Mitte Januar ergab sich die Gelegenheit,
mit Frau Oberbürgermeisterin Tiemann
und dem Stadtkämmerer, Herrn Scheller
(beide CDU), zu sprechen und nach der
umfangreichen Fahrplanreduzierung beim
Verkehrsbetrieb Brandenburg (VBBr) im
Dezember 2005 die Standpunkte auszutauschen.
Nur eine Frage des Geldes?
Mit der Anwesenheit des Kämmerers war
schon vorprogrammiert, dass sich alles um
die Finanzierung drehen wird. Es wurde die
Sicht der Stadt erläutert und erklärt, dass
beschlossen wurde, den Zuschuss für die
VBBr von jetzt 6 auf 4 Millionen Euro zu reduzieren.
Allerdings bleibt die Frage: Warum
gerade zwei Millionen Euro weniger?
Einzig bleibt das Argument der insgesamt
fehlenden Finanzen. Wie üblich in vor allem
CDU-regierten Ländern und Kommunen
sind die Bereiche Soziales und Verkehr dann
die Bauernopfer.
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Eine Tatrabahn auf der Luckenberger Brücke, einem Abschnitt der Linie 1, welcher mittelfristig einstellungsbedroht ist. Foto: Thomas Nitsch |
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Aber zur selben Zeit baut die Stadtverwaltung
sich einen neuen Verwaltungssitz,
baut das altstädtische Rathaus zum Bürgermeistersitz
aus und will sonst noch recht
großzügig zur eigenen Repräsentation Geld
zur Verfügung haben. Hochverschuldete
kommunale Unternehmen werden künstlich
am Leben erhalten, so die kommunale
Wohnungsverwaltung WOBRA mit großzügigen
Krediten. Die VBBr gehört aber auch
zur Holding der Stadtwerke. Geld ist zumindest
da - doch bei der Mittelverwendung
wird anders entschieden.
Visionen?
Leider fehlt den Stadtvertretern eine Vision,
mit welchem Verkehrskonzept man die
Zukunft der Stadt gestalten kann. Man erkennt
nicht, dass unter anderem die Tram
in Brandenburg zur Lebensqualität dieser
Stadt beiträgt, ein wichtiger Standortvorteil
ist und dass sie auch Anreize für den
Tourismus bietet (so genannter weicher
Standortfaktor).
„Nett" war die Aussage, dass sich die Bevölkerung
längst mitdem neuen abgespeckten
Fahrplan abgefunden hat. Vielleicht sollte
es eher nachdenklich stimmen, dass ein
Großteil der Bevölkerung heute resigniert
und den Politikern nicht
mehr vertraut. Die Wahlbeteiligungen
zeigen das
gesunkene Interesse an
der aktiven Politik.
„Angebotsoptimierung"
nennt sich nun der zusammengestrichene
Fahrplan.
Mehrere Male fiel der berühmten
Spruch: „Wenn
die Leute das Angebot
nicht nutzen, müssen wir
unser Angebot eben anpassen."
Der Kämmerer stand,
wie seine CDU-Fraktion,
für die Überlegungen, die
Linie 2 ganz einzustellen.
Die Linie 1 solle den innerstädtischen
Verlauf der 2 nehmen, und der
Verlauf der 1 über die Luckenberger Brücke/Bauhofstraße
(Bereich altes Straßenbahndepot)
solle nicht mehr befahren werden.
Nur die emotionale Diskussion in der Zeit
um den Bundestagswahlkampf 2005 verhinderte
zunächst diese Absichten. Aber es
ist absehbar, dass die Entwicklung in diese
Richtung geht.
Die Linie 1 liegt bei den Beförderungszahlen
niedriger als die 2, sie wird aber als
Entwicklungsfähig eingestuft. Am sichersten
erscheint die Linie 6. Sie hat durch
eine ausgiebige Nutzung einen sehr guten
Kostendeckungsgrad. Doch auch hier sieht
die Stadtführung ein Problem, wenn im
Zuge des Stadtumbau Ost (sagen wir lieber
Stadtabriss) der bislang bevölkerungsstärkste
Stadtteil Hohenstücken in den nächsten
Jahren stark schrumpfen wird.
Ein Gutachten
und seine möglichen Folgen
Das im Auftrag von Frau OB Tiemann erstellte
WIBERA-Gutachten empfiehlt in absehbarer
Zeit einen Systemwechsel. Er wäre bereits
realisiert worden, doch mit Fördermitteln
getätigte Investitionen wären bei der Einstellung
der Tram für die Stadt teuer geworden.
Aber in gut 10 Jahren wird die Situation
anders aussehen: Die Bindungsfristen der
Förderungen sind abgelaufen und alle Wege
sind frei, die Tram auf Bus umzustellen.
Sollte die Entwicklung im Sinne der jetzigen
Stadtführung ihren Lauf nehmen, würde
nach 2010 als erstes die Linie 2 eingestellt,
gefolgt von der Linie 1 und, nach dem Rückbau
des Stadtteiles Hohenstücken, von der
Linie 6. Dieses „Auslaufszenario" kann mit
dem bereits erfolgten Zurückfahren von
Investitionen in Infrastruktur und Technik
erreicht werden. Für die Linie 6 reichen vier
NGT 6 - knapp 25 Jahre alt - aus.
Andere Argumente geprüft?
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Brandenburg ohne Straßenbahn? Kann man sich nicht vorstellen. Seit knapp 110 Jahren fährt die Straßenbahn durch die Hauptstraße und wird nach wie vor gut genutzt. Die Politik sieht das anders. Foto: Thomas Nitsch |
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Bislang wurden keine Gegenargumente geprüft,
wie mit mehr und besseren Angeboten,
Marketingoffensiven etc. wieder mehr
bzw. neue Fahrgäste gewonnen werden
können. Da sich die derzeitige Stadtführung
eindeutig für den angeblich günstigeren
Bus entschieden hat, bedarf es schon
viel Überzeugungsarbeit, die Vorteile des
Erhalts der Tram zu beweisen - zumal sich
in absehbarer Zeit nichts an der Qualität
des Nahverkehrs (alte Fahrzeuge, schlechte
ÖPNV-Verknüpfung am Hauptbahnhof etc.)
verändern wird.
Damit die Fahrgäste Gehör finden
Damit wenigstens aktuelle Probleme im laufenden
Fahrplan korrigiert werden können,
hat sich eine Gruppe
von ÖPNV-Nutzern zusammengetan,
die mit
Hilfe der VBBr einen
echten Fahrgastbeirat
gründen möchten. Dieser
soll eine Art Gegenpol
zum derzeit vorhandenen
- politisch motivierten
Fahrgastbeirat
mit Vertretern der Fraktionen
in der Stadtverordnetenversammlung
sein.
Der neue Fahrgastbeirat
möchte mit kleinen
Schritten großes erreichen.
Hier hilft nicht die
Holzhammermethode,
sondern hier muss gemeinsam mit dem VBBr Überzeugungsarbeit
in Richtung SVV betrieben
werden. Die VBBr müssen sich
einer Image- bzw. Sympathiekampagne
stellen, denn die Diskussion
um die Streichungen im Fahrplanangebot
haben dem Ansehen der Verkehrsbetriebe
geschadet.
Im Rahmen dieser Sympathiekampagne
möchten wir vor allem
die historischen Fahrzeuge wieder
beleben und viele Aktionen zu Feiertagen
sowie mit Kindern - den Fahrgästen
von Morgen - durchführen.
Im Beirat sollen Fahrplankorrekturen
besprochen werden und mit Umfragen
sollen die Wünsche und Vorstellungen
der Fahrgäste mehr Berücksichtigung finden.
Zudem müssen preiswerte Alternativen gefunden
werden, wie in Schwachlastzeiten der
Nahverkehr dennoch kostengünstig erbracht
werden kann (zum Beispiel Midibus/Linientaxi).
Ziel ist das langfristige Bekenntnis der
Stadtpolitik zum Verkehrsmittel Tram, ihr
langfristiger Erhalt und eine zukunftsweisende
Weiterentwicklung der Infrastruktur:
Anbindung des Stadtteils Nord
Hier liegt ein wichtiges Zukunftspotenzial
für die Tram.
Zeitnahe Verbesserungen der Umsteigesituation
am Hauptbahnhof
Die jetzige Situation, dass Umsteiger erst
die vierspurige Umgehungsstraße überqueren
müssen, ist wenig attraktiv und
birgt erhebliche Unfallgefahren.
Umgestaltung des Nicolaiplatzes
Er befindet sich in einem katastrophalen
Zustand. Die Umsteigepunkte Bus und
Tram sowie zwischen Linie 1 und 2/6 sind
räumlich voneinander getrennt. Es sollte
zudem geprüft werden, ob es notwendig
ist, das derzeitige Betriebsgleis in der
Neuendorfer Straße zu entfernen. Da es
sonst keine Möglichkeit mehr gäbe, den
Stadtring auch ringförmig zu befahren zu
können (bei Stadtfesten etc.).
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Im Jahr2000 wurde das neue Bus und Tram Depot der VBBr eröffnet. Spötter bezeichnen die Unterstellhalle von Bus und Tram als Carport. Es bleibt die Frage, ob diese Investition sinnvoll war. Foto: Thomas Nitsch |
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Wir wollen gerne konstruktiv am Erhalt eines
funktionierenden Nahverkehrssystems,
insbesondere mitderTram mitwirken. Denn
sollte das ganze Nahverkehrssystem in und
um Brandenburg/Havel weiter an Qualität
verlieren, so verliert auch die Stadt weiter an
Lebensqualität und ein Stück Identität. Somit
wird sich die Entwicklung der Abwanderung
der Bevölkerung nicht aufhalten lassen. Das
Vorhandensein der Tram in Brandenburg ist
ein wichtiger Pluspunkt für die Lebens- und
Arbeitsqualität, ein Beitrag zum Umweltschutz
und zur Stadtentwicklung.
Fazit
Die Stadt benötigt ein langfristig zukunftsweisendes
Gesamtkonzept für den ÖPNV. Nur
damit können negative Entwicklungen aufgehalten,
abgefedert oder umgekehrt werden.
Sinnloses Kaputtsparen hält den Niedergang
der Stadt Brandenburg nicht auf, es beschleunigt
ihn womöglich noch! Schließlich sind die
Bürger in der Havelstadt gefordert, das Angebot
Ihres Nahverkehrs zu nutzen und von den
Stadtpolitikern zukunftsweisende Konzepte
einzufordern - denn damit entziehen sie Stilllegungsplänen
jegliche Grundlage, (thoni) Fahrgastvertretung Brandenburg/Havel
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