Report

Stichwort: Kundenrechte

Seit mehreren Jahren wird in Fachkreisen eine Diskussion um die Rechte der Fahrgäste gegenüber den öffentlichen Verkehrsunternehmen geführt. Diese Diskussion wurde Anfang 2003 durch den Ausschuß für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages auf parlamentarische Ebene gehoben. Außer dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft befaßt sich auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit dieser Thematik. Vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, das sich eigentlich mit dieser Materie befassen müßte, sind in der Öffentlichkeit dazu bisher keine Äußerungen bekannt geworden. Von den für den Eisenbahn- Regionalverkehr zuständigen Bundesländern hat lediglich Nordrhein-Westfalen nachhaltige Anstrengungen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Fahrgästen und Verkehrsunternehmen im ÖPNV unternommen. Die Ergebnisse der dortigen Schlichtungsstelle Nahverkehr werden bundesweit anerkannt.

In einer Anhörung im Ausschuß für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hatten die Experten der eingeladenen Verbände und Unternehmen ihren Einzelinteressen entsprechende Stellungnahmen abgegeben. Bedingt durch die Vielzahl der vom Ausschuß gestellten Fragen (10 zum Preissystem und zur Tarifgestaltung; 22 Fragen zum Leistungsangebot, Fahrgastrechte, Haftung; 13 zu weiteren Serviceleistungen) konnten nicht alle beantwortet werden. So beantwortete zum Beispiel Prof. Dr. Staudinger (Universität Bielefeld) lediglich Fragen zur Leistungsstörung, diese aber sehr ausführlich. Seine Antworten entsprechen weitgehend unseren Überlegungen. Die in seiner Stellungnahme vorgeschlagene Neufassung des § 17 EVO ist inzwischen von der DB AG nahezu wörtlich als Ziffer 9.1.1. der BB Personenverkehr übernommen worden.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat in einem Positionspapier eine Reihe der in den vorhergehenden Diskussionen behandelten Probleme aus seinem Gesichtspunkt und dem seiner Mitgliedsunternehmen zusammen gefaßt. Zur Verbesserung der Kundenrechte will der VDV Musterbeförderungsbedingungen entwerfen, nach denen sich alle öffentlichen Verkehrsunternehmen bei der Ausarbeitung richten können. Dazu gehört auch die Aufstellung einer Tabelle für Ersatzleistungen bei Leistungsstörungen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Kunden und Unternehmen im Fernverkehr eine Ombudsstelle einzurichten. Die Beteiligung von Experten unseres Verbandes an diesen Arbeiten ist Ziel unserer Verbandsarbeit.

Durch die Reorganisation des Geschäftsbereichs Fernverkehr der DB AG sowie die Neufassung der „Beförderungsbedingungen für Personen durch die Unternehmen der Deutschen Bahn AG (BB Personenverkehr) vom 1. August 2003" (Nachtrag 4, gültig ab 14. Dezember 2003) ist eine Vielzahl der in den Komplexen in der Ziffer 1 dieses Beitrages enthaltenen Fragen beantwortet oder gegenstandslos geworden. Offen geblieben sind Fragen bzw. Fragenkomplexe, die in der Anhörung nicht oder gegensätzlich beantwortet wurden. Dazu gehören:

Zivilrechtliche Grundsatzregelungen

... für den Personenverkehr (BGB, EVO, Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen, Beförderungsbedingungen und Tarife einzelner Unternehmen), insbesondere auch die Frage nach dem Zeitpunkt des Beginns des Beförderungsvertrages.

Unser Standpunkt: Unstreitig ist, dass auch für den Personenbeförderungsvertrag eine Anknüpfung an das BGB erforderlich ist. Eine Mehrheit von Juristen betrachtet in als Werkvertrag (§ 631 BGB). Vielen fällt allerdings schwer, die Beförderung von Personen beispielsweise mit der Herstellung eines Maßanzuges beim Schneider (ein Musterbeispiel für einen Werkvertrag nach § 631 BGB) zu vergleichen. Eher schon Hessen sich Vergleiche mit dem Reisevertrag (§ 651 A BGB) herstellen. Wesentliches Merkmal dieses Vertrages ist allerdings eine Gesamtheit von Leistungen, wie sie bei Buchungen von Pauschalreisen üblich ist. Da ohnehin weitere Einzelheiten des Personenbeförderungsvertrages in Spezialnormen regeln wäre, würde für den einfachen Personenbeförderungsvertrag ein Hinweis auf einen erweiterten Geltungsbereich des § 651 a BGB ausreichen. Die folgenden Bestimmungen des BGB-Abschnittes über den Reisevertrag (§§ 651 b bis 1) könnten als Nachfolgeregelungen weitgehend bestehen Meten. Auffallend ist dass es bisher keine präzise Definition über den Beginn des Personenbeförderugsvertrages gibt Ein solcher Fixpunkt kam aber für die vertragliche Haftung oder für die Rückgabe bezahlter unbenutzter Fahrausweise wichtig sein! Er kann im Zeitraum zwischen Kauf und Abfahrt des Verkehrsmittels liegen. Ein Element des Personenbeförderungsvertrages ist das Vorhandensein einer gültigen Fahrkarte - aber nicht das einige So ist nicht einzusehen, dass zum Beispiel Schwerbehinderten mit dem Kauf der jeweiligen Marke beim Sozialamt Beförderungsverträge für ein halbes Jahr im voraus mit einer Vielzahl unbekannter Verkehrsunternehmen abgeschlossen werden. Der für uns einzige logische Punkt für den Beginn des Beförderungsvertrages ist der Moment des Betretens des Fahrzeuges durch den Reisenden. Dieser Moment ist nachvollziehbar und beweisbar. Dies gilt auch dann, wenn der Reisende bei durchgehender Abfertigung auf einer Fahrkarte Verkehrsmittel verschiedener Unternehmen benutzt (BB Personenverkehr, Ziffer 1.1, Sätzte 2 und 3).

Ist der Reisende im Besitz einer gültigen Fahrkarte, hat er seine Gegenleistung für die Beförderung damit schon vorher erbracht - kommt der Beförderungsvertrag im Moment des Betretens des Fahrzeuges des Verkehrsuntemehmens zustande. Das hat zur Konsequenz, dass ein Reisender, der eine Fahrkarte gekauft, aber nicht zur Fahrt benutzt hat jederzeit den Fahrpreis zurückverlangen kann, so wie es in § 18 (1) EVO geregelt ist. Die DB AG hat diese Rechtsvorschrift ausdrücklich zum Bestandteil ihrer BB Personenverkehr gemacht. Es handelt sich in diesem Falle um eine Rücknahme, nicht um eine Erstattung!

Beitritt ein Reisender ohne einen gültigen Fahrausweis das Fahrzeug, kommt der Beförderungsvertrag in diesem Moment trotzdem zustande. In diesem Falle erfolgt die Gegenleistung des Reisenden später, je nachdem, ob sich der Fahrkartenautomat im Fahrzeug befindet oder ob ein Schaffner das Fahrgeld kassiert. Eine solche Vertragskonstruktion ermöglicht es, die unterschiedlichen Abfertigungsverfahren beizubehalten. Ist ein Fahrgast nicht gewillt, nach Betreten die Gegenleistung für die Beförderung vorzuweisen oder zu erbringen, ist er als Reisender ohne gültigen Fahrausweis zu behandeln und hat die Konsequenzen zu tragen.

Charakter von Fahrgastinformationen

Der Rechtscharakter von Kursbüchern und anderen Fahrgastinformationen (zum Beispiel die Bedeutung der Zugbindung) und mögliche Konsequenzen für deren Fehlerhaftigkeit.

Unser Standpunkt: Im Zuge der Bahnreform dürfen auch Eisenbahnverkehrsunternehmen, die nicht der DB AG angehören, Beförderungsleistungen erbringen. Dabei taucht die Frage auf, inwieweit Fahrgäste über dieses Angebot nicht bundeseigener Eisenbahnen (NE-Bahnen) informiert werden. Bisher werden Kursbücher bundesweit ausschliesslich von der DB AG herausgegeben und verkauft. Sie lehnt es bisher ab, die Angebote in ihre Kursbücher aufzunehmen, sofern die betreffenden Bahnen nicht ein Tarifverband mit ihr eingegangen sind. Diese Haltung wirft die Frage auf, wie und durch wen in Zukunft über das Angebot an Eisenbahn- und anderen Verkehrsverbindungen in Deutschland informiert wird. Der DBV hatte bereits in Signal 5/2002 diese Problematik behandelt und die Datenbank „Kursbuch" als ideelle Eisenbahninfrastruktur betrachtet. Danach hätten gemäß §§ 13 f AEG alle Eisenbahnverkehrsunternehmen das Recht ihre Angebote in einem Kursbuch zu veröffentlichen. Inwieweit zu einem solchen Angebot auch die Beförderungsbedingungen und die Fahrpreise gehören, wäre gesondert zu prüfen. Die Erstellung und Herausgabe dieses Angebots sollte einer unabhängigen, neutralen Stelle übertragen werden.

Rechte der Fahrgäste ...

... bei Einstellung des Betriebs, Abbestellung durch Aufgabenträger, Reduzierung des Angebotes.

Immer häufiger kommt es vor, dass Strecken stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen oder Züge gestrichen werden - teilweise sogar sehr kurzfristig. In der Regel geschieht das aus Gründen der Rentabilität einzelner Unternehmen und finanzieller Umverteilungen der Aufgabenträger. Ebenfalls in der Regel werden dabei die betroffenen Fahrgäste vor vollendete Tatsachen gestellt. Das „Wohl der Allgemeinheit" und die „Verkehrsbedürfnisse" des Artikels 87 e, Absatz 4 des Grundgesetzes spielen dabei kaum noch eine Rolle. Auf diesem Gebiet sollte mehr als bisher die Mitwirkung der Parlamente in den Landkreisen, Städten und Gemeinden gefordert und gefördert werden.

DBV

aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 38-39

 

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