Berlin

Mehr Schutz für Berlins historische U-Bahnhöfe?

Im zu Ende gehenden Jahr einigten sich BVG und Denkmalpflege erstmals auf einen abgestimmten Umgang mit Berlins historischen U-Bahnhöfen. Was steht in der Vereinbarung und was kann sie den Baudenkmalen wirklich bringen?

In Kürze feiert die Berliner U-Bahn ihren hundertsten „Geburtstag". Doch von dem, was im Laufe eines Säkulums gebaut wurde, hat vieles nicht die Zeiten überdauert. Ein Umstand, der weniger dem Zweiten Weltkrieg geschuldet ist, als dem unsensiblen Umgang mit der historischen Bausubstanz. Und leider ist dieser nicht nur für die notorisch abrißwütigen fünfziger und sechziger Jahre zu beklagen: Gerade in letzter Zeit sind diverse Bahnhöfe in fragwürdiger Manier saniert worden, hat die BVG alte Hochbahnviadukte durch grobschlächtige Neubauten ersetzt und reihenweise Bahnsteigmöbel und andere Ausstattungsgegenstände abgeräumt.

U-Bahnhof
Besonders im ehemaligen Ostteil hätte nach 1989 ohne Probleme vieles Schützenwerte erhalten werden können. Im Foto: Ein U-Bahn-Zug des VE(K) Berliner Verkehrs-Betriebe verläßt den Bahnhof Schönhauser Allee in Richtung Otto-Grothewohl-Straße. Foto: Martin Sterz, Juli 1988

Angesichts dessen machte eine im Sommer verbreitete Meldung Mut: BVG und Landesdenkmalamt hätten miteinander eine „Grundsatzvereinbarung zur Regelung der Zusammenarbeit bei Umbauten und Grundinstandsetzungsmaßnahmen in denkmalgeschützten U-Bahnanlagen" abgeschlossen. Sollte die BVG also endlich begriffen haben, daß alte Bahnhöfe nicht nur dann ein Gewinn sind, wenn sie der seit einiger Zeit wieder vorherrschenden Schnörkelseligkeit entsprechen?

Daß eine gepflegte Gestaltung, möglichst „aus einem Guß", in der ästhetisch alles aufeinander abgestimmt ist, auch ein Ambiente schafft, welches die Hemmschwelle für Vandalen heraufsetzt? Daß die Denkmalpflege dementsprechend nicht als Gegner, sondern als Partner betrachtet werden sollte, um Deutschlands ältestes und deshalb architektonisch auch interessantestes U-Bahnnetz attraktiv zu erhalten oder attraktiver zu machen?

Tatsächlich wird in der Präambel der am 30. April 2001 von BVG-Vorstand Niklas und Landeskonservator Haspel unterzeichneten Vereinbarung betont, beide Seiten sähen „sich der besonderen ästhetischen Qualität des Verkehrsmittels U-Bahn, die in der ganzheitlichen Gestaltung (Färb- und Formgebung) des historischen Bestandes, einschließlich der Informationssysteme, gegeben ist (...) verpflichtet". - Letzteres ein verklausulierter Hinweis darauf, daß die Denkmalpflege mit dem Anzeigesystem „DAISY" und der neuen Einheitsbeschilderung im Plastiklook, mit der die BVG in den letzten Jahren viele Stationen überzogen hat, nicht glücklich ist. Doch sofort wird dieser gekontert mit der Feststellung: „Dies schließt notwendige Modernisierung und technische Anpassung nicht aus."

U-Bahn-Wagenhalle
U-Bahn-Wagenhalle am Bahnhof Warschauer Straße. Foto: Alexander Frenzel

In dieser Weise geht es weiter. In Paragraph 2 heißt es: „Der denkmalgerechten Erhaltung, Instandsetzung, Modernisierung und Pflege sehen sich beide Seiten verpflichtet. Angestrebt wird hierbei, die zeitgeschichtlichen Entwicklungsphasen sichtbar zu machen, die auch spätere Um- und Einbauten berücksichtigen. Originalbauteile aller Bauphasen sollen entsprechend den technischen und finanziellen Möglichkeiten erhalten, instandgesetzt, weiterverwendet oder notwendigenfalls erneuert werden."

Wohlbemerkt: Das Handeln hat sich nicht nur an den - natürlich aus BVG-Sicht erfreulich auslegungsfähigen - „technischen und finanziellen Möglichkeiten" zu orientieren. Die Originalbauteile können dann auch „erhalten, instandgesetzt, weiterverwendet oder erneuert" werden, was auf gut deutsch nichts anderes bedeutet als: Es kann alles mit ihnen geschehen. „Bei Grundinstandsetzungsmaßnahmen wird eine Rekonstruktion fehlender Gestaltungselemente im Charakter der Bauwerksarchitektur vorgesehen, soweit sich aus der Besonderheit des Einzelfalls nichts anderes ergibt. Die in der Anlage Nr. 1 zu dieser Vereinbarung aufgeführten Bau-, Ausstattungs- und Zubehörteile werden - soweit vorhanden - in den Planungen grundsätzlich berücksichtigt. Über ihren Umgang (gemeint ist wohl: über den Umgang mit ihnen, J.G.) ist am konkreten Einzelfall nach Abstimmung zu entscheiden." Was letztendlich heißt: Nicht einmal die aufgelisteten Teile sind definitiv geschützt.

Zulässig sind Veränderungen laut Paragraph 3 zum Beispiel bei „Ablauf der statischen Restnutzungsdauer" (dies ist das übliche Totschlagsargument gegen Viadukte und Brücken), „Maßnahmen zur Aufhellung" (kann historischen Leuchten den Garaus machen, aber beispielsweise auch als Argument für die von der BVG momentan so geliebten Natursteinböden auf den Bahnsteigen dienen), „Einbauten für Fahrgastinformation und Service" (bezieht sich vor allem auf „DAISY", hinterleuchtete Transparente und Bahnhofsschilder), „Funktionsänderung für Anlagen und Aufbauten" (Abriß von Bahnsteighäuschen, die freistehenden Fahrkartenschalter sind ja schon alle weg), „Maßnahmen zur Erhöhung der Vandalismusresistenz und Verbesserung der Reinigungsmöglichkeiten" (zum Beispiel Ersatz historischer, auf die Architektur abgestimmter Bänke durch Einheits-Drahtstühle). Gerade letzteres kann man auch so verstehen: Wenn sich der olle Plunder nicht einfach genug putzen läßt, darf er abgeräumt werden. Immerhin verlangt die Vereinbarung: „Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen wird den Denkmalbehörden jeweils durch geeignete Unterlagen nachgewiesen. Die Maßnahmen werden mit den örtlich zuständigen Denkmalschutzbehören abgestimmt. Bei nachweislicher Notwendigkeit sind ggf. Ersatzleistungen festzulegen, die den unter § 2 aufgeführten Zielstellungen entsprechen." Selbiges läuft dann wohl auf so etwas hinaus wie den Umgang mit den historischen, von Uhren bekrönten Zugzielanzeigern auf den Hochbahnhöfen Kottbusser Tor und Schlesisches Tor: Nach der Installation von „DAISY" wurden insgesamt drei von ihnen, nun funktionslose Erinnerungsstücke, an andere Stellen der Bahnsteige versetzt; am Kottbusser Tor hängt ein Kasten ziemlich widersinnig in der Mitte der Halle, über dem Zugabfertigergebäude.

Viadukt
Hochbahn-Viadukt am U-Bahnhof Bülowstraße: Bei der Sanierung 1995/1996 wurden die alten Brückenteile verschrottet. Der Denkmalschutz kam zu spät. Foto: Alexander Frenzel

Apropos Hochbahn: Wohl nicht zufällig hat die Politik die auch von ihr oft als „lästig" empfundene Denkmalpflege mit viel zu wenig Personal ausgestattet. Dementsprechend überlastet sind die zuständigen Stellen und konnten in der Vergangenheit auch im Bereich der U-Bahn oft nur als „Feuerwehr" tätig werden, die einschreitet, wenn Baumaßnahmen bereits in Angriff genommen worden sind. In dieser Situation wird die Denkmalpflege dann gern als Störenfried hingestellt, der schönes Neues verhindert, unnötige Kosten verursacht und womöglich auch noch Arbeitsplätze gefährdet. Ein eklatantes Beispiel dafür war der Abriß des vorletzten Abschnitts der allerersten Hochbahnviadukte 1995/96. Für die Denkmalpflege war es deshalb besonders wichtig, sicherzustellen, daß sie künftig bereits in der Vorplanungsphase einbezogen wird. Zumindest auf dem Papier hat ihr die BVG dies auch in Paragraph 5 zugesichert: „Grundsätzlich wird vor Beantragung von größeren Teilumbauten ein gestalterisches Gesamtkonzept erarbeitet, in dem die Begründung für erforderliche Umbauten und ggf. Ersatzleistungen nachvollzogen werden kann." Und: „Zur Sicherstellung termingerechter Aussagen informiert die BVG das Landesdenkmalamt und die zuständigen unteren Denkmalschutzbehörden mindestens halbjährlich über die in Aussicht genommenen Maßnahmen." Das Landesdenkmal wiederum hat einen „federführenden Ansprechpartner" benannt, „der die Belange beteiligter Denkmalschutzbehörden koordiniert und gegenüber der BVG vertritt". Insbesondere richtet sich seine Tätigkeit jedoch auf die „Vorbereitung übergeordneter Grundsatzentscheidungen und besonderer Einzelfälle"; für den „Alltagskram" sind nämlich auch in Sachen U-Bahn die unteren, auf Bezirksebene angesiedelten Denkmalschutzbehörden zuständig. Doch welchen der insgesamt 170 Berliner U-Bahnhöfe wird überhaupt der Schutz oder zumindest die Aufmerksamkeit der Denkmalpflege zuteil? Und, im Umkehrschluß: Was ist zum Abschuß freigegeben? Anlage 2 der Vereinbarung unterteilt die ganz oder teilweise geschützten Stationen in drei Kategorien: Da gibt es zuallererst die „U-Bahnhöfe mit hoher Schutzgutdichte". Sie stellen sozusagen das Schatzkästlein der Denkmalpflege dar, weshalb für sie festgelegt wurde: „Geplante Veränderungen der U-Bahnhöfe sind in jedem Fall mit dem Landesdenkmalamt abzustimmen. Das Schutzgut ist in vollem Umfang zu erhalten." Dies betrifft die Stationen Alexanderplatz, Bayerischer Platz (nur U 4), Bernauer Straße, Boddinstraße, Breitenbachplatz, Dahlem-Dorf, Eberswalder Straße, Französische Straße, Gesundbrunnen, Gleisdreieck, Görlitzer Bahnhof, Grenzallee, Hansaplatz, Heidelberger Platz, Heinrich-Heine-Straße, Hermannplatz, Hohenzollernplatz, Karl-Marx-Straße, Kottbusser Tor, Leinestraße, Märkisches Museum, Mohrenstraße, Moritzplatz, Platz der Luftbrücke, Podbielskiallee, Potsdamer Platz, Rathaus Schöneberg, Rosenthaler Platz, Rüdesheimer Platz, Schlesisches Tor, Schönhauser Allee, Schönleinstraße, Spichernstraße (nur U 1), Thielplatz, Viktoria-Luise-Platz, Voltastraße und Wittenbergplatz. Plus das komplette Hochbahnviadukt in der Schönhauser Allee.

U-Bahnhof
Empfangsgebäude des U-Bahnhofs Krumme Lanke. Foto: Frank Böhnke

Es folgen die Bahnhöfe „mit mittlerer Schutzgutdichte": Alt-Tegel, Augsburger Straße, Borsigwerke, Bülowstraße, Fehrbelliner Platz (nur U 1), Friedrichstraße, Hallesches Tor, Hausvogteiplatz, Holzhauser Straße, Innsbrucker Platz, Jannowitzbrücke, Krumme Lanke (mit Wagenhalle), Kurfürstendamm, Neukölln, Nollendorfplatz, Olympia-Stadion, Onkel Toms Hütte (mit den Ladenstraßen), Oranienburger Tor, Oskar-Helene-Heim, Prinzenstraße, Rosa-Luxemburg-Platz, Samariterstraße, Scharnweberstraße, Schwartzkopffstraße, Seidelstraße, Senefelderplatz, Sophie-Charlotte-Platz, Stadtmitte, Theodor-Heuss-Platz, Uhlandstraße, Warschauer Straße (mit Wagenhallen und dem Treppenturm zwischen der ehemaligen Rampe zur Rudolfstraße und dem Warschauer Platz), Weinmeisterstraße und Zinnowitzer Straße. Für sie gilt: „Geplante Veränderungen (...) sind mit dem Landesdenkmalamt abzustimmen. Veränderungen für technisch notwendige Einrichtungen gelten ohne weitere Abstimmung als genehmigt. Sie sind dem Landesdenkmalamt und der zuständigen Unteren Denkmalschutzbehörde parallel zum Genehmigungsverfahren bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung/Technische Aufsichtsbehörde anzuzeigen."

Und schließlich gibt es noch Stationen „mit verminderter Schutzgutdichte", wo oft nur noch einzelne Elemente (genauer: Rudimente) Denkmalcharakter zugebilligt werden kann, weshalb es heißt: „Geplante Veränderungen der U-Bahnhöfe gelten ohne weitere Abstimmung als genehmigt, sofern die Baumaßnahmen nicht in das Schutzgut eingreifen bzw. der Bestand des Schutzgutes nicht beeinträchtigt oder reduziert wird. Veränderungen für technisch notwendige Einrichtungen gelten ohne weitere Abstimmung als genehmigt. Sie sind dem Landesdenkmalamt und der zuständigen Unteren Denkmalschutzbehörde parallel zum Genehmigungsverfahren bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung/Technische Aufsichtsbehörde anzuzeigen." Hierunter fallen die Bahnhöfe Deutsche Oper, Ernst-Reuter-Platz, Kaiserdamm, Möckernbrücke, Neu-Westend, Richard-Wagner-Platz (nur das alte Portal), Ruhleben, Strausberger Platz (nur drei Eingänge) und Zoo (nur U 2).

U-Bahn-Werkstatt
Wagenhalle am U-Bahnhof Krumme Lanke. Foto: Frank Böhnke

Über die Einordnung der Bahnhöfe in die verschiedenen „Schutzgutdichte-Kategorien" kann man sich teilweise bloß wundern. Da wird die Bedeutung einer Station wie Bernauer Straße, wo wenig mehr als die Säulen und ein Bahnsteighäuschen geblieben sind, als „hoch" bewertet; der Halt Borsigwerke, der mitsamt den Einfriedungen der Zugänge, den Bänken und Schildern nahezu vollständig erhalten ist, allerdings inzwischen ebenfalls neu gefliest wurde (wobei die neue Verkleidung der alten erheblich mehr entspricht als im Falle Bernauer Straße) jedoch nur als „mittel" (und damit zum Teilabschuß freigegeben) und Deutsche Oper gar als „vermindert". Letzterer steht damit auf der gleichen Stufe wie Ernst-Reuter-Platz, wo die Bahnsteighalle in der jüngsten Vergangenheit ein völlig neues Gesicht (samt Drahtstühlen) erhalten hat. Oder wie Neu-Westend, derweil dem U-Bahnhof Neukölln, wo mittlerweile kaum noch eine alte Fliese hängt, ahistorischer Naturstein auf dem Bahnsteig liegt und Drahtstühle darauf stehen, eine „mittlere Schutzgutdichte" attestiert wird. Ebenso übrigens wie Friedrichstraße, obwohl auch die schon erwähnte Anlage 1 kaum zu sagen weiß, was denn hier noch alt und denkmalwert sein soll, nachdem man alle Fliesen abgeschlagen, Schilder, Bänke, Zugzielanzeiger ausgetauscht, die Aufbauten abgerissen und den Südzugang umgebaut hat. Dennoch wird dieser Bahnhof gleichgesetzt mit Stationen wie Uhlandstraße, Fehrbelliner Platz oder Olympia-Stadion. Die wiederum „in der gleichen Liga spielen" wie Hausvogteiplatz und Rosa-Luxemburg-Platz mit ihren schäbigen neuen Wandverkleidungen aus DDR-Zeiten.

Vollends absurd wird diese Gleichsetzung von Äpfeln mit Birnen auf dem ältesten Abschnitt der U 7. Da ordnet man Hermannplatz in die höchste Kategorie ein, obwohl in Anlage 1 zu lesen ist: „umfangreiche Erneuerung von Mitte der 80er Jahre bis 1994 (unter anderem Austausch der Keramikverkleidungen, Neubau der Bahnsteighäuschen u. des Übergangs zum Kaufhaus Karstadt)". Und was soll dann hier bitte noch denkmalwert sein? Der Asphalt? Ach nein, der wohl auch nicht, denn dessea Erhalt ist offen.

U-Bahnhof
Bahnhof Fehrberliner Platz. Foto: Frank Böhnke

Einen noch größeren Witz stellt die Einschätzung dar, die in den neunziger Jahren kahlschlag-„sanierte" Station Karl-Marx-Straße besitze eine „hohe Schutzgutdichte". Weil sie noch Holzbänke und keinen Natursteinboden hat (den man der BVG allerdings zugestehen würde)? Anders als der benachbarte Halt Rathaus Neukölln, der bezeichnenderweise nach erfolgter „Sanierung" gar nicht mehr als denkmalwert betrachtet wird - und dies obwohl die Denkmalpflege doch neue Fliesenverkleidungen wie am Hermannplatz oder an der Bernauer Straße allen Ernstes als „originalgetreu" betrachtet? Ebenso fehlt übrigens die Station Südstern, die noch recht weitgehend im Ursprungszustand erhalten ist, wenn auch mit einem Zugangspavillon aus den Fünfzigern, der freilich inzwischen auch schon als Denkmal betrachtet werden kann.

Man erahnt allerdings, warum die Zuordnung bisweilen wie nach „Pi mal Daumen" vorgenommen wirkt, wenn man in die erwähnte Anlage 1 guckt, welche aus einer detaillierten „Erfassung des Schutzguts der denkmalgeschützten U-Bahnhöfe" besteht. Da gibt es allein schon in den Formulierungen zahlreiche Unsicherheiten und Ungenauigkeiten: So ist etwa mit der auf 1927/28 datierten „Vergrößerung der Bahnsteige" am Zoo wohl nicht etwa deren Verbreiterung, sondern ihre Verlängerung gemeint. Von der Halle am Wittenbergplatz erfahren wir, daß sie „mit vier Abgängen" ausgestattet sei, wobei unklar bleibt, ob sich dies auf die ursprünglich geplanten vier Bahnsteige beziehen mag oder damit zu tun hat, daß der Referent ganz einfach zwei der sechs Treppen übersehen hat.

U-Bahnhof
Bahnhof Fehrberliner Platz. Foto: Frank Böhnke

Und beim U-Bahnhof Kottbusser Tor wurden aus den fünf Zugängen sechs. Ganz offenkundig sind auch unterschiedliche Bearbeiter am Werke gewesen, und anschließend ist die Liste nicht noch einmal redaktionell bearbeitet und sind dabei wenigstens die verwendeten Begriffe vereinheitlicht worden. So kommt es dann, daß die komplete Farbe der Wandverkleidung des U-Bahnhofs Kottbusser Tor als „rose" bezeichnet wird, derweil für die fast genauso aussehende Station Heinrich-Heine-Straße „hell-aubergine" vermerkt wird.

Leider finden sich auch Irrtümer wieder, die schon die 1996 vom Landesdenkmalamt herausgegebene Schrift „Berliner U-Bahnhöfe zwischen Krumme Lanke und Vinetastraße" etwas beeinträchtigt hatten: So werden etwa die nachgebauten S-Bahn- Kastenbänke auf dem oberen Bahnsteig am Gleisdreieck, in den achtziger Jahren nach Beseitigung der originalen Sitzmöbel und Schilder aufgebaut, damit man die Massen auf den neuen Transparenten auf die tolle M-Bahn hinweisen konnte, abermals als „Schutzgut" aufgeführt (wie auch die gleichartigen Nachbauten am Hohenzollernplatz). Für die Station Französische Straße vermerkt man „4 Doppelbänke (Holz/Gußeisenfuß, braun)" - womit nicht etwa historische, genauso beschriebene Sitzmöbel gemeint sind, wie sie auf den Bahnhöfen Sophie-Charlotte-Platz oder Wittenbergplatz stehen; sondern jene an Gartenbänke gemahnenden Sitzgelegenheiten, die im Sommer 1990 zur Wiedereröffnung der Station aufgestellt worden waren. Dafür wird die Bedeutung der südlichen Vorhalle, der einzigen, die auf der ganzen Nordsüdbahn erhalten geblieben ist, mitsamt der in den Raum ragenden Treppe und deren Geländern, nicht erfaßt (übrigens besitzt bezeichnenderweise nur noch dieser Bahnhof eine „hohe Schutzgutdichte", derweil die in den neunziger Jahren sanierten Nachbarstationen auf der U 6 in die Kategorie „mittel" abgerutscht sind). Vom Bahnhof Klosterstraße erfahren wir, er sei „ehem. 3gleisig" gewesen und verfüge deshalb auch über einen „ehem. Mittelbahnsteig", vom U-Bahnhof Friedrichstraße, er sei „1961 - 1990 geschlossen" gewesen, ebenso wie der Halt Kochstraße. Am Strausberger Platz registrierte man zwar die drei alten Zugänge, vergaß aber für den in einen der „Arbeiterpaläste" eingebauten den Kragarm mit freistehendem „U", das auch bei dem letzten erhaltenen Portalbogen am nordwestlichen Eingang nicht vermerkt ist. Und rätselhaft wirkt die Erklärung zur Treppe in der Andreasstraße, ihre „Kunststeinumwehrung mit Stahlgitter" sei die „alte Form Linie 8". Ganz vergessen hat man den in ein Haus eingebauten Zugang am Frankfurter Tor. Jener des Bahnhofs Heinrich-Heine-Straße wurde von der Köpenicker in die Ohmstraße verlegt. Und unerwähnt blieben die beiden Gitter in der südlichen Vorhalle, die noch vom historischen Sperrensystem zeugen. Bei den - im Zuge der Neubebauung des Mehringplatzes veränderten - Zugängen zum U 6-Bahnhof Hallesches Tor fragt sich der Referent, ob diese wohl aus den sechziger Jahren stammen, Karl-Marx-Straße - wo die Stationsschilder an den Wänden offenkundig für original gehalten werden - ob die Fliesen, in ihrer Schäbigkeit auf den ersten Blick als Hervorbringung der Gegenwart erkennbar, „erneuert/gereinigt" worden seien. Dasselbe gilt für die Verkleidung der Pfeiler, die bei der „Sanierung" des Bahnhofs in den neunziger Jahren erheblich an Umfang zugelegt haben. Vom Hochbahnhof Prinzenstraße zählt das südliche Zugangsgebäude zum Schutzgut, denn der Vermerk „Umbau 1951 in modernen Formen, verputzt" verrät, daß man offenbar nichts davon gehört hat, daß das Original vor über zehn Jahren durch einen kompletten Neubau ersetzt worden ist. Und ob wohl auf dem Bahnhof Schönleinstraße vor einigen Jahren die schwarzen Stationsschilder entfernt worden sind? Mit Verlaub: Bisweilen fragt man sich, ob die Erfassung und dann ja auch Einschätzung von Leuten vorgenommen wurde, die die Bahnhöfe in den letzten Jahren auch mal gesehen haben.

U-Bahnhof
Bahnhof Fehrberliner Platz. Foto: Frank Böhnke

Die Vereinbarung umfaßt noch zwei weitere Anlagen: Nummer 3 listet rund vierzig Uhren auf 21 Stationen auf, die - „DAISY" zum Trotz - erhalten bleiben sollen. Allerdings handelt es sich ausschließlich um Bahnhöfe der U 1 und der U 2, plus Uhlandstraße. Dieser Liste haben offenbar auch die schon erwähnten, uhrenbekrönten Fahrtrichtungsanzeiger auf den Hochbahnhöfen Kottbusser Tor und Schlesisches Tor ihr Überleben zu verdanken. Nachkriegsexemplare tauchen bestenfalls auf, wenn sie „dazwischengeschmuggelt" worden sind, wie im Falle Bahnhof Zoo.

Anlage 4 schließlich schreibt für 31 Stationen den Asphaltbelag der Bahnsteige fest - so denn nicht die Feststellung einer „hohen Schutzgutdichte" dies automatisch mit umfassen sollte. Wogegen spricht, daß diese Liste mit jener der höchsten Schutzkategorie nahezu identisch ist. Es fehlen allerdings Gesundbrunnen, Karl-Marx-Straße, Kottbusser Tor, Spichernstraße (U 1), sowie der ja schon mit Natursteinplättchen beglückte Bahnhof Grenzallee. Dessen Schicksal darf offenbar auch die ältesten Charlottenburger Stationen wie Deutsche Oper, Sophie-Charlotte-Platz und Kaiserdamm ereilen. - Obwohl sie (neben Potsdamer Platz) stilbildend für die Arbeit von Berlins wichtigstem U-Bahn-Architekten Alfred Grenander gewesen sind. Und: „Über den Erhalt der Asphaltböden im U-Bhf. Alexanderplatz (U2, U5 und U8) und im U-Bf. Hermannplatz (U7, U8) wird im Rahmen der jeweiligen Gestaltungskonzeptionen entschieden."

U-Bahnhof
MU-Bahnhof Warschauer Straße Foto: Marc Heller

Bei aller Detailliebe: Mancher Bahnhof scheint schlichtweg vergessen worden zu sein (wie es schon bei der 1995 veröffentlichten ersten Gesamt-Berliner Denkmalliste passiert war). Derweil etwa der 1958 eröffnete U 6-Abschnitt von Scharnweberstraße bis Alt-Tegel in der Vereinbarung als schützenswert aufgeführt ist, sind es die 1956 in Betrieb gegangenen Stationen (Kurt-Schumacher-Platz, Afrikanische Straße, Rehberge) ebensowenig wie der kurz zuvor umgebaute Halt Seestraße, der fast ein Prototyp für die Bahnhofsgestaltung der fünfziger Jahre ist. Es fehlen alle Stationen der 1961 eingeweihten „Linie G" bis auf Hansaplatz (deren Bahnsteigschilder, mittlerweile die letzten im ursprünglichen Stil auf der ganzen Strecke, nicht in der Schutzgutliste erwähnt werden!) und Kurfürstendamm - letzterer aufgelistet, obwohl seine Wände zumindest in der unteren Bahnsteighalle neu verkleidet worden sind. Den original erhaltenen Halt Birkenstraße hingegen sucht man vergeblich. Ebenso wie Friedrichsfelde und Lichtenberg, Tempelhof und Südstern, Reinickendorfer Straße und wohl auch Kochstraße, der zwar in Anlage 1 aufgeführt wird, nicht aber in Anlage 2. Und schließlich vermißt man die Viadukte in Kreuzberg und Schöneberg - weil deren Abriß angesichts des nahenden „Ablaufs der statischen Restnutzungsdauer" schon einkalkuliert wird?

U-Bahnhof
Bahnhof Nollendorfplatz. Foto: Alexander Frenzel

Das Fehlen schützenswerter Bahnhöfe ist um so bedauerlicher, als mit der Vereinbarung doch laut Präambel „den am Planungs- und Baugeschehen Beteiligten eine Richtlinie für Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren an die Hand gegeben" werden soll. In Paragraph 1 wird deshalb auch noch einmal ausdrücklich betont: „Zum Schutzgut gehören (...) auch das historische Zubehör und die Ausstattung der Bauwerke, wie in den Anlagen 1 und 2 zu dieser Vereinbarung aufgeführt." Schließlich hat die BVG in den letzten Jahren schon mehr als einmal den bewährten Trick von Denkmalseigentümern angewandt, sich dumm zu stellen und einfach mit dem Abbruch zu beginnen, nach dem Motto: „Was? Daß das geschützt ist, wußten wir ja gar nicht!" Versäumnisse der Denkmalpflege wie die genannten begünstigen ein solches Verhalten natürlich noch.

Ganz außen vor sind - wie schon in der Denkmalliste von 1995 - noch immer als nach 1961 eröffneten Stationen. Auch, wenn es sich um den einzigen völlig neuen U-Bahnhof aus DDR-Zeiten handelt wie Tierpark, auch wenn sie sich noch fast in ihrem Eröffnungslook präsentieren wie Nauener Platz. Dabei können die sechziger und siebziger Jahre doch wohl ohne Frage als „abgeschlossene Epoche" betrachtet werden - für die Zunft der Denkmalpfleger Voraussetzung, um sich für Bauwerke zu interessieren. Zudem sind gerade diese Stationen besonders gefährdet, da Bauten jener Zeit nicht nur mittlerweile meist renovierungsbedürftig sind, sondern momentan in der Öffentlichkeit auch ein schlechtes Image haben. Insbesondere Hervorbringungen der Seventies werden seit einigen Jahren reihenweise abgeräumt - ohne daß sich allzu großer Widerstand oder auch nur Wehmut regen würde. So verschwanden das Ku'damm-Eck, das Ahornblatt oder der Busbahnhof im Steglitzer Kreisel, wurden der Flughafen Tegel oder die Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße ebenso umgestaltet wie die Zwischengeschosse der U-Bahnhöfe Osloer Straße, Adenauer- oder Fehrbelliner Platz. Gerade letzterer, bei dem auch die Bahnsteighalle der U 7 weitgehend verändert wurde, stellt einen schmerzlichen Verlust dar, handelte es sich doch nicht nur um eine exemplarische Scheußlichkeit der siebziger Jahre, sondern auch um den ersten so aufdringlich gestalteten Halt in Berlin.

Allerdings muß man sich fragen, was all die Bemühungen, Absprachen und Listen überhaupt sollen, wenn dennoch eine solche Zerstörung eines Baudenkmals möglich ist wie gerade mit dem U-Bahnhof Gesundbrunnen geschehen, der doch immerhin in die höchste Kategorie („Das Schutzgut ist in vollem Umfang zu erhalten.") eingeordnet worden war. Nachdem die Fliesenverkleidung auch hier durch Imitationen ersetzt worden ist, die in ihren Farbtönen untereinder viel stärker als die Originale variieren, und die neuen Treppen zur S-Bahn schräg in die Bahnsteighalle hineingehauen worden sind, steht dort offenkundig auch noch der Einbau eines Natursteinbodens bevor. Nur noch Erinnerung sind auch längst die in der Schutzgutliste noch für Kurfürstendamm (unten) vermerkten „2 Sätze Fahrtrichtungsanzeiger (Stahl) mit Uhren" oder die mittlerweile ebenfalls demontierten Anzeiger und Uhren der Reinickendorfer Hochbahnhöfe. Und mit den neuen großen Halbkugeln, die an die Stelle der ursprünglich kleinen, dezenten Leuchten Form getreten sind, queien nun riesige üchtblasen aus den Decken der Bahnhöfe Alexandenplatz oder Heinrich-Heine-Straße - offenkundig hält die Denkmalpflege dies für eine stilgerechte Modernisierung im Sinne Grenanders. Alles in allem ließe sich über die Vereinbarung der alte Streit führen, ob das Glas halb voll oder halb leer ist: Sie bringt den denkmalwerten U-Bahnhöfen keine endgültige Rettung, sie stellt keinen Schutz vor weiteren Verunstaltungen und schmerzlichen Verlusten dar. Sondern sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, nicht mehr, nicht weniger.

Jan Gympel

aus SIGNAL 9-10/2001 (Dezember 2001 - Januar 2002), Seite 20-25

 

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