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Anlass dafür war ein Streit von zwei Kraftverkehrsunternehmen
um die Erteilung von Liniengenehmigungen
im Landkreis Stendal. Im
Vorfeld dieses Urteils gab es in der Fachpresse
umfangreiche Beiträge mit Überlegungen
von Experten über mögliche Konsequenzen
für die künftige Gestaltung des ÖPNV. Es lagen
bereits Einladungen für mehrere Veranstaltungen
zur Auswertung des zu erwartenden
Urteils vor. Eine Fachtagung der VDV-Akademie
findet am 20./21. August 2003 in
Berlin statt (Kosten: 694 €).
Nach Auffassung des DBV-Vorstandes hat
das Urteil die Erwartungen vieler Interessenten
enttäuscht. Eine präzise Klarstellung zur
Anwendung von europäischem oder deutschem
Recht im ÖPNV-Wettbewerb blieb aus.
Insbesondere wurde die Frage nicht eindeutig
beantwortet, ob künftig alle Verkehre, für die
es staatliche Zuschüsse (Bestellungen) gibt,
öffentlich ausgeschrieben werden müssen.
Das Urteil enthält allerdings Forderungen
nach mehr Transparenz und einheitlichen Vergabekriterien.
Der DBV wird sich weiterhin für mehr Wettbewerb
im ÖPNV einsetzen und hofft auf eine
dementsprechende Novellierung des EURechts
auf diesem Gebiet.
„Europäischer Gerichtshof in Luxemburg
Abteilung Presse und Information
Das Urteil vom 24. Juli 2003
Der Gerichtshof entscheidet, dass ein finanzieller
Ausgleich, der nur die Gegenleistungen
für von den Mitgliedsstaaten auferlegte gemeinwirtschaftliche
Pflichten bildet, nicht die
Merkmale einer staatlichen Beihilfe aufweist.
Ein solcher Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch
nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu
qualifizieren, wenn vier Voraussetzungen erfüllt
sind.
Eine Gemeinschaftsverordnung über die
Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes
(Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates
vom 26. Juni 1969 über das Vorgehen der Mitgliedstaaten
bei mit dem Begriff des öffentlichen
Dienstes verbundenen Verpflichtungen
auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und
Binnenschiffsverkehrs in der Fassung der Verordnung
(EWG) Nr. 1893/91 des Rates vom
20. Juni 1991) soll die Unterschiede beseitigen,
die sich aus mit dem Begriff des öffentlichen
Dienstes verbundenen Verpflichtungen,
die den Verkehrsunternehmen von den Mitgliedstaaten
auferlegt werden, ergeben und
zu einer erheblichen Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen
führen. Daraus folgt, dass
es notwendig ist, die Verpflichtungen des öffentlichen
Dienstes aufzuheben, obgleich sie
jedoch in gewissen Fällen aufrechterhalten
werden müssen, um eine ausreichende Verkehrsbedienung
zu gewährleisten.
Der deutsche Gesetzgeber hatte zunächst
von der in der Gemeinschaftsverordnung eröffneten
Möglichkeit, Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste
von der Anwendung
dieser Verordnung auszunehmen, ausdrücklich
Gebrauch gemacht. Seit 1996 sieht das deutsche
Recht ausdrücklich vor, dass örtliche und
regionale Verkehrsdienste in bestimmten Fällen
der Verordnung unterliegen.
Das Unternehmen Altmark Trans erhielt
1990 Genehmigungen und Zuschüsse für den
Linienverkehr mit Omnibussen im Landkreis Stendal.
1994 erteilten die deutschen Behörden
Altmark Trans neue Genehmigungen und
lehnten den Antrag der Nahverkehrsgesellschaft
Altmark auf Erteilung von Genehmigungen
ab. Die Nahverkehrsgesellschaft Altmark
erhob Klage bei den deutschen Gerichten mit
der Begründung, Altmark Trans sei nicht leistungsfähig,
da sie ohne öffentliche Zuschüsse
nicht hätte überleben können; die Genehmigungen
seien deshalb rechtswidrig.
Das letztinstanzlich angerufene Bundesverwaltungsgericht
hat den Gerichtshof dazu befragt,
-
ob die Zuschüsse des Landkreises Stendal
an Altmark Trans nach dem EG-Vertrag
verbotene staatliche Beihilfen darstellen
und
-
ob die deutschen Behörden anordnen können,
dass eigenwirtschaftlich erbrachte
Regionalverkehrsdienste nicht unter die
Verordnung von 1969 über "die Verpflichtungen
des öffentlichen Dienstes" fallen.
Zur ersten Frage
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass nach
ständiger Rechtsprechung eine staatliche
Maßnahme nur dann eine staatliche Beihilfe
im Sinne des EG-Vertrags sein könne, wenn
sie als "Vorteil" für das begünstige Unternehmen
angesehen werden könne, den dieses
unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten
hätte. Ein solcher "Vorteil" liege aber
nicht vor, wenn eine staatliche finanzielle
Maßnahme als Ausgleich anzusehen sei, der
die Gegenleistung für Leistungen bilde, die
von den Unternehmen, denen die Maßnahme
zugute komme, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher
Verpflichtungen erbracht würden.
Ein derartiger Ausgleich sei im konkreten
Fall allerdings nur dann keine staatliche Beihilfe,
wenn vier Voraussetzungen erfüllt seien.
-
Erstens müsse das begünstigte Unternehmen
tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher
Verpflichtungen betraut
sein, und diese Verpflichtungen müssten
klar definiert sein.
-
Zweitens seien die Parameter, anhand deren
der Ausgleich berechnet werde, zuvor
objektiv und transparent aufzustellen.
-
Drittens dürfe der Ausgleich nicht über das
hinausgehen, was erforderlich sei, um die
Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen
Verpflichtungen unter Berücksichtigung
der dabei erzielten Einnahmen und
eines angemessenen Gewinns ganz oder
teilweise zu decken.
-
Viertens sei die Höhe des Ausgleichs, wenn
die Auswahl nicht im Rahmen eines Verfahrens
zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolge,
im Vergleich mit den Kosten zu bestimmen,
die ein durchschnittliches Verkehrsunternehmen
zu tragen hätte (unter
Berücksichtigung der Einnahmen und des
angemessenen Gewinns aus der Erfüllung
seiner Verpflichtungen).
Nur wenn diese vier Voraussetzungen erfüllt
seien, könne davon ausgegangen werden,
dass ein Unternehmen in Wirklichkeit keinen
finanziellen "Vorteil" erhalten habe, der bewirken
würde, dass es gegenüber den mit ihm
im Wettbewerb stehenden Unternehmen in
eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen
würde, und der Ausgleich daher nicht den
Charakter einer staatlichen Beihilfe im Sinne
des EG-Vertrags habe.
Zur zweiten Frage
Das vorlegende Gericht habe in dem bei ihm
anhängigen Fall allerdings nur dann zu prüfen,
ob die in Rede stehenden Zuschüsse im Einklang
mit den Bestimmungen des EG-Vertrags
überstaatliche Beihilfen gewährt worden seien,
wenn es zu dem Ergebnis gelange, dass
die fragliche Gemeinschaftsverordnung in
Deutschland nicht anwendbar sei. Mit anderen
Worten, wenn die Gemeinschaftsverordnung
hier anwendbar sei, brauche nicht auf die allgemeinen
Bestimmungen des EG-Vertrags
zurückgegriffen werden.
Der deutsche Gesetzgeber könne von der in
der Gemeinschaftsverordnung vorgesehenen
Ausnahme für den Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr
grundsätzlich auch teilweise Gebrauch
machen, da er sich dadurch den Zielen
der Verordnung annähere. Ein Mitgliedstaat
könne dies aber nur dann, wenn der Grundsatz
der Rechtssicherheit gewahrt sei, was
voraussetze, dass im deutschen Recht klar
festgelegt sei, in welchem Umfang von dieser
Ausnahme Gebrauch gemacht werde, damit
festgestellt werden könne, in welchem Fall
diese Ausnahme gelte und in welchem Fall die
Gemeinschaftsverordnung anwendbar sei."
[IGEB] Zugegeben, selbst das für die Medien, also
für die breite Öffentlichkeit bestimmte nichtamtliche
Dokument ist schwer zu verstehen. Das liegt
natürlich vor allem an dem komplizierten Thema.
Wie kompliziert das Thema ist, zeigt sich allein
daran, dass die Bewertung des Gerichtsurteils durch
Politiker, Verkehrsbetriebe und Juristen sehr unterschiedlich
ausfiel. Positiv festzuhalten ist, dass die
öffentlichen Zuschüsse für so genannte gemeinwirtschaftliche
Verkehre keine genehmigungspflichtigen
Beihilfen sind. Aber die Einschätzung, dass
damit der Ausschreibung von Verkehrsleistungen
eine Absage erteilt wurde, wäre voreilig. Ein Teil
der Fachleute sieht in den genannten vier Anforderungen
eine so hohe Hürde, dass die Ausschreibungen
künftig praktisch unvermeidbar seien. Genauer
werden wir das (hoffentlich) wissen, wenn die
entsprechenden Richtlinien der EG vorliegen. Bis
dahin sollten sich alle Akteure gedulden. Vor diesem
Hintergrund fordert der Berliner Fahrgastverband
IGEB Berlins Verkehrssenator Peter Strieder
auf, nicht schon jetzt viel Geld für eine Gesellschaft
für die Wahrnehmung der Aufgaben des Bestellers
(Land Berlin) auszugeben, sondern erst einmal das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts und vor allem
die EG-Richtlinien abzuwarten.
DBV
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