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„Wenn es regnet und bei der Bahnhofsmission
wird Suppe verteilt, geht doch kein
Obdachloser mehr nach draußen in den
Regen", erklärte er laut „Bild am Sonntag"
vom 14. Oktober. Er übersah dabei jedoch:
Womöglich würden die Obdachlosen bei
Regen sogar ohne Suppe (welche die Missionen
nach eigenen Worten schon seit längerem
nicht mehr verteilen) im Bahnhof sitzen
bleiben. Und durch dieses schlechte
Vorbild am Ende selbst Leute mit Obdach
dazu anstacheln, bei Hagel, Sturm oder
Wolkenbruch in der Station zu verharren.
Dies zeigt schon: Die Idee, die Bahnhofsmissionen
aus den Bahnhöfen zu verbannen
(und am besten auch aus deren Umfeld
- wie wäre es etwa mit einer Verlegung
nach Gatow oder nach Müggelheim?), zielt
zwar in die richtige Richtung, ist aber noch
viel zu kurz gegriffen.
Natürlich wissen wir: Nichts ist bei der
Bahn AG so verpönt wie die eigene Vergangenheit
und alles, was auch nur irgendwie
nach Bahntradition riecht. Dennoch sollte
Hartmut Mehdorn mal einen Blick ins Archiv
werfen (soweit dieses denn noch nicht in
Richtung Müllkippe entsorgt worden ist).
Denn in der Geschichte dieses Verkehrsmittels
finden sich nicht nur so fürchterliche
und daher längst umbenannte oder noch
besser ausrangierte Dinge wie Fahrdienstleiter,
D-Züge, Speisewagen oder eben Bahnhofsmissionen.
Sondern auch die gute Idee,
den Zugang zu den Perrons zu kontrollieren.
Diesen Einfall gilt es, in die neue Zeit zu
übertragen: In den Bahnhof kommt fortan
nur noch, wer eine Fahrkarte für einen in
Kürze abgehenden Zug vorweisen kann,
oder aber Eintritt bezahlt. Letzteres sollte
verbunden werden mit einem Einkaufsgutschein,
denn wozu ist ein Bahnhof bekanntlich
in allererster Linie da? - Richtig: zum
Shopping. Natürlich müßte moderne Elektronik
dafür sorgen, daß sich unerwünschte,
da konsumschwache oder gar konsumscheue
Elemente nicht etwa durch den Erwerb
einer Eintritts- oder auch einer Fahrkarte
in den Bahnhof mogeln und dort
dann endlos verharren. Die Tickets müßten
beispielsweise nach einer Stunde verfallen
und ihre Besitzer durch entsprechende
Überwachungsanlagen problemlos zu orten
sein. Bahnhofshostessen könnten dann
zum Kauf eines neuen Billetts auffordern,
zum vorschriftsmäßigen Nachkonsum (Kassenbons
wären ebenso zu präparieren),
oder aber sie müßten die Sicherheitskräfte
verständigen. Man kennt derlei ja schon aus
all den schönen neuen Einkaufszentren, wo
man sich auch nicht einfach auf den Rand
eines schmucken Betonblumenkübels setzen
darf - dafür sind schließlich die Lokale
da. Sinnvollerweise hat die Deutsche Bahn
AG Bänke und Warteräume auf manchen
Stationen schon aufs Äußerste reduziert -
Rumlümmeln ist nicht (schon gar nicht mit
dem Hinweis auf verspätete Züge, die es bekanntlich
nur in ganz, ganz wenigen Ausnahmefällen
gibt), sondern es heißt: Weitergehen,
weitergehen, und nicht vergessen,
dabei immer schön zu konsumieren!
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Die DB-Lounge im Hauptbahnhof Frankfurt/Main. Hier hat nur Zutritt, wer eine Fahrkarte hat. Ein Modell für die Zukunft? Foto: DB AG, Mann |
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Wie überfällig es ist, die (unterbrochen
vom Verbot durch Nazis und SED) seit über
hundert Jahren ihr Unwesen treibenden
Bahnhofsmissionen aus diesem Ambiente
zu entfernen, zeigt deren dreistes Ansinnen,
„Rückzugsmöglichkeiten" zu bieten und auf
manchen Stationen gar einen (ebenso kommerzfreien)
„Raum der Stille" einzurichten.
Ihrer Website (www.bahnhofsmission.de)
zufolge wollen diese Institutionen „ein
Stückchen Zuhause für alle Reisenden und
Hilfesuchende" bieten, „Menschlichkeit am
Zug" zeigen, und sehen sich „als ´Kirche am
Bahnhof` getragen vom Evangelium als der
frohmachenden Botschaft für alle Menschen".
Doch so geht es nicht mehr: Die Bahn ist
jetzt schließlich eine Aktiengesellschaft, und
da zählt nur die Dividende. Wenn die Kirche
partout im profitoptimierten Bahnhof der
neuen Zeit vertreten sein will, braucht sie
sich selbiger doch nur anzupassen: Gegen
einen niedlichen ChurchShop mit Designerbibeln,
Jesus-Kaffeebechern, Oblatensnack,
Produkten aus der neuesten Kruzifix-Kollektion
und der Frohen Botschaft im Supersonderangebot
wird auch Hartmut Mehdorn
nichts einzuwenden haben. Jan Gympel
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