Wütend knallte Mully einen Packen
Faxe auf den Tisch. „Was haben Sie sich denn
dabei gedacht ?!" fauchte sie.
Sculder setzte sein unschuldigstes Gesicht auf,
und blickte sie an. „WOBEI habe ich
mir WAS gedacht ?" Das war natürlich nur
gespielt, denn ein kurzer Blick auf den
Papierstapel hatte ihm gezeigt, worum es
ging. Es war seine Presseerklärung von
heute morgen und die Interviewanfragen der Presse.
„Sind Sie möglicherweise krank ? Überarbeitet ?" - „Oder
ein Genie ?", ergänzte
Sculder die Fragen seiner Partnerin und
ein selbstgefälliges Grinsen erschien auf seinem
Gesicht. „Ich glaube, ich bin letzteres. Ja, ich bin genial."
Mully blieb der Mund offen stehen. Sie mußte
sich hinsetzen. „Also das erklären
Sie mir mal bitte. Ich wüßte nicht, was
genial daran ist, eine Presseerklärung mit
dem Titel 'U-Bahnbau saniert Berliner
Landeshaushalt — 500 km-Netz muß sofort
realisiert werden !' herauszugeben. - Und
dann noch blöde zu grinsen.", setzte sie
hinzu.
„Also, das ist doch ganz einfach. Sie
wissen doch," Sculder senkte bedeutungsvoll
die Stimme, „EXPERTEN haben herausgefunden,
daß Berlin mit dem Bau der Kanzler-U-Bahn
Geld verdienen kann." „Ich wußte es, Sie sind
krank. Wo habe ich denn
nur die Aspirin ... ?"
Sculder ließ sich davon nicht beeindrucken. „Bei
der U5 haben die genannten Experten
ermittelt, daß jede ausgegebene Mark 1,70 Nutzen
ergibt. Das heißt für jede
Mark, die in diesem Champignon-Tunnel vergraben
wird, bekomme ich 1,70 zurück.
Also habe ich einen Gewinn von 70 Pfennig gemacht."
„Oder ob bei diesen Beschwerden Neo-Angin hilft ?"
Mully kramte angestrengt in
ihrer Handtasche, holte Pillenschächtelchen
hervor und studierte eifrig Bei Packzettel.
Als sie bemerkte, daß Sculder schwieg, meinte
sie nur: „Aber sprechen sie doch weiter,
sehr interessant, ja genau ..."
Sculder nickte. „Ja, ich finde das auch faszinierend.
Also, ich habe mir überlegt:
Berlin erwartet im Haushalt 2001 ein Defizit von
sieben Milliarden Mark. Wie oft passen
70 Pfennige in sieben Milliarden, Mully ? Mully !"
Mully unterbrach ihre Medikamentensuche und
sah Sculder an: „Hier ist Imodium
akut, das hilft zumindest bei Verdauungsstörungen.
3 mal 1 Tablette, und es geht
ihnen vielleicht besser. Was? Ach so, ich glaube
10 Milliarden mal."
„Genau, also wenn ich 2001 10 Milliarden Mark in
den U-Bahnbau investiere,
dann bekomme ich 17 Milliarden zurück. Damit sind
die Baukosten und das gesamte
Haushaltsdefizit Berlins gedeckt."
Mully wurde bleich, und begann wieder in
ihrer Tasche zu kramen. Dabei murmelte
sie unverständlich vor sich hin. „Total
verrückt", „Nervenzusammenbruch", „Ob
Gummibärchen helfen?" und „Braucht Urlaub" war
das einzige, was Sculder verstehen
konnte.
Unbeirrt sprach er weiter. „Wenn wir
das fortschreiben, dann hat Berlin seine eigene
Gelddruckmaschine in Form von Schildvortriebsmaschinen
und Spundwänden
entdeckt. Nie wieder soziale Einrichtungen
schließen, begreifen Sie? Wenn Geld gebraucht
wird, bauen wir einfach eine neue U-Bahn! - Also, ich
hab' da schon ein
paar Pläne gezeichnet..."
Mit einem Wisch fegte er den ausgebreiteten Inhalt
von Mullys Handtasche vom
Tisch und entrollte eine Berlin-Karte.
Das heißt: es war mal eine Berlin-Karte. Aber
der Stadtgrundriß war unter einem Gewirr bunter
Linien verschwunden, die - einem
Schnittmuster gleich - kreuz und quer über die Karte liefen.
„Um zehn Milliarden zu verbauen, brauchen wir
jährlich etwa 30 km Neubaustrecke.
Also, neben U3, U10, U11 - die sind ja alt - habe
ich da einige gute neue Ideen.
Zunächst die U72 von Zwickauer Damm nach
Rummelsburg, Wilhelmstrand. Dann
die U53 von Frankfurter Tor nach Rathaus Weißensee.
Die U87 von Lübars nach
Gatow, Luftwaffenmuseum ..."
Sculder redete sich völlig in Rage. Er bekam nicht
mehr mit, daß Mully den Notruf
wählte. Auch als die sehr, sehr freundlichen
Männer kamen und Mulder eine weiße
Jacke mit sehr, sehr langen Ärmeln anzogen, die
sie anschließend auf dem Rücken
zusammenknoteten, hörte er nicht auf zu reden.
„Und 2002 lassen wir uns dann
was neues einfallen. Zum Beispiel die
Wannsee-U-Bahn U71 Gatow-Strandbad
Wannsee-Thielplatz. Und ebenfalls wichtig: Die
U118 Malchow, Dorfstraße nach
Lindauer Allee (West) mit direkter Anbindung
an die U64." Er hörte auch nicht auf
zu sprechen, als die Sanitäter ihn
heraustrugen. „Eine wie ich finde ganz besonders
wichtige Verbindung für den ÖPNV im
Herzen unserer Stadt..."
Durch die geschlossene Tür klangen Stimme
und Tonfall sehr nach Diepgen. Mully
weinte. IGEB
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