Berlin

Witzleben heißt jetzt Messe!
DBV fordert Rücknahme der Umbenennung

Begeisterungsstürme sind nicht zu erwarten, wenn zum Fahrplanwechsel am 16. Juni an zwei Berliner S-Bahn-Stationen die Bahnhofsschilder sinnlos ausgetauscht werden. Wird Messe Nord das gleiche Schicksal wie dunnemals Adenauerdamm erleben?

Die Bahnhöfe Witzleben und Eichkamp sollen in „Messe Nord/ICC" und „Messe Süd" umbenannt werden. Verwirrung statt Information ist vorprogrammiert. Zudem ist zu befürchten, dass die dann nur noch im Kleingedruckten genannten Stadtteilnamen mehr und mehr aus Stadtplänen, Briefpapier sowie Werbung verschwinden und vergessen werden.

„Unsere Besucher müssen sofort wissen, dass sie richtig sind," begründet die Messegesellschaft ihre Initiative. Ob sie das dann wirklich wissen, ist zweifelhaft. Denn abgesehen von großen Messen - wie Grüne Woche oder Funkausstellung - finden viel mehr kleinere Messen nur in abgegrenzten Teilen des Messegeländes statt, die abseits der „Messebahnhöfe" liegen. So beispielsweise die Messe „Rund um's Pferd, Hippologica", die regelmäßig in den Hallen 21 bis 26 im westlichen Teil des Geländes stattfindet. Der von hier nächste Bahnhof ist ein ganz anderer: U-Bahnhof Theodor-Heuss-Platz! Darauf wurde in der Veranstaltungswerbung leider bisher nicht hingewiesen, dennoch - die Besucher wussten trotzdem „das sie" - nicht an einem dieser Messebahnhöfe - „richtig sind!" Dass die rund 40.000 Euro teure Umbenennung eher desorientiert als hilft, ist an einem weiteren Grund festzumachen. Busfahrgäste aus Richtung Zoo erhalten dann am heutigen S-Bahnhof Witzleben die Haltestelleninformation „S-Bahnhof Messe Nord ICC". Warnt der Busfahrer nicht, das man zwei Haltestellen weiter an der „Halle 19" unmittelbar das Messegelände erreicht, sind ab Witzleben Wandergruppen fehlgeleiteter Ausstellungsbesucher freilich zu erwarten.

Noch 1998 weigerte sich die Deutsche Bahn AG, den Bahnhof Eichkamp in „Messe Berlin - Eichkamp" zu taufen, wo bis heute der neue Messe-Haupteingang geplant ist. Schließlich ist es Aufgabe der Veranstalter, auf die Verkehrsverbindungen hinzuweisen, die jedoch meist nur Parkmöglichkeiten anpreisen. Von den Verkehrsunternehmen wird mit Wegweisern, die aber nicht Namensbestandteil sind, auf wichtige vom Bahnhof aus erreichbaren Einrichtungen hingewiesen. Und vor Fahrtantritt orientieren sich Ortsfremde in Stadt- und Schnellbahn-Netzplänen - die das Messegelände verzeichnen - oder der Fahrtweg wird einfach erfragt. Dafür braucht kein Bahnhof mit seinem Namen „konvertieren." Bei den Fahrgastverbänden werden für die Bahnhofsnamen grundsätzlich Ortsteilbezeichnungen bevorzugt.

Bahnhof Witzleben
Bahnhof Witzleben in den 1980er Jahren. Foto: Archiv Berliner S-Bahn Museum

Im Fall der beiden Bahnhöfe werden Wegweiser zu Bahnhofsnamen, obwohl nicht in jedem Fall die Ausstellung direkt erreicht wird. Ergebnis ist dabei auch die doppelte Nennung von Bahnhöfen im Netz, die nur per Himmelsrichtung unterschieden werden. Dabei gab es genau aus diesem Grunde, der Ähnlichkeit von Namen, bereits 1992 unter anderem die Änderung des S-Bahnhofes Mariendorf in Attilastraße, um ihn nicht mit der U-Bahnstation Alt-Mariendorf zu verwechseln.

Sind Bahnhofsnamen „Schall und Rauch?"

Bahnhofsnamen sind in der Regel Ortsbezeichnungen, geschichtlich gewachsene und in der Bevölkerung verwurzelte Hinweise auf Siedlungen und Stadtteile, Straßen und Plätze. Verkehrsfunktionen spielen auch eine große Rolle: Ostbahnhof, Westkreuz und so weiter. Anerkannt ist, das die Menschen mit ihrer Umgebung zuerst ihre Identität formulieren. Vergleichbar der Architektur wurden Bezeichnungen aber auch schon in der Vergangenheit zum Ausdruck von Macht geändert: Diktaturen brauchten die Stalinallee und den Adolf-Hitler-Platz, aber auch Demokraten verewigten Franz-Neumann(-Platz) statt sich mit dem Schäfersee zu begnügen.

Natürlich wollen auch Unternehmen ihr Image mit Bahnhofsnamen verbessern - nur das sollten sie durch Engagement tatsächlich verdienen. Job-Wilhelm von Witzleben, der mit der Entwicklung des Gebietes am gleichnamigen Bahnhof verbunden ist, wurde 1827 wegen seines wohltätigen Wirkens Ehrenbürger der damaligen Stadt Charlottenburg. Dagegen hat die Finanzierung neuer Stationsschilder durch die Messegesellschaft eher etwas von eigennützigen Marketingmaßnahmen, denn die wirklichen Mängel werden nicht beseitigt. Einige Ortsbezeichnungen, die schon bei der Bildung der Groß-Gemeinde Berlin 1920 im „Einheitsbrei" der Zentralverwaltung verschwunden sind, wurden bisher wenigstens durch Bahnhofs- oder auch Kirchengemeindenamen im Bewusstsein gehalten. Soll demnächst auch „Bellevue" verschwinden, damit jeder merkt, dass sich in Berlin das Bundesinnenministerium befindet? Und der Bahnhof Jungfernheide heisst alsbald „Flughafen Tegel"?

Alleingang des Senats

Wie fast alle schlechten Meldungen in der Stadt, kam auch die Entscheidung zur Umbenennung vom Berliner Senat. Bereits vor dem Beschluss des Dringlichkeitsantrages der Bezirksverordnetenversammlung (BW) Charlottenburg-Wilmersdorf, der Bezirk möge sich beim Senat für den Erhalt der heutigen Bezeichnungen einsetzen, hatte der Verkehrssenator entschieden. Kaltschnäuzig kommentierte seine Pressesprecherin: „Mit der Entscheidung der BW sind keine Argumente aufgeführt, die nicht bereits debattiert worden sind." Basta, der den Antrag begründende Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung gegen die Namensänderung interessiert nicht. Dabei verschwanden vor 35 Jahren beim benachbarten U-Bahnhof Adenauerdamm wieder die ungeliebten Schilder, nachdem die Anwohner protestierten: „Wir wohnen am Kaiserdamm!"

Die besseren Alternativen - Bewahrung der Ortsnamen und Hinweis - findet man aber nur beim Blick über den Berliner Gartenzaun: das neue Messegelände in Leipzig erreicht der Zugreisende am Bahnhof „Neuwiederitzsch Leipziger Messe". Nach gleichem Schema heißt es „Berlin-Schönefeld Flughafen". Warum also nicht „Witzleben/Messe" und „Eichkamp/Messe " in gleich großen Lettern auf einem Schild? Auf einem Zusatzschild bleibt das ICC, genauso wie der ZOB. Und Busfahrer können sich hier mit dem Ansagen der Ortsnamen begnügen. Auf der Fahrinfo-CD-ROM des Verkehrsverbundes werden ähnliche Haltestellenbezeichnungen schon länger verwendet. Wünschenswert ist, dass sich die Beteiligten mit den wirklichen Fahrgastärgernissen beschäftigen: endlich den Ubergang zwischen U-Bahnhof Kaiserdamm und S-Bahnhof Witzleben auf der Straße auszuschildern, das Empfangsgebäude der S-Bahn zu beleuchten sowie jahrelang fehlende Fahrtreppen einzubauen. Übrigens: hier wäre unternehmerisches Engagement eine Wohltat.

DBV Berlin

aus SIGNAL 3/2002 (Juni/Juli 2002), Seite 22

 

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