Berlin

Steinstücken bald wieder Exklave?

Bis 1972 war Steinstücken eine West-Berliner Exklave. Vollständig umgeben vom Hoheitsgebiet der DDR, war das Gebiet nur Anwohnern, den Alliierten und wenigen Berechtigten zugänglich.

Die Anreise war nur diesen Berechtigten im „Transit" von der Kohlhasenbrücker Bäkestraße aus möglich; eine Anbindung an den ÖPNV gab es nicht. Nach dem Grundlagenvertrag wurde zwischen Kohlhasenbrück und Steinstücken eine beidseitig von der Mauer umgebene Straße errichtet, auf der von nun an ein „freier" Zugang möglich wurde.

Eine Zeitlang ergossen sich Ströme von West-Berliner Ausflüglern in den Ortsteil, der bis auf den Straßenzugang nach wie vor vollständig von den „DDR-Grenzsicherungsanlagen" umgeben war. Ein Anschluss an das OPNV-Netz wurde durch die Omnibuslinie 18, heute 118, hergestellt. Der Bus erhielt eine eigene, teilweise auf Privatgrund gebaute Wendeschleife in der Bernhard-Beyer-Straße, die heute nicht mehr existiert. Nach der Wende erfolgte die Verlängerung der Buslinie 118 über Potsdamer Stadtgebiet bis zum Stern-Center, bzw. außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten bis zum Johannes-Kepler-Platz, wo Anschluss an die Potsdamer Straßenbahn besteht.

Steinstücken ist, entgegen früherer Einsamkeit, inzwischen recht dicht durch Neubau-Eigenheime besiedelt, die unmittelbar in die angrenzenden Potsdamer Wohngebiete Parforceheide übergehen. Viele Berliner haben dort inzwischen ihre neue Heimat gefunden. Neben der Berliner Buslinie 118 war dieser Bereich vor allem durch die, das gesamte Potsdamer Innenstadtgebiet durchquerende Buslinie 692 gut angebunden. Die Eröffnung der Straßenbahnstrecke zur Kirschallee führte zu mehrmaligen Buslinienänderungen in diesem Bereich. Bauarbeiten im zu Berlin gehörenden Ortsteil Kohlhasenbrück und Sparmaßnahmen veränderten ebenfalls die BVG-Linie 118, und all das nicht gerade zum Besseren.

Bus der Linie 118
Bus 118 fährt den Bahnhof Griebnitzsee an. Foto: Frank Böhnke

Die Bedienung von Steinstücken stellt sich nunmehr als ein einzigartiges Kuriosum dar. Die Buslinie 118 fährt als Umleitung statt über Kohlhasenbrück über den S-Bahnhof Griebnitzsee, dann durch Steinstücken und tagsüber wie bisher zum Stern-Center. In der Spätverkehrszeit dagegen endet diese Linie nun - wie zu Mauerzeiten - in Steinstücken. Auf Grund der nicht mehr bestehenden Bus-Wendeschleife müssen alle Wagen jedoch einen riesigen Umweg über Potsdamer Gebiet fahren, um von der Haltestelle Am Gehölz, zurück über Steinstücken, nach Zehlendorf zu kommen. Nach Abschluss der Bauarbeiten in Kohlhasenbrück soll der 118er in der Spätverkehrszeit sogar nur noch bis dort fahren, weiter bis Steinstücken verkehrt dann ein Linientaxi. Die ViP-Linie 694 fährt seit dem letzten Fahrplanwechsel nun ebenfalls vom S-Bahnhof Griebnitzsee über Steinstücken zum Stern-Center; also mit Ausnahme der Wegführung im Bereich des Centers, genau den gleichen Linienweg wie die BVG-Buslinie 118.

Als einmalige Besonderheit halten die Wagen an den im Berliner Ortsteil Steinstücken gelegenen Haltestellen jedoch nicht, gewissermaßen eine „Transit-Fahrt" durch West-Berliner Gebiet. Der Sinn einer solchen fahrgastfeindlichen Haltung bleibt unverständlich. Darüber hinaus fehlt während der Woche eine annehmbare Nachtverbindung nach Berlin. Nachtbusse fahren nur den riesigen Umweg über Glienicker Brücke und Potsdam Hauptbahnhof.

Neben der Verschlechterung der Bedienungsqualität gibt es für die Steinstückener zusätzlich tarifliche Benachteiligungen. Da die Landesgrenze gleichzeitig Tarifgrenze zwischen dem Tarifgebiet B und C ist, sind Fahrten mit der S-Bahn und dem Bus von Berlin über Griebnitzsee nach Steinstücken und Fahrten zur Haltestelle Am Gehölz (für viele Steinstückener günstiger gelegen) viel teurer, als Fahrten innerhalb der Tarifgrenzen Berlins oder Potsdams. Der Ortsteil Steinstücken beherbergt viele Familien, deren Kinder die S-Bahn oder im Potsdamer Gebiet liegende Haltestellen benutzen und richtig draufzahlen müssen.

Mit Tarifstand vom 1. August 2003 kostet in Berlin ein Schülermonatsticket „AB" 24,00 Euro, in Potsdam 23,20 Euro. Wer die Stadtgrenze jedoch überschreitet und „Berlin BC" benötigt, zahlt gleich 45,00 Euro.

Viele Steinstückener haben vor Ort keine Läden oder Geschäfte und brauchen gute Verbindungen nach Potsdam, Berlin und auch in den Bereich Stolpe/Rathaus Wannsee. Das „soziale Netz", Grundschule, Kindergärten, Kirchen und viele Freunde liegen in diesem Bereich, auch außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Die Stadtpolitik in Berlin und Potsdam hatte beschlossen, die Straßen vom Individualverkehr durch einen guten ÖPNV zu entlasten. Pendler dürfen daher nicht durch Verschlechterungen im ÖPNV zum Umsteigen auf das Auto gezwungen werden.

Aus diesen Gründen leiten sich folgende Forderungen ab:

  • Der 118er darf nicht in Kohlhasenbrück oder Steinstücken enden. Eine Durchbindung in der Spätverkehrszeit, direkt über die Mendelsohn-Bartholdy-Straße zum Johannes-Kepler-Platz, würde lediglich zwei bis drei Minuten mehr Fahrzeit kosten als die jetzige Schleifenfahrt über Steinstraße - In der Aue - Am Gehölz.
  • Die ViP-Buslinie 694 muss an den Steinstückener Haltestellen halten.
  • Steinstücken, Griebnitzsee und „Am Gehölz" müssen gleichzeitig in Tarifzone „Berlin B/C" und „Potsdam B" integriert werden. Als Beispiel sei hier der Flughafen Schönefeld genannt.
  • Eine Nachtbus-Verbindung im Zuge der Buslinie 118 zwischen S-Bahnhof Wannsee und dem Wohngebiet am Stern ist zu überdenken. Möglicherweise böte sich auch eine Nachttaxi-Linie im Anschluss an den N 16 ab Rathaus Wannsee an. Alternativ käme auch eine Veränderung in der Linienführung der Linien N 15 und N 16 in Betracht. Es wäre zu prüfen, inwieweit zum Beispiel eine Führung des N 16 im Zuge der Tages-Linie 118, anstelle der jetzigen Linienführung durch Waldgebiete der Königstraße und über die Glienicker Brücke, möglich ist.

Gleichwohl wären entsprechende Änderungen im Potsdamer Nachtnetz nötig, um alle anderen bislang nachts bedienten Bereiche auch künftig zu befahren. Lösungen, unter Umständen sogar kostenneutral, erscheinen bei entsprechender Zusammenarbeit zwischen der BVG und dem ViP aber möglich.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 5/2003 (November/Dezember 2003), Seite 22

 

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