Überregional

Über sieben Brücken musst du fahr'n ...

Die Gründer der Stadt Brandenburg haben sich ein interessantes Fleckchen Erde für ihre Ansiedlung ausgesucht.

Die Altstadt liegt umgeben vom Wasser mehrerer Havelärme, durch den Bau eines Kanals entstanden noch weitere „Inseln". Was ursprünglich dem Schutz vor Feinden dienlich war und inzwischen den unverwechselbaren Reiz der Stadt bestimmt, bringt heute auch einige Probleme mit sich. Denn das Wasser will an einigen Stellen mittels Brücken überwunden sein, soll die Stadt als ganzes funktionieren. Und wenn dann ein Verkehrsmittel namens Straßenbahn auch noch ihren Platz auf den Brücken finden soll, macht das die Sache nicht einfacher. Jedenfalls dann nicht, wenn diese Brücken in die Jahre gekommen sind und erneuert werden müssen. Das war kürzlich der Fall, zwei innerstädtische Brücken mitsamt Straßenbahngleisen entstanden neu, die Luckenberger und die Jahrtausendbrücke. Soweit so gut, aber da gibt es noch mehr Sorgenkinder.

Diese sind Bestandteile einer Außenstrecke, die das Herz jedes „Pufferküssers" und ähnlich infizierter Personenkreise höher schlagen lässt. Seit nunmehr 90 Jahren fahren Straßenbahnen zwischen der Brandenburger Innenstadt und der einstmals eigenständigen Stadt Plaue an der Havel.

Anno 1912 war die gerade eröffnete Bahn ein gewichtiger Faktor, um das Städtchen attraktiv zu machen und seinen Bewohnern viele Wege zu verkürzen. Nach manch unverwirklichten Projekten entschied man sich für den Bau der Straßenbahn, als die Brandenburger von der anderen Seite entgegenkamen: 1910 begannen die Planungen zum Anschluss der Landesirrenanstalt in Görden. Somit musste Plaue nur noch den verbleibenden Abschnitt in die Stadt hinein auf eigene Rechnung bauen.

Auch diese Verbindung hatte das Wasser zu überwinden. Bei Plaue konnte eine bereits vorhandene Havelbrücke (Plauer Brükke) genutzt werden. 1917 folgte der zweite „Brückenschlag": zum Anschluss einer Pulverfabrik in Kirchmöser ging die Seegartenbrücke samt Straßenbahngleisen in Betrieb.

Die entstandene Straßenbahn-Überlandstrecke tat über Jahrzehnte hinweg ihren Dienst, seit 1952 durch Eingemeindungen übrigens formal eine innerstädtische Bahn.

Tram auf einer Brücke
Ein Straßenbahn-Zug der Linie 1 nach seiner Abfahrten von der Endstelle Kirchmoser West (im Bildhintergrund) auf der Seegartenbrücke. Hier wird nach Stillegung keine Straßenbahn mehr fahren. Foto: Ivo Köhler

Ab Waldcafe Görden führt sie eingleisig durch ein Waldgebiet, tangiert die Nervenklinik. Nach weiterer Fahrt unter Bäumen kommt das berühmt-berüchtigte Brandenburger Gefängnis in Sicht und schließlich führten die Gleise durch eine herrliche Wald- und Wiesen-Landschaft bis zur Plauer Brücke. Durch Plaue geht es kurvenreich in Seitenlage, stadteinwärts entgegen dem Kraftverkehr. Das hat etwas urtümliches, nach heutigem Sicherheitsverständnis aber auch etwas anarchisches. Schließlich wird über die Seegartenbrücke der Ortsteil Kirchmöser erreicht.

Um den Titel zu erklären: die Straßenbahn-Linie 1 vom Hauptbahnhof nach Kirchmöser-West muss auf ihrem bisherigen Weg tatsächlich sieben Brücken überqueren. Beginnt man die Fahrt am Steintor - die Bahn fährt ab hier eine Innenstadtrunde - müssen die Steintorbrücke, St.-Annen-Brücke, Kanalbrücke, Luckenberger Brücke, Gördenbrücke, Plauer Brücke und Seegartenbrücke passiert werden.

Die Strecke hatte lange Zeit ihr Auskommen, nach Kirchmöser war ein beträchtlicher Berufsverkehr zu bewältigen. Im normalen Tagesverkehr genügte allerdings in den 1970er und 1980er Jahren schon ein 40-Minuten-Abstand. Die beiden Brücken in Plaue waren bereits zu dieser Zeit problematisch, der Einsatz von Tatras mit ihrer größeren dynamischen Beanspruchung des Untergrundes beim Anfahren und Bremsen galt als ausgeschlossen.

So kam es unvermeidlicherweise bereits Anfang der 90er Jahre zu ernsthaften Betrachtungen zur Zukunft der Brandenburger Straßenbahn allgemein und dieser Strecke speziell. Der Berufsverkehr ging im Zuge der allgegenwärtigen Ent-Industrialisierung zurück und der Zeitpunkt war gekommen, über den Ersatz der beiden Brücken nachzudenken. Nicht zuletzt wirkte sich auf ihren desolaten Zustand aus, dass sie im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt waren. Die Tragfähigkeit der Plauer Brücke war schon lange auf 7,5 Tonnen für den Kraftverkehr herabgesetzt. Wenn die Straßenbahn naht, wird mittels einer Ampel der übrige Kraftverkehr angehalten.

Auf Dauer war also abzusehen, dass hier einmal eine Ersatzlösung notwendig wird. Die Kosten für den Einbau der Gleise und die Auslegung der Brücke für die Belastung durch Schienenfahrzeuge waren angesichts der Entwicklung der Fahrgastzahlen, heute und auch prognostisch, nicht zu rechtfertigen. So kam es zur Entscheidung, den Betrieb der Straßenbahn nach Plaue und Kirchmöser nur noch bis zum Bau der Ersatzbrücke aufrecht zu erhalten.

Zwischenzeitlich wurden die verbliebenen Fahrgäste noch mit Pendelverkehr „verwöhnt". Mit dem Einsatzende der zweiachsigen Gotha-Wagen wurde nach Lösungen gesucht, den Verkehr nach Kirchmöser zu bewältigen, obwohl die Tatras als nicht brückentauglich galten. Zwischen Kirchmöser und Anton-Saefkow-Allee pendelten aus Freiburg erworbene Wagen des Typs GT4, zur Weiterfahrt konnte stadtwärts in die regulären Tatra-Züge umgestiegen werden.

Weiß der Himmel, warum die GT4 können sollten, was die anderen Vierachser nicht können: fast gleiches Gewicht, damit auch gleiche Achs- und Streckenlast. Kurz darauf kam es folgerichtig doch zu der Erkenntnis, dass die Brücken Tatras vertragen - unter der Voraussetzung, dass sie zu keiner Notbremsung gezwungen werden. Nach dem Einbau von Absperrungen, die delirierende oder lebensmüde Fußgänger vor weitreichenden Fehlern bewahren, konnte nun wieder durchgefahren werden.

Aber auch das findet nun ein Ende: die Straßenbahn in die Brandenburger Ortsteile Plaue und Kirchmöser wird spätestens bis Mitte des Jahres der Vergangenheit angehören. Die Züge enden künftig an der Anton-Saefkow-Allee. Die neue Plauer Brücke geht ihrer Vollendung entgegen, die alte Brücke wird gesperrt. Lange Zeit wurde um den Erhalt der Straßenbahn-Strecke gerungen, nach Lösungen für den Erhalt gesucht.

Letzten Endes wird man sich nun aber selbst als bedingungsloser Verehrer dieses Verkehrssystems nüchternen wirtschaftlichen Betrachtungen fügen müssen. Und die besagen, dass die vorhandenen und auch bei noch so positiven Prognosen zu erwartenden Fahrgastpotenziale hier anstehende Investitionen einfach nicht mehr rechtfertigen; sprich: der Bau von, langfristig gesehen, zwei neuen Brücken mit Straßenbahngleisen ist nach den geltenden Maßstäben nicht finanzierbar.

Was bleibt: die Erinnerung an eine der landschaftlich schönsten Straßenbahnlinien im Brandenburgischen.

Straße mit Tram
Straßenbahn im Gegenverkehr: Während der Zug der Linie 1 sich der Brücke nähert, müssen die Autos Platz machen. Foto: Ivo Köhler

Die Einstellung eines Verkehrsmittels, das durchaus einen besonderen Stellenwert gegenüber anderen innerstädtischen Fortbewegungsmöglichkeiten besitzt, kann heutzutage als Ausnahme gelten. Da es in Form bereits vorhandener Infrastruktur ein besonderes Kapital für zu entwickelnde Gebiete darstellt, wird in aller Regel nach Lösungen zum Erhalt gesucht. Als jüngstes Beispiel derart erfolgreicher Bemühungen kann man die Schöneicher Straßenbahn nennen, deren Betrieb für die nächsten Jahr dank Engagements von vielen Seiten für die nächste Zeit gesichert ist.

Im Falle der Brandenburger Außenstrecke waren es die anfallenden besonders hohen Investitionen, die kein vernünftiges Verhältnis zwischen Nutzen und Kosten erkennen ließen.

Denkmalpflege-Verein Nahverkehr Berlin

aus SIGNAL 2/2002 (April/Mai 2002), Seite 20-21

 

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