In zahlreichen Leserbriefen konnten wir
ein großes Interesse an der zukünftigen
Gestaltung feststellen. Da mit den ersten
Veröffentlichungen der S-Bahn Berlin
GmbH zum Fahrplanwechsel am 16. Juni
2002 eine bessere Grundlage für weitere
Überlegungen gegeben ist, haben wir
uns entschlossen, die Zuschriften nicht
Einzeln zu beantworten, sondern die aufgeworfenen
Fragen in einem größeren
Rahmen zu behandeln. Wir hoffen, damit
auf alle wichtigen Fragen und Anregungen
einzugehen.
Liniennummern und
Darstellungen im Netzplan
Bei über Jahre stabilen Linienverläufen
dient der Netzplan in erster Linie den ortsunkundigen
und den Gelegenheitsfahrgästen.
Deshalb sollte er folgende Funktionen
erfüllen:
- alle angebotenen Linienverbindungen
eindeutig und klar unterscheidbar abbilden.
Alles andere wäre Anti-Werbung
- ein Verstecken der guten Leistung
hinter einer schlechten Grafik.
- die gebotene Zugdichte einer Strecke
annähernd realistisch darstellen. Genau
geht das in diesem Fall nicht, da die
Zugzahlen zu den verschiedenen Tageszeiten
unterschiedlich sind.
- und nicht zuletzt durch eine klare geometrische
Gestaltung dem Betrachter
die Struktur des Angebots nahebringen,
damit die Gewöhnung daran
leicht fällt. Dabei hat die Berliner
S-Bahn das Glück, von ihren Vorgängern
ein weltweit einmalig deutlich und
prägnant strukturiertes Netz übernommen
zu haben.
Da aber in diesem Jahr mit der Schließung
des Vollringes und der längerdauernden
Sperrung der Nord-Süd-Bahn
mehrere große Veränderungen auch für
die Stammfahrgäste anstehen, sind die
oben genannten Forderungen umso
wichtiger, weil sie viel mehr Kunden berühren.
Macht die S-Bahn hier Fehler, die
vermeidbar sind, braucht sie Jahre, um
das angeschlagene Image wieder aufzupolieren!
Genau an diesem Punkt setzen unsere
Vorschläge an.
Deutliche Abbildung
der Linienläufe
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Phase 4 des IGEB-Vorschlags (aus SIGNAL 7/2001) Grafik: IGEB |
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Die Hauptkritik fällt dabei auf den Südring,
aus dessen Darstellung nicht hervorgeht,
was für gute Verbindungen die
Kunden hier haben werden. Durch die
Degradierung der Züge nach Schöneweide
und weiter südlich zu Nebenlinien sind
die suchenden Fahrgäste gezwungen, die
Linienverläufe östlich von Neukölln in ihrer
Gesamtheit abzusuchen, um eine einzige
benötigte Verbindung zu finden!
Zum Beispiel muß ein Fahrgast, der von
Bundesplatz zur Storkower Straße will
und nur weiss, dass er dafür die S 4 benötigt,
aber nicht, in welche Richtung diese
in Neukölln ausfädelt, beim Verfolgen der
gleichfarbigen Linien Richtung Schöneweide
erst erkennen, daß ganz weit hinten
am Endpunkt sichtbar wird, dass es
sich um die anderen Linien S 46 und S 47
handelt. Hätten diese eine eigene Farbe
und Linie auf dem Südring, käme diese
Richtung schon auf den ersten Blick nicht
für ihn in Betracht.
Abschätzbarkeit der Zugdichte
Die Erfahrung wie auch der gesunde
Menschenverstand legen nahe, aus einer
größeren Anzahl paralleler Linienbalken
auf eine größere Zugdichte zu schließen.
Nun werden wir das Phänomen haben,
daß auf der Strecke nach Spandau mit
zwei unterschiedlichen Linien ein 10-Minuten-Takt
angeboten wird, dargestellt
durch zwei unterschiedlich gefärbte Linienbalken,
aber auf dem Südring die SBahn
ihr Angebot mit mindestens 5-Minuten-Takt
in einer einzigen Linie „versteckt"!
Für Ortsunkundige ist der Plan
damit keine Hilfe für eine vorausschauende
Routenplanung.
Geometrische Gestaltung
Die räumliche Struktur der Berliner
S-Bahn ist schon seit langem ein Stiefkind
in ihrer Selbstdarstellung. Wenn eine einfache
und doch wirksame Information
der Fahrgäste eine endlose Aufzählung
aller Unterwegshalte in den Zugzielanzeigern
nicht gestattet, warum sucht man
nicht nach Wegen, die traditionellen Begriffe
Stadtbahn, Südring, Ostring und
Nordring wiederzubeleben? Die Nord-Süd-Bahn
kann da getrost eine Ausnahme
machen, ist ihr langer und vielsilbiger
Name erstens keine wirksame Vereinfachung
und wird es zweitens doch in Zukunft
zwei Nord-Süd-S-Bahnen geben,
die zur Unterscheidung in jedem Falle den
Schnittpunkt mit der Stadtbahn angeben
müssen. Aber auch die zu Zeiten der Teilung
verpönten Begriffe Westen und Osten (sowie
auch Norden und Süden) könnten hilfreich
sein, denn dass alle Pläne genordet
sind, ist allgemein bekannt und auch mit
wenig Aufwand extra darstellbar.
In London oder New York sind die Begriffe
west- bzw. eastbound, wie auch inbound
und outbound schon seit Jahrzehnten üblich.
Genauso gibt es im italienischen
Sprachraum für Ringlinien die gebräuchlichen
Bezeichnungen linksherum bzw.
rechtsherum, die man sogar auf nichtgenordeten
Karten verwenden kann.
Der S-Bahn steht also eine Fülle von
Möglichkeiten offen, um ihr gutes Angebot
besser und offensiver an den Kunden
heranzutragen.
Nummerntausch S 1 und S 4
In diesem Zusammenhang wollen wir auf
eine Einzelfrage eines Lesers eingehen,
der sich wunderte, dass wir den Tausch
der Liniennummern S 1 und S 4 vorschlagen.
Wie aus den vier Abbildungen im
Heft 7/2001 hervorgeht, kann mit einer
klaren Linienstruktur im Sinne des oben
nochmals Dargelegten das Angebot für
den Kunden leicht merkbar gemacht werden.
Wir wissen aber aus Erfahrung in unserer
Fahrgastbetreuung der „gewöhnlichen"
Kunden (die die S-Bahn nicht als Freizeitbeschäftigung
haben), daß die Orientierung
hauptsächlich nach Farben und Linienzielen
erfolgt. Die Nummern werden zuweilen
ignoriert. Um aber in Texten und
schwarz-weißen Darstellungen noch verstanden
zu werden, ist die S-Bahn darauf
angewiesen, eine leicht merkbare Nummerierung
ihrer Linien zu gewährleisten. Eine
Systematik muß also her.
Zu diesem Thema ist das Betriebskonzept
der Berliner S-Bahn von 1994 mit zu
betrachten, das damals als verbindliches
Zielnetz angesehen wurde und nun offensichtlich
in sklavischer Genauigkeit
umgesetzt wird. Dabei hieß es auf Anfrage
damals ausdrücklich, dass die eingezeichneten
Liniennummern und Streckenführungen
nicht endgültig festgelegt
sind, sondern lediglich die Zugdichte auf
den einzelnen Netzabschnitten darstellen
und natürlich entsprechend der Nachfrage
flexibel gehandhabt werden. Von dieser
kundennahen Flexibilität hat sich die S-Bahn
GmbH offensichtlich verabschiedet.
Die S-Bahn argumentiert, einmal eingeführte
Nummern und Linienführungen
sollten nach Möglichkeit nicht verändert
werden, um die Fahrgäste nicht zu verwirren.
Das finden wir richtig!
Aber dann müssen bei neuen Netzstrukturen
wie dem Vollring auch die richtigen
Linienführungen für die nächsten
Jahre festgesetzt werden. Die Ringschließung
ist der für die nächsten Jahre letzte
Termin, so eine Aufgabe zu lösen. Was die
S-Bahn anbietet, ist lediglich eine Fortschreibung
des heutigen Netzes ohne
eine erweiterungsfähige Struktur.
Ohne eine gut merkbare Systematik
machen die meisten Kunden auch in der
Zukunft dasselbe wie heute schon: Die
Nummer ihrer Stammlinie kennen sie, alles
andere wird mangels System am
Schalter oder von anderen Fahrgästen erfragt
oder von Fall zu Fall wie ein Tourist
aus dem Netzplan herausgearbeitet". Da
sind verschiedene Modelle denkbar und
viele wurden auch schon durchgespielt,
aber eines ist den meisten Vorschlägen
gemein: Sie berücksichtigen nicht das bei
den schon eingeführten Liniennummern
gewachsene Bewußtsein der Nutzer für
„ihre" jeweilige Linie.
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Berlins Schienenverkersnetz: komfortabel aber auch kompliziert. Foto: Gleisfeld zwischen dem S-Bahnhof Warschauer Straße und Ostbahnhof (im Bildhintergrund). Foto: Alexander Frenzel |
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Deshalb haben wir ein Modell vorgestellt,
bei dem mit der kleinsten Zahl von
Änderungen -und damit der kleinsten
Zahl von Umdenkprozessen für die Kunden
- eine größtmögliche Systematik erreicht
wird. Die Linie S 6 fällt in ihrer heutigen
Form ab 16. Juni 2002 weg und
steht damit zur Verfügung für die Verbindung
Schöneweide - Südring. Da in einer
späteren Phase diese Züge auf die zweite
Nord-Süd-Bahn gelegt werden, passt das
auch zum System der geraden Linien dort
und der ungeraden auf der Stadtbahn.
Die Linie S 1 durchbricht dieses System als
einzige und zugleich benötigt der Ring als
Klammer, die alle Hauptstrecken des Netzes
zusammenhält, eine leicht merkbare
Nummer, die entweder „über" jeder Himmelsrichtungs-Systematik
steht (zum Beispiel
S 10 oder S 0) oder als auch historisch
erste Strecke für den lokalen Verkehr
„vor" allen anderen Linien steht. Da eine
Linie Null durchaus zweideutig in ihrer
Bedeutung verstanden werden kann -
auch wenn sich die Analogie der Bezeichnung
zur Form einer Ringlinie anbietet -
die S-Bahn-GmbH aber technisch nicht in
der Lage ist, zweistellige Stammnummern
zu vergeben, bleibt nur die Bezeichnung
S 1 für den Ring übrig.
Zwitter S8
Zum Abschluß dieses Themas sei noch
auf die Zwitterstellung der Linie S 8 hingewiesen,
die in ihrer vorletzten und auch
wieder von der S-Bahn geplanten Form
(als Verbindung Ostring - Pankow) durchaus
eine Nord-Süd-Linie ist, aber andererseits
auch eine vom Ring abzweigende
Strecke. Die Farbe und Nummer wird in
Zukunft doppelt gebraucht. Zum einen
bei der Durchbindung des zweiten S-Bahn-Tunnels,
da auch in der Darstellung
in jedem Tunnel zwei Stammlinien das
gefächerte Fahrtangebot deutlich machen
müssen. Andererseits wird eine extra
Linienfarbe und Nummer gebraucht,
um später auf dem Ostring nicht dieselben
Fehler zu wiederholen, die wir heute
auf dem Südring kritisieren. Zunächst
kann bis zur Fertigstellung der zweiten
Nord-Süd-Bahn auf die Linie S 8 dort verzichtet
werden, aber bis dahin muß die S-Bahn
in der Lage sein, auch mehr als nur
neun Stammlinien anzubieten! Außerdem
ist es leichter, alle Änderungen auf
einmal mit der Ringschließung an den
Kunden heranzutragen, als nach etlichen
Jahren mit der Verlegung der Nummer
S 8 wieder in Erklärungsdruck zu geraten.
In diesem Sinne ist die Wiedereinführung
einer Liniennummer S 10 als Stammlinie
mit eigener Farbe spätestens mit der Inbetriebnahme
der neuen Verbindung
Schönhauser Allee - Bornholmer Straße
dringend geboten. Bis dahin sollte es der
S-Bahn gelungen sein, die eventuell damit
verbundenen Probleme zu lösen.
Zugangebot
Die genauen Zugzahlen auf den einzelnen
Streckenabschnitten lassen sich vom
Betriebskonzept der S-Bahn ableiten. Dort
nicht genannte Streckenabschnitte wie
die zweite Nord-Süd-Bahn erfordern aber
Korrekturen. Dabei fährt die S-Bahn Berlin
GmbH einen „Sparkurs". Es sollen also
trotz der doppelten Möglichkeiten nicht
mehr Zugkilometer angeboten werden.
Hier ist aber auch das Land Berlin als Besteller
der Leistungen gefragt. Es wird
also nur eine Verlagerung von Fahrleitungen
aus dem alten in den neuen Tunnel
geben und kaum Mehrverkehr.
Drei unabhängige Teilnetze
Die S-Bahn versucht, möglichst drei voneinander
unabhängige Teilnetze zu betreiben:
Die Stadtbahn, die Nord-Süd-Bahn und den
Ring. Obwohl wir dieses Konzept unabhängig
von der Berliner S-Bahn erstellt haben,
können wir dieses Ziel nur begrüßen, weil
Betriebsstörungen so nicht im ganzen Netz
verschleppt werden. Dabei gehen natürlich
einige Direktverbindungen verloren, aber
die Stabilität des Betriebes für alle Fahrgäste
ist wichtiger als die speziellen Wünsche einiger
Kundengruppen nach umsteigefreien
Verbindungen.
Wichtig ist uns daher, daß die Verknüpfungspunkte
sehr gute Anschlüsse bieten,
insbesondere bahnsteiggleiches Umsteigen.
Es lassen sich aber nicht alle Verknüpfungen
zwischen den drei „Netzteilen" lösen,
das kann auch gar nicht das Ziel sein.
Der Ring als das System, was alle Strecken
miteinander verbindet, wird immer zu den
beiden anderen Netzteilen durchgehende
Linien bieten. So zum Beispiel über die Kurve
Schönhauser Allee - Bornholmer Straße
und Treptower Park - Warschauer Straße.
Diese Verbindungen werden auch in Zukunft
nur eine Nebenrolle gegenüber dem
Vollring spielen, der nach der Einführung
der „Endlos"-Bedienung durch seine vielen
Umsteigebahnhöfe sehr häufig bedient
werden muss. Ein 10-Minuten-Takt ist da zu
wenig. Linienführungen wie Buch - Jungfernheide
oder Buch - Schöneweide sind
dann nicht mehr möglich.
Es sind Fahrten über die vorhandenen
Gleisverbindungen denkbar, aber die drei
unterschiedlichen Fahrplansysteme verhindern
einen störungsfreien Betrieb. Eine
solche Außenstrecke wie Buch - Bernau
muß an die Innenstadt als Hauptverkehrsrichtung
angebunden sein, zumal der Ring
durch die dichte Zugfolge der S 1 schon
belegt sein wird.
Bestimmte Strecken (zum Beispiel
Spandau - Jungfernheide) können in Zukunft
durch den im Stadtgebiet verdichteten
und gebündelten Regionalverkehr
bedient werden.
Zur Bedienung der zweiten Nord-Süd-S-Bahn
über Potsdamer Platz soll hier nur
so viel gesagt werden: Die Wannseebahn
(S 4) wurde mit gutem Grund für diese
Strecke vorgesehen, da sie sonst keinen
Fernbahnhof in Nord-Süd-Richtung anbindet.
Die anderen zwei Linien von Süden
berühren den späteren Fernbahnhof
Papestraße. IGEB,
Abteilung S-Bahn und Regionalverkehr
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