkt,
wenn Hertha wieder absteigt...? In gewissen
Grenzen können solche Unterscheidungen
sinnvoll sein, um einen Anreiz zur
Fahrt in weniger gefragten Zeiten zu
geben. Dazu müssen diese aber nachvollziehbar
sein.
Offenbar sind jedoch die Erfinder des
elektronischen Tickets der Meinung, man
könnte sich Erklärungen in Zukunft sparen
und den Kunden einfach losfahren lassen.
Motto: Am (Monats)Ende wird er schon
merken, wie viel es gekostet hat.
Der BVG-Versuch ist nicht der einzige,
der zur Zeit zum Thema elektronisches
Ticket stattfindet oder vorbereitet wird.
Insofern haben diese Bedenken grundsätzhe
Bedeutung. Auch in der einschlägigen
Verkehrs-Fachliteratur werden diese
Aspekte bisher so gut wie gar nicht behandelt.
Es dominiert die Unternehmensperspektive
nach dem Motto „für uns ist
es gut, und der Nutzer denkt sicher
genauso, wie wir dies von ihm erwarten".
Man setzt voraus, daß der Fahrgast ohne
weiteres auf Bargeld verzichtet und die
Preisberechnung dem Computer überläßt.
Wirkliche Kundenwünsche werden
dabei nicht erfragt. Der Berliner Fahrgastverband
IGEB spricht sich nicht grundsätzlich
gegen Versuche mit neuen Fahrschein-Angeboten und Zahlungswegen
aus. Angesichts der zuvor genannten Bedenken
fordert er jedoch, daß die Interessen
der Fahrgäste im Falle der Einführung
des „electronic ticketing" sehr viel
größere Berücksichtigung finden als dies
bisher geschehen ist.
So wurde doch bis vor wenigen Wochen
im Zusammenhang mit dem „electronic
ticketing" ganz ernsthaft die Errichtung
von (mechanischen!) Zugangssperren auf
U-Bahnhöfen propagiert, ohne auch nur
einen Gedanken daran zu verschwenden,
wie etwa Fahrgäste mit Kinderwagen, mit
Gepäck oder im Rollstuhl diese Sperren
passieren können... IGEB
|