Bewertung der Verkehrspolitik des
„Übergangssenates" aus Fahrgastsicht
Seit dem 16. Juni 2001 hat Berlin einen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gebildeten
Senat. Nach den West-Berliner Erfahrungen
von 1989 konnten die Berliner Fahrgäste
hoffen, dass mit dem Regierungswechsel
auch ein Wechsel hin zu einer fahrgastfreundlicheren
Politik verbunden ist.
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Lange Umsteigewege am U-Bahnhof Eberswalder Straße Foto: Alexander Frenzel, Oktober 2000 |
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Zunächst schien sich die Hoffnung zu
bestätigen. Der neue Senat verzichtete auf
das Milliardenprojekt U5-Verlängerung, bei
dem die Kosten für den U-Bahn-Bau in einem
krassen Missverhältnis zu dem Nutzen
für die Fahrgäste stehen. Doch wer gehofft
hatte, dass der Senat nun auch ein Konzept
vorlegt, wie die dem Land Berlin zur Verfügung
stehenden Investitionsgelder stattdessen
eingesetzt werden sollen, wurde enttäuscht.
So ist zu befürchten, dass Berlin am
Ende des Jahres - wieder einmal - Bundesgelder
zurückgeben muß, die dann den
anderen Bundesländern zur Verfügung stehen.
Die nächste Enttäuschung folgte, als der
Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit
das Projekt einer Fusion von S-Bahn und
BVG aus der Mottenkiste wieder hervorholte
und am 13. Juli zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden
der DB AG, Hartmut
Mehdorn, eine Absichtserklärung zu dieser
Fusion unterzeichnete. Der Berliner Fahrgastverband
IGEB kann in einer Fusion keine
entscheidenden Vorteile erkennen und
bekräftigt die 1998 geäußerte Ablehnung.
Nicht nur enttäuscht, sondern sehr verärgert
ist der Berliner Fahrgastverband IGEB,
daß selbst kleine, relativ schnell und preiswert
zu realisierende Maßnahmen wie bisher
schon verschoben werden, zum Beispiel
die Heranführung des Busses 133 an den S-Bahnhof
Tegel. Auf die von der Verkehrsstaatssekretärin
Krautzberger im letzten
Jahr verbindlich zugesagte, seit Jahren überfällige
Verknüpfung von S-Bahn und Busverkehr
in Tegel warten die Fahrgäste noch
immer. Und sie werden wohl noch weitere
Jahre warten müssen, da diese Maßnahme
als Folge jüngster Sparbeschlüsse nach
IGEB-Informationen bereits wieder auf der
Streichliste ist.
Ebenso ungeheuerlich, aber mit Auswirkungen
auf noch viel mehr Fahrgäste, sind
die erneuten Verzögerungen beim Bau aller
neuen Berliner Straßenbahnstrecken.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf!
Deshalb fordert der Berliner Fahrgastverband
IGEB den Senat und die ihn tragen den
Parteien auf, umgehend eine verkehrspolitische
Wende einzuleiten. Auch ein
„Übergangssenat" kann und muß innerhalb
weniger Monate neue Akzente setzen. Der
Berliner Fahrgastverband IGEB sieht hierfür
vielfältige Möglichkeiten.
Ob Haase, Kiemann oder Strieder:
der Straßenbahnneubau kommt in
Berlin nicht voran
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Leipziger Straße im März 2000. Foto: Alexander Frenzel |
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Längst könnten durch die Bernauer Straße,
Karl-Liebknecht-Straße und Leipziger Straße
Straßenbahnen fahren. Die ursprünglichen
Zeitpläne sahen dies vor. Doch bei den
Planfeststellungsverfahren zum Straßenbahn-Neubau
kommt es regelmäßig zu
massiven Verzögerungen, unabhängig davon,
ob der Verkehrssenator nun Haase,
Kiemann oder Strieder heißt. Es fällt schwer,
dahinter keinen Vorsatz zu vermuten.
Beispiel Karl-Liebknecht-Straße: Jüngst
führten Gedankenspiele über Großinvestitionen
entlang der Straße, die eine Trassenverschiebung
erfordert hätten, zur Aussetzung
der Straßenbahnplanung. Jetzt wird
ein Kostenstreit mit den Berliner Wasserbetrieben
vorgeschoben, ein strukturelles Problem,
daß es aber bereits seit zehn Jahren
gibt. Wenn beide Seiten meinen, diesen
Streit gerichtlich klären zu lassen, könnte
das Land Berlin die Verlegung unter Vorbehalt
vorfinanzieren. Doch bei der Berliner
Straßenbahnplanung wird offensichtlich
weiterhin nach dem Motto gearbeitet: „Wir
finden zu jeder Lösung ein Problem." Deshalb
muß Verkehrssenator Strieder auch
über eine Umstrukturierung seiner Verwaltung nachdenken.
Sofortmaßnahmen:
nötig und möglich
Das Programm zur Verkürzung der Umsteigewege
in Berlin muß endlich vorangebracht
werden. Derzeit wird eine Maßnahme
nach der anderen ausgeschieden, weil
irgendein Bedenkenträger Einwände vorbringt.
Der Senat muß den Mut aufbringen,
Entscheidungen zu Gunsten der Fahrgäste
auch dann zu treffen, wenn sie zu Lasten
des Autoverkehrs gehen. In der Verkürzung
der Umsteigewege liegt das größte Potential,
mit wenig Geld beachtliche Reisezeitverkürzungen
zu erzielen.
Einige Beispiele für überfällige und mit
relativ wenig Geld realisierbare Maßnahmen:
- S-Bahnhof Tegel: Daß die Heranführung
der Busse an den S-Bahnhof nach Jahren
noch immer nicht gelungen ist, können
Senat und Bezirk Reinickendorf niemandem
mehr erklären. Und daß nach
IGEB-Informationen nun sogar eine
erneute Verschiebung auf unbestimmte
Zeit droht, kann nur noch als Skandal
bezeichnet werden.
- Rathaus Steglitz: Über diesen wichtigen
Umsteigeknoten zwischen S-, U-Bahn
und Bus wird seit Jahren diskutiert.
Noch immer ist die Situation für viele
der Busfahrgäste unübersichtlich und
wegen zu weiter Wege unattraktiv.
- S- und U-Bahnhof Pankow: Das Umsteigen
zwischen S- und U-Bahn zur
Straßenbahn ist für die Fahrgäste eine
Zumutung. Die Vorschläge des Berliner
Fahrgastverbandes IGEB für kleine Sofortmaßnahmen
zur Verkürzung der
Umsteigewege wurden abgelehnt mit
Verweis auf große Umbauten in einigen
Jahren.
- S-Bahnhof Baumschulenweg: Hier wären
nur Haltestellenmaste zu versetzen,
um das Umsteigen von und zum Bus attraktiver
zu machen. Aber selbst das
scheint in Berlin nicht möglich. Oder es
dauert - in Lichterfelde West mußten
die Fahrgäste 15 Jahre warten.
Senator Peter Strieder: „In der 2. Jahreshälfte
2000 werden die Buslinien 101,194, X69
und 227 beschleunigt. Allein mit dieser
Maßnahme kann die BVG rund drei Fahrzeuge
einsparen." (Landespressedienst vom
25. April 2000) Inzwischen ist die 2. Jahreshälfte
2001 erreicht, die versprochenen Beschleunigungen
sind nicht umgesetzt worden.
Dies muß nachgeholt werden.
Alle Beschleunigungsmaßnahmen haben
zwei wichtige positive Effekte:
- Mehr Einnahmen, weil Bahn und Bus für
die Fahrgäste attraktiver werden.
- Weniger Ausgaben, weil Fahrzeugumläufe
eingespart werden können.
Zur Erleichterung und Beschleunigung sind
zügig Haltestellenkaps zu realisieren, die es
in Berlin fast überhaupt nicht gibt, da der
langjährige Verkehrsstaatssekretär Ingo
Schmitt das den Autoverkehr in einigen Fällen
kurzzeitig behindernde Halten an Kaps
grundsätzlich untersagt hat.
Die Straßenbahn muß an den Kreuzungen
endlich wirksame Vorrangschaltungen
erhalten. Die bisherigen Vorrangschaltungen
sind nur halbherzig, um nur ja nicht
den Autoverkehr zu beeinträchtigen, oder
sie sind mangelhaft. In der Innenstadt, im
bisherigen Bezirk Mitte, gibt es bisher gar
keine Vorrangschaltungen. Hierzu wird von
der Senatsverkehrsverwaltung jetzt allerdings
wenigstens die Ausschreibung für ein
Gutachten vorbereitet, so daß die Totalblockade
beendet zu sein scheint.
Trotz der mangelhaften Vorrangschaltungen
sind bisher immerhin acht Zugumläufe
eingespart worden. Dies ist auf die Einführung
von Blockpausen zurückzuführen (der
Fahrer nimmt die gesetzlichen Pausenzeiten
nicht mehr gemeinsam mit seinem Zug an
der Endstelle, sondern nach vier Arbeitsstunden
eine halbe Stunde unbezahlte Pause
am Stück außerhalb des Zuges).
Zusätzlich zur Einführung der neuen Expreßbuslinie
X33 (Spandau - Märkisches
Viertel) sollten zum Fahrplanwechsel am
17. September auch die geplanten
Linien X46 (Bahnhof
Zoo - Buckow) und X67
(Potsdamer Platz -Schöneweide)
gestartet werden.
Das U-Bahn-Nachtnetz an
Wochenenden muß zwölf
Jahre nach dem Mauerfall
von einem West-Berliner zu
einem Gesamt-Berliner Netz
ausgebaut werden. Kurzfristig,
zum Fahrplanwechsel
am 17 September oder wenig
später, muß die Nachtlinie
U 12 (Warschauer Straße
- Ruhleben) durch Nachtverkehr
auf der U 2 (Abschnitt
Pankow - Theodor-Heuß-
Platz) und U 15 (Warschauer
Straße - Uhlandstraße) ersetzt werden.
Anmerkungen
zu den neuen VBB-Tarifen
Zu den ab 1. August geltenden Tarifen hat
sich der Berliner Fahrgastverband IGEB vielfach
geäußert. Zu ändern sind sie nun nicht
mehr. Immerhin gibt es dieses Mal auch einige
Verbesserungen, vor allem mit der Verbilligung
der Schülermonatskarten.
Was können, ja müssen alle Beteiligten
aus der diesjährigen „Tarifschlacht" lernen?
Der Automatismus jährlicher Tariferhöhungen
- zumeist deutlich über der allgemeinen
Teuerungsrate - muß endlich beendet
werden. Bei vielen Tarifen liegt der Verkehrsverbund
Berlin-Brandenburg inzwischen
deutschlandweit an der Obergrenze.
Zu kritisieren ist auch das Datum 1. August.
Mitten in den Sommerferien erreichen
die Informationen und das Info-Material
viele Fahrgäste vor ihrer Abreise noch nicht
und nach Rückkehr nicht mehr.
Das Streichen der nachgefragten und attraktiven
Kleingruppenkarte in Berlin, noch
dazu nur in einer Stadt des Verbundgebietes,
ist ein unbegreiflicher Vorgang. Dieses
Angebot muß zur Umstellung der Tarife auf
den Euro wiedereingeführt werden.
Spätestens mit der geplanten Ausdehnung
des Verbundgebietes auf die Landkreise
im Süden Brandenburgs einschließlich
Cottbus muß eine grundsätzliche Vereinfachung
der VBB-Tarifstruktur erfolgen.
Der Ermäßigungstarif („Kindertarif"), in
vielen Städten um 50 Prozent günstiger als
der Normaltarif, liegt in Berlin bei 33 Prozent
und im Land Brandenburg bei 25 Prozent
unter d em Normaltarif. Deshalb müssen die
in Brandenburg zu teuren Ermäßigungstickets
wenigstens an die Berliner Regelung
angeglichen werden.
Die Zuständigkeiten für die VBB-Tarife
müssen geändert werden. Das „Hauen und
Stechen" zwischen den Verkehrsbetrieben
und die Unfähigkeit der Verbundgesellschaft,
die Tarifabstimmungen zu gestalten
und zu moderieren, müssen die Länder Berlin
und Brandenburg zum Anlaß nehmen,
die vertragliche Zuständigkeiten zu ändern
und selbst mehr Verantwortung zu übernehmen. IGEB
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