|
Wie es möglich wäre, aus dem derzeitigen
Rumpfnetz im ehemaligen Ostteil der
Stadt endlich wieder „Straßenbahn für
ganz Berlin" zu entwickeln, zeigt detailliert
das Buch gleichen Namens. Dabei ist
eine Rückkehr der Straßenbahn in möglichst
alle Stadtteile schon deshalb dringend
notwendig, weil es kaum eine unattraktivere
Form des ÖPNV als den Busverkehr
gibt.
Haben Sie schon mal einen Busfanatiker
getroffen? Haben Sie jemals Massen
Verzückter erlebt, die sich um den besten
Platz zum Photographieren alter Omnibusse
balgten? Menschen, die Aufnahmen
von Busmotorgeräuschen lauschen
und alte Busutensilien hüten wie kostbare
Reliquien?
|
Abschiedsfahrt für den letzten nichtmodernisierten KT 4 D-Straßenbahnzug am 25. Mai 1998 in der Eberswalder Straße. Foto: Marc Heller |
|
Warum war für mich als Kind die U-Bahn
von größter Faszination - im West-Berlin
der siebziger Jahre, wo die Straßenbahn
nicht mehr existierte, die Eisenbahn
eine überaus triste Randexistenz fristete
und die S-Bahn so äh-baba war, daß ein
anständiger Mensch nicht einmal an sie
dachte? Warum spielte ich - da Lokführer
angesichts der lokalen Verhältnisse
allzuviel Phantasie erfordert hätte - mit
anderen Kindern Zugabfertiger, aber niemals
Busfahrer, wo die BVG doch ein sa
großes Busnetz unterhielt?
Die Antwort auf all diese Fragen ist so
einfach wie niederschmetternd: Der
Omnibus ist die reizloseste, popeligste
Form öffentlichen Nahverkehrs. Deshalb
gibt es, wenn eine Linie gestrichen oder
umgeleitet wird, bestenfalls Beschwerden
von Anwohnern, denen damit günstige
(Direkt-) Verbindungen genommen werden.
Aber noch nie ist es zu vergleichbar
überbordenden Sentimentalitäten gekommen
wie jenen, mit denen die West-Berliner
Linie für Linie die Schlachtung
ihrer Straßenbahn begleiteten (ohne freilich
auf der politischen Ebene irgendetwas
dagegen zu unternehmen, so
mächtig war der damalige Zeitgeist). Und
wen schert schon, wann welches Busmodell
seinen letzten Einsatztag erlebt? Natürlich
gibt es Verkehrsfans, die sich auch
dieses Transportmittels annehmen, alte
Wagen pflegen, rekonstruieren und vorführen;
und ihre Arbeit ist so lobenswert
und wichtig wie die ihrer Kollegen, die
sich mit historischen Straßenbahnen befassen.
Doch über das Verschwinden eines
Bustyps aus dem Berliner Stadtbild
berichtet niemand, keine Horden von
Hobbyphotographen fallen über die Wagen
her wie zuletzt wieder beim Abschied
von den „Reko"-Straßenbahnen und den
„Stadtbahnern" der S-Bahn geschehen.
Ebensowenig ist vorstellbar, daß die Aufrechterhaltung
des Busnetzes von der
Öffentlichkeit mit solch Argusaugen verfolgt
werden würde wie im Falle der Straßenbahn,
die andernfalls von der Großen
Senatskoalition wahrscheinlich schon mit
schönen Ausreden teilweise beseitigt
worden wäre.
Warum sollte man sich für Busse auch
so einsetzen? Eine Linie einzurichten, erfordert
für gewöhnlich nur, ein paar Haltestellen
zu installieren, eventuell noch
einige Bäume zu beschneiden - das
war's. Noch simpler ist der Unterhalt.
Genau dieses Billige haftet dem Busverkehr
aber auch an: Niemand mußte sein
Herzblut daran verschwenden, er hat keiner
besonderen Mühe, keines besonderen
Engagements bedurft - und kann so
schnell verändert werden und sogar wieder
verschwinden wie er eingerichtet
wurde. Selbst den Fahrzeugen läßt sich
kein besonderer Reiz abgewinnen (wenn
man einmal von den Doppeldeckern absieht,
die aber - als wollte man dies Verkehrsmittel
aller Attraktivität berauben -
in Zukunft nur noch ein Drittel des Wagenparks
ausmachen sollen). Können Sie
sich vorstellen, daß Begeisterung ausbricht,
wenn es heißt: Heute lassen wir
unser Auto stehen und fahren stattdessen
mit dem Bus? Wo man vormittags auf
vielen Linien auffällt, wenn man unter
sechzig ist (und sich vermutlich in den
Verdacht eines liederlichen Lebenswandels
gerät, der einen den Führerschein
gekostet hat)? Da kann die Technik noch
so ausgeklügelt sein, da können die Designer
noch so redliche Arbeit leisten oder
die abstrusesten Kapriolen schlagen -
unterschwellig scheint doch immer
durch, daß der Bus letztlich geblieben ist,
was schon seine Urahnen waren: Auf die
Torwagen - Pritschengefährte mit ein
paar Bänken drauf - begab sich, wer sich
kein eigenes Pferd, keinen eigenen Wagen
leisten konnte. Bus fährt vornehmlich,
wer sich kein eigenes Auto leisten
kann.
Aber wer leistet sich schon eine eigene
Bahn? Bereits insofern ist die Straßenbahn
etwas Besonderes: Kein dürftiger,
oft auch noch wenig gepflegter Ersatz in
erzwungener Kollektivität, mit dem man
über die gleichen Straßen holpert, im gleichen
Stau steht wie jene, die dies immerhin
in ihrem persönlichen, individuell gestalteten
Gefährt tun können (und dabei
die Musik ihrer Wahl hören und soviel
rauchen wie sie wollen). Die moderne
Straßenbahn gleitet an ihnen vorbei, geruchlos,
leise, in gleichmäßiger, ruhiger
Fahrt. Sie stößt in Bereiche vor, die anderen
Vehikeln verwehrt sind, fährt durch
Fußgängerzonen, nimmt auf eigenen
Trassen Abkürzungen durch Wälder und
freies Gelände. Wenngleich an Schienen
gebunden, vermittelt die Straßenbahn
mit all dem ein größeres Gefühl von Freiheit
und, obwohl ebenfalls „omnibus"
(„für alle"), von Exklusivität.
|
Noch ein Beispiel für das Interesse an den Schienenverkehrsmitteln: Groß wurde von der S-Bahn Berlin GmbH am 22. Juni 2000 die Inbetriebnahme des 250. Viertelzuges der Baureihe 481 im Bahnhof Oranienburg gefeiert. Foto: IGEB-Archiv |
|
Hinzu kommt, daß die Tram durch diese
Schienen - anders als der Bus und erst
recht die U-Bahn - immer präsent ist,
auch wenn gerade kein Zug fährt. Schienen
sind stets ein Versprechen: auf die
Ferne, in die sie führen, auf die Bahn, die
kommen und einen dorthin mitnehmen
wird; es gibt deshalb nichts Deprimierenderes
als Gleise, von denen man weiß,
daß auf ihnen nie wieder ein Zug verkehren
wird. Nicht zuletzt zeugen die Schienen
von Engagement und Überlegung.
Eine Straßenbahnstrecke besitzt einen
ganz simplen ökonomischen Investitionswert,
den eine Busroute logischerweise
nicht haben kann. Wer bei Verstand ist,
überlegt sich zweimal, ob er dies einfach
aufgeben kann. Und jede Neubaustrecke
ist schließlich, nach dem weltweiten Ausrottungsfeldzug
gegen die Straßenbahn
und zumal, wenn sie dem Autoverkehr
wieder Raum entzieht, auch ein Zeichen
der Besinnung, von gewonnener Einsicht
und wahrhaftem Fortschritt.
Das Buch „Straßenbahn für ganz Berlin"
zeigt, was wir - auch und gerade
stadtästhetisch - durch die Beseitigung
der Tram verloren haben und wie wir es
zurückgewinnen können. Es tut dies erfreulich
detailliert, um endlich all den
Bremsern, Bedenkenträgern und unverhohlenen
Straßenbahnfeinden die Argumente
aus den Händen zu schlagen.
Würde Berlin nicht seit zehn Jahren von
einer ebenso trost- wie einfallslosen Großen
Koalition regiert, wären all die schönen
Reden von „Innovation", „Nachhaltigkeit" und
„zukunftsweisender Stadtentwicklung"
nicht nur leeres Geschwätz
- dann wäre dieses Buch überflüssig und
der Ausbau des Tramnetzes längst ernsthaft
in Angriff genommen worden. Dann
wäre die Bahn durch die Wasserstadt
Oberhavel, pardon: „Spandauer See",
nicht schon daran gescheitert, daß einige
Kleinstadtpolitiker mal wieder den Verlust
einiger Parkplätze und Rechtsabbiegespuren
befürchtet hätten, sondern die Keimzelle
der weitestgehenden Umstellung
des Spandauer Lokalverkehrs auf die Straßenbahn
geworden. Dann hätte Berlin
mit solchen und ähnlichen Maßnahmen
international für Furore gesorgt als Metropole,
die massiv die Fehler der Vergangenheit
korrigiert und die Straßenbahn
wiederaufbaut - statt für viel Geld noch
eine U-Bahn-Strecke in die Erde zu buddeln,
deren mangelnde Auslastung jetzt
schon abzusehen ist.
|
Gleise verpflichten! Wo das Versprechen nicht eingelöst wird, mahnen sie dennoch schon alleine durch ihre Anwesenheit im öffentlichen Raum, wie hier in der Invalidenstraße. Foto: Florian Müller, 13. März 2000 |
|
Natürlich waren die Rückkehr der Tram
in den einstigen Westteil der Stadt sowie
auf den Alexanderplatz wichtige Zeichen
- doch als fast die einzigen Neubaustrecken
in zehn Jahren sind sie ein mehr als
dürftiges Ergebnis. Wenn Berlin wirklich
das vielbeschworene „Verkehrskompetenzzentrum",
eine Stadt mit Vorbildcharakter
werden will, müssen diesen zwei
Trassen viele weitere folgen, auch und
gerade westlich der früheren Sektorengrenze
- als ständig sichtbare Zeichen einer
neuen, fortschrittlichen Verkehrspolitik.
Einer Verkehrspolitik, die eben auch
begriffen hätte, daß der Bus als Hauptkonkurrent
und einstmals gepriesener
„Ersatz" für die Straßenbahn nicht nur
weniger wirtschaftlich ist, sondern auch
denkbar profan und als Objekt für Träume
gänzlich ungeeignet. Derweil bei der
Straßenbahn viele Dinge mitschwingen,
die ihr einen besonderen Reiz verleihen
und die es zu den erheblichen ökonomischen
Vorteilen kostenlos dazu gibt. Jan Gympel
|