„Früher fuhren die Bahnen doch viel schneller"
konterte der erste Besucher den Overhead-
Vortrag von Herrn Dr. Murach. Ein Blick
auf die folgende Tabelle zeigt, wie sich die
Reiseverbindungen und Reisezeiten im Laufe
der 160 Jahre ständig verändert haben.
Die drastischen Verlängerungen der Reisezeiten
im der Verkehr nur weniger Zugpaare
waren Folge der Ergebnisse des Zweiten
Weltkrieges und des schlechten Verhältnisses
zwischen Deutschland und Polen. Dies betrifft
nicht nur das Verhältnis Polens zur Bundesrepublik
Deutschland, wo die Frage der
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze viele
Jahrzehnte ein Knackpunkt war. Auch das Verhältnis
der „sozialistischen Nachbarn" DDR
und der VR Polen war äußerst distanziert, das
belegt die über 25 Jahre währende Einstellung
des Personenverkehrs auf der Stettiner Bahn.
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Stettin Hauptbahnhof. Foto: Frank Lammers |
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Da kann die ab Mai 2004 anstehende
EU-Ost-Erweiterung hoffnungsvoll stimmen.
Wenn die Grenzen fallen, muss auch die
„Zeitschranke" von den deutschen und polnischen
Bahnen eingerissen werden. Lobbyisten
für den Ausbau der Stettiner Bahn gibt
es nicht nur auf der Ebene von DB und PKP.
Berlins Verkehrssenator Strieder war unlängst
mit der Staatssekretärin Gleicke vom Bundesverkehrsministerium
im Linienverkehr nach
Stettin gereist - als Gast einer Ausstellungseröffnung
im Stettiner Bahnhof zum Thema
„160 Jahre Stettiner Bahn" (vom 30. Oktober
bis 27. November 2003 wird die Ausstellung
auch im Bahnhof Friedrichstrasse zu sehen
sein).
Dr. Murach, beruflich Verkehrsplaner, ging in
seinem Vortrag besonders auf die Situation
nach 1945 ein, über die relativ wenig Kenntnisse
in der Öffentlichkeit vorhanden sind:
Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges
wurde der direkte Personenverkehr von Berlin
nach Stettin über die Stettiner Bahn für ca.
25 Jahre eingestellt. Die Grenzziehung war
von Anfang an nicht klar, denn nach den ursprünglichen
Absprachen zwischen der Sowjetunion
und den Alliierten sollte die „Oder-Neiße-Grenze"
konsequent an der Oder (also
festlich von der Stettiner Innenstadt verlaufen.
Der Hafen und die Stettiner Bahn hatten
ab Sommer 1945 für die Rote Armee eine
wichtige Bedeutung für die Abfuhr von Reparationsgütern.
Deswegen wurde der PKP
zunächst eine Übersiedlung der Direktion
Westpommern nach Stettin verweigert. Im
Winterfahrplan 1946/47 der Deutschen
Reichsbahn vom 4. November 1946 wurden
letztmalig in einer DR-Fahrplantabelle die
Bahnhöfe auf dem polnischen Abschnitt der
Stettiner Bahn bis Scheune (heute Szczecin
Gumience) aufgeführt und gleichzeitig zum
Ausdruck gebracht, dass es zur Zeit keinen
Zugverkehr gibt. Der Vermerk zum Bahnhof
Scheune „Polnische Staatsbahn, in Scheune
Deutsche Grenzabfertigung") deutet darauf
hin, dass die Deutsche Reichsbahn noch davon
ausgegangen ist, dass hier demnächst ein
Grenzübergang zur PKP eingerichtet wird. Zu
dieser Zeit wurde das komplette zweite Gleis
Bernau - Stettin Scheune) zu Reparationszwecken
für die Sowjetunion demontiert.
Zu dieser Zeit gab es umfangreiche Sonderverkehre
von Stettin über Grambow nach
Pasewalk. Die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung
aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen
erfolgte in Güterzügen, die überwiegend
über diese Bahnstrecke abgewickelt
wurde.
Der „Spiegel" berichtet in einer Dokumentation,
das sich vielen Betroffenen der Bahnhof
Scheune als „Bahnhof des Grauens" in
der Erinnerung eingebrannt hat, denn besonders
in der Anfangsphase der Umsiedlung
durchforsteten private bewaffnete „kriegsentwurzelte"
Banden aus Polen und der
Ukraine die Züge im Grenzbahnhof nach
Wertgegenständen, wobei es zu heftigen Ausschreitungen
gekommen sein soll. Später wurden
diese Tätlichkeiten von den sowjetischen
und polnischen Behörden unterbunden.
Es ist bisher nicht bekannt ob die Bahnstrecke
Tantow - Stettin Scheune zwischen
1945 - 1971 für den Güter- oder Militärverkehr
genutzt wurde.
In der Zeit nach dem Görlitzer
Abkommen (Anerkennung
der Oder-Neiße-Grenze durch
die DDR ca. 1950) wurde eine
provisorische Direktverbindung
von Berlin (über die Stadtbahn)
nach Stettin angeboten. Es handelte
sich um einen Anschlusszug
von Pasewalk an den D 13
nach, der einmal täglich verkehrte.
Die Reisezeit betrug
über sechs Stunden (!). Diese
Verbindung wurde u.a. auch für
die ersten „organisierten"
Freundschaftskundgebungen in
den Grenzstädten sowie für die
Teilnahme der polnischen Delegationen
an den Weltjugendspielen
1951 in Berlin genutzt.
Die Verbindung muss aber im
Zeitraum Mitte der fünfziger
Jahre (möglicherweise in Zusammenhang mit
der Verschärfung der internationalen Lage
nach dem Tod von Stalin und den Aufständen
in der DDR und später in Polen) wieder eingestellt
worden sein.
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Sämtliche Eisenbahnverbindungen nördlich
von Frankfurt (Oder) zwischen der DDR und
der Volksrepublik Polen waren für den Personenverkehr
unterbrochen. In den DR-Fahrplanausgaben
mit Auslandsteil, die in
der Regel nur für Dienst- und Geschäftsreisende
zugänglich waren, werden Zugverbindungen
von Berlin über den Laufweg
Frankfurt/Oder - Posen aufgeführt - mit
einem Umweg von ca. 300 Kilometer. Die
kürzeste Fahrzeit von Berlin nach Stettin
betrug 1960 zum Beispiel 10,25 Stunden (I).
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Anlässlich der Einführung des paß- und visafreien
Verkehrs zwischen der DDR und der
VR Polen wird der direkte Eisenbahnverkehr
zum Sommerfahrplan 1972 zwischen
Berlin und Stettin wieder aufgenommen.
Als neue Grenzübergangsstelle zwischen
der DDR und der VR Polen waren die
Bahnhöfe Grambow und Szczecin-Gumience
vereinbart. Bei der Instandhaltung
der Bahnanlagen auf DDR-Gebiet werden
auch deutsche und polnische Studenten im
Rahmen der FDJ-Aktion „Studentensommer
1972" eingesetzt. Es verkehren nun
täglich zwei Zugpaare (ein D-Zugpaar Berlin
- Stettin - Berlin und ein Eilzug-Paar
Danzig - Stettin - Berlin - Danzig, sodass
in beiden Richtungen erstmals seit 1945
Tagesrandverbindungen (morgens hin,
abends zurück) möglich sind. Die kürzeste
Fahrzeit beträgt knapp drei Stunden mit einer
Kontrollzeit von ca. 40 Minuten im
Grenzbahnhof Szczecin-Gumience. Gleichzeitig
wird die Bahnstrecke Pasewalk -
Grambow - Stettin mit vier Zugpaaren für
den grenznahen Verkehr wiedereröffnet.
Die Zugpaare werden von beiden Seiten intensiv
für den Einkaufstourismus genutzt.
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1974: Wiederaufbau des durch die Sowjetunion
demontierten zweiten Gleises im
Abschnitt Bernau - Eberwalde - Angermünde
der Stettiner Bahn. Der Abschnitt
Buch - Bernau wird einer „Zentralen Oberbauerneuerung"
unterzogen.
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1981 -1990: Vor dem Hintergrund der Ausrufung
des Kriegsrechtes anlässlich der Protestbewegung
durch Solidarnosc wird die
Tagesrandverbindung Berlin - Stettin - Berlin
ersatzlos gestrichen. Es verkehrt nur
noch das Nachtzugpaar von Berlin nach
Danzig. Der Personenverkehr auf der Strecke
Stettin - Grambow - Pasewalk wurde
vollständig eingestellt.
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Zwischen 1988 und 1989 wird die Stettiner
Bahn von Berlin zunächst bis Angermünde
elektrifiziert, später folgt der Angermünde
- Passow für schwere Güterzüge.
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1991 werden zwischen Berlin und Stettin
zunächst zwei, dann drei Fernzugpaare
(IR- bzw. D-Züge) täglich angeboten, ergänzt
durch einige Regionalbahnzüge, so
dass Tagesrandfahrten nach Stettin wieder
möglich sind
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Zum Sommerfahrplan 2000 wurde auf Betreiben
der DB AG der gesamte Fernverkehr
zwischen Berlin und Stettin eingestellt.
Heute verkehrt umsteigefrei ein Regionalbahn-Zugpaar
zwischen Berlin und
Stettin, ergänzt durch einige Regionalbahnzüge
zwischen Angermünde und Berlin, finanziert
aus Regionalisierungsmitteln.
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Seit Ende 2002 gibt es eine direkte Regionalbahn-Verbindung
als erste kleine Verbesserung
über die Stadtbahn bis nach
Potsdam.
Die zur Zeit unbefriedigende Situation soll
durch Aufnahme der Strecke in den Bundesverkehrswegeplan
(BVWP 2003) langfristig
verbessert werden. Senator Strieder hat dafür
einige Initiativen ergriffen - und so ist bei den
Internationalen Projekten unter der Nummer
2 die Stettiner Bahn eingeordnet - als
Prüfauftrag für eine Ausbaugeschwindigkeit
von 160 km/h. Es gibt Bemühungen und Gespräche,
ab 2004 eine zweites durchgehendes
Zugpaar, dass von der polnischen Seite
für Tagesfahrten nutzbar ist, anzubieten.
DBV BarnimOberhavel-Uckermark
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