Die Klagen über die Berliner S-Bahn
häufen sich in letzter Zeit. Die Erfolge
beim Wiederaufbau des Streckennetzes
und der Erneuerung des
Fahrzeugparks können die Mängel im
täglichen Betrieb nicht überdecken.
Das tägliche Ring-Chaos
Seit neun Monaten hat Berlin wieder einen
richtigen S-Bahn-Ring - und die
S-Bahn Berlin GmbH viele betriebliche
Probleme. Trauriger Höhepunkt der Störungsbilanz
waren zwei Totalausfälle des
Vollringbetriebes innerhalb von nur vier
Wochen. Im Dezember 2002 sorgte ein in
der nächtlichen Betriebspause entgleister
Zug im Bahnhof Neukölln für ein Chaos
bis in die Mittagszeit.
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Türstörungen kommen bei neuen (kleines Bild) und alten (großes Bild) Wagen vor. Foto: Alexander Frenzel |
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Im Januar 2003 zeigte ein Stromausfall
im Stellwerk Westkreuz, dass keine Rückfallebene
verfügbar ist. Der komplette
Ring stand still. Der regelmäßige S-Bahn-Fahrgast
weiß, dass es sich hierbei nur um
die spektakuläre Spitze des Eisberges handelt.
Besonders auf dem Ring und der betrieblich
zugehörigen Görlitzer Bahn nach
Schöneweide sind Verspätungen und
Zugausfälle an der Tagesordnung. Grundlegende
schnelle Änderungen sind nicht
in Sicht, da der Ring zahlreiche Infrastrukturmängel
aufweist. So fehlen Bahnhöfe
mit einer dritten Bahnsteigkante und aus
beiden Richtungen anfahrbare Kehrgleise,
um auf Störungen besser reagieren zu
können.
Dauerärgernis auf dem Südring ist der
ungerade Takt von Neukölln nach Ostkreuz.
Fahrplanmäßige Abstände von
14 Minuten zwischen den Zügen sind
sehr ärgerlich. Wartezeiten von mehr als
zehn Minuten sind auf der wichtigen
Ringbahn nicht zumutbar.
Nicht nur auf dem Ring läuft es
derzeit allzu oft nicht rund
Der lange und zeitweise harte Winter bereitete
unerwartet viele Probleme. Zugverspätungen
und unbeheizte Züge ließen
so manchen Fahrgast frieren. Dafür
brachten Türstörungen die Fahrgäste ins
Schwitzen. In der Kundenzeitschrift der
S-Bahn entschuldigt man sich: „Leider
reagiert das Material bei Extremverhältnissen
von unter minus 10 Grad anders
als normal." Offensichtlich bleibt den
Fahrgästen nur die Hoffnung, dass die
nächsten Winter nicht wieder so kalt werden.
Demgegenüber hat der Fahrgast bei gutem
Wetter den Eindruck, dass die Züge
bummeln, wo sie nur können. Geringe Geschwindigkeiten
zwischen den Stationen
und unendlich scheinende Bahnhofsaufenthalte
strapazieren die Nerven des eiligen
Fahrgastes. Doch ein Blick in den Fahrplan
zeigt: alles nach Plan. Ohne Betriebsstörung
ist viel „Luft" im Fahrplan. Aber während
einer Störung ist es zu wenig.
Unabhängig vom Wetter ist die Sicht
aus den Fahrzeugen getrübt. Die meisten Fensterscheiben sind
durch Vandalismus derart zerkratzt, dass
ein ungestörter Blick auf die Umgebung
nicht mehr möglich ist. Nicht besser ist es
bei der U-Bahn. So bleibt derzeit offensichtlich
nur die Hoffnung, dass Fahrzeughersteller
und Verkehrsbetriebe intensiv
an Gegenmaßnahmen arbeiten.
Aus Fahrgastsicht sind Lösungen hier
wichtiger als der Einbau einer Klimaanlage,
der immer wieder diskutiert wird.
Aber kurzfristig bleibt offensichtlich nur
die Freude, dass die S-Bahn den Ausblick
künftig nicht mehr zusätzlich durch großflächige
Werbung auf den Fensterscheiben
beeinträchtigen will.
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Abends werden schon weit vor Ladenschluß einige Züge von acht auf sechs oder vier Wagen geschwächt. Foto: Claus Olufemi-Gudat |
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Ein anderes Ärgernis: Auf der Stadtbahn
herrscht am frühen Abend in einigen
Zügen drangvolle Enge, weil die
S-Bahn bereits vor Ladenschluss die Halfte der Wagen abhängt.
Dauerbaustellen und
fehlende Bauarbeiten
Kaum ein Tag vergeht, an dem der Regelfahrplan
nicht durch Baumaßnahmen
massiv beeinträchtigt wird. Pendel-,
Schienenersatzverkehre und langfristige
Streckensperrungen machten jede spontane
S-Bahn-Fahrt zum Roulettespiel. Mit
den (unentbehrlichen) regelmäßigen Bauinfos
könnte man schon nach kurzer Zeit
ein ganzes Zimmer tapezieren. Unvorhergesehene
Weichen- und Signalstörungen
verschärfen die Situation zusätzlich.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB forderte
als Alternative zu monatelangen
Pendelverkehren eine Verkürzung der
Bauzeiten durch Komplettsperrungen.
S-Bahn und DB Netz AG griffen den Gedanken
auf, verkürzten die Bauzeiten
aber nicht in allen Fällen auf ein kundenverträgliches
Maß. Jüngstes Beispiel war
die Sperrung der Wannseebahn zwischen
Zehlendorf und Wannsee. Bei einer so
langen und so langfristig vorbereiteten
Baumaßnahme hat kein Fahrgast Verständnis,
wenn die Sperrung plötzlich um
zwei Monate verlängert wird und damit
außerdem ein mit den anderen Verkehrsbetrieben
abgestimmter gemeinsamer
Fahrplanwechsel-Termin „platzt". Allein
im Berliner Stadtgebiet gab es somit von
Mitte Dezember bis Ende Februar drei
Fahrplanwechsel.
Zum „Knüller" scheint sich der Nord-Süd-S-Tunnel
zu entwickeln: Nach zwei
Vollsperrungen über mehrere Monate
sind immer noch nicht alle Bauarbeiten
erledigt und für 2004 ist die dritte Vollsperrung
bereits angedroht. Geregelte
Anschlussbeziehungen zu anderen Verkehrsmitteln
lassen sich unter solchen Bedingungen nicht aufbauen.
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Seit 59 Jahren warten, die Fahrgäste auf die Wiedereröffnung des S-Bahnhofs Kolonnenstraße (Reste des alten Bahnsteigs rechts im Bild). Ein Halt dort ist vom Senat bestellt, die Deutsche Bahn AG baut aber nicht. Foto: IGEB |
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Im Gegensatz dazu kommt der Ausbau
der Bahnhofsinfrastruktur langsam voran.
Das Anfang 2002 von der DB angekündigte Programm zum Einbau neuer
Zugänge und Aufzüge an Bahnhöfen für
das Jahr 2002 war offenbar zu ehrgeizig.
Nur ein Bruchteil dessen wurde verwirklicht.
Und auf neue (alte) Bahnhöfe zu
hoffen, hat der Fahrgast fast schon aufgegeben,
zum Beispiel Kolonnenstraße
und Buch Süd. Auch die bereits modernisierten
Bahnhöfe zeigen Mängel: Am
Hackeschen Markt müssen Fahrgäste
durch Pfützen waten, die sich am Fuß der
Treppe bilden und im Bahnhof Jannowitzbrücke
tropft es von der Decke. Defekte
Fahrtreppen und unzuverlässige Aufzüge
tun ein Übriges.
Schleppende Kundeninformation
Von immer mehr S-Bahnsteigen wird das
dort stationierte Personal abgezogen.
Auch wenn die eingesparten Mitarbeiter
den Fahrgästen in neueröffneten Fahrkartenausgaben
und Kundenzentren zur Verfügung
stehen, so können sie doch eine
Bahnsteigaufsicht nicht ersetzen. Wo bekommt
man im Bedarfsfall persönliche
Hilfe und Beratung?
Doch auch die auf den meisten Bahnhöfen
(noch) vorhandenen Aufsichten
und die Triebfahrzeugführer in den Zügen
wissen bei Störungen manchmal nicht,
wie es weitergeht, weil der Fahrdienstleiter
keine Zeit oder Möglichkeit hat, die
Mitarbeiter und die Kunden zu informieren.
Hier wäre ein guter Informationsmanager
im Störungsfall hilfreich. Es kann
nicht sein, dass Fahrgäste in einem Zug
eine halbe Stunde ohne Informationen
eingeschlossen sind.
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Alle haben inzwischen den Störungen auf dem S-Bahn-Ring zu kämpfen. Fahrgäste sind verärgert, Mitarbeiter frustriert und Abhilfe ist nicht im Sicht. Foto: S-Bahn-Zug in der Betriebswerkstatt Grünau, Marc Heller |
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Aber nicht nur bei Betriebsstörungen
muss die Kundeninformation verbessert
werden. Die Fahrtzielanzeigen für Züge
auf dem Ring sind oft verwirrend und
nicht eindeutig. Überall im Netz wird an
Startbahnhöfen die sinnvolle Anzeige
„Zug fährt zuerst" viel zu selten benutzt.
Manchmal sind Anzeiger auch über Monate
außer Betrieb und der Fahrgast muss
den halben Bahnsteig entlang laufen, um
den anderen Anzeiger lesen zu können.
Aber auch wenn die Technik nicht versagt,
ist die Beschilderung der Züge interpretationsfähig.
Gerade auf dem Ring erschließt
sich dem Gelegenheitsfahrgast
nicht, wohin die Züge fahren. Ist „Gesundbrunnen/Ring"
ein Bahnhofsname
wie „Wittenau (Nordbahn)"? Komme ich
mit einem Zug „Richtung Neukölln" auch
bis Westkreuz?
Möchte man sich am Automaten auf
dem Bahnsteig eine Fahrkarte kaufen, so
gibt es wieder einige Fallstricke zu umgehen.
Welche Fahrkarte ist die richtige? Innerhalb
Berlins ist das zum Glück noch
recht einfach. Aber wenn es ins Brandenburgische
gehen soll, wird es schon kompliziert.
Gibt der Automat Wechselgeld oder
nimmt er heute keine Banknoten? Ist die
Anzeige kaum lesbar, weil die Sonne direkt
auf den Bildschirm scheint oder liest
man nur „Automat wird heruntergefahren"?
Ist der ganze Automat defekt,
wenn im Kartenleser-Display „Spanungsabfall
- Außer Betrieb" leuchtet? Und
wieso kann man an dem einen Automatentyp
nur Zeitkarten aber keine Einzelkarten
kaufen? Hoffentlich ist in diesem
Fall eine geöffnete Fahrkartenausgabe in
der Nähe.
Wartet man nun auf dem Bahnsteig
auf den Zug, so ist die Windrichtung zu
beachten, denn es wird viel geraucht.
Deshalb sollte das Rauchverbot für unterirdische
S-Bahnhöfe bzw. für alle U-Bahnhöfe
der BVG auch auf alle S-Bahnhöfe
ausgeweitet werden. Allerdings sollten
auf den oberirdischen S-Bahnhöfen - um
die rauchende Kundschaft nicht völlig zu
verschrecken - kleine „Raucherinseln" eingerichtet
werden. Für bessere Luft und
weniger Dreck auf dem Bahnsteig.
Zu viele Verantwortliche
Das gute Image der Berliner S-Bahn droht
angeschlagen zu werden, auch wenn die
S-Bahn Berlin GmbH nicht für alle Mängel
verantwortlich ist. Aber dem „normalen"
Fahrgast ist die DB-interne Zuständigkeitenregelung
herzlich egal. Ihn interessiert
nicht, dass die Gleise zu DB Netz AG gehören,
für die Beschilderung auf den
Bahnsteigen meist DB Station & Service
AG, manchmal aber auch die S-Bahn
GmbH selber zuständig ist.
Dass die schmalbrüstige Infrastruktur
auf dem Ring auf verfehltes Sparen von
DB Netz AG, Eisenbahn-Bundesamt und
Bundesverkehrsministerium zurückgeht.
Dass für die häufigen Stellwerksprobleme
DB Netz AG und ein großer Elektrokonzern
verantwortlich sind. Dass die S-Bahn
GmbH für ungeheizte Wagen und defekte
Türen verantwortlich zeichnet. Dass
das unzureichende und manchmal sogar
fehlerhafte Wegeleitsystem auf den Bahnhöfen
DB Station & Service zu verantworten
hat. Dass die langen Fahrzeugstandzeiten
auf den Bahnhöfen vom luftig gestrickten
Fahrplan der S-Bahn GmbH
kommen. Dass Baumaßnahmen zu lange
dauern, weil DB Netz bei der Planung
icht kundenfreundlich gedacht hat. Dass
die Kundeninformation immer noch gravierende
Mängel aufweist, weil die Bediensteten
der S-Bahn im Störungsfall mit
betrieblichen Dingen ausgelastet sind
und keine Zeit (oder Lust?) für eine Lautsprecherdurchsage
haben. Dass verspätete
Züge vorzeitig enden, weil die S-Bahn
GmbH am Endbahnhof keine Pufferzeit
vorgesehen hat.
Die Prügel und den Ärger bezieht immer
das Unternehmen mit dem direkten
Kundenkontakt, nämlich die S-Bahn Berlin
GmbH. So verschlechtertsich ihr in den
letzten Jahren erfolgreich aufpolierter
Ruf.
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Warten auf die S-Bahn ... Foto: Alexander Frenzel |
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Die merklichen Verbesserungen und Bemühungen
seit den 90er Jahren sind auf
jeden Fall zu würdigen, und im Vergleich
zu anderen S-Bahn-Systemen - zum Beispiel
in München - haben die Berliner ein
recht gutes System mit einem relativ verlässlichen
Betrieb. Aber es ist noch nicht
gut genug. Hier sind alle Verantwortlichen
gemeinsam gefordert - zum Nutzen
der Fahrgäste.
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
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