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„Einfacher und gerechter" soll es bei den
Preisen für Busse und Bahnen zugehen, wie
Tom Reinhold, „Direktor Angebot und Vertrieb
der BVG", in der August-Ausgabe von
„BVG plus" erklärt. Und Preiserhöhungen
„nicht so hoch ausfallen, dass wir damit
überproportional Stammkunden verlieren".
Unterproportional darf das aber wohl
schon geschehen. Nach der Abschaffung
der Sammelkarte ist die Beseitigung von
Monats- und Jahreskarten auch nur der logische
nächste Schritt. Der übernächste
wäre dann: Je häufiger man es wagt, die
BVG mit einem Wunsch nach Beförderung
zu belästigen, desto teurer wird die einzelne
Tour. Doch nein, auch künftig soll es Rabatte
geben, etwa wenn man lieber mal in
verkehrsschwachen Zeiten ein wenig herumfährt,
statt in der Rush hour das Leben in
vollen Zügen und sitzplatzarmen Eindeckomnibussen
zu genießen. Da aber jede Fahrt
einzeln berechnet werden soll und die
überwundene Distanz auf Basis der Luftlinie,
geht derlei natürlich nur, wenn endlich
„elektronisches Ticketing" (das heißt wirklich
so) eingeführt wird.
Ein solches System könnte, so Reinhold,
„automatisch den für den Kunden jeweils
günstigsten Tarif bzw. den entsprechenden
Rabatt berechnen" - wie gut sowas klappt,
weiß man ja von der Software der Deutschen
Bahn. Und an deren grandios erfolgreicher
Tarifreform scheint sich nun auch
die BVG orientiert zu haben. Nach dem
Motto: Wenn man zu viert unterwegs ist
und gerade noch der Vollmond scheint und
es sich um den Todestag von Omas erstem
Mann handelt, dann gibt es vielleicht zehneinhalb
Prozent Ermäßigung, aber nur zwischen
11.17 Uhr und 12.44 Uhr in den Bereichen
der Großbezirke Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf.
Wie gesagt: Es wird
alles viel einfacher. Niemand käme auch
nur auf die Idee, zu befürchten, übers Ohr
gehauen oder Opfer einer mangelhaften
Technik zu werden - die womöglich, wie
manches dieser neuen Mammutstellwerke,
gleich den Geist aufgibt, weil mal für eine
Zehntelsekunde der Strom ausfällt.
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Werbeblatt der BVG für den Vorgänger des elektronischen Fahrscheins. |
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Statt dessen brächten die Tarifphantasien
der BVG unschätzbare Vorteile. Die Menschen
kämen zusammen: Daheim, wenn sie
erstmal eine halbe Stunde lang ausrechnen,
wann wie wohin zu fahren denn am
günstigsten ist. An den Geräten, wo die -
entgegen den Erfahrungen andernorts
selbstverständlich absolut fälschungssicheren
- Ticketing-Tickets eingelesen werden
müssen. Oder wenn man statt dessen womöglich
im Vorbeigehen registriert wird
(Umweltschützer oder Träger von Herzschrittmachern
sollten sich wegen dem bißchen
Elektrosmog nicht so haben) und hinterher
angeregte Diskussionen mit Kontrolleuren
führen kann, die behaupten, man
habe gar nicht ticketing-mäßig eingecheckt.
Freilich könnte man diese Herrschaften
auch noch wegrationalisieren,
würde an den Zugängen eine Art elektrischer
Schleier eingerichtet, der jedem, der
nicht im Besitz eines Fahrausweises ist, einen
bösen Stromschlag versetzt. Eine weitere
Innovation, um Berlins Stellung als
„Verkehrskompetenzzentrum" zu stärken!
Mag auch manch einer abgeschreckt
werden oder sich die Benutzung des ÖPNV
kaum mehr leisten können - dies dürften
bald all die anderen ausgleichen, die auch
gern mal noch zwei Stationen weiter fahren
und dann gleich wieder zurück, weil genau
diese achthundertzweiundfünfzig Meter
Luftlinie ihnen noch fehlen, um die nächsthöhere
Rabattstufe zu erklimmen. Und
dann erst die Freude, wenn man auf Grundlage
seines Einzelverbindungsnachweises
eine Monatsrechnung über 12.000 Euro bekommt
- bei der davon ausgegangen wird,
man sei vom ersten bis zum letzten Tag des
Monats rund um die Uhr mit Bussen und
Bahnen unterwegs gewesen. Die BVG kann
sich da sicher einige Anregungen von der
Telekom holen.
Deshalb sollten uns weder hohe Investitionskosten
oder ein ausuferndes Abrechnungswesen
schrecken, noch die Aussicht
auf bockige Software oder Gerichte, welche
die BVG dazu verdonnern, ihre Forderungen
gegen einzelne Kunden doch bitte mal juristisch
wasserfest zu belegen. Denn hier
geht es nicht nur darum, ganz nebenbei
künftig exakt nachverfolgen zu können,
wer wann wohin gefahren ist - zur Bekämpfung
der allgegenwärtigen Terroristen
kann man Grundrechte und Datenschutz ja
gar nicht genügend aushöhlen. „Hier geht
es um Gerechtigkeit", wie Peter Strieder
als zuständiger Senator erklärt hat. Und wo
wäre das Lieblingsargument jeder deutschen
Diskussion angebrachter als hier: Wer
aufs bequemere, schnellere, gemütlichere
Auto verzichtet und konsequent Busse und
Bahnen nutzt, soll doch gefälligst selbst die
Kosten begleichen, die er damit verursacht,
und zwar bis zum allerletzten Cent. Erst
recht, wenn er zum Erreichen seines Arbeitsplatzes
einen langen Weg in Kauf
nimmt. Wo kämen wir denn bei soviel Flexibilität
und Leistungsbereitschaft hin?
Allerdings sollte der Herr Senator, der
sich in Umfragen mittlerweile zum unbeliebtesten
Politiker Berlins hochgearbeitet
hat, darauf achten, dass die Visionen der
BVG doch erst 2007 Wirklichkeit werden.
Denn im Herbst 2006 stehen die nächsten
Wahlen zum Abgeordnetenhaus an.
Jan Gympel
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