Berlin

Wo die Mutter ihre Töchter imitiert.

Abschied vom letzten denkmalwerten Bereich des Bahnhofs Friedrichstraße

Am 16. Juni wird der Nord-Süd-Bahn-Tunnel mal wieder gesperrt - zum mittlerweile vierten oder fünften Male in seiner Geschichte. Mit der neuerlichen mehrmonatigen Generalsanierung bekommt auch der unterirdische Teil des S-Bahnhofs Friedrichstraße ein völlig anderes Gesicht. Dem jetzigen trauern wohl nur wenige nach - doch dies ist ein Fehler.

Natürlich sieht die Bahnsteighalle, die man seit dem Mauerfall immer weiter verwahrlosen ließ, aus wie ein beliebiger unterirdischer S-Bahnhalt in Hamburg, München oder Frankfurt am Main. Doch gerade dies macht ihren zeithistorischen Wert aus. Schließlich ist die Berliner Nord-Süd-Bahn die Mutter aller deutschen S-Bahn-Tunnel. Die Auskleidung der Station nahm sich die DDR wohl bewußt zum Vorbild, als sie 1974/75 daran ging, die unterirdische Halle an der Friedrichstraße zu renovieren - so daß seither an diesem Ort die Mutter ihre „Töchter" imitierte. Schließlich galt es gerade hier, am Einfallstor für Besucherverkehr, „Weltniveau" zu demonstrieren.

Unterer Bereich des Bahnhofs Friedrichstraße
S-Bahnhof Friedrichstraße im Frühjahr 2002. Foto: Alexander Frenzel

Generell wird bei die Gestaltung des Ost-Berliner Stadtzentrums gern übersehen, wie stark dabei dereinst nicht nur die Selbstdarstellung gegenüber den eigenen Untertanen eine Rolle spielte, sondern noch viel mehr jene gegenüber den ausländischen Gästen. So realisierte die DDR rund um den Alex, wie etwa auch im Falle von Dresdens Prager Straße oder Magdeburgs Breitem Weg, moderne Stadtgestaltung im Stil der sechziger Jahre wie aus dem Lehrbuch - wofür es übrigens auch von der West-Berliner Presse seinerzeit Anerkennung gab: Nahezu alle noch vorhandenen Bauten wurden beseitigt, einige, nun deplaciert und verloren wirkende Erinnerungsstücke wie die Marienkirche bewahrt, neue, teils riesige Betonklötze und Hochhauswände ohne Rücksicht auf die überkommenen Strukturen locker in der Gegend verteilt, die Straßenbahn verbannt, große Autoschneisen, viele Parkplätze, eine Fußgängerzone und Fußgängerunterführungen angelegt, und sozusagen zur Krönung des ganzen ein klimatisiertes Warenhaus mit Alunetzfassade errichtet.

Schon einige Jahre zuvor war der S-Bahnhof Alexanderplatz in einer Weise wiederaufgebaut worden, die geradezu mustergültig den zwischen letzten organischen Schwüngen und unterkühlter Noblesse changierenden Geschmack der frühen Sixties zeigte. Fertiggestellt worden war diese repräsentative Anlage an einem der prominentesten Orte der Hauptstadt des SED-Staates nicht zufällig im Oktober 1964: „Die Republik" hatte sie sich zum 15. Jahrestag praktisch selbst geschenkt.

So folgte, was zehn Jahre später an der Friedrichstraße entstand, einem bewährten Muster, hatte der böse Kapitalismus doch auch in ästhetischen Fragen längst die Oberhand gewonnen. Wiederum äffte man nach, was im Westen gerade en vogue war, verkleidete die Wände mit hohen, relativ schmalen Metallplatten in Weiß und Dunkelgrün (den Farben des S-Bahn-Signets) und setzte darauf Stationsschilder und (inzwischen verschwundene) Logos in Kunststofflook. Die Decken verblendete man mit hellen Lamellen, zwischen die die Leuchten bündig eingelassen wurden. Im Kontrast zu dieser kühlen Farbgebung erhielten die Stützen, Treppenwände und Bahnsteigaufbauten geflammte Fliesen in leuchtendem Orange. Sogar in die Stützen eingefügte Reklamefelder und ebenfalls hinterleuchtete Hinweistransparente gab, sowie zwei (mittlerweile seit Jahren stillgelegte) Rolltreppen, derweil solche Anlagen sonst im „Arbeiter- und Bauernstaat" eine Seltenheit waren. Ebenso verhielt es sich mit den zweireihigen Fallblattanzeigern, die neben dem Zugziel die wichtigsten Unterwegshalte mitteilten.

Auch brachte es die DDR in 40 Jahren nur zu zwei neuen Tunnelstationen: dem Berliner U-Bahnhof Tierpark und dem S-Bahnhof Halle Neustadt.

Nun werden diese historischen Spuren ebenso verwischt, wie es in den letzten Jahren mit nahezu allen anderen am Bahnhof Friedrichstraße geschehen ist, der zu einem gesichtslosen „Einkaufszentrum mit Gleisanschluß" umgemodelt wurde. Dass sich der dortige Halt auffallend unterscheidet von den anderen auf der Nord-Süd-Bahn, die man alle in den achtziger und neunziger Jahren mehr oder minder originalgetreu restauriert bzw. rekonstruiert hat, dürften unwissende Fahrgäste dann eher der Modernisierungssucht der DB AG zuschreiben, als dem Prestigestreben der DDR. Die „Anpassung an die Gestaltung des oberirdischen Bahnhofsteils" wird der Tunnelhalle graue Wände, Stützen und Aufbauten bescheren, dunkelbraune Bodenfliesen und eine glatte Decke mit runden Einbauleuchten. Zudem zeigen zumindest jene Computersimulationen, die in den letzten Wochen an Hintergleisflächen zu sehen waren, Schilder mit einer auch Neuschreib zufolge falschen Orthographie („Friedrichstrasse") und ohne die bisher vorhandene Tarifbezeichnung „Berlin".

Daß der Nord-Süd-Bahnhof an der Friedrichstraße sein jetziges Aussehen verliert, ohne daß dies groß betrauert oder auch nur registriert wird, paßt zum Zeitgeist: Die Architektur der sechziger und erst recht der siebziger Jahre hat kaum eine Lobby. So verschwindet seit einiger Zeit ein bemerkenswertes Bauwerk jener Dekaden nach dem nächsten. Die Denkmalpflege ist bezüglich dieses Zeitabschnitts noch immer desinteressiert bis verängstigt, zudem hat sie gegenüber der einstigen Bundeseinrichtung Bahn juristisch nach wie vor einen besonders schweren Stand.

Jan Gympel

aus SIGNAL 3/2002 (Juni/Juli 2002), Seite 18

 

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