Im April 2002 veröffentlichte der Regionalverband
ein weiteres Konzept, das
sich mit der Gestaltung des öffentlichen Verkehrs
in der Landeshauptstadt
beschäftigt: „Das Innenstadtverkehrskonzept - Vorschläge
zu einer attraktiven
ÖPNV-Anbindung der Potsdamer Innenstadt".
Das Konzept ist die Fortsetzung der über
zehn Jahre andauernden Bemühungen des
Regionalverbandes, einen attraktiven Öffentlichen
Verkehr mit Bahnen und Bussen
unter den Bedingungen der Liberalisierung
des Verkehrsmarktes zu erhalten oder sogar
weiterzuentwickeln.
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Straße Am Kanal. Foto: IGEB-Archiv |
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Trotz der Anfang der neunziger Jahre von
Mitgliedern des Regionalverbandes maßgebend
initiierten und mit großer Mehrheit
von der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung
bereits 1991 (!) beschlossenen
„Grundsätze der neuen Verkehrspolitik der
Stadt Potsdam" kann leider auch ein Jahrzehnt
danach von einer Trendwende im innerstädtischen
Verkehr keine Rede sein.
Obwohl in den vergangenen Jahren fast
250 Millionen Euro an Bundes-, Landes- und
Kommunalmitteln in die Modernisierung,
den Ausbau der Infrastruktur und in
die Beschaffung von Fahrzeugen des städtischen
Verkehrsbetriebes geflossen sind, ist
das Ergebnis ernüchternd. Der Anteil der öffentlichen
Verkehrsmittel am Gesamt-Modal-Split
ist dramatisch abgesunken, um
jetzt auf einem unbefriedigenden Niveau zu
staginieren. Im Gegensatz dazu sind in Potsdam
die Zulassungszahlen für Privat-Pkw
kontinuierlich auf einen, im Vergleich mit
dem Bundesdurchschnitt im oberen Drittel
Angesiedelten Wert von mehr als 420 Pkw/1000 Einwohner
gestiegen. Ohne die anzuerkennenden
Verbesserungen im ÖPNV
wäre allerdings auch in Potsdam schon der
„Verkehrskollaps" eingetreten.
Nach Ansicht des Regionalverbandes
Potsdam-Mittelmark tut umsteuern not; die
seit Jahren auch in Potsdam praktizierte
Politik des parallelen Ausbaus des ÖPNV
und des Straßenverkehrs stellt keine Lösung
dar! Für die Potsdamer Innenstadt werden
deshalb im neuen Konzept vom DBV bereits
entwickelte Überlegungen zusammengefasst,
auf die sich verändernden Randbedingungen
angepasst und neue Ideen hinzugefügt.
Wo ist Potsdams Innenstadt?
So wird eine Neudefinition des Bereiches
der Potsdamer Innenstadt angeregt, die
über den traditionellen Rahmen hinausgeht:
Nicht mehr allein der Bereich der historischen
Innenstadt wird als Zentrum gesehen,
sondern ganz bewusst wird der neu
entwickelte Bereich Hauptbahnhof/Potsdam-Center
integriert. Nicht als Konkurrenz
zur historischen Innenstadt, sondern als
deren attraktives Eingangstor und als tagtäglich
angenommene Ergänzung der Potsdamer
„City".
Statt „Takt 2000"
„Tram plus" und „Bus plus"!
Die vorhandenen beiden Tram-Trassen erschließen
das neue Innenstadtgebiet recht
gut. Veränderungen sind hinsichtlich des
Verkehrsangebotes (Abkehr von den negativen
Auswirkungen von „Takt 2000" und
seiner Nachfolger) bei der Ausstattung
bestimmter Innenstadthaltestellen und bei
der Vermarktung des Angebotes notwendig.
Der Regionalverband schlägt für diese
Ertüchtigung der Tram in der Innenstadt ein
Konzept „Tram plus" vor.
Die dritte Hauptachse des innerstädtischen
ÖPNV sollte die vorhandene ViP-Buslinie
695 werden - allerdings mit einer veränderten
Linienführung im Bereich der historischen
Innenstadt (Führung über Dortustraße
mit Querung (!) der Brandenburger
Straße) und seiner Aufwertung innerhalb
eines „Bus plus"-Konzeptes.
Neu und kontrovers diskutierbar ist der
DBV-Vorschlag „Nulltarif bei Bahnen und
Bussen - Schaffung einer zeitlich begrenzten
Freifahrtzone".
Freifahrt in Amerika
Seit einigen Jahren wird in amerikanischen
Großstädten ein unkonventionelles Mittel
zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen
Verkehrs praktiziert: Mit der Wiedereinführung
von Stadtbahnen wird häufig im Innenstadtbereich
eine sogenannte „free fare
zone" proklamiert. Hier ist in festgesetzten
Zeiten die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel
kostenlos möglich: Besonders
unter Marketing-Gesichtspunkten wird ein
großer Effekt bei der Wiederbelebung verödeter
Innenstadtbereiche erreicht. Freifahrt
wird zum Beispiel in Boston, Portland und
Denver gewährt.
So unkonventionell dieser Vorschlag für eine
Anwendung in Potsdam auch erscheint: ein
Nachdenken über Chancen und Risiken lohnt
sich.
Übertragbar auf Potsdam?
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Potsdam Hauptbahnhof. Foto: Alexander Frenzel |
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Potsdam-Besucher, die mit dem ÖPNV aus
Richtung Berlin am Hauptbahnhof ankommen,
müssten aufgrund des geltenden
VBB-Tarifs in der Regel über Fahrausweise
verfügen, die zur Weiterfahrt in Potsdam
berechtigen. So ist ein Fahrausweis des Tarifes
Berlin ABC (Gültigkeit 120 Minuten),
der in der Berliner City entwertet worden ist
- zum Beispiel am Bahnhof Alexanderplatz
- trotz einer ca. 45-minütigen S-Bahn-Fahrt
noch weitere 75 Minuten „abfahrbar". Das
ist ausreichend, um auch mit Umsteigen
alle wesentlichen touristischen Ziele in Potsdam
zu erreichen. Ein Erwerb eines Fahrausweises
in Potsdam zur Hinfahrt ist also nicht
notwendig - somit bedeutet die Gewährung
der Freifahrt in diesem Fall keinerlei
Einnahmeverlust. Trotzdem erscheint auch
bereits in diesem Fall der Imagegewinn für
den Potsdamer Nahverkehr erheblich.
Potsdamer, die regelmäßige Nutzer des
ÖPNV sind, sind meist im Besitz von Zeitfahrausweisen.
Für sie bietet der Nulltarif
zwar keinen finanziellen Vorteil - er stellt
aber gleichzeitig auch keinen Verlust für
den Verkehrsbetrieb in Potsdam (ViP) dar.
Gelegenheitsnutzer von Bahnen und Bussen
haben oft Probleme, sich im ÖPNV zurechtzufinden:
Linienführungen, Fahrpläne,
besonders aber auch die Unkenntnis über
die vielfältigen Möglichkeiten des Tarifsystems
(der VBB-Tarif ist sehr stark differenziert
und damit unübersichtlich!) sind entscheidende
Hemmnisse für die subjektive
Nutzung der auch in Potsdam in guter bis
sehr guter Qualität existierenden ÖPNV-Angebote.
Mit dem Nulltarif wird eine Barrierre
abgebaut - man kann begrenzt im Innenstadtbereich
„surfen", ohne dass der Geldbeutel
belastet wird. Das schafft Vertrauen,
um bei anderen Gelegenheiten dann auch
die „Hürde" Tarif bewältigen zu wollen. Im
Augenblick sind diese Nutzer zwar ein „Zuschussgeschäft"
- langfristig könnten sie
aber zu Dauerkunden des ÖPNV werden.
Diese Überlegungen sind vor allem auch
unter Marketinggesichtspunkten in der Gesamtheit
der Attraktivitätssteigerung der
Potsdamer Innenstadt zu sehen: Mindereinnahmen,
die bei ViP sich aus dem Angebot
„Nulltarif" ergeben können, werden längerfristig
durch Umsatzsteigerungen, zum Beispiel
im Einzelhandel und der Gastronomie,
die zu einem erhöhten Steuereinkommen
für die Kommune führen, wieder kompensiert.
In den amerikanischen Großstädten,
die „free fare zones" anwenden, erfolgt die
Finanzierung dieser Leistungen sogar durch
die Einzelhandelsverbände. Um die wirtschaftlichen
Risiken bei der Einführung des
Innenstadt-Nulltarifs so gering wie möglich
zu halten, wird ein mehrstufiges Konzept
vorgeschlagen:
- Ermittlung des tatsächlichen Anteils der
einzelnen Fahrausweis-Sortimente
durch eine repräsentative Erhebung bei
den ÖPNV-Nutzern im hier neu definierten
Innenstadtbereich. Diese sollte differenziert
nach Werktagen und Wochenenden
erfolgen. Optimal wären Tagesganglinien
- allerdings dürften diese nur
mit erheblichem Aufwand zu erheben
sein.
- Ermittlung der Höhe der in jedem Fall (!)
auszugleichenden Mindereinnahmen
des ViP in Abhängigkeit von völlig frei
festlegbaren Gültigkeitszeiträumen
(zum Beispiel Nulltarif nur an verkaufsoffenen
Wochenenden, in der Sommerferienzeit
oder in den bekannten Tourismus-Hoch-Zeiten)
ergibt sich dann eine
Summe X.
- Suche nach Finanzierungsquellen: Alleinige
Finanzierung aus dem Stadthaus-halt als „Aufbauhilfe Innenstadt",
Mischmodelle mit Sponsoring, Unterstützung
der Innenstadthändler, zweckgebundene
Verwendung von Parkgebühren
(?).
- Einführung des Innenstadt-Nulltarifs mit
entsprechenden Marketingaktivitäten;
die zwar federführend von ViP veranlasst
werden sollten; dies aber unbedingt
als konzertierte Aktion beispielsweise
von Stadtmarketing, Werbegemeinschaft
City, IHK und der in Potsdam
agiererenden Medien gesehen werden
sollte.
Wie geht es weiter?
Das „Innenstadtverkehrkonzept" wurde an
die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung
Potsdam, an maßgebende Vertreter
der Verwaltung, an die Verkehrsunternehmen
und an die Potsdamer Medien verteilt.
Es soll eine Diskussion zum Thema
anregen; festgefahrene Standpunkte durch
ein neues Denken „aufweichen" und letztendlich
mithelfen, einen kommunalpolitischen
Konsens des Umdenkens hin zu einer
menschen- und stadtverträglichen Verkehrspolitik
für die Potsdamer Innenstadt zu
erreichen.
Erste Reaktionen dazu sind ermutigend:
So zollte der sonst dem DBV gegenüber
eher negativ eingestellte Chefredakteur einer
Potsdamer Tageszeitung am 26. April
2002 unter der Überschrift „Gute Idee" in
seinem Leitartikel der Nulltarif-Idee Respekt.
Sein Fazit: „...Also: Rechnen und dann
schnell handeln. Potsdams Innenstadt hat
es verdient - und bitter nötig". DBV, RV Potsdam-Mittelmark
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